Themen / Datenschutz

Staatliche Daten­samm­lungen in EU-Ländern

01. Februar 2015

Ergebnisse eines multinationalen EU-Projektes. Aus: vorgänge Nr. 206/207 (Heft 2-3/2014), S. 144-151

(Red.) Obwohl die EU-Datenschutzrichtlinie seit nunmehr 20 Jahren gilt, unterscheiden sich Ausmaß und Praxis der staatlichen Datenspeicherung in den Mitgliedsstaaten der EU sehr stark. Diese Unterschiede darzustellen, die Datenschutzstandards in verschiedenen Ländern zu vergleichen und best practices für die datenschutzkonforme Speicherung zu formulieren, das waren die Ziele eines von der EU-Kommission geförderten Projektes, an dem sich die Humanistische Union beteiligt hat. Axel Bußmer schildert die Vorgehensweise des Projektes und stellt dessen wichtigste Ergebnisse vor.

Seit den 1970er Jahren werden in  Behörden immer mehr Computer eingesetzt. Zur gleichen Zeit entstanden die ersten Datenschutzgesetze, 1978 wurde der erste Bundesbeauftragte für Datenschutz berufen. Seitdem sind Computer und Datenbanken ein fester Bestandteil von modernen Verwaltungen, der immer weiter ausgebaut wird: zur Verbrechensbekämpfung, zur Steuererhebung, zur besseren Steuerung von Politik. In den Datenbanken sind zunehmend personenbezogene Informationen über die Bürger_innen gespeichert. Oft kann mit wenigen Anfragen erschreckend viel über eine Person herausgefunden werden; einmal gemachte Eingabefehler können sich endemisch verbreiten.

Mit der zunehmenden Europäisierung und Globalisierung nahm auch die datenverarbeitende Zusammenarbeit über die Ländergrenzen hinweg zu. Im Sicherheitsbereich entstanden beispielsweise europäische Datenbanken wie das Schengener Informationssystem (SIS) oder Eurodac. Dennoch ist das Wissen über die Datenerhebung und -verarbeitung in anderen Ländern vor allem anekdotisch. Vergleichende Studien gibt es kaum. Das Wissen über die Daten, die in anderen EU-Ländern  gespeichert werden, wie groß der Einfluss der Datenschutzbeauftragten ist und welche Probleme in verschiedenen Ländern besonders drängend sind, ist jedoch für eine länderübergreifende Bürgerrechtsarbeit wichtig.

Deshalb beteiligte sich die Humanistische Union 2013 und 2014 an dem von der Europäischen Union gefördertem multilateralen Projekt „Fichage, informer les citoyens: passeport pour la protection des données personnelles“. Zu den Projektpartnern gehörten die europäischen Netzwerke AEDH (European Association for the Defence of Human Rights) und MEDEL (Magistrats européens pour la démocratie et les libertés) sowie die nationalen Nichtregierungsorganisationen LDH (Ligue des droits de l’Homme in Frankreich), HCLU (Hungarian Civil Liberties Union in Ungarn) und ALOS-LDH (Action Luxemburg Ouvert et Solidaire – Ligue des droits de l’Homme in Luxemburg). Die Projektleitung lag bei der französischen „Ligue des droits de l’Homme“ (LDH).

Für das Projekt wurden vier Politikfelder ausgewählt, in denen sensible Daten erhoben werden: Bildung, Gesundheit, Polizei und Justiz. Vor der ersten Analyse wurde angenommen, dass es hier leicht vergleichbare Datenbanken und ein ähnliches Problembewusstsein in der Bevölkerung gibt und in den untersuchten EU-Staaten eine vergleichbare Situation vorliegt.

In einem ersten Untersuchungsschritt wurden Datenbanken aus allen vier Politikfeldern in den zu untersuchenden Ländern ausgewählt. Allein schon ein Blick auf die untersuchten Datenbanken (s. Übersicht unten) ist aufschlussreich: So sind zentrale Melderegister nur in zwei Staaten vorhanden; eine spezielle Datenbank mit Terrorverdächtigen scheint es nur in Deutschland zu geben. Die Idee, dass es leicht vergleichbare staatliche Datenbanken in allen beteiligten Ländern gibt, musste daher schnell aufgegeben werden. Zu den untersuchten Ländern gehörten Frankreich, Deutschland, Ungarn und Luxemburg (die Herkunftsländer der beteiligten Projektpartner) sowie Österreich, der Tschechischen Republik, Finnland, Griechenland, Italien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und das Vereinigten Königreich. Mit der Länderauswahl konnte ein repräsentativer Überblick der EU-Mitgliedsstaaten für die vergleichende Analyse behördlicher Speichersysteme in der EU gewonnen werden. Die untersuchten Länder repräsentieren die geografische, historische, kulturelle und politische Vielfalt der EU.

Um vergleichbare Ergebnisse zu erhalten, wurde ein Analyseraster erstellt, nach dem die jeweils untersuchten staatlichen Datenbanken beschrieben und bewertet wurden:

  • der Zweck des Speichersystems und seine Verwendung,
  • Kriterien, nach denen Personendaten in dem System gespeichert werden,
  • Inhalt und Umfang der gesammelten Daten,
  • der Rechtsrahmen und die bestehenden/geplanten Datenschutzgarantien (vor allem Speicherfristen, die Rolle der Aufsichtsbehörden, Risiken und (Missbrauchs-)Gefahren, Rechtsschutzmöglichkeiten),
  • das öffentliche Wissen über die Speichersysteme und der zivilgesellschaftliche Protest dagegen.

Schnell wurde den Projektteilnehmer_innen deutlich, wie viele unterschiedliche Datenbanken es vor allem bei der Polizei und der Justiz gibt, wie wenig die Öffentlichkeit über sie weiß und wie spärlich konkrete Informationen über die Datenbanken, ihren Aufbau und Inhalt publiziert wurden. Die Analyse der verschiedenen Datenbanken zeigte auch, dass nur die wenigsten Datenbanken miteinander vergleichbar waren. Wirklich kompatibel war eigentlich keine Datenbank, weil schon bei der Eingabe Sachverhalte und Merkmale anders kodiert werden und es teilweise in den anderen EU-Staaten kein Äquivalent zu einer bestimmten Datenbank gibt. Außerdem unterscheiden sich EU-Länder – auch wegen ihrer unterschiedlichen Größe – erheblich in ihrem Staats- und Verwaltungsaufbau. Es gibt zentralistische  Länder wie Frankreich, in denen eine staatlich geplante Datei sofort im ganzen Land gilt, während in einem föderalistischen Land wie Deutschland die Bundesländer in einigen Politikbereichen weitgehend frei handeln.Insofern schärften die vergleichenden Studien und der Austausch untereinander das Bewusstsein für die Sicht anderer Länder und deren Umgang mit Daten.

Ergänzend wurden die Verbindungen der nationalen Datenbanken mit europäischen Datenbanken betrachtet, die vor allem im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit wichtig sind. Dabei handelt es sich um das Schengener Informationssystem II (SIS II), das Eurodac-System, das Visa-Informationssystem (VIS) sowie das ECRIS-System.

Auf der Grundlage der über achtzig Datenbankanalysen wurden in einem zweiten Schritt zusammenfassende Länderberichte über alle untersuchten Staaten verfasst, in denen die jeweils zentralen Datenschutzdefizite zusammengefasst sind. Die Ergebnisse dieser Länderberichte (die HU-Projektmitarbeiter_innen untersuchten Deutschland, Österreich und das Vereinigte Königreich) fasst ein „Vergleichender Überblick über die Gesetze und Praktiken im Hinblick auf behördliche Speicherung in vierzehn Ländern der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem Rechtsrahmen der EU“. Dieser Bericht, der die Kernpunkte der inhaltlichen Recherchen aller Projektteilnehmer_innen bündelt, konzentriert sich auf vier Punkte:

  • Rechte und Freiheiten, die durch die Speichersysteme betroffen sind
  • die Transparenz der Speichersysteme und deren Verwaltung (u.a. das Wissen der Bürger_innen zu diesen Speichersystemen und die in den Datenbanken gespeicherten Informationen)
  • das Verfahren zum Rechtsschutz
  • die Rolle der Kontrollstellen: ihre Befugnisse, Mittel und Tätigkeiten.

In der Schlussphase des Projektes entstanden aus den Vorarbeiten mehrere für die Öffentlichkeitsarbeit nutzbare Materialien, die über die Humanistische Union zu beziehen sind: (1)

  • ein Online-Quiz, mit dem Interessierte ihre Kenntnisse über den europäischen Datenschutz testen können
  • die „Hit-Parade“, ein vierseitiges Informationsblatt über „Staatliche Datenbanken in 14 europäischen Staaten – Wissen Sie, in welchen Datenbanken Sie erfasst werden können?“
  • einen 16-seitigen Datenschutz-Pass „Staatliche Datensammlung – Sind Bürger gefährdet?“, in dem ausgewählte Ergebnisse und Tipps zum Schutz der Privatsphäre stehen

Als Hintergrundmaterialien stehen für Interessierte außerdem der 70seitige „Vergleichende Überblick über die Gesetze und Praktiken …“ und (auf Englisch) alle 14 Länderberichte des im Sommer 2014 abgeschlossenen Projektes zur Verfügung.

Am Ende des Projektes ist eine beeindruckende Menge an Material entstanden, das für künftige internationale Bürgerrechtsarbeit sicher wertvoll, aber aus wissenschaftlicher Perspektive auch etwas unbefriedigend ist. Vor allem bei der Vergleichsstudie fällt auf, dass es kein einheitliches Analyseraster gab.(2) Letztendlich wurden in dem Projekt doch Einzelfälle aneinander gereiht. Zwischen der jeweiligen Datenbank und dem Staatsaufbau, vor allem dem Aufbau der Verwaltung, konnte im Rahmen der Projektarbeit keine Verbindung herausgearbeitet werden. Auch die Frage, inwiefern die Datenbanken für ihren jeweiligen Zweck erfüllen und ob sie für die politischen Zielsetzungen dienlich sind, blieb leider unberücksichtigt. Daher verwundert es auch nicht, dass die für jeden Bereich formulierten Forderungen an die Politik zwar bürgerrechtlich begrüßenswert sind, sich aber nicht aus den Daten des Projektes und dessen Analyseraster herleiten. Dennoch leisten die Länderberichte und die darauf basierende Vergleichsstudie Pionierarbeit. Hier wurden erstmals die Datenschutzregime mehrerer EU-Staaten aus zivilgesellschaftlicher Perspektive miteinander verglichen. An diese Vorarbeiten können und sollten weitere Studien, in denen auch die Thesen des Projektes zu überprüfen wären, anschließen.

Ausgewählte Ergebnisse des Projektes

Krimi­na­li­täts­be­kämp­fung und polizei­liche Datenbanken

Die polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb der EU war oft der Schrittmacher für den europäischen Datenaustausch. Die wichtigsten Stationen dieser Entwicklung sind: das Schengener Abkommen bzw. dessen Durchführungsvereinbarung mit der Errichtung des gleichnamigen Informationssystems (1990); die Errichtung der europäischen kriminalpolizeilichen Zentralstelle Europol (1999); die Erfassung der Fingerabdrücke aller über vierzehnjährigen Flüchtlinge, die in der EU einen Asylantrag stellen, im EURODAC-System (seit 2000); die Speicherung der VISA-Antragsteller sowie ihrer Kontaktpersonen im VISA-Informationssystem (VIS, seit 2011).

Aus dem Sicherheitsbereich wurden im Rahmen des Projektes die meisten Datenbanken untersucht. Dabei beschränkte sich das Projekt auf polizeiliche Datenbanken, weil geheimdienstliche Datenbanken prinzipiell nicht öffentlich und deshalb noch schwieriger zu beurteilen sind.

Aus datenschutzrechtlicher Perspektive kritisch sind das französische Dokumentationssystem für Straftaten (STIC) und das deutsche Informationssystem der Polizei (INPOL). Beide erlauben es auch, selbstverfasste Bemerkungen zu den gespeicherten Personen zu erfassen. Das können Angaben zur ethnischen Herkunft, zu religiösen oder politischen Überzeugungen, zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder zum Sexualleben sein. Solche Freitextfelder, in denen willkürlich weitere, eventuell diskriminierende Informationen erfasst werden können, scheint es nur in Deutschland und Frankreich zu geben.

Von der Polizei benutzte DNA-Datenbanken gibt es in allen untersuchten Ländern. Sie unterscheiden sich allerdings erheblich in der Zielgruppe, den Voraussetzungen für eine DNA-Entnahme und der Verwendung der Daten. So dürfen im Vereinigten Königreich vor 2012 erhobene DNA-Daten auf unbestimmte Zeit gespeichert werden. Das betrifft DNA-Proben von sieben Millionen Menschen, die wegen einer registrierten Straftat von der Polizei in Gewahrsam genommen wurden. Ebenso sind 77 Prozent der jungen, in England und Wales lebenden schwarzen Männer zwischen 15 und 34 Jahren erfasst. In Frankreich wurden dagegen viele Demonstrant_innen zur Abgabe einer DNA-Probe gezwungen, weil sie Eigentum beschädigt haben sollten. In Luxemburg kann eine DNA-Probe ohne Zustimmung der Person genommen werden, wenn sie verdächtigt wird, eine schwere Straftat begangen zu haben. Unterschiedlich ist auch die Kontrolle durch die Betroffenen und die Datenschutzbehörden geregelt. So musste sich die griechische Datenschutzbehörde (HDPA) noch nie mit einer Beschwerde wegen unsachgemäßer DNA-Speicherung beschäftigen, weil sie, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, keine rechtliche Befugnis zur Überprüfung der DNA-Datenverarbeitung hat.

Datenbanken der Justiz

Die wichtigste Datenbank im Justizbereich ist das „Strafregister“, das Informationen über die Straftaten enthält, für die eine Person verurteilt wurde. An diesem Register zeigen sich besonders eindringlich die bereits erwähnten Probleme der mangelnden Vergleichbarkeit selbst gleichartiger Datenbanken. Da die strafrechtlichen Bestimmungen in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU nicht deckungsgleich sind, können die gleichen Handlungen in einem Land eine Straftat darstellen, und in einem anderen Land weitgehend legal sein.

Das gilt zum Beispiel für den Umgang mit Schwangerschaftsabtreibungen in den untersuchten Ländern: in einigen sind sie (bei unterschiedlichen Fristen) erlaubt, teilweise sind sie verboten oder stehen unter Strafvorbehalt. Ein Unfall, bei dem die Schwangere eine Fehlgeburt erleidet, würde in Ungarn unter Umständen als fahrlässige Tötung des Kindes verfolgt – in Frankreich dagegen nicht. Aber nicht nur das Strafmaß ist unterschiedlich, sondern auch die anschließende Dauer des Eintrags im Strafregister. So kann es sein, dass nach der gleichen Frist der Eintrag in einem Land bereits gelöscht wurde, während er im Strafregister des anderen Landes noch enthalten ist. Schließlich unterscheiden sich auch die Zugriffsmöglichkeiten für Justiz-, Polizei- und andere Behörden. Dennoch können die nationalen Strafregisterdatenbanken europaweit durchsucht werden, wodurch unbeabsichtigte Diskriminierungseffekte entstehen, wenn das gleiche Verhalten in verschiedenen Strafregistern unterschiedlich behandelt wird.

So werden in Frankreich Verbrechen gegen die Menschlichkeit niemals aus dem Strafregister entfernt, andere Straftaten spätestens nach 40 Jahren. In Deutschland bleiben Straftaten zwischen sechs und 21 Jahren gespeichert. In Spanien dagegen werden die schwersten Straftaten bereits nach fünf Jahren gelöscht. Die unterschiedlichen Löschfristen sind besonders problematisch, wenn ehemalige Straffällige ein Polizeiliches Führungszeugnis bzw. eine Strafregisterbescheinigung (Österreich) vorweisen müssen und ihnen eventuell der Zugang zu bestimmten Berufen verwehrt bleibt.
Die Projektstudie fordert daher, dass im Gesetz alle Situationen genannt werden, in denen die Strafregistereinträge einer Person beantragt oder eingesehen werden können. Es wird angeregt, dass in den Strafregistern nicht die Straftaten, sondern die gesperrten Tätigkeiten aufgelistet werden, die automatischen Löschfristen verkürzt und Einträge vollständig gelöscht werden, wenn die betroffene Person rehabilitiert ist.

Datenbanken im Bildungs­be­reich

Im Bildungsbereich ermittelte das Projekt die größten Unterschiede zwischen den untersuchten Staaten. Während es in Deutschland keine nationale Datenbank über Schüler gibt und nur Bayern und Hessen entsprechende Datenbanken auf Landesebene unterhalten, gibt es in vielen anderen EU-Staaten nationale Schülerdatenbanken, in denen teilweise sehr viele Daten gespeichert werden. Einige dieser Datenbanken sind nicht anonymisiert oder erlauben es, wie in Luxemburg, die Identität der Schüler_innen herauszufinden.

So werden im Vereinigten Königreich seit 1996 in der National Pupil Database über vierzig Merkmale pro Schüler_in gesammelt, unter anderem Prüfungsergebnisse, Muttersprache, Anwesenheit, Anspruch auf kostenlose Schülermahlzeiten, besonderer pädagogischer Förderungsbedarf und ethnische Abstammung. Das Ziel der Datenbank ist die Ermittlung des Förderbedarfs und der zielgerichtete Einsatz von kommunalen Mitteln. Zunächst wurden die Daten anonym erhoben, nach Gesetzesänderungen 2000 und 2009 ist es nun möglich, eine Liste aller Schüler_innen zu erstellen. Weil der Zugriff zeitlich nicht befristet und die Löschung der Daten nicht geregelt sind, dürfen im Vereinigten Königreich die Schüler_innendaten unbegrenzt gespeichert werden.

Nach der europäischen Richtlinie 95/46/EG ist die Verarbeitung religionsbezogener Daten grundsätzlich verboten. Dennoch werden in Griechenland, Ungarn, Italien und Österreich solche Daten mehr oder weniger umfangreich erhoben. Die Projektstudie empfiehlt, dass Schüler- und Studentendaten (in einigen Ländern sind auch Studierende in den Schülerdatenbanken enthalten) nur auf der Schulebene bzw. kommunaler/ regionaler Ebene (also einer unteren Verwaltungsebene) gesammelt werden. Bevor solche Daten auf nationaler Ebene aggregiert werden, müssten sie anonymisiert werden. Die Speicherfristen sollten verkürzt werden, um dem besonderen Schutzanspruch der Minderjährigen gerecht zu werden; teilweise sei eine Löschung schon während der Schulzeit angemessen. Außerdem sollte die Information der Betroffenen (bzw. der Eltern) und die Beteiligung der Datenschutzbehörden bei Errichtung und Kontrolle der Datenbanken verbessert werden.

Datenbanken im Gesund­heits­be­reich

Im Gesundheitssystem werden Daten erhoben, die oft den Intimbereich der Patient_ innen bzw. Versicherten berühren. Bislang waren diese Daten besonders gut gegen Zugriffe Dritter geschützt. Mit der Elektronischen Gesundheitskarte, die unter verschiedenen Namen in den untersuchten Ländern eingeführt wurde oder wird, kann sich das ändern. Teilweise sind die Zugriffsrechte unzureichend geregelt, in manchen Ländern werden viele Informationen auf den Elektronischen Gesundheitskarten gespeichert. Ein positives Beispiel sind die restriktiven Zugriffsregeln in Finnland. In Italien, Tschechien und Ungarn werden die mehr oder weniger anonymen Patientendaten auch für Forschungszwecke verwandt. In Ungarn werden personenbezogene medizinische Daten zur Prävention von Straftaten, für polizeiliche Ermittlungen, Eignungstestes und Schulungsprogramme verwendet.

Ein Problem bei der Elektronischen Gesundheitskarte ist die Erhebung der Daten und der Umfang der auf der Karte gespeicherten Daten. In Deutschland werden derzeit, nach langen Proteste und zahlreichen technischen Schwierigkeiten, fast nur Personenstammdaten und kaum medizinische Informationen auf der Karte gespeichert. In den anderen EU-Ländern ist teilweise erheblich mehr gespeichert. Oft ist es möglich, zusätzlich zu den Pflichtangaben (wie Name und Versicherungsnummer) zusätzliche Daten auf Wunsch zu speichern. Im Vereinigten Königreich gehören die Arzneimittelunverträglichkeiten und Allergien zu den Pflichtangaben; in Deutschland dagegen gehören die Blutgruppe und Allergien zu den fakultativen Angaben.

Die Projektstudie fordert, dass alle Gesundheitsdaten auf der Karte nur mit Zustimmung der Patient_innen gespeichert werden dürfen; dass die Daten verschlüsselt zu speichern sind, dass elektronische Gesundheitsaktensysteme auf Patienten zu beschränken sind, die sich in einer kostenintensiven und langfristigen Behandlung befinden; dass Dritte, wie Banken und Versicherungen, keinen Zugriff auf zentrale Gesundheitsdatenbanken haben dürfen und dass die Daten für die statistische Verwendung zu anonymisieren sind. 

AXEL BUßMER   studierte Politologie, Soziologie und Philosophie in Konstanz. Er ist seit über zehn Jahren im Landesverband Berlin-Brandenburg der Humanistischen Union aktiv, deren Geschäftsführer er derzeit ist.

Anmerkungen:

(1) Das Quiz und die digitale Version der Materialien sind abrufbar unter: https://www.humanistische-union.de/index.php?id=2947. Die gedruckten Materialien können über den Online-Shop der Humanistischen Union oder die Bundesgeschäftsstelle bezogen werden (s. Impressum).

(2) Siehe dazu den Beitrag von Kuhn in diesem Heft.

Untersuchte Datenbanken des Projektes

JUSTIZ

Strafregister: Österreich, Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Polen, Portugal, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und Vereinigtes Königreich

POLIZEI

Biometrische Pässe: Frankreich, Deutschland und Spanien
Melderegister: Österreich u. Deutschland
DNA-Datenbanken: Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Tschechische Republik und Vereinigtes Königreich
Fingerabdruckregister für Straftäter_innen, an Straftaten beteiligte Personen und/oder Migrant_innen: AFIS (Deutschland), FAED und AGDREF 2 (Frankreich), PERPOL und ADEXTRA (Spanien) sowie IDENT1 (Vereinigtes Königreich)
Repressive polizeiliche Datenbanken: INPOL (Deutschland), TAJ und STIC (Frankreich), Integriertes Polizeiliches Informationssystem (Portugal), SIGO, INTPOL, PER-POL und Archivo GATI (Spanien) sowie Robo-Cop (Ungarn)

BILDUNG

Schülerdatenbanken: in 2 deutschen Bundesländern sowie in Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Österreich und Polen
Datensammlungen zu Religion, Gesundheit und ethnischer Herkunft: Griechenland, Italien und Ungarn

GESUNDHEITSWESEN

Gesundheitsaktensysteme: Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Polen, Tschechische Republik, Ungarn und Vereinigtes Königreich
elektronische Gesundheitskarte: Deutschland und Österreich

Daneben wurden spezielle Datenbanken untersucht, die es in dieser Form normalerweise nur in einem Land gibt:

JUSTIZ

Fahrzeug- und Fahrerdatenbank (Finnland)
Speichersystem Cassiopée (laufende Rechtsverfahren) und Speichersystem für Sexual- und Gewaltstraftäter (FIJAISV, beides Frankreich)
Register freiheitsentziehender Maßnahmen, von Beschlagnahmungen und nicht rechtskräftigen Urteilen sowie Speichersystem für Kriminalermittlungen INTCFADNIC (Spanien)

POLIZEI

Antiterrordatei (Deutschland)
Webseite gesuchter Personen (Griechenland)
kriminalpolizeiliche Informationssystem zu Minderjährigen (GRUMEN) sowie Datei für Sozialversicherungsbetrug (Archivo SISS, beides Spanien)
Videoüberwachung im Flüchtlingszentrum des Flughafens Findel (Luxemburg)
Statistik- und Überwachungssystem von Flüchtlingen (OSCAR), automatische DNA-Datenbank (FNAEG, beides Frankreich)

BILDUNG

Studentendatenbanken (Slowenien)
Buch persönlicher Fähigkeiten (Frankreich)
Benutzerdatenbank der Nationalbibliothek (Luxemburg)

GESUNDHEITSWESEN

Informationssystem über HIV-Infizierte (SINIVIH, Spanien)
Verzeichnis zwangseingewiesener Personen (HOPSY), Sammlung medizinischpsychiatrischer Informationen (RIM-Psy), pharmazeutisches Speichersystem und Nationale Liste für Sozialhilfe (RNCPS/SGNI, Frankreich)
Videoüberwachung im Luxemburger
Krankenhaus

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