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Soziale Netzwerke: Begriffs­be­stim­mung und Rücksch­lüsse für eine grund­recht­liche Einordnung

in: vorgänge Nr. 225/226 (1-2/2019), S. 17-24

Der rechtliche Umgang mit der Kommunikation in sozialen Netzwerken ist insbesondere durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) stark ins Blickfeld der öffentlichen und juristischen Diskussion geraten. Der Beitrag befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, was unter dem Begriff des sozialen Netzwerkes zu verstehen ist. Hierzu werden Ansätze für eine Begriffsbestimmung sowohl auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften als auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen dargestellt und herausgearbeitet, welchen Beitrag ein exaktes begriffliches Verständnis für die grundrechtliche Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken leisten kann.

Einleitung

„Give people the power to build community and bring the world closer together“[1] – mit diesem Satz beschreibt Facebook seine sich selbst zugeschriebene „Aufgabe“. Auch wenn angesichts der Eigeninteressen des Unternehmens Facebook zweifellos Vorsicht im Umgang mit dieser Selbstbeschreibung geboten ist, lässt sich konstatieren, dass soziale Onlinenetzwerke wie Facebook im Zuge der Digitalisierung in der Tat zu einem wichtigen Kommunikationsweg des freien Meinungsflusses geworden sind.[2] Aktuelle Studien belegen diesen Befund: so kam eine repräsentative Umfrage im Auftrag des BITKOM Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. aus dem Jahr 2018 zu dem Ergebnis, dass 87 Prozent aller Internetnutzer_innen bei einem sozialen Netzwerk angemeldet sind.[3]

Durch die Diskussion um das am 1. Oktober 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist der rechtliche Umgang mit Kommunikationsprozessen in sozialen Netzwerken verstärkt ins Blickfeld der juristischen Literatur geraten.[4] Für die in diesem Zusammenhang diskutierten Fragen ist es von großer Bedeutung, ein exaktes Verständnis des Begriffs des sozialen Netzwerks zu entwickeln und zu fragen, was überhaupt unter einem sozialen Netzwerk zu verstehen ist.

Der vorliegende Beitrag befasst sich deshalb sowohl mit Ansätzen für eine Begriffsbestimmung außerhalb der Rechtswissenschaft als auch mit der rechtswissenschaftlichen Bedeutung des Begriffs. Ausgehend hiervon soll abschließend dargelegt werden, welche Rückschlüsse und weitergehenden Fragen mit Blick auf die grundrechtliche Einordnung sozialer Netzwerke sich aus einer Analyse des Begriffs des sozialen Netzwerkes ergeben.

Ansätze für eine Begriffs­be­stim­mung außerhalb der Rechts­wis­sen­schaft

In einem sozialwissenschaftlichen Kontext wurde der Begriff des sozialen Netzwerks bereits lange vor dem Entstehen von Internetangeboten verwendet, um soziale Beziehungen zwischen Menschen zu beschreiben.[5]

Mit Blick auf die hier untersuchten sozialen Onlinenetzwerke wurden Versuche einer Begriffsbestimmung sowie der Herausarbeitung spezifischer Merkmale sozialer Netzwerke vor allem auf dem Gebiet der Medien- und Kommunikationswissenschaften unternommen.
Erste Definitionsansätze aus englischsprachigen Arbeiten gehen hierbei von verschiedenen Kernfunktionen sozialer Netzwerke aus: die Möglichkeit zum Anlegen eines Profils, die Option der Verknüpfung des Profils mit anderen Nutzer_innen sowie die öffentliche oder zumindest innerhalb des Netzwerks gegebene Einsehbarkeit der Kontaktliste der Nutzer_innen.[6] Andere Arbeiten verweisen ergänzend auf die wirtschaftliche Bedeutung der ausgetauschten Informationen im Sinne eines „knowing capitalism“ hin und sehen diesen Aspekt als wichtigen Punkt bei der Beschäftigung mit sozialen Netzwerken an.[7]

Weiterhin werden auch die Möglichkeiten zur Kommunikation mit anderen Nutzer_innen als charakteristisches Element sozialer Netzwerke angesehen und in der Folge eine Definition als ein in sich geschlossenes soziales System, welches der Abbildung, dem Aufbau und der Pflege (realweltlicher und virtueller) zwischenmenschlicher sozialer Beziehungen im Internet dient,[8] vorgeschlagen.

Ein anderer Beitrag schlägt vor, die Funktionen sozialer Netzwerke in sechs Gruppen einzuteilen: Expertensuche, Identitätsmanagement, Kontaktmanagement, Unterstützung von Kontextawareness, Unterstützung von Netzwerkawareness sowie Unterstützung eines gemeinsamen Austausches.[9]

Weitere Untersuchungen sehen die Awareness-Aspekte nicht ausdrücklich als prägende Merkmale sozialer Netzwerke an, betonen stattdessen aber den engen Bezug zu realen Sozialbindungen sowie die strukturierte Form der Datendarstellung als Charakteristika sozialer Netzwerke.[10]

Beim Vergleich dieser verschiedenen Ansätze für eine Begriffsbestimmung fällt auf, dass ganz überwiegend die von sozialen Netzwerken bereitgestellten Funktionen herangezogen werden und die Definitionsversuche folglich auf der Funktionalität der jeweiligen Angebote beruhen.[11] Prägende Elemente scheinen hierbei vor allem die von sozialen Netzwerken angebotenen Möglichkeiten der Kontaktpflege und der Kommunikation mit anderen Nutzer_innen zu sein. Nach alledem liegt es nahe, soziale Netzwerke anhand der von ihnen angebotenen Kommunikationsmöglichkeiten zu definieren und sie auf dieser Grundlage von anderen Angeboten abzugrenzen.

Der Begriff des sozialen Netzwerks in der Rechts­wis­sen­schaft

Der Begriff des sozialen Netzwerkes hat im deutschen Recht und in der Rechtswissenschaft  lange Zeit keine Rolle gespielt.[12] Dies änderte sich durch das Inkrafttreten des NetzDG. Denn das NetzDG enthält nunmehr eine Legaldefinition des sozialen Netzwerks in § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG. Danach sind soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Diese Definition setzt mithin zunächst voraus, dass es sich bei den Netzwerkbetreibern um Diensteanbieter von Telemedien im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Telemediengesetz (TMG) handelt. Telemedien im Sinne dieser Vorschrift sind alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste, soweit sie nicht Telekommunikationsdienste nach § 3 Nr. 24 Telekommunikationsgesetz (TKG), die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, telekommunikationsgestützte Dienste nach § 3 Nr. 25 TKG (mithin nach der dortigen Legaldefinition Dienste, die keinen räumlich und zeitlich trennbaren Leistungsfluss auslösen, sondern bei denen die Inhaltsleistung noch während der Telekommunikationsverbindung erfüllt wird) oder Rundfunk nach § 2 des Rundfunkstaatsvertrages sind. Die Einordnung sozialer Netzwerke wie Facebook unter diese Definition von Telemedien bereitet in der Regel keine Probleme,[13] auch die Anbieter­eigenschaft der Betreiber sozialer Netzwerke erscheint vor dem Hintergrund der weiten Begriffsfassung des TMG unproblematisch.[14] In einigen Konstellationen stellen sich allerdings Abgrenzungsfragen zum Rundfunk, insbesondere bei Live-Streaming-Angeboten auf sozialen Netzwerken, die durch den Anbieter linear verbreitet werden und nicht zu unterschiedlichen Zeiten abgerufen werden können.[15]

Weiteres Definitionsmerkmal ist die Gewinnerzielungsabsicht des Betreibers eines sozialen Netzwerkes. Diese Absicht ist bei den Betreibern großer Plattformen wie Facebook oder Twitter ohne Weiteres gegeben. Das Erfordernis der Gewinnerzielungsabsicht führt allerdings dazu, dass rein private Kommunikationsplattformen oder non-profit Plattformen nicht unter die Definition des sozialen Netzwerkes nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG fallen.[16]

Die von § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG erfassten Plattformen müssen zudem dazu bestimmt sein, dass Nutzer_innen beliebige Inhalte mit anderen teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ergänzend bestimmt § 1 Abs. 1 Satz 3 NetzDG, dass Plattformen nicht als soziale Netzwerke im Sinne des NetzDG gelten, wenn sie zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind. Zu Recht werden diese Abgrenzungskriterien angesichts ihrer Unschärfe kritisiert. Gerade die von der Regelung vorausgesetzte klare Unterscheidbarkeit zwischen Diensten der Individualkommunikation und Diensten der Massenkommunikation geht an der tatsächlichen Funktionsweise vieler Plattformen vorbei, da häufig Angebote anzutreffen sind, die sowohl für Individual- als auch für Massenkommunikation genutzt werden können.[17] Auch der Ausschluss von Plattformen zur Verbreitung spezifischer Inhalte wird wegen zu geringer Abgrenzungsschärfe kritisiert.[18] Zudem wird in diesem Zusammenhang auch auf die Gefahr einer missbräuchlichen Inhaltsspezifizierung verwiesen, um auf diesem Weg ganz bewusst einen Ausschluss des Anwendungsbereichs des NetzDG herbeizuführen.[19]

Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 1 Satz 2 NetzDG vor, dass das Gesetz nicht für Plattformen mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten gelten soll, die vom Diensteanbieter selbst verantwortet werden. Hierbei dürfte es sich allerdings um eine bloß deklaratorische Regelung handeln, da solche journalistischen Angebote in aller Regel bereits nicht die von § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG geforderte Zweckbestimmung aufweisen dürften.[20] Schließlich schränkt § 1 Abs. 2 NetzDG den Anwendungsbereich auf Anbieter sozialer Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzer_innen ein, wobei das Gesetz offen lässt, auf welchen Zeitraum sich diese quantitative Grenze beziehen soll.[21]

Die dargestellte Kritik an der Legaldefinition des sozialen Netzwerks in § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG zeigt, dass diese Definition noch nicht alle Abgrenzungsfragen im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken in zufriedenstellender Weise löst. Neben begrifflichen Unschärfen im Detail scheint dies vor allem daran zu liegen, dass die Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG von alternativen, sich nicht überschneidenden Kategorien (Massen- vs. Individualkommunikation, spezifische vs. beliebige Inhalte) ausgeht. Gerade eine solch klare Kategorisierung bereitet angesichts der Vielfalt von Nutzungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke nicht selten Schwierigkeiten – ein Grundproblem, das im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Befassung mit sozialen Netzwerken an vielen Stellen anzutreffen ist.[22]

Rücksch­lüsse und weiter­ge­hende Fragen insbe­son­dere mit Blick auf die Meinungs­äu­ße­rungs­frei­heit in sozialen Netzwerken

Ungeachtet der Kritik an einzelnen Definitionsmerkmalen und an den Ansätzen zur Begriffsbestimmung lassen sich anhand eines Vergleichs der verschiedenen Definitionen wertvolle Ansatzpunkte für ein verbessertes Verständnis sozialer Netzwerke ziehen.
Bei einem Vergleich der Definition des sozialen Netzwerkes in § 1 Abs. 1 Satz 1 NetzDG mit den Definitionsansätzen außerhalb der Rechtswissenschaft fällt auf, dass in beiden Fällen soziale Netzwerke maßgeblich über ihre Funktion als Mittel der Kommunikation definiert werden. Während die nicht-juristischen Definitionsansätze hierbei allerdings von einer Vielzahl verschiedener Kommunikationsformen (insbesondere auch mit Blick auf die Größe des Teilnehmer_innenkreises an bestimmten Kommunikationsprozessen) auszugehen scheinen, beschränkt die Definition des NetzDG soziale Netzwerke auf den Bereich der Massenkommunikation und fasst Plattformen, auf denen Individualkommunikation stattfindet, nicht unter den Begriff des sozialen Netzwerks. Daraus lässt sich schließen, dass aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht von der Kommunikation in sozialen Netzwerken nicht zwingend die mit Massenkommunikation verbundene Breitenwirkung ausgehen muss, während eine solche Breitenwirkung von der Definition im NetzDG offenbar als konstituierendes Merkmal eines sozialen Netzwerkes angesehen wird.

Auch bei der verfassungsrechtlichen Einordnung der Kommunikation in sozialen Netzwerken ist somit zu untersuchen, inwieweit eine Unterscheidung zwischen Massen- und Individualkommunikation im Bereich der sozialen Netzwerke überhaupt möglich ist. Gerade soziale Netzwerke bieten sowohl die technischen Voraussetzungen für eine reine Individualkommunikation (beispielsweise über den „Facebook Messenger“) als auch für eine Kommunikation, die sich an einen unbestimmten Personenkreis richtet und damit jedenfalls potentiell massenkommunikativ wirkt. Anschaulichstes Beispiel hierfür sind Posts von Nutzer_innen sozialer Netzwerke, die für alle anderen Nutzer_innen im Netzwerk sichtbar sind. Zwischen diesen klar als Individual- oder Massenkommunikation einzuordnenden Kommunikationsformen lassen sich in sozialen Netzwerken allerdings auch Kommunikationsformen beobachten, die sich nur schwer einer dieser beiden Kategorien zuordnen lassen: Wenn Nutzer_innen einen Post in einem sozialen Netzwerk veröffentlichen, der nur für ihre „Freund_innen“ in diesem Netzwerk und damit für einen bestimmten Adressat_innenkreis sichtbar ist, so fehlt es einerseits an der für eine Massenkommunikation charakteristischen Öffentlichkeit der Äußerung. Andererseits wird zu Recht darauf hingewiesen, dass in solchen Fällen auch keine Individualkommunikation im typischen Sinne vorliegt, da nicht wenige Nutzer_innen einen sehr weit gefassten und damit unüberschaubaren „Freundeskreis“ innerhalb des sozialen Netzwerks haben und damit Zweifel an der für eine Individualkommunikation prägenden bewussten Auswahl konkret-individueller Kommunikationspartner_innen angebracht erscheinen.[23]

Die Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG sind jedoch zumindest nach traditioneller Auslegung gerade durch eine klare Trennung zwischen der auf Individualkommunikation zugeschnittenen Meinungsfreiheit und den auf Massenkommunikation ausgerichteten Medienfreiheiten geprägt.[24] Um der Multifunktionalität konvergenter Medienangebote wie sozialer Netzwerke Rechnung zu tragen, wird in der juristischen Literatur teilweise unter Verweis auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen Individual- und Massenkommunikation vorgeschlagen, sämtliche in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Grundrechte als einheitliches Kommunikationsgrundrecht zu verstehen.[25] Dieser Ansatz wird von anderen Stimmen insbesondere mit dem Argument abgelehnt, dass er nicht mit Wortlaut und Systematik des Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar sei.[26] Dieser Meinungsstreit zeigt beispielhaft, dass die Erfassung der Multifunktionalität sozialer Netzwerke nicht nur von Bedeutung ist, wenn im Rahmen einer Begriffsbestimmung gefragt wird, was unter einem sozialen Netzwerk zu verstehen ist. Vielmehr bringen die unterschiedlichen Kommunikationsfunktionen, die soziale Netzwerke auf ihren Plattformen anbieten, auch für die grundrechtliche Einordnung besondere Herausforderungen mit sich.

Weiterhin fällt auf, dass die Rolle der Netzwerkbetreiber_innen für den Kommunikationsprozess sowohl in den medien- und kommunikationswissenschaftlichen Arbeiten als auch in der Legaldefinition des NetzDG offenbar als eine neutrale Bereitstellung der für die jeweiligen Kommunikationsfunktionen erforderlichen Instrumente und technischen Voraussetzungen angesehen wird. Die durch die Netzwerkbetreiber_ innen mittels entsprechender Algorithmen ausgeübten Filter- und Steuerungsfunktionen bei der Anzeige und Sortierung von Beiträgen im Newsfeed bzw. in der Chronik werden mithin für die spezifische Funktionsweise sozialer Netzwerke nicht als unabdingbar angesehen.[27] Diese Erkenntnis ist insbesondere für die Frage, welchen Einfluss die Netzwerkbetreiber_innen auf den Kommunikationsprozess ausüben, von erheblichem Interesse. Dies kann vor allem auch für eine Untersuchung relevant sein, inwieweit und in welchen Konstellationen sich neben den Nutzer_innen auch die Betreiber auf den kommunikationsgrundrechtlichen Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG berufen können. Denn im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts käme für die Netzwerkbetreiber_innen ein Schutz durch die Meinungsäußerungsfreiheit nicht in Betracht, soweit ihre Rolle als bloße technische Verbreitung von Äußerungen zu bewerten wäre.[28] Keiner der dargestellten Ansätze für eine Begriffsbestimmung sieht es als konstituierendes Merkmal eines sozialen Netzwerks an, dass das Netzwerk eine über die neutrale Inhaltsvermittlung hinausgehende Rolle im Kommunikationsprozess übernimmt. Ausgehend von den Ansätzen zur Begriffsbestimmung dürfte es deshalb nahe liegen, soziale Netzwerke bei den dort stattfindenden Kommunikationsvorgängen als bloße technische Vermittler_innen fremder Meinungen zu verstehen, die somit in diesem Rahmen dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit nicht unterfallen.

Schließlich fällt auf, dass der Begriff des sozialen Netzwerkes nach dem NetzDG auf Seiten der Netzwerkbetreiber_innen eine Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt, während die außerjuristischen Definitionsansätze eine Abgrenzung anhand eines vorhandenen oder nicht vorhandenen Gewinnstrebens der Plattformen gerade nicht vornehmen. Auch dieser Befund ist bei der Frage nach dem subjektiven Grundrechtsschutz für die Betreiber_innen von großem Interesse. Denn gerade in diesem Zusammenhang kann es von besonderer Bedeutung sein, wie die Tätigkeit der Netzwerkbetreiber_innen schwerpunktmäßig einzuordnen ist und ob es sich beim Betrieb entsprechender Plattformen vor allem um ein Geschäftsmodell für ein wirtschaftliches Unternehmen oder um einen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Kommunikations- und Meinungsbildungsprozess handelt. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, liegt es nahe, die Betreiber_innen sozialer Netzwerke entweder dem Schutz der Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG oder dem Schutz der Kommunikationsgrundrechte nach Art. 5 Abs. 1 GG zu unterstellen.

Eine vertiefte Betrachtung der in diesem Beitrag aufgeworfenen Fragen scheint notwendig zu sein, denn nach wie vor ist in der Rechtswissenschaft eine große Unsicherheit im Umgang mit sozialen Netzwerken festzustellen.[29] Insbesondere ist zu konstatieren, dass eine vertiefte Diskussion über die grundrechtliche Stellung sozialer Netzwerke noch in den Kinderschuhen steckt.[30] Eine Befassung mit dem Begriff des sozialen Netzwerkes und den hierzu entwickelten Definitionsansätzen kann dabei helfen, überzeugende Antworten auf die in diesem Zusammenhang zu klärenden Fragen zu finden.

TILL KÖSTLER   ist Doktorand bei Prof. Dr. Rosemarie Will und arbeitet derzeit an einer Dissertation zur Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit bei der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestagsbüro der Abgeordneten Dr. Eva Högl.

Anmerkungen:

1 Diese selbst zugeschriebene „Aufgabe“ findet sich auf der eigenen Facebook-Seite des Unternehmens in der Rubrik „Informationen über das Unternehmen“: https://www.facebook.com/pg/facebook/about/?ref=page_internal (Stand: 27. Dezember 2018).

2 Schwartmann, GRUR-Prax 2017, 317 (317).

3 BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Hrsg.), Social-Media-Trends 2018, abrufbar online unter https://www.bitkom.org/Presse/Anhaenge-an-PIs/ 2018/180227-Bitkom-PK-Charts-Social-Media-Trends-2.pdf (Stand: 27. Dezember 2018).

4 Vgl. zur insbesondere diskutierten Frage der Verfassungsmäßigkeit des NetzDG-Entwurfs beispielhaft Gersdorf, MMR 2017, 439.

5 Weissensteiner/Leiner, M&K Medien- und Kommunikationswissenschaft 59 (4) 2011, 526 (527).

6 Boyd/Ellison, Journal of Computer-Mediated Communication 13(1), 2008, 210 (211).

7 Beer, Journal of Computer-Mediated Communication 13(2), 2008, 516 (525).

8 Mörl/Groß, Soziale Netzwerke im Internet, 2008, S. 50.

9 Richter/Koch, Funktionen von Social-Networking-Diensten, Proc. Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008, 1239 (1249).

10 Ebersbach/Glaser/Heigl, Social Web, 2011, S. 96.

11 Weissensteiner/Leiner, M&K Medien- und Kommunikationswissenschaft 59 (4) 2011, 526 (527).

12 Spindler, K&R 2017, 533 (533).

13 Liesching, in: Spindler/Schmitz/Liesching, TMG, 2. Auflage, München 2018, § 1 NetzDG Rn. 43; Spindler, K&R 2017, 533 (533).

14 Liesching (Anm. 13), § 1 NetzDG Rn. 45.

15 Liesching (Anm. 13), § 1 NetzDG Rn. 43.

16 Spindler, K&R 2017, 533 (534), der in diesem Zusammenhang auf Unsicherheiten der Einordnung im Falle von creative commons-Lizenzen verweist.

17 Liesching (Anm. 13), § 1 NetzDG Rn. 60.

18 Guggenberger, NJW 2017, 2577 (2578).

19 Spindler, K&R 2017, 533 (534); vgl. dazu allerdings auch Liesching (Anm. 13), § 1 NetzDG Rn. 63, der insoweit keine großen Probleme in der Praxis zu befürchten scheint.

20 Liesching (Anm. 13), § 1 NetzDG Rn. 57.

21 Vgl. Spindler, K&R 2017, 533 (534), der insoweit in Anlehnung an den halbjährlichen Turnus der Berichtspflichten nach dem NetzDG vorschlägt, eine halbjährliche Durchschnittszahl an Nutzer_ innen zugrunde zu legen.

22 Vgl. allgemein für die Online-Kommunikation bereits Härting, K&R 2012, 264 (264 f.).

23 Gersdorf, MMR 2017, 439 (442).

24 Pille, Meinungsmacht sozialer Netzwerke, Baden-Baden 2016, S. 150.

25 Hain, K&R 2012, 98 (103); Pille (Anm. 24), S. 194 ff.; in die gleiche Richtung gehend Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, Baden-Baden/Hamburg, 2002, S. 89.

26 Möllers, AfP 2008, 241 (250); Bethge, in: Sachs, GG, 8. Auflage, München 2018, Art. 5 Rn. 89c.

27 Vgl. zu negativen Auswirkungen der Algorithmen auf die Meinungsvielfalt im Kommunikationsprozess allerdings Drexl, ZUM 2017, 529.

28 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 210, 470.

29 Allgemein für die so genannten neuen Medien so auch Pille (Anm. 24), S. 19.

30 Gersdorf, MMR 2017, 439 (442).

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