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Rundfunk­frei­heit zwischen Regie­rungs­ein­fluß und Partei­en­pro­porz

Zur Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in

Südwestdeutschland durch den SWR-Staatsvertrag

Aus: vorgänge Nr. 138 (Heft 2/1997), S. 8-15

Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit klaffen vielfach auseinander. Ob es viele Regelungsfelder gibt, in denen diese Aussage so sehr zutrifft wie im Bereich der Massenmedien, darf indes mit Fug und Recht bezweifelt werden. Unter Mißachtung der verfassungsnormativen Vorgaben ist vor allem der Rundfunk immer wieder Ziel politischer Einflußnahme[1]; zudem werden Vielfalt, Qualität und Überparteilichkeit als wesentliche Elemente eines dem traditionellen public-service Modell verpflichteten Verständnisses zunehmend abgelöst durch ökonomische Paradigmen wie Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Ein typisches Beispiel für derartige Erosionen der Rundfunkfreiheit[2] ist der zwischen den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ausgehandelte Staatsvertrag über den Südwestrundfunk (SWR-StaatsV), durch den Süddeutscher Rundfunk und Südwestfunk zu einer neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt verschmolzen werden sollen.

Der von den Ministerpräsidenten Teufel (CDU) und Beck (SPD) unterzeichnete, noch nicht ratifizierte Staatsvertrag, der am 1. Januar 1998 in Kraft treten soll, zielt ausweislich seiner Präambel darauf ab, langfristig eine stabile und wettbewerbsfähige öffentlich-rechtliche Rundfunkstruktur für den Südwesten Deutschlands zu schaffen. Allerdings schränkt der Vertrag die Handlungsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks derart ein, daß der Verdacht naheliegt, es gehe insgeheim auch darum, die Wettbewerbschancen privater Rundfunkveranstalter zu stärken.[3] Zumindest fällt bei der Lektüre des Vertrags eine Dominanz ökonomischer Standortlogik gegenüber publizistischen Kategorien auf. Im Folgenden sollen jedoch nur die im Staatsvertrag verankerten Möglichkeiten staatlicher Einflußnahme untersucht werden, die Zweifel daran zulassen, ob er mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Rundfunkfreiheit vereinbar ist.

Staats­frei­heit des Rundfunks als Verfas­sungs­gebot

„Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk“ wird gewährleistet, heißt es in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Frage, was das denn sei, die Freiheit des Rundfunks, treibt Verfassungsrechtler bis heute um. Zum gesicherten Grundbestand der Rundfunkfreiheit gehört jedenfalls das Gebot der Staatsfreiheit oder Staatsferne des Rundfunks: Ein unmittelbarer oder mittelbarer Staatsrundfunk ist verboten, grundsätzlich unzulässig auch jeder staatliche Einfluß auf das Rundfunkprogramm.[4] Das Grundgesetz zieht damit die Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Instrumentalisierung des Rundfunk – damals nur Hörfunk – als Propagandamittel im Nationalsozialismus. Seitdem ist die Bedeutung des Rundfunks, vor allem des Fernsehens, für den Prozeß der öffentlichen Kommunikation noch wesentlich größer geworden. Das Bundesverfassungsgericht hebt auf die besondere Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft des Rundfunks ab[5] und betont, er sei zugleich „Medium und Faktor“ der gesellschaftlichen Meinungsbildung.[6] Das ist eine sehr vorsichtige Formulierung. Rundfunk ist ein äußerst wirkungsvolles Machtmittel. Und dementsprechend ist er heute wie früher Objekt politischer Begehrlichkeiten. Demokratie kann aber nur funktionieren, wenn nicht die Herrschenden über den Rundfunk die Meinung des Volkes manipulieren, sondern wenn der Prozeß gesellschaftlicher Kommunikation zumindest soweit herrschaftsfrei abläuft, daß eine Willensbildung von unten nach oben möglich wird.

Genügt nun der SWR-Staatsvertrag dem verfassungsrechtlichen Gebot der Staatsfeme? Zwei besonders problematische Regelungsfelder sollen hier näher untersucht werden: Wahl bzw. Zusammensetzung der Organe des SWR und die besonderen Sendezeiten für Parteien und Regierung.

Politischer Einfluß auf die Organe des SWR

Die wichtigsten Organe des Südwestrundfunks, über die der Staat Einfluß auf das Programm der neuen Rundfunkanstalt nehmen könnte, sind Rundfunkrat, Verwaltungsrat und Intendant.

Der Rundfunkrat, in dem nach üblichem Muster die gesellschaftlichen Kräfte (Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen, Frauenverbände usw.) vertreten sind, vertritt die Interessen der Allgemeinheit. Er hat insbesondere die Aufgabe, die Einhaltung der programminhaltlichen Vorgaben für die Tätigkeit des SWR zu überwachen. Daneben ist der Rundfunkrat unter anderem für die Genehmigung des Haushaltsplans und – gemeinsam mit dem Verwaltungsrat – für Wahl und Abberufung des Intendanten zuständig. Von seinen 74 Mitgliedern werden 3 Mitglieder von den Landesregierungen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, weitere 12 von den beiden Landtagen entsandt. Diese Vertreter können als staatsnah im engeren Sinne bezeichnet werden. Im weiteren Sinne sind darüber hinaus die 5 Mitglieder dem Staat zuzurechnen, die von den Kommunen entsandt werden. Ein weiteres, schwer quantifizierbares Einflußpotential für staatliche Stellen liegt darin, daß sich teilweise mehrere Verbände auf gemeinsame Vertreter einigen müssen. Gelingt dies nicht innerhalb von drei Monaten, kann der zuständige Ausschuß des jeweiligen Landtages aus den Vorschlägen auswählen. Es liegt nahe, daß bei dieser Entscheidung die politische Ausrichtung der Kandidatinnen und Kandidaten im Vordergrund steht. Unterm Strich sind also je nach Zählweise etwa 20 bis 30 Prozent der Mitglieder des Rundfunkrats als staatsnah zu bezeichnen, wobei deren politische Ausrichtung in der Regel nicht homogen sein dürfte.[7] Auch sorgt die im Staatsvertrag festgelegte Verteilung auf die beiden beteiligten Länder dafür, daß der Staatsanteil der Mitglieder gewissermaßen föderalistisch aufgesplittet wird.

Um den tatsächlichen Einfluß des Staates im Rundfunkrat des SWR richtig einzuschätzen, müssen allerdings Charakter und Zusammensetzung des Gremiums näher in Augenschein genommen werden. Angesichts der für pluralistische Gremien typischen, stark fragmentierten Zusammensetzung des Rundfunkrats kann die Mehrheitsfindung dort in der Regel nur auf relativ abstrakten gemeinsamen Grundeinstellungen beruhen. Politische Parteien, zu deren klassischen Funktionen die Integration heterogener Interessen im Zuge der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung gehört, können in dieser Situation eine beträchtliche katalytische Kraft entfalten. Es liegt mit anderen Worten nahe, daß Konfliktlinien im Rundfunkrat häufig entlang den Parteiengrenzen verlaufen werden. Da etliche der hier vertretenen gesellschaftlichen Gruppen zudem von vorneherein eine beachtliche Affinität zum einen oder anderen politischen Lager aufweisen (das gilt etwa für die Vertreter der Gewerkschaften auf der einen und der Arbeitgeber auf der anderen Seite), ist eine Bildung fraktionsähnlicher „Freundeskreise“ im Rundfunkrat zu prognostizieren, wie sie auch andernorts zu beobachten ist.[8] Der tatsächliche Einfluß von Staat und Parteien im Rundfunkrat liegt unter diesen Bedingungen deutlich höher, als die Zahl der eigentlichen Staatsvertreter zunächst vermuten läßt.

Anders als der Rundfunkrat hat der Verwaltungsrat keine unmittelbaren Programmkompetenzen, sondern überwacht die Geschäftsführung des Intendanten, soweit sie nicht die inhaltliche Gestaltung des Programms betrifft. Allerdings wählt der Verwaltungsrat den Intendanten mit und hat machtvolle Kontroll- und Entscheidungsrechte auf wirtschaftlichem Gebiet. Damit vermag er indirekt Programmpolitik zu machen, so daß auch staatlicher Einfluß auf den Verwaltungsrat unter dem Aspekt des Staatsfernegebots problematisch sein kann. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, daß 7 der 15 Mitglieder des Verwaltungsrats direkt vom Staat (Landesregierungen und Landtage) entsandt werden. Die übrigen 8 wählt der Rundfunkrat aus seiner Mitte. Zwar darf es sich dabei nicht um Staatsvertreter im engeren Sinne handeln, die beschriebene politische Vorprägung des Rundfunkrats läßt jedoch erwarten, daß auch diese 8 Mitglieder maßgeblich unter dem Aspekt ihrer politischen Grundhaltung ausgewählt werden. Der Verwaltungsrat ist also in noch stärkerem Maße als der Rundfunkrat ein Gremium, dessen Besetzung parteipolitischem Proporz entspricht.

Der Intendant schließlich ist im Einklang mit der üblichen Organisation öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten das wichtigste Leitungsorgan des SWR. Er trägt die Verantwortung für den gesamten Betrieb und die Programmgestaltung. Gewählt wird er vom Rundfunk- und Verwaltungsrat in gemeinsamer Sitzung. Damit setzt sich der beschriebene Staatseinfluß in diesen Gremien bei der Wahl des Intendanten fort. Verschärfend wirkt sich aus, daß die nichtstaatlichen Mitglieder des Verwaltungsrats ohnehin schon Mitglieder des Rundfunkrats sind. Die gemeinsame Sitzung von Verwaltungs- und Rundfunkrat ist also de facto eine Rundfunkratssitzung, die um 7 Staatsvertreter – nämlich diejenigen Mitglieder des Verwaltungsrats, die nicht gleichzeitig Mitglieder des Rundfunkrats sind – erweitert ist.[9] Damit ist die Wahl des Intendanten in hohem Maße politisiert, ein gemeinsamer Kandidat der beiden großen Parteien wird im Regelfall ohne weiteres die erforderliche Mehrheit erhalten.

Schon diese kurze Bestandsaufnahme zeigt, daß die Gremienstruktur des Südwestrundfunks in vielen programmrelevanten Bereichen Möglichkeiten politischer Einflußnahme eröffnet. Dabei ist weniger eine einseitige Beherrschung durch die Regierung zu befürchten als eine Vereinnahmung des Rundfunks nach Kriterien des Parteienproporzes.

Wegen der engen Verflechtung zwischen Staatsorganen und Parteien wird ganz überwiegend auch ein solcher parteipolitischer Einfluß auf den Rundfunk unter dem Gesichtspunkt der Staatsferne problematisiert.[10] Das gilt in besonderem Maße für den Einfluß der die Regierung tragenden Mehrheitsparteien.[11] Die verfassungsrechtliche Bewertung dieser Situation wird jedoch durch eine gewisse Inkonsistenz in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erschwert: In einigen wichtigen Entscheidungen zur Staatsferne des Rundfunks betont das Gericht, daß jede Gefahr einer staatlichen Einflußnahme auf das Rundfunkprogramm mit diesem Verfassungsgrundsatz unvereinbar ist.[12] Schon die Möglichkeit mittelbarer Einflußnahme und die staatlicherseits geförderte Gefahr einer Selbstzensur werden insoweit als nicht mehr hinnehmbar angesehen.[13] Demgegenüber hat das Verfassungsgericht bei der Besetzung von Rundfunkräten und strukturell vergleichbaren pluralistischen Gremien der Privatfunkaufsicht mehrfach einen anderen Maßstab angelegt. Bereits im Fernsehurteil von 1961 hat es entschieden, daß die Rundfunkfreiheit nicht verletzt wird, wenn auch Vertretern des Staates „ein angemessener Anteil“ in den Organen einer Rundfunkanstalt eingeräumt wird.[14] Das Gebot der Staatsferne wird also vom Verfassungsgericht in diesem Zusammenhang lediglich als Verbot unmittelbarer oder mittelbarer Beherrschung des Rundfunks durch den Staat verstanden. An dieser Rechtsprechung wurde auch in der Folge grundsätzlich festgehalten.[15]

Eine ausdrückliche Begründung für die Zulässigkeit eines gewissen Staatseinflusses in den Gremien des Rundfunks hat das Bundesverfassungsgericht bisher ebenso wenig gegeben wie es eine prozentuale Grenze für den Anteil der staatsnahen Vertreter gezogen hat. Allerdings hat das Gericht in seiner Rundfunkgebührenentscheidung im Jahr 1994 noch einmal ausdrücklich betont, daß sich der Grundsatz der Staatsferne nicht in einem Beherrschungsverbot erschöpft.[16] Vielmehr solle jede politische Instrumentalisierung des Rundfunks ausgeschlossen werden. Dieser Schutz beziehe sich nicht nur auf die manifesten Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung, sondern umfasse auch die subtileren Mittel indirekter Einwirkung, mit denen sich staatliche Organe Einfluß auf das Programm verschaffen könnten. Derartige Einflußmöglichkeiten habe der Staat wegen seiner Rolle als Garant der Rundfunkfreiheit zwangsläufig, sie sollten jedoch so weit wie möglich ausgeschaltet werden.[17] Diese Ausführungen lassen sich so interpretieren, daß die Möglichkeit politischer Einflußnahme auf das Rundfunkprogramm zwar nicht per se als verfassungswidrig anzusehen ist, daß derartige Einflußmöglichkeiten jedoch nach Möglichkeit zu minimieren sind und ihre Rechtfertigung in der staatlichen Funktionsverantwortung für den Rundfunk finden müssen.[18]

Da die primäre Funktion pluraler Gremien im Rundfunk darin liegt, dafür Gewähr zu tragen, daß die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte im Programm des Rundfunk angemessen zu Wort kommen und so programminhaltliche Vielfalt strukturell abzusichern, läßt sich eine gewisse Beteiligung politischer Parteien an diesen Gremien durchaus rechtfertigen. Gemäß Art. 21 Abs. 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dieser Verfassungsauftrag und die tatsächliche Bedeutung der Parteien als gesellschaftliche Kräfte sprechen für ihre Beteiligung an pluralen Gremien im Rundfunk. Zudem kann die gegenseitige Kontrolle der verschiedenen Parteien ein wirkungsvolles Instrument zur Verhinderung einseitiger politischer Einflußnahme sein. Niemand wacht so aufmerksam über die parteipolitische Beeinflussung des Rundfunks wie die gegnerische Partei. Würden Parteien ganz aus den Rundfunkräten verbannt, bestünde die Gefahr, daß sie auf dem Umweg über die sonstigen Verbände doch Einflußmöglichkeiten suchen (und finden) würden, ohne daß deren Ausgewogenheit gesichert wäre.

Ob diese Funktionen einer parteipolitischen Beteiligung es notwendig machen, daß 12 Mitglieder des Rundfunkrats des SWR von den Landtagen entsandt werden, läßt sich natürlich mit guten Gründen bezweifeln. Vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dürfte jedoch auch die jetzt vorgesehene Vertretung der Landtage noch gedeckt sein, solange das jeweilige Wahlverfahren dabei eine parteipolitische Einseitigkeit verhindert. In ähnlicher Weise ist auch die Vertretung der Kommunen im Rundfunkrat des SWR begründbar. Sie können den lokalen Belangen im Rundfunk zur Geltung verhelfen und so die regionale Vielfalt des Rundfunkprogramms stärken. Schwieriger ist es, die übrigen Möglichkeiten der staatlichen Einflußhahme auf die Organe des SWR verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Insbesondere die Beteiligung von Vertretern der jeweiligen Landesregierung entspricht zwar dem in der Bundesrepublik weithin üblichen schlechten Brauch, läuft aber dem Zweck der Rundfunkfreiheit, eine unbeeinflußte freie Meinungsbildung von unten nach oben zu ermöglichen, diametral entgegen. Unbefriedigend ist auch die Beteiligung eines Landtagsausschusses an der Auswahl von Rundfunkratsmitgliedern, wenn sich mehrere im Staatsvertrag genannte Gruppierungen nicht auf die Entsendung eines Vertreters einigen können. Zumindest an der Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen liegt schließlich der Staatseinfluß auf den Verwaltungsrat des SWR, der über seine wirtschaftlichen Zuständigkeiten und die Beteiligung an der Intendantenwahl indirekt programmrelevante Befugnisse hat.

Insgesamt liegt die Staatsnähe der Organe des SWR im Rahmen dessen, was aus anderen Bundesländern bekannt ist.[19] Einseitige politische Beherrschung der Rundfunkanstalt durch die Regierung oder die sie tragenden politischen Parteien ist auf diesem Wege nicht zu befürchten. Zu beobachten ist jedoch – im Südwesten wie auch anderswo – eine parteipolitische Durchdringung der Organisationsstruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die im Ansatz der Idee eines staatsfreien Rundfunks widerspricht. Durch den Staatseinfluß auf die Besetzung der einzelnen Organe und durch das Zuständigkeitsgefüge der Anstalt insgesamt wird der Zugriff auf den SWR nach den Regeln des Parteiproporzes abgesichert. Auch wenn dies im wesentlichen (noch) innerhalb der vom Verfassungsgericht vorgegebenen Grenzen geschieht, stellt sich doch die Frage, wie lange Rundfunkfreiheit bestehen kann, wenn die staatlichen Instanzen fortlaufend austesten, welchen Grad der Inbesitznahme des Rundfunks sie sich – politisch und juristisch – leisten können. Daß es auch anders geht, beweist gerade das Beispiel des Süddeutschen Rundfunks, in dessen Rundfunkrat bis lang in geradezu vorbildlicher Weise weder Regierungen noch Landtage oder Parteien vertreten sind.

Sendezeiten für Parteien und Regierungen

Während der politische Einfluß auf Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in vielen Bundesländern bedenkliche Ausmaße erreicht, hält der SWR-Staatsvertrag an anderer Stelle einen ganz besonderen Leckerbissen für Staat und Parteien bereit. Dieser verbirgt sich in § 9 SWR-StaatsV, mit dem eine der finstersten Dunkelnormen des bisherigen SWF-Staatsvertrages noch verschärft wird. Neben den üblichen, rechtlich weitgehend unproblematischen Sendezeiten für amtliche Verlautbarungen in Katastrophenfällen und für Parteienwerbung im Wahlkampf normiert die Vorschrift in ihrem Absatz 3 ein in seinem Umfang beispielloses Recht von Staat und Parteien zur politischen Instrumentalisierung des Rundfunks. Danach ist unter anderem „… den Regierungen der Länder sowie den politischen Parteien, soweit sie in einem der Parlamente der Länder Fraktionsstärke besitzen … Gelegenheit zu geben, ihre Auffassungen in zweckentsprechenden Sendezeiten des SWR angemessen zu vertreten.“

Diese Bestimmung könnte zunächst so verstanden werden, daß die genannten Organisationen in der Berichterstattung des SWR, etwa in Nachrichten, Magazinen oder Diskussionssendungen angemessen beteiligt werden müssen. So ist wohl auch der offensichtlich als Vorbild dienende § 6 Abs. 1 SWF-StaatsV auszulegen. Die nähere Analyse zeigt jedoch, daß anderes gemeint ist. § 9 ist insgesamt mit „Sendezeiten für Dritte“ überschrieben.[20] Gemäß § 9 Abs. 4 ist für Inhalt und Gestaltung der Sendungen derjenige verantwortlich, dem die Sendezeit zugebilligt worden ist. Nach der Gesetzessystematik gilt das auch für das Äußerungsrecht von Parteien und Regierungen. Es geht also nicht um die Inhalte des vom SWR redaktionell gestalteten Programms, sondern um Sendungen, deren Inhalt und Gestaltung allein den genannten Organisationen zustehen.

Problematisch ist dabei schon das Artikulationsrecht politischer Parteien, soweit es nicht – wie sonst üblich – auf die Zeit des Wahlkampfs begrenzt bleibt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das Interesse politischer Parteien an einer gezielten Beeinflussung der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung in einem gewissen Widerspruch zur Aufgabe des Rundfunks steht, den Kommunikationsprozeß offenzuhalten.[21] Zwar gehört es zum Programmauftrag des Rundfunks, in seinem redaktionellen Programm auch und gerade über die Aussagen der politischen Parteien zu informieren. Dabei ist jedoch gerade die journalistische Aufarbeitung in Bericht, Analyse und Kommentar essentiell. Ein direktes Äußerungsrecht der Parteien macht demgegenüber den Rundfunk zu einem bloßen Sprachrohr der Parteien und greift in die von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 geschützte Programmfreiheit ein, ohne daß dafür außerhalb des Wahlkampfs legitimierende Gründe ersichtlich wären.

Erst recht verfassungswidrig sind schließlich die den Landesregierungen eingeräumten Sendezeiten. Zwar gibt es in vielen Rundfunkgesetzen Vorschriften, die den Regierungen das Recht zubilligen, den Rundfunk für amtliche Verlautbarungen zu nutzen. Verfassungsrechtlich ist das wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Programmfreiheit der betroffenen Rundfunkanstalt aber nur in sehr engen Grenzen zulässig. Zum einen muß es sich um die Bekanntgabe von Tatsachen handeln, zum anderen muß der Inhalt der Verlautbarung eine Verbreitung gerade durch den Rundfunk erforderlich machen. Das ist allein in besonderen Not- und Ausnahmesituationen, z.B. bei Überschwemmungen oder anderen Katastrophen, der Fall.[22] Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor: Weder ist in § 9 Abs. 3 SWR-StaatsV eine Beschränkung auf tatsächliche Mitteilungen enthalten, noch werden besondere tatbestandliche Voraussetzungen für regierungsamtliche Äußerungen im Rundfunk verlangt. Auch ein Erwiderungsrecht der Opposition ist nicht vorgesehen.[23] Vielmehr statuiert die Vorschrift ein inhaltlich nicht gebundenes Recht der Regierung, in besonderen Sendezeiten „ihre Auffassungen zu vertreten`“.[24] Ausgerechnet die Exekutive, gegen die sich das Gebot der Staatsferne in erster Linie richtet, darf also den Rundfunk politisch instrumentalisieren, der SWR wird zum Zentralorgan der Landesregierungen. Ein solches allgemeines Äußerungsrecht der Regierung in eigenen Sendezeiten stellt einen Rückfall in ein vordemokratisches Rundfunkverständnis dar und ist politisch wie verfassungsrechtlich inakzeptabel. Mit Staatsferne des Rundfunkprogramms hat das nichts mehr zu tun.

Man gewöhnt sich an alles?

Der Staatsvertrag über den Südwestrundfunk bewegt sich, soweit es um die Besetzung seiner Organe geht, am Rand des verfassungsrechtlich Zulässigen; die besonderen Sendezeiten für Regierung und Parteien überschreiten sogar die Grenze zur Verfassungswidrigkeit. Ungewöhnlich ist das nicht: In anderen Bundesländern gelten, was die Organstruktur angeht, vielfach ähnliche, teils sogar weitergehende Bestimmungen. Bei realistischer Betrachtung sind vergleichbare Bedrohungen der Rundfunkfreiheit durch Staats- und Parteieneinfluß auch kaum vollständig abzuwehren. Zu stark sind die Anreize, Rundfunk politisch zu instrumentalisieren, zu sensibel für externe Einflußnahmen sind kommunikative Prozesse. Das verfassungsrechtliche Postulat eines umfassend vor staatlicher Beeinflussung geschützten massenmedialen Kommunikationsprozesses mutet insofern fast ein wenig naiv an. Als Leitbild ist diese Forderung jedoch unentbehrlich, um ein Gegengewicht zu den Vermachtungstendenzen des sich selbst und den interessierten politischen Kreisen überlassenen Rundfunks zu bilden. Der Fortbestand einer freiheitlichen Kommunikationsverfassung hängt nicht zuletzt davon ab, ob Einflußmöglichkeiten, wie sie der SWR-Staatsvertrag vorsieht, noch als Übergriffe wahrgenommen werden, oder ob die normative Kraft des Faktischen zu einer Verschiebung der Toleranzschwelle führt. Wenn das geschieht und die Instrumentalisierung der Massenmedien zur Normalität wird, bleibt die Rundfunkfreiheit auf der Strecke.

1 Besonders eklatante staatliche Einflußnahmen auf den Rundfunk waren in jüngerer Zeit in den neuen Bundesländern zu verzeichnen, vgl. Dazu etwa Wolfgang Hoffmann-Riem, Rundfunkneuordnung in Ostdeutschland, 1991; speziell zur Privatrundfunkaufsicht in Sachsen auch Ders./Andreas Finckh, Rundfunkaufsicht zwischen Staatsfreiheit und Staatseinfluß, 1995.

2 Vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem: Erosionen des Rundfunkrechts. Tendenzen der Rundfunkrechtsentwicklung in Westeuropa, 1990.

3 Vgl. Rainer Frenkel, SDR + SWF = SWR, schamlos, in: Die Zeit Nr. 18 v. 25.4.1997, S. 53. Auffällig ist insbesondere die in § 3 SWR-StaatsV vorgenommene detaillierte Bestimmung von Zahl und Art der vom SWR zu veranstaltenden Programme. Ob diese Determination mit der grundgesetzlichen Programmfreiheit des Rundfunks in Einklang steht, kann hier nicht näher untersucht werden.

4 Vgl. z.B. Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht Bd. 57, S. 295, 320; Bd. 73, S. 118, 182f.; ständige Rechtsprechung; Hubertus Gersdorf, des Rundfunks in der Dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1991; Wolfgang Hoffmann-Riem, Finanzierung und Finanzkontrolle der Landesmedienanstalten, 2. Aufl. 1994, S. 49ff.

5 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 90, S. 60, 87.

6 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 57, S. 295, 320.

7 Es fehlt im SWR-StaatsV eine ausdrückliche Bestimmung, nach der die von den Landtagen entsandten Vertreter im Wege der Verhältniswahl zu bestimmen sind. Ein Wahlverfahren, das es den jeweiligen Regierungsmehrheiten erlaubte, die Landtagsvertreter nur mit Abgeordneten der eigenen politischen Ausrichtung zu besetzen, widerspräche allerdings eindeutig dem Verbot einseitiger Einflußnahme und wäre daher unzulässig.

8 Vgl. Zu entsprechenden Entwicklungen im Rundfunkrat des NDR Klaus Berg. Nach langem Streit ein konservatives Modell, in: Wolfram Köhler (Hrsg.), Der NDR. Zwischen Programm und Politik, 1991, S. 307ff., 322ff.

9 Zur Wahl des Intendanten ist die Mehrheit der Stimmen der gesetzlichen Mitglieder von Rundfunkrat und Verwaltungsrat erforderlich. Ob die „Doppelmitglieder“ dabei auch doppeltes Stimmrecht haben sollen, ist im Staatsvertrag nicht geregelt.

10 Vgl. Etwa Christoph Degenhart in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1, 2, Rnr. 556; Dieter Grimm in: Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, Rnrn. 74ff.; Detlev Schuster, Meinungsvielfalt in der Dualen Rundfunkordnung, 1990, S. 148; Christoph Wagner, Die Landesmedienanstalten, 1990, S. 130. Anderer Ansicht etwa Hubertus Gersdorf, Staatsfreiheit des Rundfunks in der Dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 106ff.

11 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 73, S. 118, 164.

12 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 57, S. 295, 334; Bd. 73, S. 118, 182; Bd. 74, S. 297, 324; Bd. 83, S. 238, 323.

13 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 73, S. 118; Bd. 83, S. 238, 323.

14 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 12, S. 205, 263.

15 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 73, S. 118, 165; Bd. 83, S. 238, 330.

16 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 90, S. 60, 88.

17 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 90, S. 60, 88f. 

18 Vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem, Finanzierung und Finanzkontrolle der Landesmedienanstalten, 2. Aufl. 1994, S. 51f. Vgl. Auch schon Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 83, S. 238, 331, wo das Gericht eine sachliche Rechtfertigung der kommunalen Beteiligung an der Veranstaltung von Rundfunk in Nordrhein-Westfalen darin erblickt, daß sie ein „Gegengewicht gegen die Gefahr eines vorwiegend kommerziellen Interesses an der Rundfunkveranstaltung schafft und dazu beitragen kann, die lokalen Belange im Rundfunk angemessen zur Geltung zu bringen.“

19 Allerdings wird der Verwaltungsrat in einigen Bundesländern ausschließlich vom Rundfunkrat gewählt, so daß der Staatseinfluß in diesem Organ kleiner ist, als im SWRStaatsV vorgesehen. Auch die Besetzung des Rundfunkrats ist teilweise deutlich staatsferner: Beim Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (ORB) sind z.B. keine Regierungsvertreter und nur ein Parteienvertreter pro Landtagsfraktion Mitglied des Rundfunkrats.

20 Das gilt auch für § 6 SWF-StaatsV, dort muß diese Überschrift allerdings wohl als bloße Ungenauigkeit angesehen werden.

21 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 60, S. 53, 67.

22 Ernst W. Fuhr; ZDF-Staatsvertrag, 2. Aufl. 1985, S. 140ff., 142.

23 Einen derartigen Ausgleich sehen die Vorschriften in einigen anderen europäischen Ländern vor, vgl. Bernd Holznagel, Rundfunkrecht in Europa, 1996, S. 289.

24 Lediglich das Ausmaß der Äußerungsbefugnis wird durch das Wörtchen „angemessen“ begrenzt. Angemessen ist eine solche Instrumentalisierung des Rundfunks jedoch nie.

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