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Cliquen und Klüngel in Saarbrücken

Wilfried Voigt ist ein politisches Sittengemälde gelungen,

aus: vorgänge Nr. 194, Heft 2/2011, S. 128-129

Es war ein politischer Paukenschlag. Hubert Ulrich, der Landesvorsitzende der GRÜNEN im Saarland, die in mehreren Verhandlungen mit der SPD und der Linkspartei den Eindruck erweckt hatten, sie strebten eine rot-rot-grüne Koalition an, empfahl den Delegierten des Landesparteitages am 16.10.09 die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Christ- und Freidemokraten. Und am 8.11.09 stimmten nur 10 von 130 Delegierten gegen diese Koalition.

Wilfried Voigt (2011): Die Jamaika Clique. Politische Machtspiele an der Saar, Conte-Verlag 2011, 204 Seiten, 14,90 €.

Mit der Schilderung dieses vielleicht spektakulärsten Wendemanövers in der bundesdeutschen Parteiengeschichte beginnt Wilfried Voigt seine Darstellung über politische Machtspiele an der Saar in den letzten 10 Jahren. Er schildert den Werdegang des Unternehmers Hartmut Ostermann, seine dubiosen Geschäfte, die ihm u. a, mehrere Tage U-Haft, Strafanzeigen und Ermittlungsverfahren einbrachten, seinen Einfluss auf die saarländische FDP und den FC Saarbrücken, seine Rolle als zeitweiliger „Arbeitgeber” von Hubert Ulrich und im Berliner Bankenskandal sowie seine Pflege der politischen Landschaft an der Saar, die den Grünen in den Jahren 2008/2009 insgesamt 57.000 € an Spenden einbrachten – die größte Einzel-spende in der 30jährigen Geschichte der Saar-Grünen.

Die FDP erhielt in diesem Zeitraum 369.000 € von Herrn Ostermann, dem starken Mann der FDP, der aber auch nicht verhindern konnte, dass seine Partei 2010 in schwere Turbulenzen geriet. Ihr Landtagsfraktionschef Horst Hinschberger erstattete im Mai Strafanzeige gegen die Führungsgremien der liberalen Saarbrücker Stiftung „Villa Lessing”, namentlich gegen den Ehrenvorsitzenden Werner Klumpp und den früheren saarländischen Wirtschaftsminister Horst Rehberger. Nach einigen Monaten des Hauens und Stechens standen am Ende die Rücktritte des schwachen Landesvorsitzenden Hartmann und des Fraktionschefs Hinschberger.

Im Mittelpunkt des Buches steht allerdings der tiefe Einblick in das Innere der Grünen Saar und vor allem das Agieren des Landesvorsitzenden Hubert Ulrich. Es lässt den Leser an der innerparteilichen Demokratie zweifeln und zeigt einen Vor-sitzenden, der alle Skandale übersteht so-wie seine politischen Gegner zur Resignation bringt. Ulrich übernahm den Landesverband 1990. Bereits kurze Zeit später gab es erste Beschwerden seiner Co-Vorsitzenden u.a. über sein Macho-Gehabe. Weitere Beschwerden folgten. Dies hinderte Ulrich nicht, den Landes-verband systematisch auf sich auszurichten und sich gefügsam zu machen. Er besetzte die Geschäftsstelle mit Personen seines Vertrauens, bildete einen Kreis von Beratern, die er später mit gut dotierten Posten versorgte (Direktor des Sparkassenverbandes, Staatssekretär), band aber auch politische Gegner geschickt ein und sicherte sich so ihre Unterstützung. Wer gegen ihn war, wurde weg gemobbt. Aus seinem Kreisverband nahmen Parteimitglieder an Parteitagen und anderen Delegiertenkonferenzen teil, die keine Beiträge zahlten. Das Landesschiedsgericht erklärte deshalb alle Beschlüsse der Landesdelegiertenkonferenz vom 16. Juni 1991 für nichtig. Das Bundesschiedsgericht gab Ulrich allerdings 1993 Recht. Ein anderes Mittel, sich Mehrheiten zu verschaffen, waren sogenannte fliegende Ortsvereine. Ulrich überstand Sonderermittlungen der Bundespartei, eine Dienstwagenaffäre, intransparente Spenden seitens des FDP-Mitglieds Ostermann, einen kleinen Skandal um seine Beschäftigung bei einer Firma, an der Ostermann beteiligt war und schließlich die Vorwürfe, vereinbarte Diätenanteile nicht an die Parteikasse abgeführt zu haben.

Das alles ereignete sich in einer Partei, die einmal angetreten war, um anders zu sein als die etablierten Parteien. Transparenz, Offenheit, Diskussionsbereitschaft sollten ihr Markenzeichen sein. Davon ist unter dem Vorsitzenden Ulrich nicht mehr viel geblieben. Die Partei — so der Autor — zeigt sich als ein Meer der Ruhe.

Dies alles schildert Voigt, der als Journalist 10 Jahre für die Frankfurter Rund-schau und 18 Jahre für den Spiegel u. a. über das Saarland berichtete, spannend und gut lesbar. Die Zitate aus internen Papieren geraten allerdings manchmal ein wenig zu ausführlich. Er liefert zugleich ein Stück Geschichte politischer Kultur an der Saar. Abgerundet wird dieser Streifzug durch den Hinweis auf illegale Wahlwerbung der Staatskanzlei. Ministerpräsident Peter Müller musste sich vom Verfassungsgerichtshof vorhalten lassen, im Wahlkampf 2009 durch illegale Öffentlichkeitsarbeit gegen die Verfassung verstoßen zu haben. Fragt sich, ob dies die richtige Empfehlung für das Amt eines Richters am Bundesverfassungsgericht ist.

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