Themen / Sozialpolitik

Weniger Sozial­po­litik, mehr Familie

13. Januar 1984

dies sind die Konsequenzen der Sparmaßnahmen im Sozialbereich für die Frauen

aus vorgänge Nr. 67 (Heft 1/1984), S. 83-87

»Die Arbeit der Mutter ist Dienst an der Gesellschaft« … »Mutterarbeit ist mehr als Erwerbsarbeit« … »Mutterarbeit führt zur Selbstverwirklichung der Frau« (die sanfte Macht der Familie 1981, 34/35).

Diese Zitate kündigen bereits den Geist der sozialpolitischen Wende an, der jetzt durch die Sparmaßnahmen politisch umgesetzt wird. Die ideelle Arbeit der Frauen als Mütter wird nicht nur gegenüber der Erwerbsarbeit der Frauen betont, sondern ihre Wertigkeit liegt auch jenseits der quantifizierbaren und in juristischen Kategorien ausdrückbaren sozialen Sicherheit.
Alle sozialen Leistungen, die – folgt man der jüngsten Diskussion –  den Frauen zur Unterstützung ihrer Rolle offeriert werden, z.B. das »Erziehungsgeld«, sind eben nicht als Ansprüche durch Erwerbsarbeit, Beiträge gegenüber dem Sozialstaat erworben, es sind Geschenke, Almosen oder Notgroschen und als solche fallen sie natürlich gering aus.
Die derzeitigen Sparmaßnahmen betreffen die Frauen daher in zweifacher Weise. Sie verringern das materielle Einkommen von Frauen, die auf soziale Leistungen angewiesen sind, im Falle von Erwerbslosigkeit, im Falle von sozialen Notlagen wie Krankheit, Behinderung und vor allem im Alter. Gleichzeitig zwingen diese Maßnahmen die Frauen direkt und indirekt zurück in die Abhängigkeit der Familie, in die Abhängigkeit vom Einkommen des Ehemannes. Diese Verschlechterung der sozialen Lage von Frauen ist bedingt durch ihre besondere Rolle auf dem Arbeitsmarkt, der »weiblichen« Tätigkeiten und deren geringeren Bezahlung. In diesem Sinne sind die Frauen ärmer als die Männer. Eine Tatsache, die vor allem als Armut im Alter bekannt ist, d.h. alte Frauen sind aufgrund ihrer niedrigen Rentenansprüche arm, wenn sie erwerbstätig waren und wenn sie als Hausfrauen und Mütter gearbeitet haben (vgl. zusammenfassend Koeppinghoff 1984).
Die besondere Konsequenz für Frauen liegt aber darüber hinaus in der genannten Transformation der Sozialpolitik in die Familienpolitik. Die Familie selbst wird als Ort der sozialen Sicherheit, der »Unterhaltspflicht«, der häuslichen Pflegeleistungen u.a. reaktiviert, die natürlich die Arbeit der Frauen voraussetzt, die wiederum unbezahlte Arbeit darstellt, die als Konsequenz ihrerseits mangelnde soziale Leistungen und Armut von Frauen bedeutet.
Diese Doppeldeutigkeit der sozialen Sicherung für die Frau, die einerseits in eigenen erworbenen Leistungsansprüchen mit der Einschränkung geschlechtsspezifischer Benachteiligung besteht, andererseits in sogenannten abgeleiteten Ansprüchen im Rahmen der »Unterhaltspflicht« des Ehemannes geregelt ist, hat bereits vor der Sparpolitik bestanden. Sie läßt sich durch das Sozial- und Familienrecht hindurch als Verschränkung der »alten« familiären Subsistenz mit dem »neuen« sozialen Sicherungssystem im Zusammenhang von Erwerbsarbeit aufspüren. Die »Doppelrolle« der Frau ist in den sozialpolitischen Systemen als Benachteiligung und Ausschluß der Frau systematisch eingegangen (vgl. zusammenfassend Riedmüller 1984). Die gegenwärtige Substitution der Sozialpolitik durch die Familienpolitik bedeutet aber insofern einen Rückfall hinter die Sozialpolitik der vergangenen Jahre, als die Versuche und Entwicklungen einer eigenen sozialen Sicherung für die Frau zurückgeschraubt werden auf familienbezogene Leistungen. Die »Unterhaltspflicht« gegenüber Frau und Kindern soll gegenüber sozialstaatlichen Leistungen wieder stark gemacht werden und damit die umgekehrte Tendenz aufgehoben werden (vgl. zusammenfassend zum Verhältnis Unterhaltspflicht und Sozialrecht Sachße/Tennstedt 1982).

a) Die erwerbstätige Frau

Betrachtet man die einzelnen Änderungen im System sozialer Sicherheit, die zuletzt mit Jahresbeginn 1984 in Kraft traten, so wird obengenannte Familienorientierung offensichtlich. Daneben gibt es Folgewirkungen für Frauen, die aus ihrer Benachteiligung am Arbeitsmarkt resultieren, die möglicherweise diesen Trend zur Familie verstärken und zuletzt gibt es Änderungen, die schlichtweg denen Geld nehmen, die ohnehin keins haben und die keine politische Macht besitzen.

Zu den Kürzungen im einzelnen:
Frauen sind von allen Kürzungen betroffen, die ihr ohnehin geringeres Erwerbseinkommen schmälern. Dazu gehört das Weihnachts- und Urlaubsgeld ebenso wie die Kürzung des Krankengeldes. Denn im ersten Fall werden Arbeitnehmer mit Bruttolöhnen zwischen 3 000 und 5 000 DM mtl. am meisten belastet, im zweiten Fall wird z.B. einem Arbeitnehmer mit 1500 DM Nettolohn das Krankengeld um 173,25 DM gekürzt.
Auch die erwerbstätige Mutter wird zur Kasse gebeten. Das Mutterschaftsurlaubsgeld, das berufstätige Mütter nach der Geburt eines Kindes für 4 Monate erhalten können, wird um 32% gekürzt. Statt einem Höchstbetrag von 750 DM stehen nur 510 DM zur Verfügung. Immer noch ein Anreiz für die Frau, berufstätig zu sein? Während diese Maßnahmen noch auf arbeitsmarktpolitische Erwägungen schließen lassen, d.h. die Bevorzugung der erwerbstätigen Frau in dieser Regelung ist umstritten, so stellen die Kürzungen des Kindergeldes im Rahmen des Familienlastenausgleichs auf den ersten Blick eher eine familienfeindliche Politik dar; die Bindung des Kindergeldes an Einkommensgrenzen bevorzugt selbstverständlich die Einverdienerfamilie, die auch steuerrechtlich bevorzugt wird. Zu allen diesen Kürzungen kommen andererseits Erhöhungen von Sozialversicherungsbeiträgen, von Selbstbeteiligungskosten bei Rezepten, Krankenhausaufenthalt und Kuren.
Diese Kürzungen betreffen die Beschäftigten und wie bereits betont Frauen in besonderem Maße, denn wenn sie erwerbstätig sind, haben sie unter dem Strich noch weniger; als Hausfrauen müssen sie die Sparpolitik durch ihre Arbeit auffangen und natürlich auch die Folgen für alle anderen Familienmitglieder, wie Wegfall des Schülerbafögs, Hilfen für Behinderte u.a.

Weitaus folgenreicher sind allerdings die Änderungen im Falle von Arbeitslosigkeit und dem Verlust jeglichen Einkommens. Besonders auffallend sind die Kürzungen im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) und bei der Sozialhilfe. Im AFG ist die Familienabhängigkeit der Leistungen neu. Kinderlose Empfänger von Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeld erhalten nicht mehr 68%, sondern nur noch 63% ihres Nettoeinkommens; kinderlose Empfänger von Arbeitslosenhilfe statt 68% nur noch 56% des Nettoentgeltes. Auch diese Maßnahme trifft die niedrigen Einkommen und damit die Frauen im besonderen Maße. Eine arbeitslose Frau mit einem ehemaligen Einkommen von 1500 DM erhielt bisher 1020 DM Arbeitslosengeld; künftig wird sie nur noch 945 DM erhalten. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit wird sie nur noch 840 DM erhalten. Wenn man gleichzeitig die Entwicklung der Wohnungsmieten und die Kürzungen im Wohngeld in Betracht zieht, kann man sich ein realistisches Bild über die Lebenslage von Arbeitslosen machen.
Ebenso wird das »Unterhaltsgeld« im Falle einer Teilnahme der beruflichen Fortbildung und das »Übergangsgeld« bei Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation erheblich gekürzt. Parallel zu Kürzungen im Falle von Arbeitslosigkeit sind die Zugangsvoraussetzungen für Leistungsansprüche verändert worden. Nur wer 18 Monate Beiträge bezahlt hat, erfüllt die Voraussetzungen für Leistungen. Frauen, die zwischen Familienarbeit und Erwerbsarbeit hin und her pendeln, fallen durch die Maschen des AFG. Auch die Teilzeitarbeit der Frauen wirkt sich selbstverständlich auf die Leistungshöhe aus, wobei insgesamt zu vermuten ist, daß sich viele Frauen gar nicht arbeitslos melden werden und dadurch in den offiziellen Arbeitslosenstatistiken nicht mehr erscheinen.
Alle diese erwähnten Sparmaßnahmen führen in der Konsequenz dazu, daß die Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden und auf die Familie, auf Hausarbeit und Schwarz- und Schattenarbeit angewiesen sein werden.

b) Die armen Frauen

Nun könnte man diesen Verdrängungsprozeß positiv uminterpretieren, indem man die Chance für die Entwicklung von alternativen Arbeits- und Lebensformen durch das Knappwerden der Erwerbsarbeit mitbegründet. Die zahlreichen alternativen Frauenprojekte, die Selbsthilfegruppen, Frauennetzwerk u.a., könnten diese Chance bestätigen.
Warum sollten sich die Frauen freiwillig der entfremdeten Erwerbsarbeit ausliefern, wenn es andere humanere und sozialere Subsistenzformen gibt. Ist es nicht ein Rückfall, wenn nun die Frauen der Erwerbsarbeit nachtrauern, statt diese Entfremdung durch die Entwicklung neuer qualitativer Arbeitsformen, die nicht gegen Geld aufrechenbar sind, zu überwinden.

Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden. Ich will nur auf zwei Problemfelder verweisen, die mit der möglichen Antwort zusammenhängen. Das eine Problem betrifft die Existenzsicherung, die auf Erwerbsarbeit beruht und auf die die Frauen nicht verzichten können; denn entfällt eine eigene Existenzsicherung, so gibt es bisher nur die Möglichkeit der Ehe, d.h. der Subsistenzsicherung über das sogenannte Familieneinkommen, oder über den Staat, konkret der Sozialhilfe. Das zweite Problem bezieht sich auf die Folgen des Verzichts auf Erwerbsarbeit, die sich in Armut vor allem im Alter zeigen werden. Die vielen Frauen, die heute durch Familienarbeit, durch soziales Engagement in Laien- und Selbsthilfegruppen, durch Arbeit in Alternativprojekten aus der Erwerbsarbeit verdrängt werden oder sich dieser bewußt entziehen, könnten u.U. das neue Armutspotential von morgen darstellen.
Die Sparmaßnahmen geben darauf eine klare Antwort: Als erstes ist die Konsequenz dieser Sparpolitik auf die sogenannten sozialen Berufe zu nennen, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden (Ostner, Willms 1983). Dieser ganze Sektor, in dem Frauen als Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern, Ärztinnen u.a. beschäftigt sind, wird gegenwärtig rationalisiert, z.T. durch Laien- und Selbsthilfegruppen substituiert bzw. ergänzt. Es könnte daher der Fall eintreten, daß Frauen, die bisher gut bezahlt in sozialen Dienstleistungsberufen tätig sind, durch diese Rationalisierung dieselbe Arbeit gegen weniger Geld oder unbezahlt ausüben. Damit soll nicht der zunehmenden Professionalisierung sozialer Dienste mit ihren inhumanen Folgen das Wort geredet werden, aber auch nicht einer Entprofessionalisierung zu Lasten der Frauen.

Eine zweite Konsequenz der Sparpolitik zeigt sich in der Antwort auf die Armut von Frauen. Parallel zur steigenden Erwerbslosigkeit von Frauen wird die sozialstaatlich garantierte Subsistenz durch Sozialhilfe reduziert. Sozialhilfeempfänger sollen wieder in Billigstwohnungen abgedrängt werden. Die Anpassung der Leistungen der Sozialhilfe (laufende Hilfe zum Lebensunterhalt) wird statt um 3 nur um 2% erfolgen, d.h. daß der Regelsatz eines Haushaltsvorstandes, der 1982 bei DM 338 lag, erst ab 1. Juli 84 um 10 DM erhöht wird. Der Umfang der damit fixierten Armut von Frauen wird deutlich, wenn man berücksichtigt, daß beinahe 50% der Haushaltsvorstände, die 1981 Sozialhilfe empfangen haben, alleinlebende Frauen sind, dazu kommen 20,2% Frauen mit Kindern (gegenüber 0,4 Männern) (vgl. Zusatzstatistik zur Statistik der Sozialhilfe im September 1981). Während 1981 die häufigste Ursache für Sozialhilfe eine unzureichende Rente war (32%), die wiederum vor allem Frauen betraf, steigt heute die Ursache »Arbeitslosigkeit« (vor allem bei Männern, sie betraf 1981 jeden zehnten Sozialhilfeempfänger). Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß Frauen, die verheiratet sind, in der Regel keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, da das Einkommen des Ehemannes angerechnet wird, oder daß sie keinen Anspruch anmelden.

Die Armut von alten Frauen ist seit langem bekannt. Aus obigen Überlegungen der Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen folgt, daß diese Armut im Alter künftig noch zunehmen wird. Die Sparpolitik im Rentenbereich findet darauf folgende Antwort: künftige Rentenanpassungen sollen nur der Entwicklung des Arbeitsentgeltes im jeweiligen Vorjahr folgen. Gleichzeitig werden die Rentner statt 1% nun 3% Beitrag zur Krankenversicherung zu leisten haben. Erschwert wird vor allem der Zugang zur sogenannten Erwerbsunfähigkeitsrente. Einen Anspruch haben nur noch diejenigen, die 60 Monate vorher mindestens 36 Monate beitragspflichtig beschäftigt waren. Über die Hälfte der Frauen kann in Zukunft keine Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente mehr erhalten, weil sie diese Voraussetzung nicht erfüllt. Für viele Frauen ist damit der Zugang zu einer eigenständigen Rente überhaupt versperrt, da ihre Beitragszeiten nicht ausreichen. Frauen, die 30 Versicherungsjahre haben, dann aber »zuhause« blieben, sind davon ebenso betroffen, wie Frauen, die sich unentgeltlich sozial engagiert haben. Die von der sozialliberalen Koalition geplante Rentenreform 1984, die der Frau eine angemessene Sicherung für Kindererziehung und Familienarbeit bringen sollte, bleibt nun wohl endgültig aus.
Eine Grundsicherung für die Frau ist nicht vorgesehen, denn alles was ihr an materieller Sicherheit abgeht, wird durch die Wiederbelebung ideeller Familienarbeitbilder kompensiert. Die Familie soll wieder zur sozialen »Notgemeinschaft« werden, auch wenn dies der Familienwirklichkeit nicht mehr entspricht.
Alle diese Kürzungen und Umstrukturierungen sozialer Leistungen sind vermutlich nicht in frauenfeindlicher Absicht geschehen und auch nicht nur aus Unwissenheit, vielmehr ist bei denjenigen Gruppen gespart worden, die sich nicht organisiert haben, die keine Lobby haben, den Frauen, den Behinderten, den Alten, den Jugendlichen, den Arbeitslosen.

Literatur:

Die sanfte Macht der Familie. 19. Bundestagung Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft 9. bis 11. Okt. 1981 in Mannheim.
Koeppinghoff, S.: Endstation Sozialhilfe. Defizite der Einkommenssicherung von Frauen im Alter, in: Kickbusch I. / Riedmüller, B., Die armen Frauen, Ffm 1984.
Ostner, J., Willms A.: Strukturelle Veränderungen der Frauenarbeit in Haushalt und Beruf in: Krise der Arbeitsgesellschaft. Verhandlungen des 21. Deutschen Soziologentages in Bamberg 1982. Ffm 1983.
Riedmüller, B.: Frauen haben keine Rechte. Zur Stellungnahme der Frau im System sozialer Sicherung in: Kickbusch/Riedmüller op.cit.
Sachße, Chr., Trennstedt, E: Familienpolitik durch Gesetzgebung, in: Kaufmann, F.-K. (Hrsg.), staatliche Sozialpolitik und Familie, München 1982.

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