Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 225/226: Meinungsfreiheit in Zeiten der Internetkommunikation

Digita­li­sie­rung, Perso­na­li­sie­rung und neue Vermittler – der Medien­wandel durch das Internet und seine struk­tu­rellen Folgen

in: vorgänge Nr. 225/226 (1-2/2019), S. 7-16

Marshall McLuhan verdanken wir die Einsicht, dass Medien mehr sind als nur eine neue Form der Darreichung von Informationen; dass sie mit ihrem jeweiligen Tempo, mit ihren Maßstäben und der Strukturierung von Informationen unser Denken und Handeln stärker prägen, als die Rede vom „Vermittelnden“ suggeriert. Das gilt auch für die sogenannten Social Media, welche derzeit das Leitbild digitaler Kommunikation darstellen. Mit ihrem Aufstieg haben sich nicht nur die Informationsträger und – Gewohnheiten gewandelt, sondern wurden die selektive Wahrnehmung und Erinnerung in neue Bahnen gelenkt. Patrick Donges stellt drei zentrale Aspekte vor, die die politische Kommunikation heute bestimmen.

Die zunehmende Bedeutung des Internets für die private und öffentliche Kommunikation hat dem allgemeinen Medienwandel einen neuen Schub gegeben. Medienwandel heißt dabei, dass sich Kommunikationsmöglichkeiten erweitern: Sowohl Individuen als auch Organisationen stehen mehr Optionen als zuvor offen, für ihre Mitteilungen einen größer werdenden Kreis möglicher Empfängerinnen und Empfänger zu erreichen. Sowohl die technischen Möglichkeiten der verschiedenen Medien innerhalb des Internets (von E-Mail über Webseiten und Blogs hin zu Social Media Anwendungen) als auch die tatsächlich genutzten Medienrepertoires erweitern und differenzieren sich. Dabei darf der Medienwandel nicht isoliert betrachtet werden, da er immer eingebettet in einem allgemeinen sozialen oder auch politischen Wandel stattfindet. Die Erweiterung von Kommunikationsmöglichkeiten ist nicht die Ursache von Prozessen wie Individualisierung oder Globalisierung, befördert sie aber.

Folgt man der Kommunikationstheorie Niklas Luhmanns (1984, 1997), so folgt auf eine Erweiterung von Kommunikationsmöglichkeiten immer auch die Notwendigkeit, diese durch Prozesse der Selektion und Komplexitätsreduktion wieder zu reduzieren, um sie überhaupt verarbeiten zu können. Eine Steigerung von Mitteilungen in der Gesellschaft führt nicht automatisch dazu, dass diese auch verarbeitet werden und Kommunikation stattfinden kann, so wie ein Mehr an Texten nicht dazu führt, dass wir mehr lesen. Zunächst steigt der Aufwand, den wir betreiben müssen, um die verschiedenen Medien zum Versand und Empfang von Mitteilungen zu nutzen. Deutlich wird dies beispielsweise an dem steigenden Aufwand, den Individuen wie Organisationen für ihre Sichtbarkeit und Auffindbarkeit in der Online-Welt leisten müssen und der sich an einem Mehr an Ressourcen wie Personal, Geld und Zeit ablesen lässt, das für Kommunikation aufgewandt wird. Dem Druck zur medialen und öffentlichen Präsenz können sich nur wenige Personen und Organisationen entziehen.

Der Beitrag beleuchtet aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive drei ausgewählte Merkmale der Internetkommunikation, die strukturelle Folgen für die gesellschaftliche Kommunikation haben: Die Digitalisierung oder auch Datafizierung der Kommunikation, die Personalisierung sowie den Wegfall „alter“ und die Notwendigkeit „neuer“ Vermittler. Strukturen verstehe ich dabei, in Anlehnung an Anthony Giddens (1984), als Bündel von Regeln und Ressourcen. Der Beitrag zeigt anhand einzelner Beispiele, dass die Internetkommunikation anderen Regeln als die traditionelle interpersonale oder massenmediale folgt, und dies zu verschiedenen Reaktionen in anderen Teilen der Gesellschaft führt. Durch die neuen oder veränderten Regeln gewinnen einige Handelnde an Machtressourcen, andere verlieren sie. Technische Entwicklungen allein können diese Strukturveränderungen nicht erklären, sondern sie müssen immer sozial betrachtet werden.

Digita­li­sie­rung und Datafi­zie­rung

Das Internet ist ein digitales Medium. Der Begriff der Digitalisierung wird im Deutschen sehr breit verwendet. Er meint zunächst, dass Daten in ein numerisches System überführt und damit für Computer les- und verarbeitbar werden (im Englischen digitization). Durch die Nutzung dieser Daten, wie etwa in Form von Suchen, Herstellung von Beziehungen, Sortierungen etc., verändern sich dann Objekte, Ereignisse oder soziale Prozesse (im Englischen digitalization). Dies führt zu einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel (im Englischen digital transformation).

Der zunächst nur technische Prozess der Digitalisierung ist eingebettet in Prozesse der Datafizierung. Datafizierung meint die Fähigkeit digitaler Medien, viele Aspekte der Welt, die noch nie quantifiziert wurden, in Daten umzuwandeln (Van Dijck & Poell, 2013). Dies ist in einem doppelten Sinn zu verstehen: Zum einen ist die Umwandlung in quantitative Daten nun technisch einfacher, zum anderen gibt es ein soziales Bedürfnis danach, dies zu tun. Dies betrifft nicht nur das eigentliche Angebot, sondern auch seine Nutzung. Im Internet liegen nicht nur Texte, Bilder oder Filme in Form digitaler Daten vor, sondern auch als „Datenspuren“ das frühere Verhalten sowie bei Social Media-Anwendungen die persönlichen Beziehungsnetzwerke von Nutzerinnen und Nutzer. Diese Daten können zur Erstellung persönlicher Nutzungsprofile verwendet werden – die dann auch, wie im nächsten Abschnitt aufgeführt, zu personalisierten Angeboten führen.

Der Prozess der Datafizierung durch digitale Medien geht einher mit einer allgemeinen „Quantifizierung des Sozialen“ (Mau, 2017). Damit meint Mau eine gesellschaftliche Entwicklung, in der immer mehr Phänomene vermessen, durch Zahlen beschrieben und beeinflusst werden. Beispielsweise kann die Popularität bestimmter Angebote im Internet sofort erfasst und entsprechend reagiert werden. Diese Quantifizierung kann einerseits zu sozial erwünschten Folgen der Transparenz und des Wettbewerbs führen, andererseits aber auch zu Formen der Überwachung und der Erhöhung gesellschaftlicher Ungleichheit. Werden etwa populäre und stark nachgefragte Inhalte bei der Sortierung durch einen Algorithmus in der Trefferliste einer Internetsuchmaschine nach oben geschoben, so verstärkt sich diese Popularität weiter und es kommt zu einem sog. Matthäus-Effekt („Wer hat, dem wird gegeben„). Durch solche Effekte kommt es im Internet gerade nicht zu einem Aufbrechen gesellschaftlicher Machtstrukturen, sondern diese können sich auch online fortsetzen.

In ökonomischer Hinsicht führen Digitalisierung und Datafizierung zu neuen Geschäftsmodellen. Zum einen können digitale Daten einfacher weitergeleitet und damit als Ware gehandelt werden, zum anderen ermöglichen digitale Daten neue Formen der Entbündelung und (Neu-)Bündelung. Damit ist gemeint, dass vormals zusammenhängende Angebote getrennt und später entweder separat oder zusammen mit anderen neu gehandelt werden können. Die Folgen dieser Möglichkeit zeigen sich vor allem bei den traditionellen Massenmedien: Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehprogramme waren vor der Durchsetzung des Internets nur als gebündeltes Angebot erhältlich. Dies hatte den für die gesellschaftliche Kommunikation wichtigen Effekt, dass Rezipientinnen und Rezipienten nicht nur mit den sie unmittelbar interessierenden, sondern den nach journalistisch-professionellen Standards relevanten Nachrichten konfrontiert wurden („All the news that fit to print„), und dies in einem Modus, der die allgemeine Bekanntheit der Nachrichten erwartbar und das Gespräch darüber wahrscheinlicher machte. In ökonomischer Hinsicht ermöglichte dies den Medienunternehmen das Geschäftsmodell, Medienangebote mit Werbung zu bündeln und damit indirekt zu finanzieren. Die Auflösung dieses vormals gebündelten Angebots hat vielfältige Folgen: Zum einen können journalistisch-professionelle Selektionskriterien durch andere ersetzt werden, z.B. durch das frühere Interesse der Nutzerinnen und Nutzer oder auch der Personen aus ihrem Netzwerk an Beiträgen, sowie durch die aktuelle Popularität, die ein Beitrag erfährt. Zum anderen funktioniert das Geschäftsmodell der Bündelung von journalistisch-redaktionellen Inhalten mit Werbung nicht mehr, wenn diese durch Programme wie Adblocker entbündelt und ohne Werbung dargestellt werden. Die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern ausgeprägte geringe Bereitschaft, für Informationsangebote im Internet zu bezahlen und die gleichzeitig hohe Rate an Adblockern machen die Re-Finanzierung journalistisch-redaktioneller Angebote zu einem schwierigen Geschäft (Reuters Institute for the Study of Journalism, 2018). Dies trägt zur Krise des Journalismus als vormals zentraler Vermittlungsinstanz und zur Notwendigkeit neuer Vermittlungsstrukturen bei, die im übernächsten Abschnitt skizziert werden.

Personalisierung

Vor der Durchsetzung des Internets konnten wir vereinfacht zwei Formen der Kommunikation unterscheiden: Interpersonale Kommunikation, die zwischen wenigen (im Idealfall zwei) Teilnehmerinnen und Teilnehmern stattfand, die wechselseitig und direkt, also ohne mediale Vermittlung („face to face“), oder mit einfachen Formen technischer Übermittlung (Telefon, Computer) auskam. Davon wurde die Massenkommunikation unterschieden, nach der oft zitierten Formel von Maletzke (1963, S. 32) „jene Form der Kommunikation, bei der Aussagen öffentlich, durch technische Verbreitungsmittel indirekt und einseitig an ein disperses [d.h. räumlich und zeitlich getrenntes/PD] Publikum vermittelt werden“. Mit anderen Worten war interpersonale eine persönliche, aber nur wenigen zugängliche Kommunikation, während Massenkommunikation von einer unpersönlichen Beziehung zwischen Sendenden und Empfangenden, dafür aber von einer hohen Zugänglichkeit der Mitteilungen geprägt war. Schon immer gab es Zwischenformen, die von dieser Dichotomie nicht erfasst wurden: die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmte, dieser aber plötzlich zugänglichen Mitteilung, oder der für die massenmediale Kommunikation bestimmte Text, der niemandem zugänglich ist oder keine Aufmerksamkeit erfährt (vgl. Jünger, 2018). Mit der Internetkommunikation gewinnen diese Zwischenformen aber an Bedeutung, immer mehr Mitteilungen sind sowohl persönlich (wie in der interpersonalen) als auch allgemein zugänglich (wie in der Massenkommunikation). O’Sullivan und Carr (2018) sprechen daher von einer „massenpersonalen Kommunikation„. Exemplarisch zeigt sich dies an Social Media-Anwendungen wie Facebook, die zwar einerseits von den (individuellen) Nutzerinnen und Nutzern als private Kommunikation verstanden werden, andererseits einer breiten Öffentlichkeit aber bereits dadurch zur Verfügung stehen, dass – juristisch laienhaft formuliert – die Rechte an den Mitteilungen an Facebook „abgegeben“ wurden. Ferner sind, wie bereits erwähnt, die zuvor getroffenen Auswahlentscheidungen wie auch das frühere persönliche Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl jener Mitteilungen, die sie überhaupt erhalten. Dies war bei den traditionellen Formen der Massenkommunikation nie der Fall: Den Sportteil einer Zeitung erhielt auch der, der sich nicht für Sport interessiert. Mit dem Medienwandel differenzieren sich die einzelnen Medienrepertoires aus und folgen individuellen wie auch gruppenbezogenen Relevanzzuschreibungen.

Die sich so als Teil des Medienwandels bemerkbar machende Personalisierung ist eingebettet in den sozialen Prozess der Individualisierung. Dieser wird häufig verkürzt dargestellt: Individualisierung meint nach Ulrich Beck (1986) nicht nur die Herauslösung des Menschen aus historisch vorgegebenen Sozialformen und Bindungen (Freisetzung) sowie den Verlust von traditionellen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen, Glauben und Normen (Entzauberung), sondern drittens auch neue Formen der sozialen Einbindung (Kontrolle und Reintegration), etwa in Form kultureller Milieus oder sozialer Gemeinschaften. Mit Bezug auf einen anderen Prozess des sozialen Wandels formuliert: Das Internet ist einerseits ein globales, weltumspannendes Medium, die darin stattfindende Kommunikation verdichtet sich aber rund um Gruppen, die sich nach innen durch verstärkte Bindungen, gemeinsame Praktiken und eine scharfe Sinngrenze auszeichnen (vgl. Fuhse, 2006).

Die technisch möglichen und potentiell grenzenlosen Netzwerke führen auch zu Konflikten, Verschiebungen oder dem Ziehen kommunikativer Grenzen. Damit einher geht die Beobachtung, dass mit dem Wandel von Medien und Öffentlichkeit eine stärkere Moralisierung der öffentlichen Kommunikation einhergeht (Imhof, 2011). Politische, ökonomische, rechtliche Fragen etc. werden stärker als früher normativ aufgeladen. Dies ist auch eine Folge des allgemeinen sozialen Wandels hin zu einer postmateriellen Gesellschaft, in der weniger über Verteilungs- und Machtfragen gesprochen wird und mehr Aufmerksamkeit Fragen nach dem „richtigen Leben“ zuteilwird. Personalisierung heißt damit auch, Gesprächspartnerinnen und -partner als „ganze Menschen“ mit allen ihren Wertbezügen zu sehen und nicht mehr nur als Trägerinnen und Träger bestimmter funktionaler Rollen. Lange vor der Durchsetzung des Internets hat Richard Sennett (1983) dies als „Tyrannei der Intimität“ beschrieben. Sennett betrachtete Öffentlichkeit als eine Ansammlung von Fremden, in der uns Rollen wie Masken voreinander schützen. Gerade in der Internetkommunikation sind sich Akteure einander jedoch weniger fremd, die Trennung von Rolle und Person wird noch durchlässiger. Dies ist eine Erklärung dafür, warum Konflikte etwa auf Social Media-Plattformen schnell moralisierend und „persönlich“ werden.

In der breiten Öffentlichkeit werden die Folgen der Personalisierung der Internetkommunikation häufig unter den Schlagworten der Echokammer oder der Filterblasen (vgl. Pariser, 2012) diskutiert. Damit ist gemeint, dass die Nutzerinnen und Nutzer einerseits durch die algorithmische Selektion (Filterblasen) als auch durch die Abschottung von Kommunikationsräumen (Echokammern) nur noch jene Mitteilungen erhalten, die sie in ihrer Meinung bestätigen und wie ein Echo der eigenen Überzeugungen wirken. In der Internetkommunikation werden viele Mitteilungen auch nicht mehr zu allen Nutzerinnen und Nutzern zugleich geschickt („push“-Modus), sondern nur zu ausgewählten, oder sie müssen gezielt angesteuert werden („pull“-Modus). Begriffe wie Filterblasen und Echokammern fördern einerseits die Sensibilität der Nutzerinnen und Nutzer vor den Besonderheiten der Internetkommunikation, sind aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive aber keine gänzlich neuen Phänomene. Basierend auf den Arbeiten zur kognitiven Dissonanz von Festinger (1957) finden sich in unzähligen Studien Hinweise darauf, dass Menschen sich a) vermehrt jenen Medien zuwenden, die sie in ihren bereits vorhandenen Einstellungen bestätigen (selective exposure), b) konsonante, d.h. bestätigende Mitteilungen mehr Aufmerksamkeit schenken (selective attention) und sich c) auch besser an diese erinnern können (selective retention). Auch traditionelle Massenmedien wirken damit in erster Linie verstärkend auf jene Einstellungen und Meinungen ein, die ihre Nutzerinnen und Nutzer bereits haben. Ebenso hatten die Journalistinnen und Journalisten bei diesen traditionellen Massenmedien auch immer schon eine Vorstellung über die Einstellungen der Adressaten. Insofern sind Filterblasen und Echokammern keine gänzlich neuen Phänomene. Eine andere Qualität hätte hingegen der Umstand, wenn die durch Algorithmen vorgenommenen Auswahlentscheidungen dazu führen, dass Nutzerinnen und Nutzer zu verschiedenen Themen völlig andere Informationen erhalten oder am Ende gar keine gemeinsame Themenagenda mehr haben. Hier zeichnen aktuelle Studien für Deutschland ein differenziertes Bild: Filterblasen im Sinne gänzlich anderer Themenagenden lassen sich in Deutschland bislang nicht nachweisen (vgl. Stark, Magin, & Jürgens, 2018). Gleichwohl zeigt dieselbe Studie auch, dass die Personalisierung der Internetkommunikation zu verzerrten Wahrnehmungen des Meinungsklimas führen kann: Die Stimmungslage innerhalb der „Freunde“ auf Facebook unterscheidet sich von dem in repräsentativen Umfragen ermittelten Meinungsklima der Gesamtbevölkerung. Entscheidender als die technischen Möglichkeiten eines Selektionsalgorithmus sind also Persönlichkeitsmerkmale der Nutzerinnen und Nutzer (wie etwa politisches Interesse), die zu einem eher breiten oder eher engen Informationsverhalten führen. Berücksichtigt werden muss dabei auch, dass Social Media-Anwendungen wie Facebook in Deutschland zwar zunehmend, im internationalen Vergleich aber nicht überdurchschnittlich zur Information genutzt werden. Auf die in dem jährlich durchgeführten Digital News Report von Reuters gestellte Frage, ob sie in der vergangenen Woche Social Media-Anwendungen als Nachrichten genutzt haben, antworteten 2018 31% der befragten Nutzerinnen und Nutzer aller Altersgruppen aus Deutschland mit „Ja“, in den USA waren es 45%. Zudem ist die Bedeutung von Social Media als Nachrichtenquelle starken Schwankungen unterworfen. In den USA sank beispielsweise die Nutzung von Facebook als Nachrichtenquelle binnen eines Jahres von 48% auf 39% (Reuters Institute for the Study of Journalism, 2018, S. 10). Die Diskussionen um Lügen und Falschmeldungen in den Social Media-Netzwerken geht an den Nutzerinnen und Nutzern nicht spurlos vorbei und hat den Anstieg ihrer Bedeutung als Informationsquelle zumindest verlangsamt.

Neue Vermittler

Ein wesentliches Merkmal der traditionellen Öffentlichkeit war die Unterscheidung der Rollen von Sprecherinnen und Sprechern, Vermittlern und dem Publikum (vgl. bereits Gerhards & Neidhardt, 1990). Die Bereitstellung und Herstellung von Themen erfolgte durch spezialisierte Personen (Journalistinnen und Journalisten), die dauerhaft und auf Basis spezifischer Berufsregeln (beispielsweise Selektion aufgrund von Nachrichtenfaktoren) innerhalb spezialisierter Organisationen (Redaktionen) arbeiten. Diese Spezialisierung und Dauerhaftigkeit ermöglichte es dem Publikum, Erwartungshaltungen an den Journalismus einzelner Medienangebote aufzubauen. Das Publikum konnte einzelne journalistische Angebote beispielsweise hinsichtlich ihrer Qualität oder politischen Richtung unterscheiden. Journalismus war damit eine wichtige Institution in der Gesellschaft (vgl. Jarren, 2015).

Der Journalismus hat im Medienwandel aus vielen Gründen heraus seine zentrale Vermittlungsposition eingebüßt. Dies hat zum einen ökonomische Gründe, die eine Finanzierung journalistischer Tätigkeiten erschweren. Zum anderen führte das Internet zu Verschiebungen der Rolle von Journalistinnen und Journalisten. In der traditionellen Medienwelt waren sie Gatekeeper, die darüber entscheiden konnten, welche Themen und Mitteilungen in der Öffentlichkeit Eingang fanden und welche nicht. Diese Rolle gibt es in der Welt des Internets nicht mehr: Auch was von Journalistinnen und Journalisten für wenig relevant oder falsch gehalten wird, findet seinen Weg über andere Kommunikationskanäle. Die neue Rolle des Journalismus ist allenfalls die eines „Gatewatchers“ (Bruns, 2005), der das Tor im Auge behalten, aber nicht mehr schließen kann.

Der Bedeutungsverlust des Journalismus bedeutet nun nicht, dass die Vermittlungsfunktion obsolet wird. Im Gegenteil: Die zunehmende Komplexität der Internetkommunikation führt zur Ausbildung immer neuer Intermediäre, die sich zwischen mindestens zwei Akteure schieben, diese verbinden und damit Kommunikation zwischen ihnen ermöglichen oder zumindest vereinfachen (Schulz & Dankert, 2016). Dabei sind sehr unterschiedliche Vermittlungsleistungen denkbar: Das Suchen und Finden von Informationen (wie bei Suchmaschinen), die Aggregation (wie bei Nachrichtenportalen), die Überwachung und das Monitoring von Kommunikation, Prognosen auf Basis vorhandener Daten, Filtern von Mitteilungen, Vorschläge für Produkte und Dienstleistungen, das „Scoring“ und die Erstellung von Reputation, die Produktion journalistischer Inhalte sowie die Allokation von Werbeeinnahmen (vgl. Just & Latzer, 2017). Diese Vermittlungsleistungen können entweder von Algorithmen oder von Kollektiven geleistet werden, wie beispielsweise auf partizipativen Plattformen. Neben die journalistisch-redaktionelle Vermittlung tritt damit die algorithmische (oder auch technische) und die partizipative (vgl. Neuberger, 2009). In einzelnen Online-Medien und auf Plattformen können diese drei Vermittlungstypen auch gemeinsam auftreten.

Alle drei funktionieren nach unterschiedlichen Regeln und Logiken. So fühlen sich die Betreiber von Vermittlungsalgorithmen (wie etwa Facebook oder YouTube) nicht als Medienunternehmen und damit für die Inhalte verantwortlich, die auf ihren Plattformen veröffentlicht werden (vgl. u.a. Napoli, 2014; Napoli & Caplan, 2017). Aber auch die Laien, die auf Plattformen an Formen der partizipativen Vermittlung von Mitteilungen beteiligt sind, haben in der Regel andere Motive als professionelle Journalistinnen und Journalisten. Jan-Hinrik Schmidt (2011) hat darauf hingewiesen, dass Internetkommunikation vor allem auf Social Media-Plattformen eine „Konvergenz aus Publikation und Konversation“ darstelle. Im Plauderton werden Mitteilungen weitergeleitet und kommentiert, ohne sie beispielsweise auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen und mögliche Folgen der Publizität zu bedenken. Bernhard Pörksen (2018) hat daher die „konkrete Utopie der redaktionellen Gesellschaft“ vorgeschlagen, d.h. eine Orientierung auch der an partizipativen Vermittlungsformen beteiligten Laien an journalistischen Grundprinzipien wie Wahrheit, Skepsis, Verständigungs- und Diskursorientierung, Relevanz und Proportionalität etc.

Für die weitere Entwicklung der Internetkommunikation wird bedeutsam sein, ob und wie nationale und/oder europäische Instanzen die neuen Vermittler regulatorisch erfassen wollen und entsprechende Regeln auch durchsetzen können. Als mögliche Eckpunkte einer solchen Regelung sind etwa die Herstellung von Transparenz über die Entscheidungsregeln, die Gewährleistung von Diskriminierungsfreiheit und Chancengleichheit, die Verhinderung von Meinungsmacht sowie die Autonomie der Nutzerinnen und Nutzer im Gespräch (Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz, 2016). Der im Juli 2018 vorgelegte Entwurf eines Medienstaatsvertrages der Länder, der den jetzigen Rundfunkstaatsvertrag ablösen soll, sieht auch Regelungen bezogen auf „Medienplattformen“ und „Medienintermediäre“ vor (Rundfunkkommission der Länder, 2018).

Fazit

Das Internet als technische Plattform sowie die in ihm möglichen vielfältigen Formen der Online-Kommunikation haben weitreichende strukturelle Folgen für die gesellschaftliche Kommunikation und damit auch für die Meinungsfreiheit. Durch die Digitalisierung wird ein Mehr an Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet, insbesondere für einzelne Personen. Dieses Mehr an Möglichkeiten verlangt zugleich neue Formen der Komplexitätsreduktion. Der Abbau von Komplexität kann einerseits durch Algorithmen geleistet werden, aber auch durch persönliche Netzwerke und Empfehlungen. Wir lesen das, was unsere „Freunde“ und Meinungsführer gut finden oder was aktuell viele Menschen interessiert. Traditionelle Vermittler wie die klassischen Massenmedien und der redaktionell organisierte Journalismus verlieren an Bedeutung, neue Vermittler wie Intermediäre und Plattformen, und hier insbesondere die beiden Konzerne Alphabet (Google) und Facebook, nehmen ihren Platz ein. Trotz der Vielzahl der Kommunikationsmöglichkeiten ist das Internet damit zugleich durch eine hohe Marktmacht weniger Medienunternehmen gekennzeichnet, die sich bislang einer politischen und rechtlichen Regelung auch weitgehend entziehen. Die durch sie verkörperte kalifornische Ideologie setzt auf das scheinbar freie Individuum und die Regeln einer (letztlich von den Konzernen dominierten) „Community“. Die weitere Entwicklung der Internetkommunikation, und damit auch die Frage der strukturellen Folgen, wird wesentlich davon abhängen, ob diese hoch konzentrierten Vermittlungsstrukturen bestehen bleiben und wie sie durch Politik oder Recht weiter normiert werden. Auch die Gesellschaft, Organisationen wie Individuen, wird sich die Internetkommunikation weiter aneignen und neue Formen der Selektion sowie der Komplexitätsreduktion entwickeln. Die im Grundgesetz formulierten Kommunikationsfreiheiten müssen damit im Lichte neuer Vermittlungsprobleme aktualisiert werden.

PATRICK DONGES   Jahrgang 1969, Dr. phil., Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Forscht und lehrt zu den Themen Politische Kommunikation, Medienstrukturen und Medienpolitik, Organisationskommunikation sowie Theorien der Kommunikationswissenschaft.

Literatur

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