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Reaktionen auf einen „Offenen Brief”

vorgängevorgänge 1212/1970Seite 427-432

über Mißstände im Strafvollzug und deren mögliche Abschaffung

Aus: vorgänge Nr. 12(Heft 12/1970),Seite 427-432

(vg) In Heft 7/70 (S. 260 f) veröffentlichten wir den von Birgitta Wolf verfaßten und von 143 Persönlichkeiten mitunterzeichneten „Offenen Brief” an den Bundesjustizminister und die Kommission für das Stra f vollzugsgesetz. Birgitta Wolf ist zahlreichen Strafgefangenen wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für sie und im übrigen auch den vg-Lesern bekannt.
Der „Offene Brief” hatte eine bemerkenswerte öffentliche Resonanz. Auch haben fast alle zuständigen Ministerien auf ihn geantwortet. Dieses Ergebnis rechtfertigt überaus die Veröffentlichung des nachfolgenden von Frau Wolf zusammengestellten Berichts, der wegen der Antworten der Länderjustizminister zugleich auch ein Abriß über den erreichten Stand der Verbesserung der Bedingungen des Strafvollzugs ist.

Am 26. Mai 1970 übersandte ich an Bundesjustizminister Gerhard Jahn und den Vorsitzenden der Strafvollzugskommission, Professor Rudolf Sieverts, einen von mir verfaßten und von 143 Repräsentanten des öffentlichen Lebens unterzeichneten „Offenen Brief”. Mein Schreiben, das auszugsweise fast in der gesamten Tagespresse und vollständig in den Zeitschriften Vorgänge (Nr. 7/1970) und „Mensch und Staat” (Nr. 5/1970) veröffentlicht wurde, befaßte sich vor allem mit Mißständen im Strafvollzug, die offenbar gegen das Grundgesetz verstoßen (z. B. verschärfter Arrest mit hartem Lager und Nahrungsentzug, Informationsfreiheit, Aufrechterhaltung der Ehe) und mit der — unserer Meinung nach rechtswidrigen — Praxis der Gerichte, eine jahrelange manchmal auch jahrzehntelange Strafe u n d anschließende Einweisung in eine Heilstätte auszusprechen (entweder ist der Täter gesund — dann laut geltendem Recht Freiheitsstrafe; oder er ist krank — dann gleich Heilstättenbehandlung, nicht aber als Ausläufer des Vergeltungsgedankens, zuerst eine jahrelange Verschlimmerung des Krankheitszustandes durch den Gefängnisaufenthalt!).
Weiter befaßt sich der Brief mit unzulässigen Doppelbestrafungen, mit der Neuordnung der Gefangenenarbeit und ihrer. Bezahlung nach Tariflohn, einschließlich ordnungsgemäß abgeführten Beiträgen für Steuer und Versicherungen. Was der Staat heute macht, da er in seinem Strafvollzug die Gefangenen acht Stunden am Tag, ohne Sozialversicherung und einen gesetzlich garantierten Lohn, arbeiten läßt, würde jedem anderen Arbeitgeber ein Strafverfahren einbringen. Weiter enthielt der Brief in konzentrierter Form Vorschläge für Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten, Urlaubsregelungen und Entlassungshilfe.
Unterzeichnet wurde er unter anderem von 63 Professoren der Rechte, der Philosophie, der Theologie, der Kriminologie, der Soziologie, der Pädagogik, von Ärzten, Rechtsanwälten,
Diplompsychologen, Diplomsoziologen, Doktoren verschiedener Wissenschaften, von wissenschaftlichen Assistenten, Ministerialdirektoren, Oberregierungsräten, Regierungsangestellten, Gerichtsassessoren, Referendaren, Fürsorgern, Oberstudiendirektoren, von Hilfsorganisationen wie „Amnesty International”, von der Aktion „Junge Menschen in Not” (Gefangenen- und Entlassungshilfe), von der „Nothilfe Birgitta Wolf e.V.”, von Schriftstellern, Pfarrern, von Studenten und — was mir als wichtig erscheint — auch von einem Landgerichtspräsidenten und von einem Bundesverfassungsrichter.

Die Reaktion auf diesen — teilweise scharf formulierten — „Offenen Brief” erscheint mir so bedeutungsvoll und auch bezeichnend sowohl für die Aufgeschlossenheit und Einsatzbereit-
schaft des Bundesjustizministeriums, des Vorsitzenden der Strafvollzugskommission und verschiedener Justizminister der Bundesländer, wie für immer noch im Vergeltungsdenken steckengebliebene Teile der Öffentlichkeit, daß ich mich zu einem kurzen Bericht darüber entschlossen habe.

Die Antwort des Vorsit­zenden der Straf­voll­zugs­kom­mis­sion

„Hamburg, den 8. Juni 1970
Sehr geehrte Frau Wolf!
Ich danke Ihnen sehr für Ihren Brief vom 26. Mai 1970 und für die Anlage eines „Offenen Briefes” an die Mitglieder der Strafvollzugskommission und an Hern Bundesjustizminister Jahn. Ich darf zunächst sagen, daß Sie mir keine Unbekannte sind. Aber ich habe, soweit das von Hamburg aus möglich ist, Ihre Betreuungsarbeit für Gefangene sehr verfolgt und wohl alle Ihre Schriften und Aufsätze gelesen und diese in meinem akademischen Unterricht, aber auch in der Arbeit der Strafvollzugskommission verwendet. Ich habe Sie also seit langem als eine sehr wichtige Mitstreiterin für die Reform des Strafvollzuges angesehen und hoffe, daß wir uns nun doch bald einmal auch mündlich sprechen können.
Die Abänderungsvorschläge in Ihrem ,Offenen Brief‘ sind zum Teil schon in den Empfehlungen der Strafvollzugskommission enthalten. Ich nehme an, daß Sie die bisher 10 Tagungsberichte mit den Referaten und den beschlossenen Leitsätzen und Empfehlungen von der Abteilung IIb (Strafvollzug) des Bundesjustizministeriums erhalten haben… Augenblicklich hat die Kommission eine Tagungspause, um dem Bundesjustizministerium Zeit zu geben, die bisherigen Leitsätze und Empfehlungen der Kommission in einen paragraphierten Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes umzugießen. Die Kommission wird im Herbst ihre Tagungen wieder aufnehmen und dann den inzwischen fertiggestellten Entwurf des BJM beraten. Die Arbeiten der Kommission müssen bis etwa zum Mai 1971 abgeschlossen sein, damit die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat noch genügend Zeit haben, in dieser Bundestagswahlperiode das Gesetz zu beraten und zu verabschieden, so daß es mit dem gesamten Strafgesetzbuch am 1. 10. 1973 in Kraft treten kann. Auf der nächsten Tagung werden wir die einzelnen Abänderungsvorschläge in Ihrem ,Offenen Brief‘ durchnehmen und feststellen, ob Ihre Änderungsvorschläge in dem Gesetzentwurf berücksichtigt sind oder ob das für einige Ihrer Anregungen nachgeholt werden muß.
Ich würde es übrigens für sehr gut halten, wenn Sie den ,Offenen Brief‘ an die Landesjustizminister auch schicken würden, denn sie sind die einzige Instanz, die schon durch eine entsprechende Abänderung der gegenwärtigen Dienst- und Vollzugsordnung dafür sorgen könnte, daß die von Ihnen gerügten Mängel schon vor dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes des Bundes abgestellt werden.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Sieverts“

Den Vorschlag von Professor Sieverts nahm ich sofort auf und verschickte den „Offenen Brief” an sämtliche Landesjustizminister mit der Bitte, daß sie schon vor dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes des Bundes von sich aus die Anordnung treffen, daß ab sofort Mißstände im Strafvollzug, die eine Verletzung des Grundgesetzes darstellen, in ihrem Hoheitsbereich abgestellt werden.
Dieses Anliegen verband ich mit dem Hinweis auf eine Kategorie von Tätern, die längst hätten begnadigt werden müssen: „Ich möchte diesen Brief noch mit der Bitte schließen, daß man in sämtlichen Ländern der Bundesrepublik nachprüft, ob sich in dem jeweils zuständigen Hoheitsbereich noch Lebenslängliche im Strafvollzug befinden, die, zur Tatzeit minderjährig, vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes von 1953 zu lebenslänglich verurteilt wurden.
Wir haben doch alle das Chaos der Nachkriegszeit nicht vergessen. Zerstörte Städte. Auseinandergerissene Familien. Hunger. Schwarzmarktgeschäfte. Kaum einer von uns, der sich nicht straffällig machte. Wo war damals die ruhige, gleichmäßige Erziehung der Kinder in der Kriegszeit? Lange bevor sie erwachsen waren, gab man ihnen Waffen in die Hände und lehrte sie, wie sie zu töten hatten. — Minderjährige wurden zu Mördern, sie wurden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. — Jahre vergingen. Die Zeiten beruhigten sich.
Die Brutalität nahm ab — sowohl im Zivilleben wie im Rechtsdenken.
Das Jugendgerichtsgesetz von 1953 nahm Rücksicht auf Unreife, Entwicklungsstörungen und Erziehungsmöglichkeiten von Jugendlichen und Heranwachsenden. — Dieses Gesetz gab der Justiz nicht nur die Möglichkeit, Heranwachsende als Jugendliche einzustufen, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltsbedingungen ergab, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand.
Wer aber will diese Tatsache bestreiten, wenn es sich um Minderjährige in der Nachkriegszeit handelt? Wo waren die äußeren Umstände in der Kriegs- und Nachkriegszeit gegeben, die eine stetige, harmonische, ungestörte Entwicklung und Erziehung gewährleistet hätten, so daß man diese Jungen als abgeschlossene gefestigte Persönlichkeiten hätte ansehen können? Gab ihnen unsere Generation eine Chance in dieser Zeit? — Die Minderjährigen, die das Unglück hatten, einige Jahre zu früh geboren zu sein, im Krieg aufgewachsen, in der Nachkriegszeit schuldig geworden, büßen jetzt 20 bis 24 Jahre.
Ich bitte um eine Nachprüfung durch die Länderministerien ob und wie viele zur Tatzeit minderjährige, zu lebenslänglich verurteilte Gefangene sich noch in den Anstalten ihres Zuständigkeitsbereiches befinden. Da der Artikel 3, Absatz 1 unseres Grundgesetzes aussagt, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sind, bitte ich die ungeheuerliche Benachteiligung dieser zur Tatzeit Minderjährigen durch eine möglichst schnell durchzuführende Begnadigung aufzuheben und sie den später verurteilten Heranwachsenden gleichzustellen — auch wenn ihnen die verlorenen Jahre, in denen sie vergessen waren, nicht mehr zurückgegeben werden können.”

Antwort des Bundes­jus­tiz­mi­nis­ters

Bevor die Antworten der Justizminister der Länder eintrafen, erhielt ich die Antwort des Bundesministers der Justiz:

„Bonn, den 17. Juni 1970
Frau Birgitta Wolf, 811 Murnau, Ramsach 7

Sehr verehrte Frau Wolf,
für Ihr Schreiben vom 26. Mai 1970 und die Obersendung des offenen Briefes zur Reform des Strafvollzugs danke ich Ihnen sehr.
Ich teile Ihre Auffassung, daß die in der Erklärung aufgezeigten Problemkreise im künftigen Strafvollzugsgesetz einer Neuregelung bedürfen, die den Gefangenen im Grundgesetz
verankerte Rechte garantiert. Die bisherigen Arbeiten der vom Bundesminister der Justiz berufenen Strafvollzugskommission rechtfertigten die Erwartung, daß deren Vorschläge von dieser Grunderwägung ausgehen. Der von mir der Bundesregierung demnächst vorzulegende Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes wird dem folgen. Sie dürfen sicher sein, daß ich auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren meinen ganzen Einfluß für eine menschenwürdige, dem Grundgesetz entsprechende Behandlung der Gefangenen geltend machen werde.
Ihr Einverständnis voraussetzend beabsichtige ich, den Mitgliedern der Strafvollzugskommission je einen Abdruck der Erklärung zur Verfügung zu stellen.
Mit vorzüglicher Hochachtung: Gerhard Jahn“

Ich halte diesen Brief für äußerst bedeutungsvoll, denn der Bundesjustizminister hat den moralischen Mut zu erklären, daß er unsere Auffassung teilt, „daß die in der Erklärung aufgezeigten Problemkreise im künftigen Strafvollzugsgesetz einer Neuregelung bedürfen, die den Gefangenen im Grundgesetz verankerte Rechte garantiert”. Auch der Satz: „Sie dürfen sicher sein, daß ich auch in weiteren Gesetzgebungsverfahren meinen ganzen Einfluß für eine menschenwürdige, dem Grundgesetz entsprechende Behandlung der Gefangenen geltend machen werde” zeigt, daß der jetzige Bundesjustizminister entschlossen ist, den Weg des Fortschritts weiter zu gehen, den sein Vorgänger, der jetzige Bundespräsident Heinemann, beschritt. Wenn man bedenkt, daß Fortschritte im Strafrecht und Strafvollzug niemals von der Wählermasse honoriert werden, kann man die Bedeutung dieser mutigen Stellungnahme ermessen.

Antworten von Länder­mi­nis­te­rien

Es würde zu weit führen, sämtliche Antworten aus den Länderministerien ungekürzt zu veröffentlichen, deshalb in diesem Bericht nur einige Auszüge.

Der Niedersächsische Minister der Justiz schreibt am 15. Juli 1970:
„Zu Ihrem Vorschlag, vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes des Bundes schon im Vorwege einzelne Bestimmungen der Dienst- und Vollzugsverordnung zu ändern, möchte ich zu-nächst darauf hinweisen, daß das schon in wichtigen Bereichen des Strafvollzugs geschehen ist. (…) Es wird durchaus daran gedacht, mit weiteren Neuerungen nicht bis zum Erlaß des Strafvollzugsgesetzes zu warten; entsprechende Änderungen der Dienst- und Vollzugsordnung sind ins Auge gefaßt. Da die DVollzO eine bundeseinheitliche Vorschrift ist, sollte aber nach Möglichkeit vermieden werden, daß einzelne Länder Sonderregelungen vorwegnehmen, die in anderen Ländern noch nicht eingeführt sind. Wegen des starken Gefangenenaustausches innerhalb der einzelnen Länder muß eine Gewähr gegeben sein, daß ein einheitlicher Strafvollzug innerhalb der Bundesrepublik soweit wie möglich erhalten bleibt. Es wird Aufgabe des Strafvollzugsausschusses der Länder sein, sich mit entsprechen-den Änderungsvorschlägen zu befassen und zu einer einheitlichen Meinungsbildung zu kommen. (…) Was insonderheit Ihren Vorschlag angeht, beim Vollzug der Hausstrafe ,Arrest` künftig die Schärfungen wegfallen zu lassen, so ist es gewiß eine diskussionswerte Frage, ob in einem auf Resozialisierung abgestellten Vollzug auf solche Schärfungen verzichtet werden kann. ( . . . )

Nach Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes vom 8. 5. 1953 wurden alle in Niedersachsen gegen Heranwachsende verhängten lebenslänglichen Zuchthausstrafen im Gnadenverfahren überprüft, weil das Gericht gemäß § 106 des neuen Jugendgerichtsgesetzes wegen der Straftat eines Heranwachsenden, auf die das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist, anstelle von lebenslangem Zuchthaus auf eine Zuchthausstrafe von 10 bis 15 Jahren erkennen konnte. Im Zuge dieser Überprüfung wurden von 1957 bis 1967 insgesamt 12 Verurteilte, die zur Zeit der Tat Heranwachsende waren und noch vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes von 1953 zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt worden waren, nach einem Gnadenakt des Herrn Niedersächsischen Ministerpräsidenten entlassen. Zugleich wurden zwei weitere Verurteilte, die bei der Begehung der Straftaten nur wenige Monate älter als 21 Jahre waren, ebenfalls begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. 4 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Heranwachsende wurden bisher nicht begnadigt, obwohl ein Gnadenerweis in den letzten Jahren entweder aufgrund von Gnadengesuchen oder von Amts wegen wiederholt geprüft wurde. ( . . . ) Sie können aber versichert sein, daß gerade des Schicksals junger Gefangener, die schwerste Straftaten begangen haben, auch im Bereich der Handhabung des Gnadenrechts, stets besonders gedacht wird und daß diese — Gott sei Dank wenigen — noch nicht erledigten Gnadenanliegen in der Beachtung bleiben.”

Der Justizsenator der Hansestadt Hamburg schreibt am 9. Juli 1970:
„Haben Sie vielen Dank für die Übersendung des ‚Offenen Briefes‘ und Ihr freundliches Schreiben vom 18. Juni 1970. Ich habe Ihre Anregungen mit großem Interesse gelesen und begrüße es sehr, daß Persönlichkeiten, die wie Sie durch jahrelange Erfahrung einen tiefen Einblick in die Probleme des Strafvollzuges haben, unsere Bemühungen um eine wirksame Reform unterstützen. Sie greifen in Ihrem offenen Brief Fragen auf, deren Lösung gerade in den letzten Jahren zum Teil auf Länderebene — teils aber auch durch Abstimmung der Justizminister der Länder im gesamten Bundesgebiet — bereits in Angriff genommen sind.
Lassen Sie mich nur kurz auf einige Punkte eingehen: Im Frühjahr dieses Jahres ist in Hamburg die letzte vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes ausgesprochene lebenslängliche Strafe in eine zeitige umgewandelt worden. Dieser Mann, nach zwanzigjähriger Freiheitsentziehung psychisch schwer gestört, wird zur Zeit von der Sonderanstalt Bergedorf aus in einem Übergansvollzug auf die Entlassung vorbereitet. — Die Frage, in-wieweit die Einrichtung des ,verschärften Arrestes‘ mit den Zielsetzungen eines modernen Strafvollzuges vereinbar sei, ist bei uns auch erörtert worden. Senatsdirektor Dr. Groothoff wird in seinem Referat auf dem diesjährigen Juristentag (Anm. d. Red.: s. Vorgänge 11/70, S. 377 ff (380 f) neue Vorschläge zu diesem Problem unterbreiten. — Die Erweiterung der Informationsmöglichkeiten der Insassen von Vollzugsanstalten sowie die Stärkung der Verbindungen zur Außenwelt, insbesondere zu Angehörigen, standen in Hamburg im Mittelpunkt der Reformbemühungen. Wir haben den Zeitungsbezug weitgehend liberalisiert, Beschränkungen hinsichtlich Umfang und Häufigkeit des Briefverkehrs aufgehoben, die Möglichkeit zu Besuchen im Rahmen des organisatorisch und verwaltungstechnisch Möglichen erweitert und durch eine neue Urlaubsregelung in verstärktem Umfang die Möglichkeit zu Familien- und Festtagsurlauben geschaffen. Im Jahre 1969 wurden zum Beispiel 1 627 Urlaubsgesuche bewilligt.“

Der Minister der Justiz im Saarland antwortet am 15. Oktober 1970 durch seinen persönlichen Referenten:
(…) Die Feststellungen des Herrn Ministers haben ergeben, daß die Vollzugspraxis im Saarland keine Änderungen der Dienst- und Vollzugsordnung im Vorgriff auf das zu erwartende Strafvollzugsgesetz erfordert, wobei ich davon ausgehe, daß auf Empfehlung der Strafvollzugskommission bereits einige Bestimmungen in jüngster Zeit geändert worden sind. Entsprechend dem von der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis anerkannten Grundsatz der eingeschränkten Grundrechtsgeltung in besonderen Gewaltverhältnissen kann in dem als klassisch hierfür geltenden Fall der Strafanstalten den Grundrechten keine uneingeschränkte, sondern nur eine am Anstaltszweck — d. h. dem Sinn und Zweck des Strafvollzugs — orientierte Geltung verschafft werden. (…) Im Saarland sind keine zu lebenslanger Freiheitsstrafe vor dem Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes verurteilte, zur Tatzeit noch minderjährige Jugendliche inhaftiert.“

Der Justizminister des Landes Schleswig-Holstein am 31. Juli 1970 im Auftrag:
»Herr Justizminister Dr. Schwarz, dem Ihr Schreiben vorlag, hat Ihre Anregungen zur Verbesserung des Strafvollzugs mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Soweit nicht bereits in Schleswig-Holstein Ihren Vorstellungen entsprechende Regelungen getroffen worden sind, werden Ihre Ausführungen bei den laufend fortgeführten Reformmaßnahmen im Strafvollzug eingehend geprüft und berücksichtigt werden. — Das ebenfalls von Ihnen angesprochene Problem der vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten ist bekannt. Zur Zeit befindet sich lediglich noch ein schleswig-holsteinischer Gefangener in Haft, der vor 1953 als Heranwachsender zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden ist; die Frage seiner Begnadigung wird ständig überprüft.“

Der Justizminister Baden-Württemberg, Dr. Schieler schreibt am 7. August 1970:
„Ihr Schreiben vom 18. Juni 1970 und den ,Offenen Brief‘ vom 26. Mai 1970 habe ich mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Wie Ihnen sicher bekannt ist, stehe ich der Reform des Strafvollzugs sehr aufgeschlossen gegenüber. Ich bin deshalb — gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit meinen Kollegen in den übrigen Bundesländern — auch bereit, Vorschläge und Erkenntnisse der Strafvollzugskommission, die in dem künftigen Strafvollzugsgesetz des Bundes ihren Niederschlag finden werden, schon vor Inkrafttreten dieses Gesetzes in Baden-Württemberg im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen, soweit dies nicht schon geschehen ist.
Zur derzeitigen Praxis des Strafvollzugs in Baden-Württemberg darf ich Ihnen im Zusammenhang mit den in dem ,Offenen Brief‘ angesprochenen Fragen folgendes mitteilen: — Bei der körperlichen Durchsuchung von Gefangenen wird in den Vollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg gem. Nr. 173 Abs. II DVollzO verfahren. Danach wird die Untersuchung in einem geschlossenen Raume in Abwesenheit anderer Gefangener vorgenommen. Auch sind bei den Kontrollen in der Regel 2 Beamte anwesend. — Bereits seit September 1968 findet eine Zensur der von den Gefangenen bezogenen Zeitungen
und Zeitschriften nur noch in schwerwiegenden Ausnahmefällen statt. Der Einkauf von Kommentaren zum Strafgesetzbuch, zur Strafprozeßordnung oder zu sonstigen Gesetzen wird den Gefangenen gestattet. Außerdem können solche Kommentare in der Regel von den Gefangenen auch bei der jeweiligen Anstaltsbücherei ausgeliehen werden. — Aus Personalgründen war es bisher leider nicht möglich, von der nur 15minütigen Regelbesuchsdauer abzugehen.
Lediglich in den Vollzugsanstalten Schwäbisch Hall (Jugendstrafanstalt) und Pforzheim (Strafanstalt für junge Gefangene) beträgt die Besuchsdauer 30 Minuten. In diesen Anstalten wird der Besuch zum Teil nur noch optisch überwacht. Es ist geplant, die Besuchsdauer in allen Vollzugsanstalten nach und nach auf 30 Minuten auszudehnen und in Kürze die Besuchsüberwachung in den Vollzugsanstalten Ulm und Heilbronn, in denen lediglich nicht gefährliche Gefangene mit günstiger Kriminalprognose einsitzen, auf Einzelfälle oder Stichproben zu beschränken. Seit Dezember 1969 können geeignete Gefangene, deren Strafrest nicht mehr als 18 Monate beträgt, in halbjährlichen Abständen und im Monat vor ihrer Entlassung einen Regelurlaub bis zu 7 Tagen erhalten. Der Urlaub soll dazu dienen, Familienkontakte aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen oder die Arbeitsaufnahme nach der Entlassung vorzubereiten. Durch den Urlaub wird der Strafvollzug nicht unterbrochen, so daß in jedem Fall eine Anrechnung der Urlaubszeit auf die Strafzeit stattfindet. — Auf die Verhängung von Hausstrafen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit kann im Strafvollzug wohl auch in der Zukunft nicht gänzlich verzichtet werden. Zur Frage des Arrestes möchte ich hier nur feststellen, daß die Leiter der bad.württ. Vollzugsanstalten im vergangenen Jahr angewiesen worden sind, von dieser Hausstrafe, die ich im übrigen nicht für verfassungswidrig halte, nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen und zu ihr nur als ultima ratio zu greifen. (…) — Wie Ihnen vielleicht bekannt ist, setze ich mich schon seit Jahren für eine angemessene Entlohnung der Gefangenenarbeit und die Einbeziehung der Gefangenen in die Sozialversicherung ein. (…) — Den Fragen der Aus- und Fortbildung der Gefangenen sowie der Entlassungsvorbereitung wird in Zukunft eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden. Schon jetzt bestehen aber zahlreiche Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten in den Anstalten, darüber hinaus können die Gefangenen an Fernkursen teilnehmen. Personal- und Arbeitspapiere werden zum Zeitpunkt der Entlassung grundsätzlich durch die Anstalt beschafft, ebenso eine Arbeitsstelle, falls der Gefangene dies wünscht. Gegebenenfalls kann, wie schon erwähnt, auch ein Urlaub im letzten Monat vor der Entlassung zur Arbeitsbeschaffung gewährt werden. Die Vermittlung einer Wohngelegenheit kann allerdings nur in relativ seltenen Fällen erfolgen. — Abschließend darf ich Ihnen noch mitteilen, daß in Baden-Württemberg keine Gefangenen mehr einsitzen, die noch vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes als Minderjährige zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind.”

(Zu diesem Brief ist als besonders erfreulich zu vermerken, daß der Minister — gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den Kollegen in den übrigen Bundesländern — bereit ist, Vorschläge und Erkenntnisse der Strafvollzugskommission die im späteren Strafvollzugsgesetz berücksichtigt werden, schon vor Inkrafttreten dieses Gesetzes im Rahmen des Möglichen zu verwirklichen.)

Der Justizminister von Rheinland-Pfalz, antwortete am 27. Juli 1970:
„In den Justizvollzugsanstalten meines Geschäftsbereichs sitzen zur Zeit noch zwei Gefangene ein, die zur Tatzeit minderjährig waren und die vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. (…) —Änderungen der b u n d e s e i n h e i t i i c h erlassenen Dienst- und Vollzugsordnung werden in gegenseitigem Einvernehmen der Justizminister und -senatoren der Bundesländer beschlossen. Dies gilt auch für den von Ihnen angesprochenen Hausstrafenkatalog. Ihre Besorgnis, daß bei Vollzug des Arrestes die Gefangenen unter Umständen psychisch geschädigt und physisch gequält würden, ist nach meinen Erfahrungen unbegründet.
Die Entschließungen der Justizminister und -senatoren werden — soweit sie den Strafvollzug betreffen — zunächst in dem Strafvollzugsausschuß der Länder abgestimmt. Die nächste Tagung des Ausschusses findet voraussichtlich im Oktober 1970 statt und wird von dem Lande Niedersachsen ausgerichtet. Es bleibt abzuwarten, ob und mit welchem Ergebnis die von Ihnen angeregten Änderungen der Dienst- und Vollzugsordnung des Ausschusses einbezogen werden.”

Mit den Landesjustizministern Dr. Dr. Josef Neuberger in Nordrhein-Westfalen und Karl Hemfler in Hessen stehe ich immer noch in Verhandlungen wegen der Entlassung der noch einsitzenden, zur Tatzeit minderjährigen Lebenslänglichen, die vor dem Jugendgerichtsgesetz 1953 verurteilt wurden. In Nordrhein-Westfalen sind inzwischen zwei Gefangene dieser Kategorie auf meine Gnadengesuche hin entlassen worden und die weiteren Fälle werden überprüft. In Hessen hat sich Minister Hemfler, auch der Presse gegenüber, für eine bevorzugte Entlassung von Gefangenen, die zu dieser Gruppe gehören, ausgesprochen. Die psychologischen Gutachten sind hervorragend ausgefallen und ich erwarte die ersten Entlassungen noch vor Weihnachten 1970.

Der Bayerische Justizminister läßt mir durch seinen Referenten für Strafvollzug am 29. Juli 1970 kurz und bündig schreiben, daß er — der Referent, Ministerialrat Mayer — glaubt, von einer erneuten Stellungnahme absehen zu können, da er sich ein Jahr zuvor mit meinen Vorschlägen zu einer Reform des Strafvollzuges bei einer öffentlichen Diskussion nach einem Vortrag von mir in München auseinandergesetzt habe…
In Bayern sind alle zur Tatzeit minderjährigen, vor Inkrafttreten des JGG verurteilten, Gefangenen inzwischen begnadigt, worden, jedoch gibt es hier den — soviel ich weiß in der ganzen Bundesrepublik einzigartigen — Fall, daß ein minderjähriger, noch im Pubertätsalter stehender Junge n a c h Inkrafttreten des JGG wegen M o r d v e r s u c h s in Zusammenhang mit zwei Vergewaltigungen zu l e b e n s l ä n g l i c h e m  Z u c h t h a u s verurteilt wurde. Hier treffen zwei Ausnahmefälle zusammen: Nach der gemilderten Rechtssprechung, die auf Erziehungs- und Entwicklungsmöglichkeiten eines Heranwachsenden Rücksicht nimmt, wird ein Minderjähriger, der bis dahin nur äußerst ungünstige und somit auch strafmildernde Umweltsbedingungen hatte, doch noch zu lebenslänglich verurteilt und das laut Urteil nicht wegen Mordes, sondern wegen M o r d v e r s u c h s. Es ist nur zu hoffen, daß dieser zur Tat-zeit unreife, unaufgeklärte und seinen Sexualtrieb noch nicht beherrschende Junge, der in einem Heim „erzogen” wurde und der nunmehr eine offensichtliche Nachreife durchgemacht hat, so daß die Anstaltsleitung von ihm eine sehr gute Beurteilung abgibt, nach 10 Jahren Strafverbüßung begnadigt wird. Die damaligen Gutachten sind durch seine Entwicklung längst überholt.

Der Senator der Justiz in Berlin, Hoppe, schreibt am 17. November 1970 persönlich:
„Ich komme erst jetzt auf Ihr Schreiben vom 18. Juni 1970 zurück, weil ich vor meiner Erwiderung das Ergebnis des Gnadenverfahrens für den letzten in meinem Geschäftsbereich ein-sitzenden, vor Inkrafttreten des Jugendgerichtsgesetzes als Heranwachsender zu lebenslangem Zuchthaus verurteilten Gefangenen abwarten wollte. Auf meinen Vorschlag hat nunmehr der Senat von Berlin unter dem 3. November 1970 beschlossen, diesen Gefangenen, unter Zubilligung einer Bewährungsfrist von 5 Jahren, zu begnadigen, so daß er am 27. November 1970 aus der Strafhaft entlassen wird. Damit befindet sich kein als Jugendlicher oder Heranwachsender vor der Geltung des JGG zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter Gefangener mehr in den Vollzugsanstalten meines Geschäftsbereiches. — Auch Ihre Bemühungen um die Abschaffung des verschärften Arrests als Hausordnungsmaßnahme während des Strafvollzuges, habe ich mit Interesse zur Kenntnis genommen. In Berlin wird, entsprechend den Empfehlungen der Strafvollzugskommission, verschärfter Arrest grundsätzlich nur noch bis zu 14 Tagen verhängt und vollstreckt; für die Frage des völligen Wegfalls dieser Hausstrafe sollte m. E. jedoch den Vorstellungen des Bundesstrafvollzugsgesetzgebers nicht vorgegriffen werden.”

Antworten von Bundes­tags­ab­ge­ord­neten

Dietrich Rollmann, Mitglied des Deutschen Bundestages und des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform:
„Haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 27. 10. und den ,Offenen Brief‘, den ich schon kannte und dem ich weit-gehend zustimme. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in diesem Sinne auch im Sonderausschuß der Strafrechtsreform verhalten werden.”

Der Vorsitzende des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Dr. Hans Müller-Emmert, am 1. Dezember 1970: „Haben Sie recht herzlichen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Oktober 1970 und die Übersendung des an den Herrn Bundesminister der Justiz gerichteten Offenen Briefes. Sie dürfen sicher sein, daß auch ich mich schon jetzt und insbesondere bei den späteren Beratungen zu dem angekündigten Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes mit allem Nachdruck dafür einsetzen werde, daß im Strafvollzug menschenwürdige Bedingungen herrschen.”

Reaktionen aus der Öffent­lich­keit

Der frühere langjährige Gefängnispfarrer einer Berliner Strafanstalt schreibt:
„Für einen Mann mit meiner Praxis ist es unmöglich die Strafvollzugsreform nur unter dem Gesichtspunkt des Humanen zu sehen und der mehr oder minder aufgebauschten Würde des Menschen nach dem Grundgesetz.”

Auszug aus dem Brief von Monsignore Friedrich Gundermann: „Ich bin katholischer Gefängnisgeistlicher und Mitglied der Kommission (A. d. R.: Strafvollzugskommission). Ich bin zugleich auch am SWF-Baden-Baden tätig und habe in einer Reihe von Sendungen im Laufe der letzten zwei Jahre versucht, die Verantwortung der Öffentlichkeit gegenüber denen vom ,letzten Platz‘, den Strafgefangenen anzusprechen und wach zu rufen.«

Professor Dr. Gerhard Deimling
„Ihre Vorschläge zur Errichtung von länderübergreifenden Spezialanstalten (Punktgymnasien) decken sich voll und ganz mit meinen Vorstellungen.”

Oberlandesgerichtsrat Hans Doller:
„Mit regem Interesse und großer Achtung habe ich am 31. Oktober 1970 in der hiesigen ,Westfalenpost` (= ,Ruhrnachrichten`) über Sie und Ihre Arbeit gelesen. Für Ihr Engagement schulden wir alle Ihnen Dank, die Allgemeinheit ebenso wie die mit dem Gesetz in Konflikt geratenen Menschen. Auch als Strafrichter teile ich viele Ihrer Ansichten und bin mir bewußt, daß vieles neu durchdacht werden muß und tiefgreifender Reformen bedarf, daß insbesondere die Betreuung des nach Verbüßung einer, vor allem längerer, Freiheitsstrafe Entlassenen noch weithin sehr im argen liegt.”

Der Strafgefangene E. K.:
„Ich habe Ihren Offenen Brief an Herrn Bundesjustizminister Jahn in der Süddeutschen Zeitung gelesen und finde Ihre Forderung nach sozialer Gerechtigkeit eine mutige Tat (…)
Ich selbst protestiere gegen diese soziale Ungerechtigkeit indem ich meine auferlegten Pflichten als Gefangener nicht beachte. Ich arbeite nicht für Almosen, die mir der Staat großzügiger Weise geben will und man dann noch darauf aufmerksam gemacht wird, daß selbst auf diese Belohnung der Gefangene keinen Rechtsanspruch geltend machen kann. Natürlich muß ich auf sämtliche Vergünstigungen verzichten und einen härteren Strafvollzug in Kauf nehmen. Ich befinde mich in strenger Einzelhaft und werde hier bis zu meiner Entlassung gehalten. Es sei, ich würde anfangen zu arbeiten und mich der Anstaltsordnung unterwerfen. — Ich habe noch 15 Monate bis zu meiner Entlassung zu bestehen, dann habe ich diese nervenaufreibende Zeit hinter mir. Von den Hausstrafen, die mir wegen meines Verhaltens auferlegt wurden und noch bevorstehen, möchte ich aus verständlichen Gründen nichts berichten. Es kommt schon noch die Zeit dafür. Ich bin mir bewußt, daß ich durch mein Verhalten an der Sache nichts ändern kann, aber ich kann das Erlebte und meinen Charakter nicht so ohne weiteres abwerfen und ich will es auch nicht. Daß ich meine Gesundheit aufs Spiel setze weiß ich, aber jede Sache hat ihren Preis. (…) Mein Sachschaden betrug 400 DM, ich habe keinem Armen was genommen, weil ich es am eigenen Leib verspürt habe, was Armut bedeutet. Jetzt verlangt der Staat von mir, daß ich meine volle Arbeitskraft für 70 Pfennig Tageslohn 31/2 Jahre zur Verfügung stelle. Da mache ich nicht mit.” *

Schließlich ein anonymer Brief als „Stimme des Volkes”:
„In dem „Rechtsstaat“ genannt Bundesrepublik Deutschland, besteht in allen Lebensbereichen und den zuständigen Dienststellen ein derart mangelhaftes Verständnis, daß je d e r Verbrecher mehr Chancen hat als ein rechtschaffener Bürger. — Deshalb ist es nicht verständlich, wenn sich eine intelligent scheinende Dame für eine Milderung im Strafvollzug einsetzt, ja — das ist sogar im höchsten Grade verwerflich. Wir haben hier deutsche Verhältnisse und nicht schwedische, wenn es jemandem nicht passen sollte, so steht es ihm frei, jederzeit auszuwandern. Wir, die Deutschen, können keine Menschen in unserem erschütterten Lande gebrauchen, die das Verbrechertum noch unterstützen und damit auch legalisieren helfen. Was gebraucht wird ist die T o d e s s t r a f e und in etwas milderen Fällen eine lebenslange Arbeitslagereinweisung, solange nämlich die Angehörigen, der Opfer leben.” ( . . . ) – Der Absender schlägt weiter vor, wenn der Täter „sich nicht für geistig normal hält: Einweisung in ein Sonderlager, keine Arbeitsleistung, dafür als Versuchsperson für alle möglichen medizinischen Versuche zu Gunsten der Menschheit” oder: „Täter will nicht arbeiten, Herabsetzung der Beköstigung auf das Mindestmaß bis dieser verhungert.” . . .

*Der Strafgefangene hat sich geweigert, ein Paket von mir anzunehmen, er will auch sonst keine Vergünstigungen; seinen Streik macht er aus prinzipiellen, nicht privaten Gründen.

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