Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 224: Der Osten als Vorreiter? Rechtspopulismus im Gefolge wirtschaftlicher und politischer Umbrüche

Bundes­tags­wahl 2017 – die AfD etabliert sich bundesweit

In: vorgänge 224 (4/2018), S. 47 – 55

Die AfD – ursprünglich eine europakritische Partei – hat sich zu einer rechtspopulistischen Partei gewandelt. Mit ihrer Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin konnte sie bei den Landtagswahlen 2016 und der Bundestagswahl 2017 erhebliche Stimmengewinne erzielen. Der folgende Beitrag analysiert die Wahlerfolge und die Wählerschaft der AfD bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr sowie bei den Landtagswahlen in Sachsen und Baden-Württemberg. Die Autoren untersuchen die Stimmengewinne der AfD, die sich vor allem aus der Mobilisierung ehemaliger Nicht-Wähler, aber auch durch die Abwanderung von früheren Wählern anderer Parteien (insbesondere der CDU und der SPD) ergeben. Sie betrachten die Wahlkreise mit dem höchsten und dem niedrigsten Zweitstimmenanteilen für die AfD; beleuchten, bei welchen Wählergruppen die Partei besonders erfolgreich war und was deren Motive waren, dieser Partei ihre Stimme zu geben. Schließlich gehen sie der Frage nach, wie weit sozioökonomische Faktoren den Wahlausgang erklären können. Anhand der untersuchten Daten wagen Koch und Ruhland eine beunruhigende Prognose: Bei den kommenden Wahlen könnte sich die AfD zu einer Art Protest-Volkspartei entwickeln.
Etablierung der AfD auch auf Bundesebene

Die Bundestagswahl 2017 endete mit herben Verlusten von CDU und SPD und starken Gewinnen von FDP und vor allem AfD. Bei der Bundestagswahl 2013 war die AfD noch knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert (4,7 %). In absoluten Zahlen konnte die AfD die Zahl ihrer Wähler gegenüber 2013 mehr als verdoppeln.

Tabelle 1: Gewinne und Verluste der Parteien zur Bundestagswahl 2017

Parteianteile

Prozent

Differenz zu 2013 in Prozentpunkten 

In absoluten Zahlen 

Differenz zu 2013 

CDU / CSU

   32,9

                   – 8,6

 15.317.344

 -2.848.102

SPD

   20.5

                   – 5,2

   9.539.381

 -1.712.834

DIE LINKE

     9,2

                  + 0,6

   4.297.270

 +541.571

GRÜNE 

     8,9

                  + 0,5

   4.158.400

 +464.343

FDP

   10,7

                  + 6,0

   4.999.449

 +2.915.916

AfD

   12,6

                  + 7,9

   5.878.115

 +3.821.130

Sonstige 

     5,0

                  – 1,2 

   2.325.533

 -393.388

Die AfD konnte in fast allen Bundesländern deutlich zulegen, in den ostdeutschen Ländern (ohne Berlin) durchweg zweistellig.

Tabelle 2: Wahlergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl 2017 im Vergleich zu 2013

 Bundesländer 

Zweitstimmenanteil

 der AfD in Prozent

Differenz zu 2013

 in Prozentpunkten

 Schleswig-Holstein

                 8,2

              + 3,6

 Hamburg

                 7,8

              + 3,7

 Niedersachsen

                 9,1

              + 5,4

 Bremen

               10,0

              + 6,4

 Nordrhein-Westfalen

                 9,4

              + 5,5

 Hessen

               11,9

              + 6,3

 Rheinland-Pfalz

               11,2

              + 6,4

 Baden-Württemberg

               12,2

              + 6,9

 Bayern

               12,4

              + 8,1

 Saarland

               10,1

              + 4,9

 Berlin

               12,0

              + 7,1

 Brandenburg

               20,2

            + 14,2

 Mecklenburg- Vorpommern

               18,6

            + 13,0

 Sachsen

               27,0

            + 20,3

 Sachsen-Anhalt

               19,6

            + 15,4

 Thüringen

               22,7

            + 16,5

Den Besonderheiten einer Bundestagswahl dürfte es geschuldet sein, dass die AfD die Zweitstimmenergebnisse bei den Landtagswahlen 2016 in den betreffenden Bundesländern bei der Bundestagswahl nicht voll erreichen konnte.[1]

Tabelle 3: AfD-Wahlergebnisse in ausgewählten Bundesländern im Vergleich zwischen Bundestagswahl 2017 und Landtagswahlen 2016 (in Prozent)

Baden-Württemberg

Rheinland-Pfalz 

Sachsen-Anhalt 

Mecklenburg-Vorpommern 

Berlin 

Landtagswahlen 2016

     15,1

    12,6

   24,2

     20,8

 14,2

Bundestagswahl 2017

     12,2

      9,5

   16,9

     18,2

 11,4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die AfD konnte mit Abstand am stärksten von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitieren und rund 1,2 Mio. ehemalige Nicht-Wähler mobilisieren. Alle anderen Parteien verloren frühere Wähler an die AfD: CDU (1,05 Mio.), SPD (0,5 Mio.), Linke (430 Tsd.) und FDP (50 Tsd.), Grüne (40 Tsd.), sonstige Klein-Parteien (740 Tsd.)[2]

Überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte die AfD bei Männern und den mittleren Altersjahrgängen. Knapp ein Fünftel aller Männer zwischen 30 und 59 Jahren wählte die AfD. Bei keiner anderen Partei wird die Wählerschaft so stark von Männern und Personen mittleren Alters geprägt.[3]

Tabelle 4: Wahlergebnisse für AfD in sozialen Gruppen

Wähleranteile Bundestagswahl 2017 (in Prozent) 

Differenz zur Bundestagswahl 2013 (in Prozentpunkten) 

Gesamt

                 12,6

                   + 7,9

Geschlecht

männlich

                  16

                   + 10

weiblich

                   9

                    + 5

Alter 

 

 18 – 29 Jahre

                  11

                    + 5

 30 – 44 Jahre

                  15

                   + 10

 45 – 59 Jahre

                  14

                    + 9

 Ab 60 Jahre

                   9

                    + 6

Die Wählerschaft der AfD wird stärker als alle anderen Parteien von Personen mit mittlerem Bildungsabschluss dominiert, während die Anteile der Personen mit Hochschulreife im Vergleich der Parteien etwas niedriger und mit Hochschulabschluss deutlich niedriger liegen.

Tabelle 5: Wähleranteile der AfD nach Schulbildung

Gesamt

CDU / CSU

SPD 

LINKE 

GRÜNE 

FDP 

AfD 

Hauptschulabschluss

    19

      21

  26

   13

    8

  12

  20

Mittlere Reife

    32

      33

  31

   32

   22

  29

  42

Hochschulreife

    21

      20

  18

   24

   25

  25

  16

Hochschulabschluss

    21

      19

  16

   25

   40

  28

  11

 

 

 

 

 

 

 

In der Zusammensetzung nach beruflichem Status und nach Berufsgruppen unterscheidet sich die Wählerschaft der AfD vor allem dadurch von der anderer Parteien, dass der Anteil der Arbeiter größer und der Anteil der Angestellten geringer ist.

Tabelle 6: Soziale Zusammensetzung der Wählergruppen Bundestagswahl 2017

 Gesamt 

 CDU/CSU 

 SPD 

 LINKE 

 GRÜNE 

 FDP 

 AfD 

 ERWERBSSTATUS 

 

 

 

 

 

 berufstätig

   59

     55

  54

   57

    69

  63

  66

 Rentner

   22 

     27

  27

   21

    11

  19

  18

 arbeitslos

    2 

      1

   2

    3

     3

   1

   2

 BERUFSGRUPPE 

 

 

 

 

 

 

 Arbeiter

   25

     22 

  28

   28

    14

  18

  36

 Angestellte

   45

     46

  47

   44

    52

  46

  38

 Beamte

    7

      7

   7

    4

     9

   8

   5

 Selbstständige

    9

     10

   5

    9

    12

  15

   9

 Landwirte

    1

      3

   0

    1

     1

   2

   1

Es ist festzuhalten, dass die Wähler der AfD nicht allein aus der Arbeiterschicht, sondern aus allen Schichten der Gesellschaft kommen.

Die Bundes­tags­wahl in Sachsen und Baden-Würt­tem­berg

Die AfD hat in Ostdeutschland besonders stark zugelegt (21,9 %, +16,0) und wurde zur zweiten Kraft hinter der CDU, die eine zweistellige Einbuße (-10,9) hinnehmen musste. Auch im Westen erreichte die AfD ein beachtliches Ergebnis (10,7 %, + 6,2).

Im Westen erzielte die AfD in den vergleichsweise wohlhabenden südlichen Bundesländern Baden-Württemberg (12,2 %) und Bayern (12,4 %) ihre höchsten Stimmenanteile. In den östlichen Bundesländern liegen diese Anteile durchweg um 20 %. In Sachsen gelang es der Partei sogar, zur stärksten Kraft vor der CDU zu werden (27,0 %; +20,3).

Im Folgenden geht es nicht um die Frage, warum die AfD in Ostdeutschland stärker ist als in Westdeutschland. Vielmehr soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit sozioökonomische Faktoren den Wahlerfolg der AfD erklären können. Hierzu werden innerhalb der Bundesländer Baden-Württemberg und Sachsen jeweils die Wahlkreise mit dem höchsten und dem niedrigsten Zweitstimmenanteil näher betrachtet.

Tabelle 7: Wahlkreise mit dem höchsten und dem niedrigsten Zweitstimmenanteil der AfD in Sachsen und Baden-Württemberg (in Prozent)

Sachsen gesamt

Sächsische Schweiz – Osterzgebirge

 Leipzig II 

Baden-Württemberg gesamt 

 Heilbronn  

              Stuttgart I

 

    27,0

          35,0

    16,0

        12,2

    16,4

      4,1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vergleicht man die sozioökonomischen Strukturdaten dieser Wahlkreise, so fällt auf, dass die Wahlkreise mit dem höchsten Zweitstimmenanteil der AfD in Sachsen und in Baden-Württemberg bei zentralen sozioökonomischen Indikatoren zumindest etwas besser abschneiden als die Wahlkreise mit dem niedrigsten Zweitstimmenanteil. Bei den Wahlkreisen, in denen die AfD in beiden Bundesländern besonders stark abgeschnitten hat, handelt sich auch nicht um „sterbende Regionen“. Die Bevölkerung wächst, wenngleich der Geburtensaldo negativ ist. In Sachsen steht ein städtischer Wahlkreis einem ländlich geprägten gegenüber. In Baden-Württemberg handelt es sich jeweils um Wahlkreise mit einer städtischen Bevölkerung. Der Wahlkreis mit dem höchsten Stimmenanteil für die AfD (Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) weist zugleich den niedrigsten Anteil von Bürgern mit Migrationshintergrund auf.

Tabelle 8: Sozioökonomische Strukturdaten ausgewählter Wahlkreise in Baden-Württemberg und Sachsen

Sachsen 

Sächsische Schweiz – Osterzgebirge 

Leipzig II

Baden-Württemberg 

Heilbronn 

Stuttgart I 

Verfügbares Einkommen je Einwohner

18.158 €

   18.735 €

16.542 €

   22.869 €

 29.506 €

 16.542 € 

Empfänger*innen Leistungen SGBII je 1000 Einwohner

    83

       68

   123 

       43 

     49 

     67 

Arbeitslosenquote

   7,3%

      6,4%

   8,3%

      3,7%

   4,2%

    5,0% 

Bevölkerung mit Migrationshintergrund

   4,4%

      2,9%

   8,1%

     25,7%

  31,8%  

   38,6%

Wanderungssaldo je 1000 Einwohner

   11,5

      11,7

   27,4

      15,7

    18,1

    16,5

 Geburtensaldo je 1000 Einwohner

   -4,4

      -5,9

    0,9

      -0,7

    -0,8

     1,5

* Bevölkerungsstatistik von 2015 / Quelle: Bundeswahlleiter[4]

Es wird deutlich, dass die verfügbaren sozioökonomischen Strukturdaten keine Anhaltspunkte zur Erklärung für das unterschiedliche Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl innerhalb von Sachsen und Baden-Württemberg liefern. Das schließt allerdings nicht aus, dass sich die Bevölkerung in ländlichen Wahlkreisen subjektiv von der Entwicklung abgehängt fühlt, wenn etwa Institutionen wie Bankfilialen oder Polizeistationen schließen.

Zudem werden bei dieser Analyse Durchschnittswerte betrachtet und nicht etwa die Anteile der sozial Schwachen in der Bevölkerung. Nach verbreiteter Meinung gelten vor allem Personen mit geringem Einkommen bzw. allgemein die Verlierer der ökonomischen Modernisierung als besonders AfD-affin, da sie mit ihren materiellen Lebensbedingungen unzufrieden seien.

Eine Studie der Universität Leipzig ist dieser „Modernisierungsverlierer-These“ auf der Grundlage von Wahlabsichten bei der Bundestagswahl nachgegangen. Die Befragungsergebnisse ergaben für Personen mit niedrigem sozialen Status überraschenderweise jedoch keine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit, bei der kommenden Bundestagswahl bevorzugt die AfD zu wählen.[5]

Wahlmotive der AfD-Wähler

Der Wahlkampf der AfD kreiste nahezu ausschließlich um die Themen Flüchtlinge und innere Sicherheit. Die zuwanderungs- und islamkritische Haltung der Partei stößt bei deren Wählern in hohem Maße auf Zustimmung.[6] Für 87 %, die sich bei der Bundestagswahl für die AfD entschieden, kann Deutschland die vielen Flüchtlinge nicht verkraften. Von den Wählern der anderen Parteien sind jeweils große Mehrheiten gegenteiliger Meinung (von 59 % der FDP- bis 94 % der Grünen-Wähler). 96 % der AfD-Wähler finden es gut, dass die Partei den Zuzug von Flüchtlingen stark begrenzen; und 99 % finden es gut, dass die AfD den Einfluss des Islam verringern will. Für ebenfalls 99 % ihrer Wähler hat die AfD besser als andere Parteien verstanden, dass sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlen. Eine knappe Mehrheit der AfD-Wähler (55 %) kritisiert allerdings, dass sich die Partei nicht genug von rechtsextremen Positionen distanziere.

Von allen Wählern trauen jedoch nur 12 % der AfD die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Flüchtlingen/Asyl zu, was in etwa ihrem Wähleranteil entspricht. 35 % aller Wähler sehen die entsprechende Kompetenz bei der Union und 15 % bei der SPD. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Kompetenz, die Kriminalität zu bekämpfen (AfD 10 %, Union 34 %, SPD 11 %). Nur 4 % aller Wähler schreiben der AfD Kompetenzen bei sozialer Gerechtigkeit zu. Das bedeutet, dass auch viele AfD-Wähler der Partei die Lösung sozialer Probleme nicht zutrauen.

Die AfD hat für die meisten ihrer Wähler die Funktion einer Protestpartei: 85 % sehen in der AfD die einzige Partei, mit der sie ihren Protest gegen die ihrer Meinung nach verfehlte Politik der etablierten Parteien ausdrücken können.

Nach einer Studie des Wissenschaftszentrum Berlin vertreten fast neun von zehn AfD-Wählern (88 %) populistische Einstellungen. Populismus wurde dabei gemessen in den Einstellungsdimensionen „Anti-Establishment“ (Kritik an Parteien, Parlamenten, Medien u. ä.) und „Anti-Pluralismus“ (behaupteter allgemeiner Volkswillen, Kritik an Verfahren pluralistischer Willensbildung). Populistische Einstellungen lassen sich allerdings auch bei den Wählern anderer Parteien finden, wenngleich in deutlich geringerem Maße: bei den Wählern der SPD 29 %, der Linken 23 %, der FDP 22 %, der CDU/CSU 14 % und der Grünen 10 %. Die Wähler der AfD vertreten darüber hinaus zu deutlich höheren Anteilen als die Wähler der anderen Parteien rechtspopulistische Einstellungen, insbesondere hinsichtlich Migration und Innerer Sicherheit. Nach Ansicht des Autors dürften die Wähler der AfD dennoch nicht durchweg als rechtsextrem oder prinzipiell demokratiefeindlich eingeschätzt werden.[7]

Ausblick

Wäre es im Sommer 2018 im Zusammenhang mit dem Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik zu einer Bundestagswahl gekommen, hätte die AfD, einer Prognose des Informationsdienstes „election.de“ zufolge, vor allem in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gute Chancen gehabt, über die 2017 in Görlitz, Bautzen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gewonnenen Direktmandate hinaus weitere Wahlkreise zu erobern. Mit zahlreichen Direktmandaten hätte sie sich zumindest in Sachsen dem Status einer Volkspartei angenähert und dort zugleich „Die Linke“ als Ost-Regionalpartei verdrängt.[8]

Da es der AfD schon bei vergangen Wahlen gelungen ist, Stimmen bisheriger Nichtwähler und Stimmen von früheren Wählern anderer und insbesondere regierender Parteien zu mobilisieren, könnte die AfD bei den kommenden Landtagswahlen zu einer Art Protest-Volkspartei aufsteigen.

Die Analyse der Bundestagswahl 2017 macht deutlich, dass die Motive der meisten AfD-Wähler weniger in deren objektiver sozialen Lage zu sehen sind, sondern eher auf der Ebene subjektiver Verunsicherungen und Ängste.

Die „Flüchtlingskrise“ 2015 hat der AfD einen erheblichen Schub gegeben. Anhaltende und von den Medien skandalisierte Probleme mit der Integration oder Abschiebung von Flüchtlingen könnten zu einer weiteren Diffusion rechtspopulistischen Gedankenguts in der Bevölkerung beitragen und die AfD stärken. Die Politik scheint derzeit noch weit davon entfernt zu sein, im Umgang mit der Migration eine in der breiten Bevölkerung akzeptierte Balance zwischen Humanität und Legalität zu finden. Eine einseitig härtere Gangart in der Flüchtlingspolitik, wie sie insbesondere der CSU-Vorsitzende und amtierende Bundesinnenminister Seehofer vorschlägt, scheint nachweislich aktueller Umfragen zu den kommenden Landtagswahlen in Bayern jedenfalls kein geeignetes Mittel für die (bisherigen) Volksparteien zu sein, um Wähler von der AfD zurück zu gewinnen.

Für Holger Lengfeld und Swen Reichholdt vom Institut für Soziologie der Universität Leipzig verweist der Erfolg der AfD auch auf einen viel tiefer gehenden Konflikt als nur einen politischen Streit über Flüchtlingspolitik. Die AfD lebe vom Unmut über die gesamte politische Entwicklung Deutschlands. Ihr Erstarken sei ein Signal für eine kulturelle Spaltung der Gesellschaft die nicht primär zwischen Arm und Reich verlaufe. Dabei stünde auf der einen Seite die Mehrheit derjenigen, die ein liberales, kosmopolitisches Weltbild vertreten, und auf der anderen Seite die Minderheit derjenigen, die sich einen souveränen Nationalstaat und eine homogene Bevölkerung wünschen.[9]

Wenn sich die Wahlerfolge der AfD nicht primär mit der Unzufriedenheit „des kleinen Mannes“ über die eigene wirtschaftliche Lage erklären lassen, sondern eher mit dem Vordringen rechtspopulistischer Einstellungen auch in andere Schichten der Gesellschaft, insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit der Migration, ist Skepsis gegenüber den Absichten der etablierten Parteien angebracht, zumindest die Protestwähler der AfD vor allem mit einer besseren Sozialpolitik zurückgewinnen zu wollen.[10]

DR. RICHARD KOCH   Jg. 1948, war zuletzt Leiter des Referats Meinungsforschung und Evaluation im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und ist seit 2009 freier Politik- und Sozialwissenschaftler in Berlin.
DR. WALTER RUHLAND    Jg. 1947, ist geschäftsführender Gesellschafter von Polis. Das Institut führt Studien im Bereich der empirischen Sozialforschung durch.

Anmerkungen:

1 Vgl. Richard Koch und Walter Ruhland: Rechtspopulisten der AfD auf dem Vormarsch? Eine Analyse
der Landtagswahlen 2016, in: vorgänge Nr. 216, S. 39-45.
2 Vgl. Wahlreport infratest-dimap zur Bundestagswahl 2017.
3 Die Zahlen der nachfolgenden Tabellen sind entnommen dem Bericht der Forschungsgruppe Wahlen
e.V. zur Bundestagswahl 2017.
4 Vgl. https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/strukturdaten.html.
5 Lengfeld, H. Kölner Zeitschrift für Soziologie (2017) 69: 209. https://doi.org/10.1007/s11577-017
0446-1
6 Vgl. die Wahlberichte von infratest-dimap und der Forschungsgruppe Wahlen.
7 Vgl. https://democracy.blog.wzb.eu/2017/09/14/rechtspopulismus-deutschland/#more-2431,
veröffentlicht am 14.9.2017
8 Vgl. http://www.election.de/cgi-bin/news1.pl
9 Vgl. https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl_2017/partei-drittstaerkste-kraftfluechtlingspolitik
nur-spitze-des-eisbergs-soziologe-erklaert-grund-fuer-afderfolg_
id_7632752.html
10 Vgl. auch Holger Lengfeld: Der kleine Mann und die AfD. In: Der Tagesspiegel v. 19.8.2018.

nach oben