Beitragsbild Der Mensch, das Maß aller Dinge
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 230: 30 Jahre - wieder vereint?

Der Mensch, das Maß aller Dinge

Der Maler Walter Womacka. In: vorgänge Nr. 230 (2/2020), S. 61-72

Der Mensch, das Maß aller Dinge

1. Vermutlich ist es jedem schon einmal passiert. Man erinnert sich an ein bekanntes Denkmal, ein Bild oder ein Bauwerk. Man hat es vor Augen. Man hat es sogar mehrmals gesehen – und doch fällt einem der Name des Künstlers nicht ein. Oder man verbindet keinen Künstler damit. Es ist einfach da.

Wer auf dem Alexanderplatz neben der Weltzeituhr steht und über den Platz auf das große Kaufhaus auf der anderen Seite schaut, der schaut über den Brunnen hinweg. Schon mehrfach geschehen. Aber wer hat den Brunnen entworfen? Einige Meter weiter rechts hinten steht durch Neubauten verdeckt das Haus des Lehrers mit dem wunderbaren Fries von … ja von wem? Und in der Friedrichsgracht in Berlin-Mitte an einem großen Wohnhaus ein Wandbild … ja auch dies ist von …

Der Brunnen „Völkerfreundschaft“ stammt aus dem Jahre 1970. Er hat einen Durchmesser von 23m und ist 6,20m hoch. Seine Verzierung besteht aus Kupfer, Glas, Keramik und Emaille. Er steht unter Denkmalschutz. Das Mosaik am Haus des Lehrers „Unser Leben“ hat die Ausmaße von 125 mal 7 Meter. Es stammt aus dem Jahre 1964. Es wurde 2002-2004 von der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte restauriert und steht ebenfalls unter Denkmalschutz. Und schließlich das Wandbild „Der Mensch, das Maß aller Dinge“. Es besteht aus emaillierten Kupferplatten und hat die Größe von 15m x 6m. Es stammt aus dem Jahre 1968. Es wäre mit dem Abriss des Ministeriums für Bauwesen der DDR vernichtet worden, wenn sich der Freundeskreis Walter Womacka nicht für den Erhalt eingesetzt hätte. So wurde es 2010 vom Ministerium demontiert, anschließend restauriert und 2013 durch die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte an der Friedrichsgracht an einem Gebäude wieder angebracht.

Und diese Kunstwerke stammen – wir haben es gewusst – von Walter Womacka.

2. Walter Womacka wurde am 22.12.1925 in Obergeorgenthal in Böhmen geboren (heute: Horni Jiretin, Tschechien). Von 1940 bis 43 absolvierte er eine Lehre als Dekorationsmaler an der Staatsschule für Keramik in Teplitz-Schönau. Dann wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, wurde verwundet und war bis 1945 in Kriegsgefangenschaft. Von 1946 bis 48 studierte er an der Meisterschule für gestaltendes Handwerk in Braunschweig. 1949 zog er nach Weimar und studierte dort an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste. 1951/52 setzte er dieses Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden fort. 1953 nahm er die Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende und Angewandte Kunst in Berlin Weißensee auf. Ein Jahr später siedelte er nach Berlin über. Von 1959 (bis 1988) war er Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR. 1965 wurde er zum Professor ernannt und 1968 wurde ihm die Leitung für die künstlerische Ausgestaltung des Neubaukomplexes Berlin-Alexanderplatz übertragen. Im gleichen Jahr wurde er Rektor der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Diese Aufgabe nahm er bis 1988 wahr. Von 1969 bis 1991 war er Ordentliches Mitglied der Akademie der Künste Berlin. 2004 erschien seine Autobiographie „Farbe bekennen. Erinnerungen eines Malers“. Am 18.9.2010 starb er in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, Berlin Lichtenberg, Reihe Künstlergräber.

3. Nach diesen trockenen Zahlen bitte ich Dr. Fritz Böhme, uns Walter Womacka ein wenig näher zu bringen.

Walter Womacka sagt man, war ein sehr beliebter Künstler der DDR. Wie gut kannten Sie ihn?

Zuerst kannte ich seine Bilder. Ich bin in Dresden aufgewachsen. Sein Bild in der V. Deutschen Kunstausstellung „Am Strand“ und die breite Diskussion darüber blieben mir sehr lange im Kopf. Das war 1962. Ich war 25 Jahre, in der FDJ aktiv, Vater von Zwillingstöchtern und hatte zu meinem Beruf den Abschluss als staatlich geprüfter Klubleiter in der Tasche. In den folgenden Jahren interessierte mich nicht nur, was an neuen Arbeiten von Walter Womacka gezeigt wurde, sondern auch wozu er sich mit seinen Bildern und Graphiken auf seine Weise äußerte.

Und wie und wann lernten Sie ihn persönlich kennen?

Das war 1988 bei seiner Verabschiedung als Rektor der Kunsthochschule Berlin, Weißensee. Diese Funktion übte er seit 1968 aus. Nach 20 Jahren war er der dienstälteste Rektor einer Hochschule der DDR. Gefeiert wurde zunächst im Atelier Monbijoupark und abends in der Gaststätte „Praha“ am Spittelmarkt. Ende 1989 rief er mich an und erkundigte sich, wie es mir gehe. Ich war es gewohnt, dass mich bildende Künstler mit großen Namen und welche mit kleinen Sorgen anriefen. Meist ging es um einen Rat oder Hilfe bei einem Problem. Dass mich in diesen mehr als turbulenten Tagen einer fragte, ob er mir helfen könne, ist mir tief im Herzen geblieben. Danach trafen wir uns regelmäßig, wenn Walter Womacka in Berlin und nicht in Loddin war.

Und wie ging es Walter Womacka?

Walter Womacka war 1988, wie man so schön sagt, „in Rente“ gegangen. Auch die Funktion des Vizepräsidenten des Verbandes Bildender Künstler der DDR hatte er aufgegeben. Eigentlich hatte er jetzt das, was er sich immer gewünscht und sich selbst oft organisiert hatte: viel Zeit und Ruhe zum Malen.

Wieso hatte er erst jetzt diese Zeit?

Womacka arbeitete viel. Vor allem seine Tätigkeit als Rektor nahm ihn sehr stark in Anspruch. Skizzieren und Malen werden zwar wesentlich vom handwerklichen Können bestimmt. In erster Linie ist es aber Kopfarbeit – man muss den Kopf frei haben. Das war allerdings in den letzten Monaten der DDR nicht leicht gewesen. Das Nach- und Weiterdenken hatten aber mit und nach der Wende eine ganz andere Dimension. Nicht nur für Künstler. Jeder hatte seine DDR im Kopf, in konkreten Erinnerungen und Lebensbildern, im Guten wie im Schlechten, in Zuneigung und Distanz. Auch Womacka musste mit sich und den neuen Umständen erst einmal einen Konsens finden, bevor er zu Stift und Pinsel greifen konnte. Zum Glück brauchte er sich anfangs nicht die Sorgen zu machen, die viele seiner Kollegen quälten: Wovon die Ateliermiete bezahlen, woher Aufträge bekommen, womit das Leben sichern. Für Womacka reichte seine Rente gerade für die Miete.

Und wie bekam Womacka seinen Kopf „frei“ für das Malen?

Da spielten zwei Komponenten eine große Rolle. Erstens die Gespräche mit vielen darüber, was sich in ihren Köpfen abspielte. Womacka folgte vielen Einladungen und wurde zum Beispiel Gründungsmitglied der „Gesellschaft zum Schutze von Bürgerrecht und Menschenwürde“. Im Arbeitskreis „Kunst aus der DDR“ dieser Gesellschaft kam es zwischen vielen Künstlern zu einem intensiven geistigen Gedankenaustausch. Und sie stellten in der Geschäftsstelle in 87 Ausstellungen ihre Bilder und Graphiken zur Diskussion. Es gab ferner eine Runde von ehemaligen Ministern und Stellvertretenden Ministern, Botschaftern, Verbands- und Parteifunktionären sowie Künstlern und anderen Persönlichkeiten der früheren DDR, die sich in bestimmten Abständen zu Diskussionsrunden meistens im „Spitteleck“ trafen. Willi Sitte war einer der Initiatoren dieser Runde. „Ich bin Maler und kein Redner“, hat Womacka nicht nur zu mir oft gesagt, er hat dies auch praktiziert. Aber im Zuhören war er gewissenhaft, nicht nur bei Reden zur Eröffnung von Ausstellungen. Über die „Spitteleckrunde“ erzählte er mir eines Tages: „Ich habe auch was gesagt. Ihr redet hier, als hätten wir noch die Macht.“ An späteren Sitzungen nahm er dann nicht mehr teil.

Wie war eigentlich sein Verhältnis zur sogenannten „Viererbande“: Tübke, Mattheuer, Heisig und Sitte?

Auf diese Frage antwortete Womacka in der Super-Illu vom 14.10.2004 so: „Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer und ich kannten uns gut, ohne dass es Freundschaft war. Zu Bernhard Heisig hatte ich den besten Kontakt. Er hat leider nach der Wende mit seiner Vergangenheit gebrochen und wollte mit keinem mehr etwas zu tun haben. Zu Willi Sitte halte ich nach wie vor Verbindung.“ Bei der Antwort auf diese Frage darf man aber nicht vergessen, dass die Künstler in der DDR in ihren Verbänden ein Organ hatten, das ihre Interessen und Rechte in der Gesellschaft wirksam vertrat. Die Künstlerverbände wurden geleitet von den bekanntesten Kollegen der jeweiligen Sparte. So war es auch im Verband bildender Künstler der DDR. Da saß die sogenannte Viererbande mit Womacka und anderen Kollegen am Tisch und die mussten ihre künstlerischen und politischen Meinungen unter einen Hut bringen, wie man so landläufig sagt. Sie leiteten gemeinsam die Entwicklung der bildenden Kunst in der früheren DDR, sorgten für die Schaffens- und Lebensbedingungen der über sechstausend Mitglieder des Verbandes in Stadt und Land und legten gemeinsam darüber auf den Mitgliedersammlungen und Verbandskongressen Rechenschaft ab.

Kann eine solche Praxis die Entwicklung der Kunst nicht auch hemmen?

Ich will einfach auf den Unterschied aufmerksam machen. Heute gibt es das nicht mehr. Heute kann jeder sagen: ich bin Maler oder Graphiker und muss selbst sehen, wie er davon leben kann. In der DDR war die Berufsbezeichnung an eine entsprechende Ausbildung und die Aufnahme in die entsprechende Sektion gebunden. Dies war Voraussetzung für die freiberufliche Arbeit sowie die damit verbundene Absicherung der Arbeits- und Lebensbedingungen durch den Verband in Zusammenarbeit mit den örtlichen Staatsorganen.

Gut, lassen wir das. Und die zweite Komponente?

Womacka hat wesentliche Stationen, Erlebnisse, Höhen und Tiefen seines Lebens durchdacht und mit Hilfe seiner Taschenkalender, von Papierbergen, Fotostapeln und sonstigen Erinnerungsdelikten zu Papier gebracht. Seine 2004 erschienene Biographie „Farbe bekennen“ ist ein bildhaft geschriebenes Geschichtsbuch geworden. Zu vielen Lesungen und Signierstunden habe ich ihn begleitet. Das große Echo und Interesse an seinen Lebenserinnerungen haben ihm viel Kraft, auch für sein künstlerisches Schaffen gegeben. Es war vor allem die Anerkennung seiner geistigen Haltung, die im Mittelpunkt der Gespräche stand. Bei seinen Verehrern und Gesprächspartnern mit gleichem geistigem Gedankengut zum Leben in der DDR war das „wie zu alten Zeiten“. Aber auch viele Ausstellungsbesucher und Veranstaltungsteilnehmer, bei denen man nicht nur am Dialekt, sondern an der Fragestellung merkte, dass sie aus den „alten“ Bundesländern kamen, haben Womacka beeindruckt. 

Gab es keine Vorhaltungen, Ablehnungen, Widersprüche oder gar Anfeindungen.

Die gab es massiv in der politischen und kulturellen öffentlichen Meinungsbildung, vor allem in den Medien und kunstwissenschaftlichen Publikationen. In der im DuMont Verlag 1996 erschienenen 916 Seiten umfassenden Kunstdokumentation „1945 SBZ – 1990 DDR“ wird zum Beispiel Womacka bereits im Schaffensjahr seines Bildes „Am Strand“ 1962 als „neue Gallionsfigur der offiziellen Kunstpolitik mit ihren schöngeistigen Bildern“ disqualifiziert.

Warum eigentlich? Weshalb dieser Verruf von Womacka und seinen Bildern?

Gegenfrage: Was gab es überhaupt Gutes nach der Wende an und in der DDR? Kombinate und Betriebe, genossenschaftliche Landwirtschaft, Polikliniken, soziale Fürsorge, das Schulsystem usw.- alles war nichts wert und wurde auf irgendeine Art „platt“ gemacht. Auch solche Dinge, die beim Volk beliebt waren, wie zum Beispiel der Palast der Republik. So war es auch in der Kunst. Der „marktbeherrschende Galeriestand“ aus den alten Bundesländern wurde zum bestimmenden Faktor der Lebensgrundlage bildender Künstler auch in den neuen Bundesländern.

Tausende Kunstwerke fielen nach der Wende der Zerstörungswut zum Opfer. Sie waren der kulturelle Nachlass der DDR und zugleich Zeugnisse der Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Selbstverständlich gehörten diese Bilder, Plastiken und Reliefs auch insgesamt zur deutschen Nationalkultur. Die Problematik liegt aber tiefer: Die westlich dominierte Abstraktion hat doch der Kunst jegliche Gesellschaftskritik ausgetrieben. Der östlich favorisierte Realismus aber provozierte sie latent. Darin liegt doch der Kern des Unterschiedes zwischen Ost und West in der Kunst bis zur Wende und für die weitere Zementierung der Ignoranz gegenüber der Kunst und dem künstlerischen Leben in der DDR. Kunst in der DDR war nach westlicher Auffassung keine Kunst, sondern unfreie sozialistische Staatskunst. Aber die Bilderstürmerei ist nur theoretisch geführt worden, aber nicht massenwirksam. Staatskünstler und ihre Bilder mussten konkrete Namen haben. Womacka, der beliebteste Maler in der DDR, wie es auch heute noch von offizieller staatlicher Seite formuliert wird, stand da in der ersten Reihe der Schusslinie derer, die nun das politische und damit auch das kulturelle Sagen hatten.

Also, das sehe ich ein wenig anders. Aber wir haben hier nicht die Zeit und den Raum dieses Thema ausgiebig zu erörtern. 

Gut. Lesen Sie Womackas „Farbe bekennen“. Dort bringt er es im Vorwort auf den Punkt: „Wir haben im Osten Deutschlands vier Jahrzehnte eine andere als die gegenwärtige Form gesellschaftlichen Zusammenlebens praktiziert. Als Maler habe ich diesen Vorgang in verschiedener Weise mitzugestalten versucht. Mich beherrschen weder Trotz noch Altersstarrsinn, wenn ich erkläre: Das meiste, was ich tat, würde ich wieder tun. Ich war nicht nur Überzeugungstäter, sondern rechne mich auch zu den Wiederholungstätern. Zudem halte ich mich für nicht therapierbar.“  
Wie hat Womacka die Angriffe, Staatskünstler zu sein, verkraftet?
Souverän. Im Interview von Steffi Schweizer (Neues Deutschland v. 14./15. 12. 2002) zum Beispiel fragt er: „Staatskünstler? Was ist das? Michelangelo, Raffael waren Staatskünstler. Ich befinde mich in guter Gesellschaft. Bis heute gibt es Künstler, die vom Staat gefördert, ausgestellt und gekauft werden“ Es kränkte ihn nicht, als Staatsmaler bezeichnet zu werden, denn Kunst für den Staat hat es zu allen Zeiten gegeben und er blieb im Prinzip mit seiner Kunst im öffentlichen Raum präsent. In Berlin zum Beispiel wie kein anderer Künstler seit Schadow. Sich vor seinem großen Glasfenster im Amtssitz des Staatsrates der DDR zu präsentieren, gehörte zum Image der Politiker aus den alten Bundesländern. Aber für die nach der Wende übergesiedelten Beamten aus den alten Bundesländern in die Museen der neuen Länder war Womacka tabu. Womacka war nicht selbstherrlich, aber er war von seiner politischen Grundhaltung und seinem künstlerischen Schaffen überzeugt. „Ich habe mich damit abgefunden, dass mich die herrschenden Kreise und ihre dienstbaren Geister nicht schätzen. Ich brauche keinen Zuspruch von oben, keine offiziellen Ehrungen. Ich erfahre ausreichend Zustimmung durch das ‚normale Volk‘“, schreibt er in seinen Lebenserinnerungen. Für Womacka stand fest, dass eines Tages seine Kunst und die künstlerischen Leistungen seiner DDR-Kollegen einen geachteten Platz in der deutschen Kunstgeschichte einnehmen werden. Aber er war nicht nachtragend.

Gibt es Beispiele dafür, dass er als „Staatskünstler“ abqualifiziert wurde? 

Ja, ein Beispiel ist Eisenhüttenstadt. In der Vernissage seines Buches beschreibt er den Sonnentag im Juni 2004, an dem seine Ausstellung in Eisenhüttenstadt eröffnet wurde. Wir waren zeitig losgefahren, denn es war vorgesehen, die Ausstellungseröffnung mit der Eintragung ins Goldene Buch der Stadt zu verbinden. Wir waren kurz hinter dem Schönefelder Kreuz, als mich der der Leiter des Bereiches Kultur in der Stadtverwaltung anrief und mir mitteilte, dass die Eintragung in das Goldene Buch nicht stattfinden werde.

Warum nicht?

Tags zuvor war auf der Kreisseite der „Märkischen Oderzeitung“ eine Besprechung von „Farbe bekennen“ unter der Überschrift „Parteiarbeiter an der Staffelei“ erschienen. Noch am gleichen Tag entschied man im Rathaus, auf Womackas Namenszug im Goldenen Buch zu verzichten. Als Grund wurde das politische Bekenntnis von Walter Womacka zur DDR in seiner Biographie genannt.

Der „Freundeskreis Kunst aus der DDR“ schickte Tage später ein Protestschreiben an den Bürgermeister Rainer Werner. In seinem Antwortschreiben vom 22. Oktober 2004 heißt es u.a.: „Die … Biographie von Herrn Womacka zeigt seine Einstellung zur ehemaligen DDR. Die Rechtfertigung des Mauerbaus sowie die Überwachung und Bespitzelung der Bürger durch die Staatssicherheit werden von ihm … gerechtfertigt und mitgetragen. Sicher ist Ihnen bekannt, dass gerade Mauerbau und Staatssicherheit als unerträglicher Zustand durch die Bürger bis zum Jahr 1989 empfunden wurden und letztendlich zum Sturz und Untergang der DDR führten. Die politische Wende wurde vom Volk gefordert und durchgesetzt. Die politische Auffassung von Herrn Womacka ist seine persönliche Sichtweise. Das lässt jedoch nicht die Schlussfolgerung zu, dass dies eine Zustimmung der breiten Öffentlichkeit findet. Somit ist die Voraussetzung für einen Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Eisenhüttenstadt nicht vorhanden.“
Die Endredaktion seines Buches verband Walter Womacka mit der Ergänzung durch die Seiten „Vernissage“, ohne die Verweigerung der Eintragung in das Goldene Buch zu erwähnen. Wichtig war für ihn die Ausstellung in jener Stadt, wo er gewissermaßen ein Geburtshelfer der kulturellen Identität war. Bedeutung hatte für ihn das Wiedersehen mit bekannten und unbekannten Menschen, die Wertschätzung seines künstlerischen Schaffens durch die Eisenhüttenstädter – und nicht wer 2004 mit welcher politischen Haltung die Stadt regierte.

Stichwort: Ausstellungen. Wie sah es damit für Walter Womacka aus?

Was Museen und öffentliche Einrichtungen betraf, gab es nach der Wende keine Wände mehr für ihn. Wenn seine Bilder in Ausstellungen zu sehen waren, dann in der Regel als „Bebilderung“ von Staatskunst der DDR. Der reiche Bilderbestand wurde in die Depots verbannt.

Aber die Liste seiner Ausstellungen von 1990 – 2009 zeigt für diese 19 Jahre 21 Ausstellungen.

Richtig. Aber sie wurden alle von oder durch Freunde, Sammler und Liebhaber seiner Kunst organisiert. Aus ihren Reihen entstand 2007 der „Freundeskreis Walter Womacka“.

Neun Ausstellungen fanden in Berlin im Palais Am Festungsgraben statt. Gab es dafür Gründe?

Ja. Das ehemalige Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft bot gute Möglichkeiten. Miete und andere Ausgaben waren „einspielbar“ durch den Verkauf von Graphiken und Reproduktionen. Vor allem aber lag es praktisch in der Mitte der Museumsinsel. Außerdem fanden in dem Haus viele Empfänge und Veranstaltungen statt.

Wie war das Echo?

Sehr gut. Die Ausstellungen wurden in der Regel am 7. Oktober eröffnet. Ihre Finissage war immer am 22. Dezember, dem Geburtstag von Walter Womacka. Der Besuch war beachtlich. Zwischen 5.000 und 6.000 Besucher pro Ausstellung. Das waren 100 bis 120 pro Ausstellungstag. Der Höhepunkt war die Ausstellung „Rückblicke“ im Jahre 2005, die mit der Finissage zum 80. Geburtstag von Walter Womacka im Kongresssaal des Hauses des Lehrers endete. Womacka kam alle zwei Tage für mehrere Stunden in die Ausstellung zum Signieren. Das Graphikangebot und der Verkauf seines Buches „Farbe bekennen“ boten die Sicherheit, keine Schulden zu machen.

Die Besucherzahlen sind schon beeindruckend. Aber wie wurden die Bilder angenommen, wie war die Reaktion, die Meinung der Besucher?

Antwort: Da muss man eigentlich unterscheiden. Schon beim Betreten der Ausstellung sah man in der Regel den Besuchern an, woher sie kamen. Manche outeten sich und ihre Kenntnisse von der DDR selbst, indem sie fragten: Wie spricht man ihn denn aus „Womatschka“ oder „Womacka“? Die Besucher des „Theaters im Palais“ mussten an den Ausstellungsräumen vorbei. Das Theater war nicht groß, aber der Besucherkreis exquisit aus den alten Bundesländern. Nicht nur in den Pausen waren sie interessiert und wissbegierige Besucher der Ausstellung. Sie empfahlen die Ausstellung auch weiter. Ihr Kunstverständnis war auf einen einfachen Nenner zu bringen: Wenn das die Staatskunst in der DDR war, ist das sehenswert. Die Bilder hängen alle nicht nur richtig, man kann sie auch verstehen, über sie diskutieren, sie schön finden oder ablehnen. Sie sagen etwas und sind sehenswert im wahrsten Sinne des Wortes.

Sie sagten, man kann die Reaktionen und Meinungen der Besucher teilen. Was war mit dem anderen Teil?

Das waren die Besucher, die nicht nur Womacka, sondern auch viele andere Künstler aus der DDR kannten. Sie kamen nicht nur aus Berlin. Viele hatten einen weiten Reiseweg aus einem der neuen Bundesländer. Sie suchten das, was einmal zu ihrem Leben gehörte, den Kontakt zu Künstlern und ihren Bildern. Es gab sie ja nicht mehr: die Brigadefahrten zu Kunstausstellungen in Dresden oder anderswo oder Atelierbesuche und Künstlerpatenschaften. Unter den Besuchern waren viele Lehrer und ehemalige LPG-Mitglieder.

Und wie war die Reaktion?

Sie kamen mit der Erwartung, was wird Womacka mit seinen Bildern zu der neuen Zeit, zu den neuen Verhältnissen und Verlusten sagen? Fragestellungen, Polemik, Warnung – eine streitbare Sicht auf ihren Bildern zur Vielfalt des individuellen und gesellschaftlichen Lebens – waren sie von den Malern, Graphikern und Bildhauern der DDR gewöhnt. Natürlich gab es auch Besucher, die meinten, nun malt Womacka Blumenbilder. Das hatte er – wie auch seine Verbandskollegen – schon immer gemacht. Aber die Dresdener Kunstausstellungen hätten nie Besucherzahlen in Millionengröße gehabt, wenn Blumenbilder dominiert hätten. Von den bildenden Künstlern wurden produktive Sichtweisen und Urteile auf die Zeit erwartet.

Und stellte sich Womacka diesen Erwartungen?

Die Besucher nicht zu enttäuschen, sich auch mit seinen Bildern zu den gewendeten gesellschaftlichen Verhältnissen zu äußern, war eine enorme Herausforderung für Womacka. Neue Landschaften, Strandbilder, Stadtansichten, Früchte und Stillleben für die Ausstellungen auszuwählen, war überhaupt kein Problem. Die Frage aller Fragen für Womacka war, womit er im kommenden Jahr bei der nächsten Ausstellung erneut Farbe bekennen konnte. Damit dies gelingen konnte, entstanden in vielen Tagen und Nächten begleitet von Diskussionen Skizzen, Entwürfe, Bilder, die Nachdenklichkeit über Gefährdungen und über das Scheitern von Hoffnungen vermitteln. In vielen Varianten gestaltet er z. B. den Stier als ein verletztes, aber nicht erniedrigtes Volk.

Frage: Im vergangenen Jahr wurde vielfältig die Öffnung der Mauer gefeiert. Spielten seine Bilder in irgendeiner Form eine Rolle?

Nein, ich kenne nicht eins. Weder in einer Ausstellung noch in einer Zeitung.

30 Jahre vereintes Land. 10 Jahre davon hat Womacka nicht mehr erlebt. Was hat er verpasst bzw. nicht mehr erlebt?

Viel. Da sind einige Ausstellungen, die ihm gewidmet waren, z.B. in Berlin, Eisenhüttenstadt, Leuna, Taipei und Kölpinsee; Letztere mit dem Titel „Uns bleiben seine Bilder …“ wurde 2011 eröffnet und hatte bis 2018 über 40.000 Besucher. In diesem Jahr wird es eine zweite Ausstellung in Kölpinsee geben, die von Leihgaben lebt, die Freunde, Sammler und öffentliche Einrichtungen zur Verfügung stellen. Sie ist von seinem Freundeskreis und dem Strandhotel Seerose dem zehnten Todestag und dem 95. Geburtstag gewidmet.

Womacka ist nach wie vor in den Berliner Museen nicht präsent, aber mit seinen baugebundenen Arbeiten erlebbar. Sie stehen alle unter Denkmalschutz: der Brunnen „Völkerfreundschaft“ auf dem Alex, der Bildfries „Unser Leben“ am Haus des Lehrers und die Metallreliefwand „Mensch und Raum“ am Haus des Reisens. Über zwei Ereignisse hätte sich Walter Womacka sicher besonders gefreut. Sein Glasfenster „Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung“ im Amtssitz des Staatsrates der DDR wurde 2012 restauriert. Organisiert und finanziert wurde das ausschließlich mit privaten Mitteln. Federführend war die Gesellschaft der Freunde und Förderer der European School of Management and Technology.

Und was war das zweite Ereignis?

Sein Freundeskreis rettete sein Wandbild „Der Mensch das Maß aller Dinge“. 2010 erfolgte die Demontage, bevor das Ministerium für Bauwesen der DDR in der Breiten Straße abgerissen wurde. Nach der Restaurierung durch die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte wurde es 2013 in der Friedrichsgracht an einem Haus der WBM wieder angebracht. „Der Mensch das Maß aller Dinge“ ist eine Botschaft Walter Womackas an alle, die im Land und in Berlin Politik machen und Verantwortung tragen. Sie hat sicher heute eine größere Bedeutung als vor 50 Jahren an ihrem alten Standort.

Aber seine Bilder sind in Ausstellungen und Museen des Landes nach wie vor selten zu sehen.

Ich glaube, noch muss man da sagen. Der „Dresdener Bilderstreit“ hat verkrustetes Denken, das wie aus Zeiten des Kalten Krieges über die DDR-Kunst geschmiert wurde, weiter aufgebrochen. Er wurde vom Dresdener Kultur- und Kunstwissenschaftler, Paul Kaiser im September 2017 ausgelöst.

Können Sie das ein wenig näher ausführen?

Natürlich. Paul Kaiser prangerte u.a. die „brachiale Geste“ von Hilke Wagner an. Sie war langjährige Leiterin des Braunschweiger Kunstvereins und gänzlich ohne Museumserfahrung. Seit 2014 ist sie Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens. Unter ihrer Leitung wurde die Kunst der DDR zwischen 1945 und 1990 aus der Schausammlung ins Depot entsorgt. Die DDR hat es nie gegeben, war damit die Botschaft an die Besucher aus aller Welt.

Als eine Reaktion in dieser Debatte zeigten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens in der Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1945-1990“ im Jahre 2018, was sie an DDR-Kunst in ihren Beständen hat. Im Dezember 2018 wurden die Besucher dieser Ausstellung gefragt, welches der Kunstwerke sie auch langfristig im Albertinum sehen möchten. Zugleich wurden sie um eine Begründung für ihr persönliches Lieblingswerk gebeten. Mehr als 600 Personen nahmen an der Befragung teil. „Das Ergebnis ist das gleiche wie bei einer Besucherumfrage 1963 bei der Fünften Deutschen Kunstausstellung“, musste Hilke Wagner feststellen. „Platz eins ist „Am Strand“ von Walter Womacka“. Darin sehe ich ein Faktum, ein Synonym, dass nicht nur Womackas Bilder zunehmend aus den Depots ins Licht der Öffentlichkeit kommen werden.

Das Ergebnis der Umfrage ist wirklich beeindruckend. Zu dem Bild gibt es ja auch eine Publikation von Ihnen.

Ja, 2012 veröffentlichte ich ein gemeinsam noch mit Walter Womacka geplantes Projekt „Geschichte und Geschichten zum Bild von Walter Womacka Am Strand“. In diesem Jahr folgt mit „Monolog 2020“ eine Ergänzung zu diesem Heft mit Wissenswertem zu diesem Bild aus den letzten acht Jahren.

Und wie bewerten Sie das Ergebnis der Dresdener Umfrage?

Ich halte es für sehr nachdenkenswert für alle, die theoretisch und praktisch Kulturpolitik machen. Wenn sich nach über 50 Jahren gravierender gesellschaftlicher Veränderungen zeigt, dass Werte im Kunsterlebnis der Menschen stabiler sind als Ansichten und Texte derer, die Kunst erklären und verwalten, muss man sich schon fragen lassen, für wen die Künstler ihre Werke schaffen. Für eine breite Resonanz der Adressaten oder für die Gunst von Medien und Obligaten. Tatsache ist, man kriegt die Bilder, mit denen Menschen gelebt haben, nicht aus den Köpfen, indem man sie wegschließt oder ideologisch deformiert.    

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir ein Beispiel: Nicht irgendwo, sondern in der Zeitung Neues Deutschland, konnte z.B. ein Vielschreiber wie Michael Hametner Ende Januar 2019 die Dresdener Umfrage so bewerten: „Dagegen sollte niemand nach einer Dauerhängung von Walter Womackas „Junges Paar am Strand“ verlangen. Das Bild ist nicht nur eine ideologische Apotheose, es ist auch – um noch einmal ein Baselitz-Wort über die DDR-Kunst zu verwenden – grottenschlecht gemalt. Man betrachte die Füße des jungen Mannes, die hinter dem Rücken des frisch frisierten Mädchens auftauchen: Da biegen, krempeln, rollen, krümmen sich ihm (dem jungen Mann auf dem Bild) und mir (dem Betrachter) die Zehennägel.“ Ich meine, jeder Schreiberling hat das Recht, sein individuelles Kunstverständnis zu artikulieren. Meines Erachtens hat sich hier die Redaktion nicht klug entschieden.

Ein Fazit aus Womacka und die Wende, wie würden Sie es ziehen? 

Ich würde mich den Worten Walter Womackas im Vorwort zu seinem Buch anschließen. „Ich bin ein optimistischer Mensch, ja. Und glaube an die Veränderbarkeit der Welt. Sie lässt sich aber nicht in einem Lebensalter grundlegend umgestalten, das war einer unserer Irrtümer.“ Schade, dass sein Lebensabend ihm soviel Kraft für seine Ideale abverlangte. Er war ja nicht nur Maler, sondern auch ein Kämpfer für sein Weltbild. Zu seinem 100. Geburtstag wird die Welt wieder anders aussehen. Kluge Köpfe werden mit ihren Gedanken weiter an Einfluss gewinnen. Solche, wie der Potsdam-Mäzen, Hasso Plattner. Womackas Bilder sind vermutlich nicht die Kunst, die er liebt. Aber auf Womacka trifft auch zu, was Plattner im Tagesspiegel am 21. Februar 2020 auf die Frage antwortet: „Soll Kunst nur als Kunst gesehen werden?“ „Ja, bei den DDR-Malern stört mich nicht, wenn da einer Parteimitglied war. Ich finde es sowieso unverschämt, die Leute, die politisch engagiert waren in der DDR, aber nichts falsch gemacht haben, zu diskriminieren, während in der Bundesrepublik Kanzler, Ministerpräsidenten und andere Größen eine Vergangenheit hatten.“

Ich bin mir sicher: 2025, zum 100. Geburtstag von Walter Womacka, werden sich kluge Köpfe finden, die seine Bilder, verbunden mit dem humanistischen Geist seiner Zeit und seines Schaffens, nicht nur in einer Ausstellung erlebbar machen werden.

Vielen Dank.

Das Gespräch führte Herbert Mandelartz

Dr. FRITZ BÖHME   wurde 1937 in Dresden geboren. Sein Vater war Eisenbahner, seine Mutter Hausfrau. Nach seiner Ausbildung und Beschäftigung als Werkzeugmacher war er ab 1957 Leiter des Kulturzentrums der Deutschen Reichsbahn in Dresden und Sekretär der FDJ Stadtleitung Dresden. Ab 1965 war er Stadtrat in Dresden für die Bereiche Jugend, Sport, Kultur und Internationale Beziehungen. 1970 schloss er ein Fernstudium als Diplom-Kulturwissenschaftler an der Karl-Marx-Universität Leipzig ab. Von 1973 bis 1977 war er Aspirant an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Ab 1977 war er Mitarbeiter der Abteilung Kultur des ZK der SED, später der PDS. Von 1991 bis 2015 arbeitete er als selbständiger Werbeagent.

Dateien

nach oben