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Gnade für Vera Brühne

vorgängevorgänge 0303/1972Seite 80-82

Ein Brief von Birgitta Wolf an den Bayrischen Ministerpräsidenten

Aus: vorgänge Nr. 03( Heft 03/1973),Seite 80-82

(vg) Die Verurteilung Vera Brühnes und Josef Ferbachs (der inzwischen im Gefängnis gestorben ist) wegen Mordes durch ein Münchener Gericht ist gewiß eines der dunkelsten Kapitel bundesdeutscher Rechtsgeschichte. Die Serie der Proteste gegen dieses Urteil durch kompetente Juristen, Politiker und Publizisten ist inzwischen ebenso Legion wie die Anträge zu Wiederaufnahmeverfahren, die von der Justiz in makabrer Regelmäßigkeit — aus Formgründen — abgelehnt wurden. Inzwischen sitzt Vera Brühne seit 10 Jahren im Gefängnis Aichach, Josef Ferbach ist in der Haft verstorben — und noch immer kann sich die Justizverwaltung nicht entschließen, das höchst dubiose Verfahren wieder aufzugreifen.

Eine detaillierte Urteilsschelte des ehemaligen Senatspräsidenten am Bundesgerichtshof, Heinrich Jagusch, in der „Neuen Juristischen Wochenschrift” (NJW) vom 7. Dezember 1971, gab Birgitta Wolf, Fritz-Bauer-Preisträgerin der HU und den Lesern dieser Zeitschrift gut bekannt, Gelegenheit, beim bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel ein ausführlich begründetes Gnadengesuch für Vera Brühne einzureichen. Die Humanistische Union hat im Dezember 1971 dieses Gnadengesuch lebhaft unterstützt.

Dieses Gnadengesuch hat in der Folgezeit erhebliche Mißdeutungen erfahren; nicht zuletzt durch den Anwalt, der Vera Brühne vertritt, indem er, anscheinend auch im Namen seiner schlecht beratenen Mandantin, erklärte, Vera Brühne möchte nicht als „begnadigte Mörderin” freigelassen werden, sondern sie wolle einen Prozeß, der ihre Unschuld beweist. — Nach einem Bericht des „Münchener Merkur” vom 16. Februar 1972: „Sie möchte nicht als begnadigte Mörderin in Freiheit entlassen werden, sie will einen Prozeß, der ihre Unschuld beweist. — Insofern seien er und Vera Brühne auch gegen das unlängst von der Kriminologin Birgitta Wolf aus Murnau eingereichte Gnadengesuch zu Gunsten Vera Brühnes gewesen, über das Goppel bis jetzt auch noch nicht entschieden hat. Allerdings, so meint Rechtsanwalt Moser, liege die Situation anders, wenn sich eine Organisation im Namen von immerhin 400 Rechtsanwälten zu einem Gnadengesuch entschließt”.
Der Anwalt übersieht vollkommen, daß auch eine (sogenannte) „begnadigte Mörderin” durchaus noch einen „Prozeß, der ihre Unschuld beweist”, betreiben kann — aber eben, ohne weiter im Gefängnis zu sitzen. (Außerdem hat die anwaltliche „Logik”, daß ein Gnadengesuch der — so sagt er — „Kriminologin” Birgitta Wolf eine mindere Qualität habe als das einer Vereinigung von 400 Rechtsanwälten,. nicht den geringsten Beweiswert. Der Anwalt, der mit seinen Wiederaufnahmeanträgen nicht zurande kommt, sollte nicht aus prozessualem Ehrgeiz auch noch das Quentchen korrigierender Gnade für Vera Brühne um Wochen oder Monate verspielen!
Birgitta Wolf jedenfalls hat am 9. Februar 1972 erneut ein begründetes Gnadengesuch für Vera Brühne an den Bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel gerichtet. Wir halten die Veröffentlichung dieses Briefes für notwendig, damit Goppel, der nach dem ersten Gnadengesuch gewisses Verständnis äußerte, sich aber auf seine Unkenntnis der Prozeßakten berief, nicht noch einmal Gelegenheit nehmen kann, sich für inkompetent oder uninformiert zu halten. Seine Uninformiertheit kostet Frau Brühne, die möglicherweise unschuldig ist, Tag um Tag ihrer Freiheit; dieser Preis aber kann auch einem Ministerpräsidenten nicht genehmigt werden.

Sehr verehrter Herr Ministerpräsident!
Ich freute mich sehr, als ich in der Presse las, daß Sie bei einem Interview aufgrund meines telegraphischen Gnadengesuches für Vera Brühne geäußert haben:
„Ich kenne den Akt Brühne noch nicht, ich muß mich erst mit der Rechtslage vertraut machen. Die Begnadigung könnte ganz schnell gehen. Aber ich glaube nicht, daß es im Interesse der Betroffenen ist, eine begnadigte Mörderin zu sein, denn wenn alles stimmt, was Bundesrichter Jagusch sagt, dann muß man sie freisprechen und nicht begnadigen. Man muß sich auch überlegen, was aus einer Begnadigten wird. Eine Freigesprochene hat immerhin Recht und Entschädigung.”
Diese Ihre Äußerung zeigt, daß Sie im Prinzip der Ansicht sind, daß wenn das, was Bundesrichter Jagusch vorbringt, stimmt, Frau Brühne freigesprochen werden muß, und daß unter Umständen eine Begnadigung ganz schnell gehen könnte. Die anderen Äußerungen von Ihnen beruhen wahrscheinlich auf einem Mißverständnis, besonders aber die Mitteilung über Herrn Oberregierungsrat Pronold in seinem Schreiben an mich vom 22. Dezember 1971; in dem er schreibt:
„Frau Brühne und ihr anwaltschafllicher Vertreter, Herr Dr. Moser, haben übereinstimmend erklärt, daß Frau Brühne nicht begnadigt werden will. Ihr Gesuch wird daher nicht weiterbehandelt werden, weshalb sich auch eine Vorsprache in dieser Sache erübrigen dürfte.”
Aus Gründen, die ich nicht recht verstehe, hat man Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, nicht völlig korrekt unterrichtet. Wie der Pressesprecher des Justizministeriums, Herr Rauchalles, auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung” sehr richtig bestätigt, schließt Gnade Recht nicht aus — im Falle Vera Brühne würde ein Gnadenakt nur die schnellere Ermöglichung einer Wiederaufnahme bedeuten, denn Frau Brühne könnte in Freiheit dazu mitwirken, völlig neue Beweise zu sammeln, die die Fehlerhaftigkeit des Urteils bestätigen. Sogar nach dem Tode eines Begnadigten oder im Gefängnis Verstorbenen ist eine Rehabilitierung durch. ein neues Verfahren möglich. Außerdem glaube ich, daß die Nervenanspannung, wenn man draußen in Freiheit als Begnadigte, aufgrund von Feststellungen eines Bundesrichters, für seine Rehabilitierung arbeitet, nicht größer sein kann, als wenn man mit dauernd abgelehnten Wiederaufnahmeverfahren als verurteilte Mörderin in der Zelle verzweifelt.
Frau Brühne ist nach 10 Jahren fast völliger Isolierung von einer normalen Welt gar nicht in der Lage, zu beurteilen, was für sie im Moment am günstigsten ist. In bezug auf mein Gnadengesuch hat sie außerdem nicht wie früher selbst kategorisch eine Gnade abgelehnt, sondern — wie mir Herr Oberregierungsrat Pronold persönlich sägte — sich lediglich der Ansicht ihres Verteidigers Dr. Moser angeschlossen. Dr. Moser ist übrigens der erste Anwalt, der mir in meiner langen Arbeit für Gefangene begegnet ist, der keine möglich gewordene Gnade für seine Mandantin will. Jeder andere Anwalt versucht so schnell wie möglich, seinen Mandanten — besonders wenn er ihn für unschuldig hält — freizubekommen. Außerdem hätte Herr Moser als Jurist wissen müssen, daß der Antrag auf Haftentlassung, den er anstelle meines Gnadengesuches setzte, rechtlich vor der Einbringung seines in Aussicht gestellten Wiederaufnahmeantrages gar nicht möglich war.
Außerdem erklärte Dr. Moser — wenn die Zeitungsmeldungen stimmen — der Presse gegenüber, daß ich gar nicht „legalisiert” wäre, ein Gnadengesuch einzureichen. Auch hier müßte — wie vom Justizministerium öffentlich richtiggestellt wurde — Moser wissen, daß ohne weiteres eine Betreuerin — auch ohne „Legalisierung” — ein Gnadengesuch im Interesse der Gefangenen stellen kann — das kann sogar jeder unbeteiligte Mitbürger.
Herr Dr. Moser wird. auch nicht vergessen haben, daß Herr Justizminister Dr. Held vor mehr als einem halben Jahr erklärte:
„Nach 10 Jahren Strafverbüßung sollten wir auf ein Gnadengesuch eingehen und Vera Brühne freilassen.”
Der Staatssekretär im Justizministerium, Herr Dr. Josef Bauer, wiederum äußerte bei einem Interview mit „Bild” vom 16. Dezember 1971:
„Im Grunde wäre gegen eine Begnadigung nichts einzuwenden, aber Frau Brühne hat vor drei Tagen ausdrücklich erklärt, sie wolle keine Gnade, sondern ihr Recht.”
Hierzu möchte ich Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 23. April 1969 — ZBvR 552/63, veröffentlicht in der Deutschen Richterzeitung 12/69, aufmerksam machen, worin es heißt:
„Im übrigen darf auch nicht die Eigenart der Einzelbegnadigung außer Betracht gelassen werden. Zu dieser Eigenart gehört, daß ein Gnadenakt ohne Antrag, ohne Zustimmung, ohne Billigung und sogar gegen den Willen der Begünstigten ergehen kann.”
Ausgehend von der oben angeführten von Herrn Justizminister Held und Herrn Staatssekretär Bauer bekundeten wohlwollenden Einstellung in bezug auf einen Gnadenakt und aufgrund der Richtigstellung der anscheinend irrigen Auffassung, daß man keine Gnade gegen den Willen der Begünstigten ergehen lassen kann, bitte ich Sie erneut, aufgrund der Feststellungen von Herrn Bundesrichter a. D. Heinrich Jagusch um Gnade für Vera Brühne.
Hinzuzufügen ist, daß für Frau Brühnes Aufnahme in die besten Verhältnisse nach der Entlassung gesorgt ist — in einem Hause von Freunden von mir, wo sie völlig anonym dem erwarteten Presserummel entgehen kann. Ich verweise dabei auf mein Telegramm vom 23. Dezember 1971 an Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, aus dem hervorgeht, daß Frau Brühne auf Befragung durch Herrn Amtmann Zenz mit Freudentränen diese Zufluchtsmöglichkeit akzeptiert hat.
Im übrigen bitte ich darauf hinweisen zu dürfen, daß im Moment kein Wiederaufnahmeantrag vorliegt, da der eingereichte Antrag von Herrn Rechtsanwalt Luthardt (auf Anregung und in Zusammenarbeit mit dem verstorbenen Anwalt Dr. Girth), als rechtlich nicht ausreichend fundiert, abgelehnt wurde und Dr. Moser bis heute seinen für Anfang Januar angekündigten Wiederaufnahmeantrag nicht eingereicht hat.
Ich kann nur das wiederholen, was ich Ihnen in meinem Telegramm vom 23. Dezember 1971 schrieb: „In Ihrer Hand liegt das Begnadigungsrecht. Jeder Tag, den Frau Brühne noch unnütz in Aichach verbringt, ist ein Tag verlorenes Leben.”

Mit vorzüglicher Hochachtung                                                                          Birgitta Wolf

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