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Kein Abschied vom Staat

vorgängevorgänge 16503/2004Seite 40-48

Das Verhältnis von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten

aus: Vorgänge Nr. 165 ( Heft 1/2004), S.40-48

Für die einen stellen sie eine Bedrohung von Demokratie und Rechtsstaat dar, für die anderen erhöhen sie die Sicherheit in „Angsträumen” wie der U-Bahn: Private Sicherheitsdienste (PSD) sieht man überall in der Stadt, auf Straßen, Plätzen, in Verkehrsmitteln und vor Kaufhäusern. Wenn die Privaten im öffentlichen Raum aktiv werden, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen polizeilicher Schutzmacht und privater Sicherheit ganz konkret. Kann man sich noch sicher sein, dass die Polizei im Notfall zu Hilfe eilt oder muss man sich an eine kommerzielle Firma wenden? Kommt der Staat seiner Schutzverpflichtung noch nach oder zieht er sich zurück von seiner Aufgabe der Sicherheitsgewährleistung, die seine grundlegende Legitimation darstellt? Im Sicherheitsbereich besteht der Staat seine Bewährungsprobe – oder auch nicht: Wenn er hier versagt, ist seine Existenzberechtigung in Frage gestellt. Weist das Auftreten von privaten Sicherheitsdiensten in diese Richtung? Wird das Gewaltmonopol durch die Privaten gefährdet?

Das Fallbei­spiel Berlin[1]

Das Vordringen der PSD in den öffentlichen Raum, also der Prozess, den man als „Privatisierung öffentlicher Sicherheit” bezeichnet, lässt sich in Berlin besonders gut beobachten (vgl. Kirsch 2003: 29-106). In der Hauptstadt scheint sich die Polizei aus dem Schutz der öffentlichen Sicherheit zurückzuziehen und ihre sie legitimierende Aufgabe an die Privaten übergeben zu haben. PSD treten hier an manchen Stellen so dominant auf, dass man den Eindruck erhält, man könne auf die Polizei verzichten.

a) S-Bahn

Am sichtbarsten sind die Wachleute bei der Sicherung des Bahnbetriebs. Üblicher Weise stehen sie schweigend in den Zügen oder auf den Bahnsteigen. Man kann sie nach dem Weg fragen oder sie wollen die Fahrausweise sehen. Meistens bleiben sie unauffällig und im Hintergrund. Der Wachmann ist ein Faktotum, das für alle Problemlagen des Bahnbetriebs zuständig ist. Was ihn dennoch zur zentralen Figur macht, ist der Um-stand, dass ihm vom Betreiber das Recht zur Durchsetzung des Hausrechts übertragen wurde. Bei diesem Auftrag handelt sich um das Gegenstück zu dem der helfenden Dienstleistung für den Bahnkunden. Und dieses Gegenstück bekommen immer die selben Personengruppen zu spüren: Obdachlose, Drogensüchtige und Punker mit ihren Hunden werden zum Ziel der „Verdrängungsarbeit”.

Charakteristisch bei dieser Tätigkeit ist, dass die Wachleute immer ohne den Einsatz körperlicher Gewalt zu ihrem Ziel gelangen. Man spricht die Unerwünschten an, man bittet, fordert auf, droht. Und die Angesprochenen folgen. Denn selbst wenn die Wachleute einmal nicht darauf bestehen, dass ihrer Anweisung Folge geleistet wird, wird wenig später ein anderer Wachmann auftauchen, der die Aussteiger in der gleichen Weise belästigt. Und wenn es sein muss, dann ruft der Wachmann über seine Leitstelle die Polizei, die wenig später vor Ort erscheint und den Willen des Wachpersonals exekutiert.

Das selbe gilt für die Ladenbesitzer in den Bahnhöfen, deren Sicherheitsdienste die Polizei für die Strafverfolgung bei Ladendiebstahl instrumentalisieren. Die Kommunikationswege zwischen den Wachfirmen und der Polizei sind kurz. Bei der Berliner 5-Bahn ist man detailliert über die Zuständigkeiten der einzelnen Polizeiabschnitte für das Streckennetz informiert und auch der BGS ist in diese Planung einbezogen. So folgt den Wachleuten wie ein Schatten das Gewaltmonopol.

b) U-Bahn

In der U-Bahn streifen zahlreiche Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes umher. Im Wesentlichen tun sie das selbe wie die Kollegen von der S-Bahn, und der Kontakt zur Polizei kommt auf die selbe Weise zustande. Doch die Situation unter der Erde ist etwas komplexer, denn nicht nur hat der U-Bahn-Betreiber BVG einen Fremddienstleister beauftragt, sondern unterhält zusätzlich noch eigenes Ordnungspersonal, den mobilen Ordnungsdienst (MOd).

Die Verbindung der Wachleute, zu denen formal und inhaltlich auch die MOd gehören, zur Polizei ist noch enger als der Kontakt des Sicherheitsdienstes der S-Bahn zu den Beamten des BGS. Bereits 1981 rief der Senat das „Einsatzkommando BVG” ins Leben, eine Polizeieinheit, die ausschließlich dazu geschaffen wurde, um in der U-Bahn auf Streife zu gehen. Der Arbeitsalltag ist hier wie in allen Bewachungsberufen: Man weckt Schläfer, vertreibt Jugendliche und Drogensüchtige. Wer den Eindruck erweckt, er wolle im Untergrund etwas anderes als Einkaufen oder mit der U-Bahn fahren, muss mit einer anlassbezogenen Kontrolle rechnen.

Das Muster der Kontrollen ist stets das gleiche: Wer sich auffällig verhält oder – wie Musiker – unter dem Generalverdacht steht, etwas Unerlaubtes zu tun, wird kontrolliert. Der MOd überprüft dann den Fahrausweis und die Spielgenehmigung, während der Beamte die Ausweispapiere einsieht. Bei ausländischen Musikern gibt er sich mit einem gültigen Visum zufrieden, bei Schwarzfahrern macht er eine telefonische Abfrage bei seiner Dienststelle, ob etwas gegen die kontrollierte Person vorliegt. Auf diese Weise werden die Kontrollierten umfassend durchleuchtet; die formale Trennung zwischen hoheitlichen Aufgaben und der Wahrnehmung privater Rechte wird unscharf.

In der Berliner U-Bahn zeigt sich, dass der Staat die Kontrolle über einen wichtigen öffentlichen Bereich nicht aufzugeben gedenkt. Die Beauftragung des Sicherheitsdienstes 1990 verlief unabhängig vom Einsatz der Polizei und zielte offenkundig auch nicht auf eine Steigerung der Sicherheit in der U-Bahn – die zu keinem Zeitpunkt gefährdet war oder geringer geworden ist –, sondern darauf, sie attraktiver zu machen und die Verunsicherung der Bevölkerung durch die neue soziale Dynamik in der Stadt nach dem Mauerfall handhabbar erscheinen zu lassen.

c) Wohnviertel

Der Ortsteil Neu Karow ist ein Neubaugebiet mit über 5.000 Wohnungen, der in der Euphorie der Nachwendezeit und in Erwartung hohen Wohnungsbedarfs entstand. Dieser neue Stadtteil im Nordosten, kurz vor der Landesgrenze, machte von sich reden aufgrund der eigenartigen Struktur, durch die dort Sicherheit gewährleistet wurde.

Neu Karow wurde in Form einer „Public Private Partnership” erbaut und hatte mit den üblichen Problemen eines Neubauviertels zu kämpfen: mit Anonymität und Leere, denn die Wohnungen ließen sich nicht auf einmal vermieten bzw. verkaufen. Bald nachdem die ersten Bewohner eingezogen waren, registrierte man Fälle von Vandalismus an Häusern und Straßenmobiliar, Grünflächen, Lampen, Spielplätzen. Die Einwohner waren verunsichert. Dann, so der Stadtteilmanager, habe organisierter Diebstahl in den örtlichen Geschäften zusätzlich für Unruhe gesorgt. Daher verfiel man auf den Gedanken, einen Sicherheitsdienst zu beauftragen.

Befördert worden sei dieser Entschluss durch den Umstand, dass die Polizei etwa eine halbe Stunde gebraucht habe, bis sie nach der Alarmierung am Tatort erschienen sei, so ein örtlicher Sozialarbeiter. Angesichts dieser langen Dauer seien die Anwohner und Geschäftsleute dazu übergegangen, anstatt die Polizei den Sicherheitsdienst zu alarmieren. Das Management habe zuerst eine Firma beauftragt, die junge Männer aus der Umgebung beschäftigt habe: glatzköpfige, sportliche Typen, die vor allem die „normalen” Jugendlichen tyrannisiert hätten, derweil sie vor den eigentlichen Problemverursachern – jungen Russlanddeutschen – selbst Reißaus genommen hätten. So habe ein rechtsfreier Raum entstehen können. Inzwischen hätten sich diese Probleme gelegt, aber die Polizei habe Neu Karow gleichsam aufgegeben und dem jetzigen Sicherheitsdienst überlassen. Man ist geneigt, diesen Sirenengesängen Glauben zu schenken, allein es lassen sich keine Beweise für ihre Richtigkeit auftreiben. Wenn man sich nämlich das Kommunikationsorgan der Stadtteilverwaltung ansieht, stellt man fest, dass der Staat in Form von Polizei und Gerichten seine Stellung offenbar hat behaupten können. Dort beklagt sich der Stadtteilmanager über mangelnden Bürgersinn und Gesprächsbereitschaft bei Nachbarschaftskonflikten. Ob denn die Bewohner immer gleich nach der Staatsmacht rufen müssten (Berlin Karow. Extra aktuell. Informationen und Aktionen Nr. 16, Mai 2000, S. 3).

Auch das Studium der Einsatzprotokolle des Sicherheitsdienstes lässt keine diesbezüglichen Rückschlüsse zu. Es sind immer wieder die selben Ereignisse, die die Wachleute bei ihren Runden durch die Anlagen notieren: Kinder machen Lärm oder verhalten sich in einer anderen Weise, die nicht toleriert wird, d.h, sie spielen auf Rasenflächen, trinken Alkohol, klettern auf Bäume oder zünden Feuerwerkskörper. Des weiteren verschließen die Wachleute zahlreiche Haustüren, die die Bewohner offen gelassen haben; manchmal weisen sie pöbelnden Gästen im Neu Karower Bistro die Tür. Oder sie sprechen Anwohner an, die ihre Hunde über den Rasen laufen lassen. Immerzu geht es um Ordnungsverstöße, bei denen die Benachrichtigung der Polizei den Melder allenfalls der Lächerlichkeit preisgeben würde, weil sie so banal sind. Es handelt sich um ganz normale Nachbarschaftskonflikte, die informell geregelt werden können.

d) Geschäfts­viertel

Als weiteres Indiz für den Verlust polizeilicher Kontrolle wird schließlich die Situation rund um die Gedächtniskirche empfunden, im Herzen der westlichen City, gleichsam der guten Stube des alten West-Berlin. Hier schien Anfang der 1990er Jahre die voll-ständige Privatisierung öffentlicher Sicherheit zu erfolgen. Die Belästigungen durch Drogensüchtige und -händler wuchsen. Geschäfte litten unter der Beschaffungskriminalität, jugendliche Banden nahmen das Europa-Center gleichsam in Beschlag. Daraufhin engagierte die örtliche Händlervereinigung einen Sicherheitsdienst, der die Geschäfte von den Plagen befreien sollte. Dabei war man nicht zimperlich und begann nicht nur die Privatgrundstücke zu säubern, sondern auch das angrenzende öffentliche Straßenland. Der Raum zwischen und vor den Geschäften wurde in das Sicherheitskonzept integriert. Der Sicherheitsdienst wendete auch körperliche Gewalt an; sein Auftraggeber rechtfertigt dieses Vorgehen auch heute noch.

Man kann dennoch nicht davon reden, dass die Polizei die Kontrolle aufgegeben und sich aus dem betreffenden Gebiet zurückgezogen hat. Denn im Jahre 1993 richtete die Polizei die „Operative Gruppe City West” (OGC/W) ein, eine von der üblichen polizeilichen Alltagsarbeit entlasteten Einheit, die ungefähr fiir das selbe Gebiet rund um die Gedächtniskirche zuständig war wie der Sicherheitsdienst (und noch immer ist). Den Beamten obliegt die Aufrechterhaltung und Kontrolle der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; sie erhalten dabei personelle Unterstützung aus den Direktionen (vgl. Eick 1995).

Aber eigentlich ging es bei der Einrichtung der OGC/W darum, die Händler zu beruhigen, die mit der Beauftragung des Sicherheitsdienstes für einigen Wirbel gesorgt und den Berliner Senat unter Zugzwang gesetzt hatten. Denn letztlich geht es den Beamten vor allem um kosmetische Maßnahmen, um die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Attraktivität des Einkaufsgebietes. Deutlich wird diese Stoßrichtung zum einen durch die Vertreibung der Drogenszene, über die sich vor allem der Einzelhandel wegen materieller Schäden durch Beschaffungskriminalität beklagt hatte. Und zum zweiten in der Bekämpfung des „Hütchenspiels”, bei dem naive Touristen durch Spiel-betrug Geld verlieren. Da sich der Betrug jedoch nicht nachweisen ließ und die Spieler in der Gegend gemeldet waren und man gegen sie keine Platzverweise aussprechen konnte, setzte man in Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt die Hütchenspieler wegen illegaler Sondernutzung des öffentlichen Straßenlandes unter Druck. Sie gaben auf, weil die Ausgaben für die Bußgelder die Einnahmen durch den Spielbetrug überstiegen.

Die Beamten nahmen die Sicherheitsdienste ebenfalls in den strengen Blick. Man schärfte ihnen ein, dass sie keine hoheitlichen Befugnisse hätten. Beamte und Wachmänner kennen sich, man spricht miteinander und hilft sich gegenseitig. Von den Wachleuten — vor allem am Bahnhof Zoo — kommen Hinweise auf gesuchte Personen. Umgekehrt lässt sich die Polizei allerdings auf keine Händel ein, sondern beharrt auf ihrem Informationsmonopol. Die Wachleute werden wie alle anderen Privatpersonen behandelt. So fließen in die eine Richtung Informationen, in die andere gute Ratschläge.

Erneut erweist sich, dass der erste Augenschein getrogen hat: Davon, dass der Sicherheitsdienst die Polizei aus dem öffentlichen Raum verdrängt habe, kann nicht ein-mal bei einer so sensiblen Konstruktion wie der rund um die Gedächtniskirche die Rede sein. Wohl handelte der Berliner Senat nicht vollständig autonom, denn die OGC/W richtete er erst ein, als die Händlervereinigung die Missstände publikumswirksam skandalisiert und als Druckmittel den Sicherheitsdienst beauftragt hatte. Aber augenblicklich hatte die Polizei dann wieder die Kontrolle übernommen. Sie hält das Monopol physischer Gewaltsamkeit weiterhin und duldet eigenmächtiges, autonomes Handeln der Sicherheitsdienste nicht.

Die Dominanz der Polizei

Anhand der vier beschriebenen Konstellationen lässt sich die Behauptung von der Verdrängung der Polizei durch private Sicherheitsdienste nicht erhärten. Unbestritten ist, dass das Wachpersonal in Berlin seit dem Mauerfall häufiger in der Öffentlichkeit gesichtet wird als zuvor. Unstrittig ist auch, dass sie in ihrem Wirkungskreis ein Machtpotential darstellen mit der Fähigkeit, andere Menschen gegen ihren Willen zu bestimmten Handlungen zu zwingen: Wachleute setzen die Verhaltensnormen ihrer Auftraggeber durch und kontrollieren den Zutritt zu seinem Eigentum, obwohl es öffentlichen Charakter hat. Gerichtet ist ihre Tätigkeit in der Regel gegen Obdachlose und andere Randgruppen, deren Anblick Unwohlsein bei den als potentiellen Kunden angesehenen Mittelschichtangehörigen auslöst.

Charakteristisch beim Einsatz der Privaten ist zweierlei: Erstens werden die Wachleute stets nur auf privatem Grund tätig oder im engen Zusammenhang mit der Sicherung von Privatbesitz. U- und S-Bahn etwa sind kein rein öffentlicher Raum, sondern formalrechtlich privates Gelände, das der Fahrgast/Kunde kraft eines Privatvertrages mit dem Betreiber betreten darf. Der Betreiber solcher Anlagen täuscht den Öffentlichkeitscharakter nur vor. Tatsächlich will er aber keinesfalls alle Menschen zulassen. Der beauftragte Sicherheitsdienst hat die Aufgabe, den Zutritt zu filtern gemäß den Wünschen des Betreibers.
Daraus folgt das zweite Charakteristikum: Es ist nicht oder nur am Rande Ziel, Sicherheit herzustellen. Selbstverständlich erfüllt der Dienst auch präventive Aufgaben, wenn er bei der Massenlenkung. in der S-Bahn, bei einem Großereignis wie einem Fußballspiel und bei Messeveranstaltungen verhindert, dass Panik ausbricht, Fahrgäste auf die Gleise stürzen, Sachbeschädigung stattfindet etc. Aber darum geht es nur zum Teil. Kriminalitätsbekämpfung oder Kriminalprävention ist nicht das Ziel des Einsatzes, sondern die Durchsetzung der Betriebsordnung. Und wenn ein Wachmann sich Polizeibefugnisse anmaßt, handelt er gegen seine Dienstanweisung, die kraft Gesetz den ausdrücklichen Hinweis enthalten muss, dass er keine hoheitlichen Befugnisse hat. Nach meiner Beobachtung legen die Bewachungsunternehmer größten Wert darauf, dass ihre Angestellten insbesondere diesen Passus beachten.

Private Sicherheitsdienste haben also ganz andere Aufgaben und Befugnisse als die Polizei. Wenn sie sich an das Gesetz halten, besteht kein Grund zur Befürchtung, die Polizei könne ihrer exklusiven Stellung verlustig gehen. Das Prärogativ der Polizei ist festgeschrieben, wird von den Unternehmen akzeptiert und von den Gerichten kontrolliert (vgl. Neue Juristische Wochenschrift 48,1995, 22, S. 1503-1506; Deutsches Autorecht 65, 1996, 8, S. 326-327; Deutsches Autorecht 65, 1996, 12, S. 504-507). Aber auch der empirische Befund zeigt, dass überall dort, wo auch nur der Anschein erweckt wird, es könne von einem Dienst in Frage gestellt werden, die Polizei augenblicklich zur Stelle ist und ihr Monopol durch verstärkte Präsenz sichert. Die Errichtung der OGC/W in Berlin hat bewiesen, dass der Senat nicht bereit war, polizeifreie Räume zuzulassen. Eine höhere Polizeidichte als rund um die Gedächtniskirche ist inzwischen kaum vorstellbar. Und, um ein anderes Beispiel heranzuziehen, die polizeiliche Sicherung der Castor-Transporte er-folgte aus dem selben Grund, obwohl die Sicherung die Aufgabe des jeweiligen Betreibers ist — nicht nur von Atomkraftwerken, sondern auch des Transports von radioaktivem Material (vgl. Schnekenburger 1999: 98).

Von einem Rückzug der Polizei kann nicht die Rede sein, weder in Berlin noch anderswo in Deutschland. Diese Behauptung lässt sich auch quantitativ belegen. Berlin ist das Bundesland mit der höchsten Polizeidichte. Etwa 20.000 Polizeibeamte sorgten 1997 für die öffentliche Sicherheit, das Verwaltungspersonal nicht eingerechnet. Das ergibt eine Polizeidichte von 1:170. Rechnet man Vollzugs- und Verwaltungspersonal zusammen, so erhält man für das Jahr 1992 ein Verhältnis von 1:107, das sind mehr als dreimal so viele Beamte bezogen auf die Bevölkerung wie in Baden-Württemberg (327), Rheinland-Pfalz (344) oder Sachsen (358) (vgl. Höft 1991; Höft 1992). Im Preußen des 19. Jahrhunderts strebte man an, die Polizeidichte pro Einwohner auf 1:1.500 zu erhöhen. Im Programm Innere Sicherheit der Innenministerkonferenz von 1972 wird ein Verhältnis von 1:400 angestrebt (Busch et. al. 1985: 77). Das Ziel wurde in allen Bundesländern er-reicht. In der Fortschreibung von 1994 beläßt man es damit festzustellen, dass „eine Verstärkung der Polizei unumgänglich” sei (Programm Innere Sicherheit 1993: 27). In je-dem Fall ist ein kontinuierlicher Ausbau der Sicherheitsapparate von Bund und Ländern zu registrieren. Das Monopol erscheint auch unter diesem Aspekt ungefährdet.

Auch die Rechtsordnung ist darauf ausgelegt, das Bewachungsgewerbe zu domestizieren und die möglicherweise von ihm ausgehenden Gefahren zu bannen. In Deutschland gibt es zwar kein Gesetz, das das Bewachungsgewerbe zusammenfassend regelt. Doch so unscheinbar die gesetzliche Regelung innerhalb der Gewerbeordnung, so effektiv und pragmatisch wirkt sie sich im Verbund mit den anderen Vorschriften und Verordnungen aus. Die Gewerbeordnung regelt den Zugang zum Beruf, die Bewachungsverordnung, die ebenfalls Rechtskraft besitzt, regelt die Berufsausübung. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft beeinflussen die Ausübung ebenfalls effektiv, weil bei Missachtung der Versicherungsschutz verloren geht. Und die gesetzlich vorgeschriebene Dienstanweisung muss jeder Wachmann stets mit sich führen und beherzigen, wenn er keinen Verweis riskieren will. Sie dient ihm als verbindlicher Leitfaden für seine Dienstausübung. Insofern ist das Gewerbe in ein dichtes Netz von Gesetzen und Regelungen eingebunden, das einerseits das grundgesetzlich verbürgte Recht unternehmerischer Freiheit gewährleisten als auch Schaden von den Unternehmern, seinen Kunden, seinen Angestellten und der Allgemeinheit abwenden soll (vgl. Kirsch 2003: 213-222). Ein von vielen angestrebtes neues Gesetz ist unter dieser Perspektive und der, dass die gerichtliche Kontrolle nicht zu wünschen übrig lässt, überflüssig. Der Bundestag ist dennoch letztes Jahr erneut aktiv geworden, hat aber qualitativ nichts geändert (vgl. BGBI. I, 51, 2002, 26. Juli, S. 2724-2729).

Nichts läuft ohne den Staat

Es sind also gar nicht die Wach-und Schließgesellschaften, vor denen man sich fürchten muss. Vielmehr rückt der Staat selbst und seine Polizei in den Mittelpunkt des Interesses. Denn immer wenn ein Hausdetektiv einen Ladendieb „in sein Büro bittet” oder ein Kontrolleur einen „Schwarzfahrer” ertappt hat, dann wird diese Situation unsichtbar von der Polizei mitbestimmt. Zuweilen erscheinen Beamte der Polizei in dem Kaufhaus oder auf dem Bahnsteig, um den Fall weiterzubearbeiten. Aber auch wenn sich dieser Akt der Materialisierung des Gewaltmonopols nicht vollzieht, ahnen die Beteiligten, dass die Möglichkeit dieser Materialisierung besteht. Sie wurde von ihnen so weit verinnerlicht, dass sie in das Vorbewusste abgesackt ist und unsichtbar ihr Verhalten steuert.

Aber es bleibt nicht bei der Feststellung, dass „keine Gefahr für die Polizei” besteht, sondern im Gegenteil besteht Grund zu der Annahme, dass Polizei und Ordnungsbehörden den privaten Sicherheitsdiensten gleichsam Konkurrenz, diese gar überflüssig machen wollen. Sobald sich nämlich für die Polizei die Möglichkeit ergibt, steuernd in privat initiierte Prozesse der Kontrolle öffentlicher Ordnung einzugreifen, nimmt sie sie wahr. Keine Initiative von Bürgern, Geschäftsleuten oder Kommunen zur Steigerung der Sicherheit (was immer sie darunter verstehen) läuft ohne die Beteiligung der örtlichen Polizeidienststelle ab. Inzwischen nimmt die Polizei gelegentlich sogar solche Aufgaben wahr, für die vor gut hundert Jahren die Wach- und Schließgesellschaften gegründet wurden — polizeiliche „Gefahrenvorsorge” lautet das Stichwort (vgl. Johannsen 2000).

Aus diesem Umstand kann dennoch nicht geschlossen werden, daß die Privaten durch die Polizei überflüssig gemacht werden. Denn die Polizei dringt nur sehr selektiv in die Gesellschaft vor. Beider Einsatzbereiche überlappen sich zwar, zugleich aber besteht eine strikte Trennung: In den halböffentlichen Räumen gehen die Dienste ungestört ihren Aufgaben nach, obwohl der Einfluss der Polizei auch hierhin reicht. Von diesem Arrangement profitieren beide Parteien. In der Praxis versuchen nämlich sowohl die Polizei als auch die Privaten ihre eigenen systemischen Beschränkungen, denen ihre Arbeit unterliegt, durch die andere Partei zu kompensieren. Die Privaten können auf unkomplizierte Hilfe vom „großen Bruder” hoffen, und darauf beruht ihr Erfolg. Und die Beamten bedienen sich ihrer als Informationslieferanten bei der Suche nach Personen, als Unterstützer bei Großveranstaltungen und außergewöhnlichen Vorkommnissen und als Helfer für ungeliebte, niedere Aufgaben wie der Objektbewachung.

Die Kritiker der Bezeichnung „privates Sicherheitsgewerbe” haben also Recht, weil und insofern die Wach- und Schließgesellschaften als verlängerter Arm der Polizei in Erscheinung treten (vgl. Busch et. al. 1985: 45). Fast handelt es sich bei ihnen um „öffentliche” Dienste. Die als „privat” etikettierte Dienstleistung ist ein weiterer „Wachstumsring” der Polizei, und von „Privatisierung der Sicherheit” zu reden eine Irreführung, weil der Staat nicht an Bedeutung verliert und auch die Kompetenzen der Polizei nicht beschnitten werden. Vielmehr vollzieht sich diese Form der „Privatisierung” stets kontrolliert und insofern eher als neue Organisationsform, als „Umformulierung” staatlicher Sicherheitsgewährleistung. Sicherlich eröffnen sich so neue Möglichkeiten für privates Unternehmertum, aber diese werden gewährt von staatlichen Gnaden.

Es ist also nicht angebracht, die Bedeutung des Staates zu relativieren, weil die Stunde der Gesellschaft geschlagen habe (vgl. Wurtzbacher 2003). Die Bedeutung der gesellschaftlichen Selbstregulationskräfte nimmt nicht zu. Von einem Bedeutungsverlust der Polizei gegenüber den Privaten kann nicht die Rede sein, was sich bereits in den niemals sinkenden Ziffern der Polizeihaushalte von Bund und Ländern widerspiegelt. In Hessen etwa wurden die Mittel für die Polizei von 1999 auf 2000 um über 10 Prozent erhöht, obwohl die Haushaltslage angespannt ist (Corts 2000: 200).

Was allein zur Disposition steht, ist die Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen dem Staat und privaten Unternehmen (bürgerschaftliches Engagement bleibt bei dieser Neuverteilung marginal). Wenn in der staatstheoretischen Diskussion von einem „verhandelnden Staat” oder ähnlichem die Rede ist, dann darf daraus nicht auf eine geschwächte Position des Staates geschlossen werden (vgl. Prätorius 2000). Eher das Gegenteil ist der Fall: Letztlich sind alle privaten Zwischeninstanzen auf den Staat verwiesen. Er tritt nur vordergründig als Verhandlungspartner in Erscheinung, sein Monopol folgt den Verhandlungsführern wie ein Schatten. Der Staat bleibt die Quelle aller Gewalt, auch für die privaten Sicherheitsdienste.

Der Staat — das eigentliche Risiko

Eingedenk des empirischen Befundes kann also zumindest in eine Richtung Entwarnung gegeben werden: Private Sicherheitsdienste stellen keine Bedrohung des Gewaltmonopols dar; Zeichen von Schwäche staatlicher Gewalt sind nicht zu bemerken. Der Staat und sein Monopol sind wohlauf — es geht es ihnen, wenn man so will, sogar zu gut. Wie ist die Gratwanderung zwischen dem Schutz des Bürgers und seine Bedrohung durch dieselbe Instanz zu bewältigen? Dieses Problem ist aktueller denn je. Im Hobbesschen Verständnis haben sich die Bürger dem Staat vollständig zu unterwerfen. Sie liefern sich ihm aus, und im Gegenzug gewährt der Staat ihnen Schutz. Dieses Bild entspricht nicht mehr unseren modernen Vorstellungen vom Staat. Aber die Wirklichkeit nähert sich ihm an. Um so wichtiger ist es, sich die Gefahren zu vergegenwärtigen, die vom Staat selbst ausgehen.
1 Die folgenden Beobachtungen, Informationen und Interviews entstammen einem größeren Forschungsprojekt; vgl. detaillierter dazu Kirsch 2003.

Literatur

Busch, Heiner et.al. 1985: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt am Main/New York Corts, Udo 2000: Anforderungen an die Polizeiorganisation im neuen Jahrhundert unter Berücksichtigung begrenzter Ressourcen am Beispiel des Landes Hessen; in: Die Polizei 91, H. 7/8, S. 199-211 Eick, Volker 1995: Die „Operative Gruppe City West”; in: Bürgerrechte und Polizei 51, H. 2, S. 30-41 Höft, Uwe 1991: Was kostet die Polizei? — eine vergleichende Analyse; in: Bürgerrechte und Polizei
39, H. 2, S. 83-88
Ders. 1992: Was kostet die Polizei? — eine vergleichende Analyse (II); in: Bürgerrechte und Polizei 43, H. 3, S. 59-63
Johannsen, Hans-Peter 2000: Zum neuen Aufgabenverständnis der Polizei; in: Die Polizei 91, 4, S. 109-111
Kirsch, Benno 2003: Private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum. Formen und Folgen der Zusammenarbeit mit der Polizei in Berlin und Frankfurt am Main, Wiesbaden
Prätorius, Rainer 2000: Der verhandelnde und befehlende Staat; in: Gerlach, Irene/Nitschke, Peter
(Hg.): Metamorphosen des Leviathan? Staatsaufgaben im Umbruch, Opladen, S. 61-70
Programm Innere Sicherheit 1993: Fortschreibung 1994 durch die Innenminister/-senatoren der Länder
und den Bundesminister des Innern, Potsdam
Schnekenburger, Franz 1999: Rechtsstellung und Aufgaben des Privaten Sicherheitsgewerbes, Köln u.a. Wurtzbacher, Jens 2003: Sicherheit als gemeinschaftliches Gut. Bürgerschaftliches Engagement für innere Sicherheit; in: Leviathan 31, H. 1, S. 92-116

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