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Von „geistigen” und wirklichen Brand­stif­tern Zum Attentat auf die Druckerei der „Jungen Freiheit”

vorgängevorgänge 13212/1995Seite 104-108

aus: vorgänge Nr. 132 (Heft 4/1995), S. 104-108

Am 4. Dezember 1994 wurde auf die Union Druckerei in Weimar ein Brandanschlag verübt, bei dem ein Sachschaden von ungefähr einer Million Mark entstand, Kurz darauf verlautbarten sogenannte „Revolutionäre Lesbengruppen und andere revolutionäre Gruppen”, ihr Angriff habe der, wie sie sagen, „faschistischen Wochenzeitung ‚Junge Freiheit’” gegolten (taz-Dokumentation, 21.12.94). Das betreffende Blatt konnte einige male nicht erscheinen; schließlich mußte man sich eine neue Druckerei suchen. Denn die Union Druckerei, ein kleiner Betrieb mit knapp dreißig Beschäftigten, gab dem Druck nach – nicht nur dem politischen der Attentäter, sondern auch dem wirtschaftlichen der Versicherung, die mit Kündigung des Vertrages gedroht hatte. Soweit die dürren Tatsachen. Einige kurze Agenturmeldungen verloren sich im Gemurmel des politischen Alltags. Der Vorfall, der in keiner Skandalchronik Aufnahme fand, geriet alsbald in Vergessenheit.
Warum also eine Erinnerung an diesen Fall? Weil der Brandanschlag ganz exemplarisch auf ein gestörtes Verständnis von politischem Meinungskampf und Pressefreiheit hinweist. Er stellte das demokratische Selbstverständnis praktisch auf die Probe. Und diese Probe ist gar nicht gut ausgegangen, denn die Indifferenz diesem Anschlag gegenüber ist denkwürdig: Warum überließ die demokratische Öffentlichkeit den Protest weitgehend den Betroffenen? Oder gilt, wenn es darauf ankommt, die volle Meinungs- und Pressefreiheit nicht für rechte Zeitungsmacher? Sind sie keine „Andersdenkende”, sondern bloß „Schwach denkende”, die ihre Freiheit frech missbrauchen? Oder gar eine neue Gattung von Schreibtischtätern? Was ist und wie funktioniert „geistige” Brandstiftung? Kurz: Was hat der Brandanschlag gegen die „Junge Freiheit” mit der demokratischen Frage zu tun?
Vorab: Daß die Jugend der „Jungen” Freiheit gar früh verwelkt ist, weil sie Hohlformeln der „konservativen Revolution” der zwanziger Jahre recycelt, und daß die von ihr reklamierte „Freiheit” keine ist, weil sie sich allzu sehr krümmt und sehnlich begehrt, einer autoritären Staatsordnung zu dienen, dies hat sich herumgesprochen und soll hier nicht weiter strapaziert werden. Auch daß unsere jung-rechten Redakteure die Entwicklung Deutschlands zu einer multikulturellen Gesellschaft mit mühsam gezügeltem Grausen beobachten und daß sie endlich mit der Vergangenheitsbewältigung Schluss machen wollen, weil Dauerzerknirschung dem Selbstbewußtsein der Nation schadet, ist hinreichend bekannt.
Jeder politisch interessierte Zeitgenosse, der ein wenig Sinn fürs Exotische hat, jede aufgeweckte Leserin, die genug Geduld aufbringt, kann sich leicht ein eigenes Bild machen – Zeitungshändler, die das Blatt nicht führen, weil sie darauf sitzenbleiben, sind gern behilflich. Ein paar Wochen genügen vollauf, um sich davon zu überzeugen, daß der Unfug namens „Junge Freiheit” viel weniger spektakulär daherkommt, als verbohrte Verschwörungstheoretiker und aufgeregte Enthüllungsspezialisten links-konventioneller Provenienz uns weismachen wollen. Kurz und gut: Die „Junge Freiheit” sieht, nüchtern betrachtet, ziemlich alt aus und ist aufs Ganze gesehen recht langweilig. Die Postille versammelt die Ressentiments eine durchschnittlichen deutschen Akademikerstammtischs, der in der Mitte der Unionschristen keine Heimat findet.
Jedoch – die journalistisch-handwerkliche Qualität, die Inhalte der „Jungen Freiheit” stehen hier nicht zur Debatte, sondern die Brandstifter und die Reaktion, besser die Nichtreaktion der Öffentlichkeit. Zunächst zu den Brandstiftern. Ihre Argumente sind schnell zusammengefaßt. Die zündelnden Pressewächter, die ihr Bekennerschreiben sinnigerweise mit dem Titel „Brandsätze gegen geistige Brandstifter” überschrieben, halten der „Jungen Freiheit” ein stattliches Sündenregister vor: die Zeitung sei nicht nur „faschistisch”, „imperialistisch” und „revanchistisch”, sondern obendrein „frauenfeindlich”, „rassistisch” und „antisemitisch”.
Das ist starker Tobak, wird aber mit stichhaltigen Argumenten nicht belegt. Wie auch? Kleinanzeigen, in denen, so das Bekennerschreiben, „deutsche Burschen anschmiegsame blonde Mädel zum Gebären von drei bis sechs Kindern suchen”, treffen gewiß nicht den Geschmack „revolutionärer Lesbengruppen”, warum solche Rollenklischees aber „Anschlagsrelevant” sein sollten, bleibt schleierhaft. Und die Bezeichnung der fünf neuen Bundesländer als „Mitteldeutschland”, die den Brandstifterinnen aufstößt, macht noch keinen Revanchismus. Ebenso wenig wie die Diskussion über eine neue Militärpolitik des vereinten Deutschland schlechthin „imperialistisch” ist. Soviel immerhin erhellt die Lektüre dieser läppischen Erklärung: daß ihre Verfasser, Pardon! VerfasserInnen, die Ansichten des „faschistischen” Feindes gar nicht mögen.
Der Hauptvorwurf hält sich indes nicht mit Kleinigkeiten auf, sondern zielt auf die Verteidigung der Kultur. Das Verbrechen liest sich im Jargon des Bekennerschreibens so: Die „Junge Freiheit” „ist der Versuch der sogenannten Neuen Rechten, mit journalistischen Mitteln in politisch und kulturell bedeutsame Bereiche der BRD-Gesellschaft einzubrechen und sich dort zu konsolidieren.” Tja, so sind sie … Gott Lob! bewahrt uns vor solch finsteren Machenschaften das tiefe Bedürfnis nach linkem Milieu- und Artenschutz. Im Ernst: Das Ganze wäre wirklich lustig, hätten wir es mit einer Titanic-Satire zu tun und nicht mit tierisch-ernster Militanz.
Der hirnlose Einsatz brachialer Mittel ist freilich kein Grund, eine abstrakte Debatte über „die” Gewaltfrage zu führen – schließlich sind gewisse Brandanschläge nicht sonderlich problematisch, sagen wir 1937 gegen die Druckerei des „Stürmer” – hätte es denn solche gegeben! Für den rechten Anlaß zur rechten Zeit jedoch fehlt in Deutschland, wenn man das so sagen darf, seit eh und je das Fingerspitzengefühl: Die pauschale, staatstragende Tabuisierung von Gewalt geht mit ihrer wahllos-phraseologischen Rechtfertigung einher.
Soviel zu dem revolutionären Bedürfnis nach kulturellem Milieuschutz. Offenbar haben wir es hier mit einer Lesart von „Streitkultur” zu tun, die am Streit vor allem eines interessiert: wie man andere von diesem ausschließen kann.
Wer den politischen Alltag der Bundesrepublik aufmerksam beobachtet, wird allerdings schnell feststellen, daß hierzulande recht häufig und bedenkenlos ausgegrenzt wird – ohne Reflexion auf die Maßstäbe und je nach den Bedürfnissen des Tages. Das Schlagwort von den „geistigen Brandstiftern” hat heutzutage mehr Anhänger, als die politische Isolation der militanten Tugendwächter vermuten läßt. Ja man kann sagen, es war nach dem Mordanschlag von Mölln in aller Munde, einerlei, wo die jeweils passenden Biedermänner dingfest gemacht wurden.
Als Mitte der siebziger Jahre die „verfassungsfeindliche Befürwortung von Gewalttaten”, der berüchtigte – und 1981 wieder gestrichene – § 88a des Strafgesetzbuches heftig diskutiert wurde, gab es ein Plakat – entworfen von Klaus Staeck, wenn ich es recht erinnere -, das ein Buch zeigte, eingeklemmt in Schraubzwingen. Es trug die Unterschrift: „Lesen macht dumm und gewalttätig”. Das traf das Milieu der Sympathisantenhetze und RAF-Hysterie ziemlich gut und wurde verstanden als ironische Replik auf die wahllose Dingfestmachung „geistiger Helfershelfer”. Heute indessen scheint das kritische Bewusstsein, das einst vehemente Kampagnen gegen die Staatszensur trug, so gut wie erloschen. Schlimmer noch: Seit den mörderischen fremdenfeindlichen Attacken gewinnt die nie offen formulierte, aber unterschwellig nahegelegte These Anhänger, wer Böses denke und höre und nachspreche, der tue am Ende auch Böses – eine Art Verführungstheorie auf dem Gebiet des Politischen.
Ein Beispiel aus der Bürokratie, von dort, wo um die „freiheitliche demokratische Grundordnung” gerungen wird. Da heißt es in einer amtlichen Broschüre: „Entscheidenden Stellenwert im Kampf gegen den Rechtsextremismus hat auch die geistig-politische Auseinandersetzung. Die Ausstellung ,Biedermänner und Brandstifter`, die in diesem Jahr gezeigt wird, soll einen kleinen Beitrag hierzu leisten. Sie macht deutlich, daß rechtsextremistische Gewalt oft die Folge geistiger Brandstiftung ist, die vor allem den Ideologen der rechtsextremistischen Organisationen angelastet werden muß”. -„Oft“ und „vor allem” . . . ? Frieder Birzele, Innenminister der Großen Koalition von Baden-Württemberg, scheint sich seiner Sache doch nicht so sicher zu sein. Wie auch immer: Sein Geleitwort für den Verfassungsschutzbericht 1993 kommt jedenfalls ohne die schillernde Kategorie von der spirituellen Brandstiftung nicht aus.
Die Beispiele für den Kurzschluß zwischen bösem Denken und böser Tat sind zahlreich und aus ganz unverdächtiger Quelle zu schöpfen. So war etwa in der Zeit anläßlich der Diskussion um rechtsradikale Jugendliche zu lesen, eine liberale Gesellschaft müsse auch bereit sein, „sich gegen ihre Feinde zu behaupten”. Dazu gehöre es, „solche Stimmen (!) zum Schweigen zu zwingen, deren Rede (!) die Bedingungen für rationales Sprechen auslöscht … dem physischen Terror geht der Terror der Rede(!) voraus” (Hauptsache rechts, 15.4.94). Auch in der taz ist gelegentlich grob fahrlässig von „ideologischen Brandstiftern” und „rechtsextremistischen Umtrieben” die Rede – zum Beispiel, wenn es gilt, Kanthers Verbot der Westentaschen -HJ namens „Wiking Jugend” zu kommentieren (11.11.94). E versteht sich, daß auch die „Junge Freiheit” nicht darauf verzichten konnte, hinter den Attentätern „geistige Brandstifter” auszumachen – die „einer links-liberalen Journaille”.
So ist es quer zum Rechts/Links-Schema populär geworden, von der „geistigen” auf wirkliche Brandstiftung zu folgern. Dieser Kurzschluß eint autoritäre Propagandisten der „inneren Sicherheit” mit bekennenden Antifaschisten verschiedener Couleur. Nüchtern betrachtet ist indes festzustellen, daß bis heute nirgendwo der direkte, ursächliche Zusammenhang zwischen Worten und Brandsätzen je empirisch nachgewiesen wurde. Natürlich gibt es so etwas wie ein gesellschaftliches Klima, das sich aus einer Vielzahl von Elementen zusammensetzt. In einer freien Gesellschaft muß dieses Klima aber von jenen verantwortet werden, die es beeinflussen können – also von allen.
Die zündelnde Avantgarde der „Aktion-saubere-Presse” zielt zum Schluß ihres konfusen Schreibens aufs Ganze, indem sie sich in die Parole versteigt: „Kein Rederecht für, keinen Dialog mit Faschisten und Faschistinnen!” Das spielt nicht mehr mit der Unterstellung, eine freie Presse mache „dumm und gewalttätig”. Vielmehr bestreiten jene, die wirkliche Brandsätze gegen die eingebildeten verbalen einer rechten Postille zünden, denen, die ihnen gerade nicht in den Kram passen, rund heraus das Recht der freien Rede. Das zielt ins Zentrum der demokratischen Frage. Und offenbart eine Ahnungslosigkeit, die das vor etlichen Jahren von der Polizeisprache aufgebrachte und von staatstragenden Journalisten kolportierte Wort vom „Selbstbezichtigungsschreiben” ausnahmsweise einmal angebracht erscheinen läßt.
Die demokratische Frage handelt im Kern vom Freiheitsspielraum der Opposition – also vom Schutz abweichender Politik, der Freiheit von Außenseitern, die oft die Politik von Oppositionellen ist. Oft, aber keineswegs immer – wie etwa die überschäumende Angepaßtheit der Stammtischrepublikaner oder das verschwiemelte Ressentiment der ordnungsliebenden „Jungen Freiheit” veranschaulicht. Wer immer also den – mitunter verständlichen – Reflex verspürt, einen Maulkorb zu verteilen, sollte bedenken, daß die ernst genommene „Freiheit des Andersdenkenden” stets unbequem ist und die Unverbrüchlichkeit demokratischer Spielregeln stets auch den „falschen” Leuten nutzt, das heißt solchen, die man nicht erträglich findet.
Von all dem wollen die mit „Brandsätzen” spielenden selbstgerechten Pressewächter nichts wissen: Die Pressefreiheit dieser „Scheindemokratie” glauben sie längst durch-schaut zu haben: Gibt es da nicht die Monopole der Springerpresse, Kapitalinteressen und so fort? Gewiß doch! Aber was folgt daraus? Als wären bestimmte, auf ökonomischer und politischer Macht beruhende Verzerrungen der Pressefreiheit ein Argument gegen die Pressefreiheit als solche!
Die in der Aufrechnung mit dem gesellschaftlichen Machtgefälle aufblitzende Geringschätzung formaler Freiheit und Gleichheit hat leider eine fortschrittliche Tradition: zum Beispiel die Anti-Springer-Kampagne der späten sechziger Jahre. Dabei lag deren politische Bedeutung nicht darin, die Enteignung des Konzerns zu fordern, sondern darin, über die Manipulationstechniken der einschlägigen Hetzblätter aufzuklären. Ungeachtet dessen haben sich in den Köpfen vieler einige Mißverständnisse über die Pressefreiheit eingenistet. Nicht zuletzt deshalb stieß der Weimarer Anschlag auf so beredtes Schweigen und gedankenlose Ignoranz, ja auf klammheimliche Freude. Diese üble Gemengelage wiederum ermöglichte es der „Jungen Freiheit” und ihren etablierten Förderern, sich in die Pose der verfemten Minderheit zu werfen und als einsame Verteidiger der Pressefreiheit zu stilisieren.
Gar nicht hoch genug geschätzt werden kann daher eine Erklärung, die vom stellvertretenden Chefredakteur der Berliner Wochenpost, Thomas Schmid, initiiert wurde und die ein so illustrer Kreis wie der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der CSU-Mann Peter Gauweiler oder die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe unterzeichnete. In dem Aufruf heißt es schnörkellos: „Die ,Junge Freiheit` muß ungehindert erscheinen können, ungeachtet der Tatsache, daß vielen die politischen Positionen der Zeitung mehr als bedenklich erscheinen.
So ist es. Gegen das Unvermögen, die freie öffentliche Debatte zu führen, hilft nur ein demokratisches Selbstbewusstsein, das um die freiheitssichernde Funktion formaler Spielregeln weiß – und sich weder vom Staat noch von selbsternannten Zensoren den Schneid abkaufen läßt. Und das Fazit in Sachen Meinungskampf und Pressefreiheit? Der Skandal beginnt dort, wo ihm „revolutionäre” Brandstifter ein Ende setzen.

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