Publikationen / vorgänge / vorgänge 26

Über die Abtreibung der Frauenfrage

vorgängevorgänge 2601/1977Seite 102-104

aus: vorgänge Nr.26 (Heft 2/1977), S.102-104

Marielouise Janssen-Jurreit: Sexismus. Über die Abtreibung der Frauenfrage. 755 Seiten, Hanser-Verlag, München 1977, 39,80 DM.

Da irrt ein Amokläufer durch die Redaktionen bundesdeutscher Medien: Ernest Borneman, Verfasser von „Das Patriarchat”, befindet sich auf dem Rachefeldzug gegen Marielouise Janssen-Jurreits „Sexismus” – wie gegen die Feministinnen schlechthin. Borneman kann wohl nicht verwinden, daß er den bundesdeutschen Feministinnen vergeblich sein „Kapital der Frauenbewegung” (Borneman über sein Buch) angedient hat. Seitdem M. Janssen-Jurreit im sozialdemokratischen Vorwärts einen Verriß des „Patriarchats” veröffentlicht hat (,‚Mißlungener Nachweis einer universalen matristischen Urkultur“), schlägt der in seiner Eitelkeit gekränkte Borneman gegen den „Sexismus” zu. Diffamierungen der Autorin oder aber der gesamten Frauenbewegung als angeblichen Wegbereiterinnen eines „antifeministischen Faschismus” sind dabei der rote Faden. Verfälschungen wie die Reduktion feministischer Thesen auf die „Homoerotik als politisches Konzept” sind dabei noch harmlos. Wes Geistes Kind der „Marxist” Ernest Borneman ist, belegt wohl eher dieses Zitat aus Warum: „Genau wie es heute in der ,autonomen` Frauenbewegung eine Anzahl von Frauen gibt, die sich als Sozialistinnen verstehen, so gab es in den homoerotischen Zellen der SA viele Männer, die sich als Sozialisten betrachteten, aber aus der KPD und SPD in Röhms Arme geflüchtet waren, weil sie meinten, dort eine freiere Entfaltung ihres spezifisch männlichen Sozialismus finden zu können.” Traurig, aber nicht überraschend, daß sich Redakteure als Bündnispartner für derartige „Rezensionen” hergeben. Für Marielouise Janssen-Jurreit ist Borneman ein „Scharlatan” und nichts weiter als ein „Däniken des Feminismus”…
Aus dem Geburtsland der neuen Frauenbewegung, den USA, kommen erste, enthusiastische Reaktionen auf den „Sexismus”. So schreibt Fran P. Hosken im „Women’s international network news” unter anderem: „Dieses Buch verspricht, dem Feminismus in aller Welt die Basis zu geben.” Ein amerikanischer und schwedischer Verleger haben bereits die Rechte gekauft.
Wie wichtig ist „Sexismus” wirklich? Stimmt der Begriff von Frauen und Männern als „zwei Nationen auf einem Boden”? Was hat es mit dem „Geschlechterkrieg” auf sich? Gab es tatsächlich matristische, also mutterrechtliche Kulturen, deren Merkmal repressionsarme Herrschaft war?
Festzuhalten ist, daß der Geschlechterkrieg keine Erfindung von Frauenrechtlerinnen ist. Vielmehr ist er wesenhaft Ausdruck der Herrschaft eines Geschlechts über das andere – des Sexismus. Janssen-Jurreit: „Feminismus richtet sich gegen den patriarchalischen Charakter aller existierenden Institutionen ohne Ausnahme.” Ihre umfassende kulturhistorische Analyse des „männlichen Welterklärungs-Monopols” war seit langem über-fällig. Es ist der erste mir bekannte Versuch, anhand einer Fülle von Materialien zu beweisen, daß eine Vorherrschaft männlicher Privilegien unabhängig von Klassenstrukturen durchgängig in der Geschichte vorhanden war und daß Matriarchate auch heute noch nicht definitiv nachgewiesen werden können.
Janssen-Jurreit beschreibt auf kluge und durch Quellen-Material belegte Weise, wie Unterdrückung von Frauen-Interessen systematisch von – zwangsläufig – patriarchalischen Historikern, Psychologen, Ethnologen und Politikern betrieben wurde. „Geschichte als die Verneigung von Männern voreinander.” So sieht es die Autorin mit ironischer Anspielung auf männliche Ignoranz und Unmenschlichkeit. Geschichtsschreibern wie Golo Mann wirft sie vor, nichts anderes zu entwickeln, als die „Perspektive eines Herrenabends”. Die Unterschlagung der Frauen in der Geschichte geht auf das Konto aller Historiker. Janssen-Jurreit: „Mit der Nennung einer einzigen deutschen Frau in der Geschichte des 19. Jahrhunderts unterbietet Golo Mann noch den Anteil, den Frauen in den Geschichtsbüchern für den Schulunterricht haben!” Charakteristisch für männliche Geschichtsschreibung ist nicht nur die Unterschlagung des weiblichen Beitrags überhaupt, sondern auch die Darstellungsweise von Entwicklungen, die ohne ihre Kämpfe dargestellt werden. Jurreit: „Das Frauenstimmrecht kam aus einem luftleeeren, geschichtslosen Raum. Es fiel sozusagen als spontane Idee vom Himmel.”
Dieses Zitat ist typisch für den Stil der Autorin. Ironie ist durchgängig und machte mir großen Spaß beim Lesen. Die große Gefahr für die Perpetuierung des Status quo im Patriarchat hat die Verfasserin vorallem in den Unterrichtsbüchern erkannt: „Solange Geschichtsschreibung einseitig für eine Identifikation mit männlichen Helden-und Führerrollen sorgt, wird sie ein patriarchalisches Propaganda-Instrument bleiben, das kleine Jungen lehrt, die Welt zu beherrschen und zu zerstören, weil sie sie als ihr Alleineigentum empfinden.”
Bisher unantastbare Größen wie etwa Oswald Spengler werden im Sexismus ihrer Reputation auf ganz simple Weise entkleidet, wenn frau/man beispielsweise Spenglers Devise erfährt: „Der Mann macht Geschichte, das Weib ist Geschichte” … Daß auch die sozialistischen Theoretiker nicht ungeschoren davonkommen, war zu erwarten. So analysiert Jurreit die Thesen Morgans und Bachofens über mutterrechtlichen Kulturen und kommt zu der Erkenntnis, daß diese Thesen – von Engels und Marx kritiklos übernommen – nicht mehr haltbar sind. Damit entzieht sie den sozialistischen Theoretikern den Boden für die Behauptung, daß es ökonomische Ursachen waren, die eine evolutionäre Wandlung mutterrechtlicher Kulturen ins Patriarchatbewirkthaben: „Die evolütionistische Annahme eines Matriarchats am Beginn der Geschichte, zusammen mit kommunistischer Haushaltung, war lange Zeit ein Grundpfeiler des histörischen Materialismus und machte viele Frauen zu überzeugten Anhängerinnen der sozialistischen Idee von der Frauenemanzipation. Seit dem Ende der Stalinära wurde jedoch die Matriarchats-Theorie offen oder versteckt von kommunistischen Vorgeschichtsforschern in Zweifel gezogen.” Der Nachweis für ein universelles Matriarchat fehlt also. Im Hinblick auf die Versuche in der Frauenbewegung, Belege für die Existenz frauendominierter Gesellschaften zu suchen, tröstet die Autorin mit einem überzeugenden Hinweis: „Der leicht zu führende Nachweis ihrer seit Jahrtausenden bis heute andauernden Unterdrückung genügt vollauf zur Begründung von Frauenforderungen.”
Bei den Exponenten der sozialistischen Theorie kommt Janssen-Jurreit zu erschütternden Aussagen über die frauenfeindliche Praxis der potentiellen Proletarier-Befreier. Es werden Brief stellen zitiert, in denen etwa Marx die Geburt einer Tochter gegenüber Engels bedauert. Über die Tränenbäche seiner Frau Jenny ergeht er sich ebenfalls ungerührt. Dazu die Autorin: „Die rücksichtslose intellektuelle Selbstverwirklichung von Marx, der intellektuelle Mehrwert, den er produzierte, ging zulasten seiner Frau Jenny.”
Engels wird angekreidet, daß er seine Gefährtin Lizzy Burns, eine Arbeitertochter, nicht vom Analphabetentum befreit habe. Das Leben der Marx-Töchter – so erfährt frau/man – war geprägt von all den Problemen, die ihr Vater in seiner Arbeit ausgespart hatte. Dabei kritisiert die Autorin nicht nur, daß das Thema Empfängnis-Verhütung von Engels und Marx nicht berührt worden war, sondern auch die Tatsache, daß die beiden die damals bereits vorliegenden Erkenntnisse über frauenspezifische Unterdrückung nicht berücksichtigt haben: „Marx und Engels entwickelten die Frauenfrage nicht nur nicht weiter, sondern sie blieben auch hinter vielen zeitgenössischen Denkansätzen zurück.” Im selben Jahr, als 1848 das Kommunistische Manifest in London verfaßt wurde, veröffentlichten Amerikanerinnen ein feministisches Manifest, das „einen andern Ton anschlug als die flehentlichen Bitten und Appelle deutscher Frauen, von den Männern als Menschen akzeptiert zu werden”. Karl Marx wird von Janssen-Jurreit vorgeworfen, nie die männliche Denkschablone durchbrochen zu haben. Und in Marxens Versuch, den Geschlechterwiderspruch aufzuarbeiten, findet sie nichts als „dialektische Phrasen”.
Die alte Frauenbewegung und ihre emanzipatorischen Kämpfe bis heute nehmen einen breiten Raum ein und gehören in die Unterrichtsbücher an jeder Schule. Die Feministin Janssen-Jurreit schmälert nicht die Verdienste der Frauen, die – mit dem Stimmrecht in der Tasche – glaubten, alle Voraussetzungen für die zwangsläufig weitergehende Gleichberechtigung der Frauen geschaffen zu haben. Daß dies ein Trugschluß war, erfahren wir nicht zuletzt aus den Statistiken über die Repräsentanz der Frauen in der politischen Hierarchie. Janssen-Jurreit stellt vehement den Weg der Frauen in die männlichen Institutionen infrage und schreibt: „Der Eintritt in die Männerparteien sollte ihnen endlich den ersehnten politischen Prestigegewinn bringen. Dafür kastrierten sie ihre eigenen wirkungsvollen und. erprobten Kampforganisationen und degradierten sie zu bedeutungslosen Verbänden im vorparlamentarischen Raum, statt sie als unabhängige politische Kräfte zu etablieren. Die Mitgliedschaft in diesen Parteien bedeutete die Zerstörung des Selbstbewußtseins und der ldentität, die sie sich in langen Kampagnen erworben hatten. Sie wurden wieder Sklavinnen – im besten FaliParadepferde und Aushängeschilder für eine männliche Parteielite.”
Diese Darstellung ist eine der brisantesten des Buches, fordert sie doch vorallem progressive Politikerinnen heraus, ihre „Dennoch-Haltung” zu rechtfertigen. Die Existenz der Frauenbewegung im außerparlamentarischen Raum jedoch zeigt, wie wirkungsvoll sie von außen patriarchalische Strukturen infrage stellen kann. Einen Beleg für die Vereinnahmung der Politikerinnen durch patriarchalische Institutionen liefert Frau Jurreit mit einer bisher unveröffentlichten Umfrage unter männlichen und weiblichen Parlamentariern. Auffällig ist dort das Ausmaß weiblicher Selbstverleugnung und die fast vollständige Anpassung an männliche Interessen. Seit der ehemalige bayerische Landtagspräsident die einzelne Frau im Parlament mit einer Blume verglich, eine Masse von Frauen jedoch mit Unkraut, hat sich die Verachtung der Politiker gegenüber ihrer weiblichen Konkurrenz kaum geändert.
Die Frage, inwieweit die Beteiligung der Frauen an der Produktion ein Weg für die Partizipation an politischer Macht sein kann, führt Janssen-Jurreit zu der Erkenntnis, daß der Anteil der Frauen an der Produktion zwar eine „notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für die Entwicklung des weiblichen Status” ist. Vielmehr vermißt die Autorin eine angemessene Bewertung aller Volkswirtschaften für die gratis geleistete Reproduktionsarbeit von Hausfrauen und Müttern. Daß es damit in den Ostblock-Ländern genauso schlecht bestellt ist wie in den kapitalistischen Ländern, erklärt sie so: „Da die androzentrische Perspektive von der sozialistischen Theorie in diesem Punkt nicht durchbrochen wurde, ist die unbezahlte und gesellschaftlich nicht eintauschbare Dienstleistung der Frau im Haushalt und an den Kindern, die von der berufstätigen Frau nach dem offiziellen Feierabend und an arbeitsfreien Tagen geleistet wird, das gemeinsame patriarchalische Fundament von sozialistischen und kapitalistischen Ländern.”
Dem Mutterkult als Unterdrückungsinstrument widmet die Autorin ausführliche Betrachtungen – angefangen von der Psychoanalyse bis zur ebenfalls wissenschaftlich monopolisierten Männerideologie über die angebliche Notwendigkeit einer einseitigen Mutter-Kind-Beziehung. Geschlechtsunterschiede, wie sie sich heute in der Macht-Ohnmacht-Beziehung zwischen Mann und Frau darstellen, schreibt die Verfasserin vorallem patriarchalisch dominierter Psychologie zu: „Männer neigen dazu, die gefundenen Geschlechtsunterschiede – sofern sie positiv in bezug auf traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit ausfallen – maximal zu interpretieren. Bei Frauen besteht die Tendenz, die gefundenen Geschlechtsdifferenzen – auch da, wo sie
eher positiv für die Frauen ausfallen – weitgehend zu minimalisieren.”
Nirgendwo wird eindringlicher belegt, daß die „Realität in unserer Gesellschaft vom Mann definiert wird, ohne ernsthafte Chance, sich der Allgewalt dieser Definitionen zu entziehen”, wie bei den Kapiteln über Sexualität und Gewalt. Die Informationen über die physische und psychische Amputation bei Frauen, insbesondere über die grauenhaften Genitalverstümmelungen in arabischen Ländern, sind beispielhaft für die lückenhafte Informationspraxis in den Männer-Medien. Janssen-Jurreit: „Die Leugnung der Klitoris als zentrales Sexualorgan der Frau geht weit über die Dimension eines anatomischen oder wissenschaftlichen Irrtums hinaus. Sie ist ein Anschlag auf die geistige Autonomie der Frau, die selbst nicht in der Lage ist, ihre eigenen Körpererfahrungen gegen männliche Definitionen durchzusetzen. Während die chirurgische Entfernung der Klitoris Orgasmusunfähigkeit zur Folge hat, erreicht die Freudsche Methode, die Klitoris durch eine simple Denkoperation zu eliminieren, einen Effekt, der psychologisch mit den Folgen einer Klitoris-Entfernung zu vergleichen ist.”
Ich erfuhr aus dem Seximus außerdem zum ersten Mal: von Frauenaufständen in Afrika, die in der Ausdehnung und Intensität zum Teil über heutige Frauenrevolten hinausgingen; ich erfuhr, daß die Dämonisierung des Weiblichen dazu geführt hatte, daß männliche Afrikaner aus der Sahel-Zone Nigerias die Unmoral ihrer Frauen für die Dürrekatastrophe verantwortlich gemacht hatten; ich erfuhr schließlich, daß es doch nicht die Frauen gewesen waren, die mehrheitlich für Hitler gestimmt hatten; und ich las Zahlen über die traditionellen Tötungen weiblicher Kinder, sowie Statistiken aus arabischen Ländern, wo der Anteil der Frauen weit unter dem Weltdurchschnitt liegt.
Der Sexismus in den westlichen Industrieländern hat zwar ein anderes Gesicht, die Auswirkungen aber sind dieselben. Marielouise Janssen-Jurreit läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß ihr und den Frauenrechtskämpferinnen nicht an einer Umkehrung der Machtverhältnisse liegt. Vielmehr will sie die Abschaffung des männlichen Welterklärungs-Monopols und eine Neudefinition weiblicher und männlicher Werte.

nach oben