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Die DDR-Au­f­a­r­b­ei­tung und die Politik der Erinnerung

Das Beispiel Bautzen

aus: vorgänge Heft 2/2012,S.69-81

Gemäß einer konstruktivistischen Geschichtsschreibung, die davon ausgeht, dass überlieferte Geschichte kulturell hergestellt und über die Vermittlung der Vergangenheit zugleich viel über die Gegenwart mitgeteilt wird, scheint es geboten, der Frage nachzugehen, wer prägte in diesen 20 Jahren nach 1989 das SBZ/DDRGeschichtsnarrativ und mit welchen Folgen? Wie beeinflusst sind die Aufarbeitung und das Entstehen einer beispiellosen Gedenkstättenlandschaft durch die Zeitzeugen, wenn ein kommunikatives Gedächtnis und ein kulturelles Gedächtnis parallel entstehen? Für die Aufarbeitung der SBZ/DDR-Vergangenheit in den ersten 20 Jahren nach dem Kollaps des Regimes lässt sich sagen, dass sie durch diese Parallelität eine geschichtsund erinnerungspolitische Rufladung erhielt und deshalb äußerst widersprüchlich verlief Erstens sorgten die Wortführer der SBZ/DDR-Aufarbeitung (Opfer und ihre Vertreter, Oppositionelle und Bürgerbewegte), im unbedingten Wollen, unmittelbar die Verbrechen aufzudecken und Zeichen der Erinnerung zu setzen, einerseits für eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit und Sensibilisierung gegenüber SBZ/DDR-Unrecht, andererseits beförderten sie in diesem unbedingten Wollen tendenziöse Sichtweisen und begünstigten Mythenbildungen.

Zweitens war die Aufarbeitung der SBZ/DDR-Vergangenheit wie keine andere Vergangenheitsschicht Gegenstand aktuell-politischer Initiativen und Profilierungen. So zeugen zwei Enquete-Kommissionen sowie die verschiedenen Gesetzesinitiativen des Deutschen Bundestages zu Aktensicherung und zur Gedenkstättenfinanzierung von einem bis dahin unbekannten Maß an öffentlichem Bekenntnis zur Diktaturaufarbeitung. Andererseits genoss die allmähliche Institutionalisierung der Erinnerung in der Tagespolitik minimale Unterstützung, standen die mühsamen Kämpfe um einzelne historische Orte im krassen Widerspruch zum proklamierten Aufarbeitungsdiktum. Anhand der Entwicklungsgeschichte der Gedenkstätte Bautzen lassen sich diese Antinomien im Umgang mit der SBZ/DDR-Vergangenheit nach 1989 beispielhaft rekonstruieren und belegen.(1)

Im Vordergrund der Aufarbeitungsbemühungen in Bautzen stand zunächst das „Speziallager Nr. 4” (später Nr. 3), das in Bautzen I zwischen Mai 1945 und Februar 1950 unter sowjetischer Verwaltung existiert hatte und von 1950 bis 1956 unter der DDR-Verwaltung als politische Haftanstalt fortgeführt wurde.(2) Vergleichbar anderen Speziallagern in der SBZ entwickelte sich das „Speziallager Bautzen” von einem Entnazifizierungs- zu einem Willkürinstrument zur Isolation und Repression politisch unliebsamer Personen, insbesondere solcher, die die sowjetische Besatzungspolitik ablehnten, denen zunehmend „antisowjetische Propaganda”, „illegale Gruppenbildung” und „Spionage” vorgeworfen wurde. Aufgrund der Häftlingsbewegungen waren in ,Bautzen I“ bzw. im so genannten „Gelben Elend” zwischen Sommer 1945 und Februar 1950 insgesamt jährlich durchschnittlich 6.500 Menschen gleichzeitig in Haft, für den gesamten Zeitraum werden rund 27.300 Häftlinge geschätzt .(3) Zwischen 1949 und 1952 waren in Bautzen durchschnittlich 5.800 SMT-Verurteilte inhaftiert, darunter auch Jugendliche, die aufgrund des Verdachts der Werwolf-Aktivität ins Gefängnis kamen .(4) Etwa ein Drittel war bei Kriegsende 18 Jahre und jünger gewesen, sodass eine NS-Verstrickung kaum vorgelegen haben konnte .(5)

Aus diesen Häftlingsgruppen rekrutierten sich die Wortführer der Aufarbeitung der politischen Haft in Bautzen. Sie waren nach ihrer Speziallagerhaft in die BRD gegangen und hatten sich dort jahrzehntelang um die Anerkennung der an ihnen verübten Verbrechen eingesetzt. Ideologisch vertraten sie einen dezidiert antikommunistischen Standpunkt und attestierten der DDR ein durch und durch totalitärer Staat gewesen zu sein. Ihr geschichtspolitisches Interesse, die sowjetische Besatzungsmacht und die DDR als kommunistische Gewaltherrschaft zu deuten und zu delegitimeren, fußte dabei auf ihrer eigenen biographischen Leiderfahrung. Immer dann, wenn Forschungen zu Ergebnissen kamen, die von ihrer individuellen Erinnerung abwichen, oder wenn die musealen Darstellungen der Vergangenheiten nicht mit eigenen Hafterfahrungen übereinstimmten, entbrannten Auseinandersetzungen um die Einordnung des SBZ/DDR-Unrechts und sahen Betroffene sich von Verharmlosung und Relativierung der an ihnen verübten Verbrechen bedroht.(6) Entsprechend entzündeten sich Konflikte insbesondere immer dann, wenn der eigene Opfer-Status und das erlittene Systemunrecht in Gefahr schienen. Hierzu zählten z. B. die widersprüchlichen Angaben und Interpretationen von Opferzahlen für die Speziallagerzeit, aber auch historische Differenzierungen zwischen verschiedenen Zeitschichten und Erinnerungssymbolen. Dies wird im Folgenden näher ausgeführt.

Überwiegend organisiert in der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, die sich bereits 1950 in West-Berlin gegründet hatte, ergriffen ehemalige Speziallageropfer mit dem Ende des DDR-Strafvollzuges im „Gelben Elend” die erstmalige Gelegenheit, an ihre Leidensstätte zurückzukehren, um am historischen Ort ihrer toten Mitgefangenen nunmehr ungehindert öffentlich zu gedenken und hierfür Massengräber zu identifizieren. Zugleich reklamierten sie damit ihre Deutungsmacht in Bezug auf die Aufarbeitung ihrer Verfolgungsgeschichte. So wandte sich bereits am 1. Januar 1990 der ehemalige Speziallager-Häftling Benno von Heynitz aus Weilburg (BRD) als Mitglied des SPD-Arbeitskreises ehemaliger politischer Häftlinge der SBZ/DDR(7) an die Ev.-luth. Kirche sowie an die SPD-Vertreter des Runden Tisches Bautzen und regte an, die Gräber der Speziallagertoten in Bautzen festzustellen und die auf dem „Karnickelberg” vermuteten größten Massengräber der deutschen Nachkriegsgeschichte zu sichern. Gleichzeitig kündigte er an, dass die in der BRD organisierten ehemaligen politischen Häftlinge der Zeit 1945—1950 planten, hierfür noch im Frühjahr 1990 unter Beisein der Medien nach Bautzen zu reisen.(8) Daraufhin beschloss der Runde Tisch Bautzen schon am 9. Februar 1990 die Gründung einer „Gesellschaft zur Untersuchung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gelben Elend und Bautzen II“.(9) Auch wurde Heynitz‘ Vorschlag angenommen, die Gründung mit einer feierlichen Begehung des „Karnickelberges” sowie mit einem Besuch der Strafvollzugseinrichtung 1 „abzurunden”. (10)

Am 31. März 1990 trafen sich tatsächlich rund 150 ehemalige Häftlinge (überwiegend angereist aus der BRD), um der Haftkameraden aus dem Speziallager Bautzen zu gedenken. In Anlehnung an das internationale „Auschwitz-Komitee” und das internationale „Dachau-Komitee” wurde die geplante „Gesellschaft zur Untersuchung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit” noch am gleichen Tag als ,Bautzen-Komitee” durch das Berufen einer Gründungskommission ins Leben gerufen.(11) In bewusster Analogie zu den Konzentrations- und Vernichtungslagern des Nationalsozialismus, sollte auch das ehemalige (Spezial-)„Lager Bautzen“ auf diese Weise eine eigene Interessenvertretung ehemaliger Lageropfer erhalten.(12) Insgesamt sollte Bautzen, neben Sachsenhausen und Buchenwald, fortan zu den öffentlich und fachlich anerkannten historischen Orten gehören, an denen Menschheitsverbrechen stattgefunden hatten.(13) Die politische Haft in der stalinistischen Zeit (1945—1956) im „Gelbe Elend” wurde hierzu überwiegend mit den beiden NS-Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald verglichen, die ihrerseits über eine eigene Speziallagergeschichte verfügten. Es wurde öffentlich die kühne These vertreten, dass die Verbrechen nach 1945 in Bautzen sogar die Gewalttaten überwogen hätten, die es zur gleichen Zeit in Buchenwald und Sachsenhausen gegeben hätte. Hierbei bedienten sich die ehemaligen Speziallager-Häftlinge einer Symbolsprache, die vornehmlich aus der NS-Aufarbeitung stammte. Sie benutzten Chiffren, die bis dahin nur mit dem Holocaust in Verbindung gebracht wurden. So wurde konstatiert, dass die ehemaligen Häftlinge des „Gelben Elends” ebenfalls in einem Güterwaggon deportiert worden seien und das Speziallager wurde als »KZ« bezeichnet.(14)

In ähnliche Richtung weisend prangerten ehemalige Bautzen-Opfer zugleich an, dass es sich beim Speziallager Bautzen, vergleichbar mit den NS-Konzentrationslagern, um eine geplante und zielgerichtete Massenvernichtung gehandelt habe, die Ähnlichkeiten zur industriellen Vernichtung von Millionen in den NS-KZ gehabt habe: „In den genannten Lagern wurden massenhaft Menschen in einer Form beseitigt, wie sie radikaler kaum möglich ist. Zehntausende verschwanden ohne ein Lebenszeichen unter unmenschlichen Haftbedingungen, Zehntausende wurden namenlos irgendwo verscharrt, Zehntausende sind heute noch spurlos verschwunden. Die zielgerichtete Vernichtung durch unmenschliche Arbeits- oder Haftbedingungen ist als Methode zielgerichteter Massenvernichtung aus der Zeit der NS-Konzentrationslager bekannt […].“(15)

Die Zuschreibung, der „Karnickelberg” sei deshalb immerhin eines der größten Massengräber der Nachkriegszeit, wurde im Zuge dieser ersten Initiativen nicht näher hinterfragt sondern öffentlich festgeschrieben,(16) gleiches galt für die bis dato vermutete Anzahl der Speziallageropfer, die von Betroffenenseite zu diesem Zeitpunkt auf 12.000—16.000 geschätzt wurde.“(17) Dabei bezogen sich die ehemaligen Häftlinge u. a. auf einen Bericht der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SOPADE-Bericht) von 1955, in dem erstmals gebündelt und breit gestreut Informationen über das Speziallager Bautzen in die Öffentlichkeit gelangten, und in dem von mindestens 16.700 Toten zwischen 1945 und 1949 in Bautzen‘ die Rede ist.(18) Mit Verweis auf diesen von den sowjetischen Besatzern verübte Massenmord, rechtfertigten die ehemaligen Opfer fortan das Errichten eines würdigen Gedenkortes und forderten eine Aufklärung dieser „kommunistischen Gewaltherrschaft“.(19) Deutsche Kommunisten und mit diesen die sowjetische Besatzungsmacht hätten so das nationalsozialistische Gestapo-Regime auf ihre Weise fortgesetzt, kommentierte die Presse. (20)

Neben diesen Analogieschlüssen wurde also begrifflich wie auch symbolpolitisch zwischen Stalinismus, Kommunismus und Staatssozialismus nicht stärker differenziert. Alle Bautzener Verbrechen zwischen 1945 und 1989 wurden nun als „kommunistische Verbrechen” zusammengefasst; die unter Stalin genauso wie die in der späten DDR unter Honecker. So lautete ein Kommentar des Sprechers des SPD-Arbeitskreises: „Noch heute ist Bautzen gleichsam Synonym für die an Deutschen begangenen Verbrechen der Kommunisten.“(21) Damit wurde die stalinistische Ära im Grunde genommen auf die Zeit bis 1989 ausgedehnt bzw. zwischen verschiedenen Verfolgungsperioden in Bautzen nicht weiter unterschieden. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß es daher: „Denn bis zum Sturz jenes stalinistischen SED-Regimes, das in der Zeit jener Verbrechen begründet wurde, wäre jeder, der an die vielen zigtausend Opfer der Gewaltherrschaft zu erinnern gewagt hätte, schnell selbst deren Opfer geworden.“(22) Diese „Eckpfeiler” strukturierten fortan den Aufarbeitungsverlauf und die geschichtspolitischen Debatten um die Gedenkstätte Bautzen. Rechtskonservative Auslegungen der Totalitarismustheorie erfuhren auch in Bautzen eine Renaissance und im Zuge des Opfergedenkens und der frühen Aufarbeitung wurden antikommunistische Traditionen wiederbelebt.

Es wurden auf dem Karnickelberg und in seiner Umgebung, unterstützt von der Bundeswehr, Grabungen und radargestützte Untersuchungen durchgeführt, um die Massengräber aufzuspüren, für deren Existenz die ehemaligen Häftlinge noch den Beweis schuldig geblieben waren. Bei einer ersten Grabung 1990 wurden jedoch nur die Überreste von sieben Leichen gefunden.(23) Bei einer zweiten Grabung zwischen September und Oktober 1992 wurden weitere 176 Skelette aufgespürt. Die Menschen waren nicht durch äußere Gewalteinwirkung gestorben, sondern durch Mangelernährung und daraus resultierende Krankheiten.(24) Dieser Befund widersprach den Bekundungen der ehemaligen Speziallageropfer, führte jedoch nicht zur Korrektur der Annahme, beim Karnickelberg gäbe es verdeckte Massengräber. Die ehemaligen Häftlinge hielten an ihren hohen Zahlen fest, verbanden sich doch damit auch Forderungen nach Wiedergutmachung, Rehabilitation und Entschädigungen. Dabei waren die Schätzungen auch durch eine Auswertung von Quellen schon bis Mitte der 90er Jahre wissenschaftlich überholt.(25)

Und als die Gedenkstätte Bautzen im Zuge einer gesteigerten Forschung für Ausstellungen und für das Erstellen eines Totenbuches anfing, die in der Forschung bis 2002 grassierenden unterschiedlichen Totenzahlen(26) und Häftlingsstrukturen durch eigene Recherchen erheblich nach unten zu korrigieren, und dabei auch offenlegte, dass die Gruppe der Häftlinge wohl heterogener war, als gemeinhin angenommen,(27) brach ein vehementer Streit zwischen der inzwischen von Wissenschaftlern geführten Gedenkstätte und dem Bautzen-Komitee aus. Die Gedenkstätte bezweifelte die überhöhten Zahlen der Listen des Deutschen Roten Kreuzes und des SOPADE-Berichtes und gab zu bedenken, „[…] dass es sich bei den Namenslisten um nicht bereinigte Datensätze handelt [](28) Als das Totenbuch schließlich 2004 erschien, listete es in einer ersten Auflage für den Zeitraum 1945—1956, abweichend von bisherigen Veröffentlichungen, knapp über 3.000 Tote auf, von denen 73 Menschen in den Jahren 1945—1946 hingerichtet worden waren.(29) Zudem grenzte es ein, dass 80 Prozent dieser Menschen nachweislich bis zur zweiten Jahreshälfte 1948 vornehmlich an Dystrophie, Tbc und Krankheiten durch Unterversorgung gestorben waren.(30) Zwar machte die Gedenkstätte deutlich, dass die extrem desolaten Haftumstände Haupttodesursache waren und dass diese recherchierte Totenzahl „nach oben hin noch offen” sei (u. a. weil es eine nicht zu bestimmende Zahl an Selbstmorden gegeben habe), insgesamt stieß die Veröffentlichung des Totenbuches jedoch bei den ehemaligen Häftlingen auf herbe Kritik.(31) Sie hielten an ihrer Auffassung fest, bei Bautzen habe es sich um ein Massenvernichtungslager mit Massentötungen gehandelt, dem über 16.700 zum Opfer gefallen seien. Und allein weil die Quellen des Totenbuches, nämlich die Überlieferungen der Lagerverwaltung (v. a. das „Journal der täglichen Registrierung” und die Berichte der Lagerleitung an die Sowjetische Militäradministration) aus der „Feder der Täter” stammten, könne man diesen nicht vertrauen und seien die Zahlen geschönt, wiesen die Opfervertreter die Argumente der Gedenkstätte zurück.(32) Zudem zögerten sie nicht, der Gedenkstätte und anderen prononcierten Historikern auf diesem Gebiet auftragsgemäße „Geschichtsfälschung” zu unterstellen.(33) Auch wurde dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Gedenkstätte nahe-gelegt: „Historikern, die bisher die Freizügigkeit der russischen Archive priesen, und seit fünf Jahrzehnten belogen werden, ist ernsthaft anzuraten sich um ehrliche Gesprächspartner und ebensolche Informationen zu bemühen.“(34)

„Ich sehe derzeit keine andere Möglichkeit, an die Namen der Verstorbenen zu gelangen. Eine Aufzählung mit den Namen von bis zu 10.000 Toten in Bautzen ist mir nicht bekannt, andernfalls hätte ich sie berücksichtigt”, wies die Gedenkstätte den Vorwurf zurück, sie hielte sich an die falschen Quellen.(35) Und mit den Argumenten, es ginge beim Totenbuch statt um einen „body count” vielmehr um ein würdevolles Totengedenken, nahm sie den Opfervertretern den Wind aus den Segeln.(36) Doch auch eine überarbeitete zweite Auflage, mit geringfügig erhöhten Zahlen, führte auf Seiten der Opfervertreter zu starker Kritik. „Leider haben die dem Totenbuch zu entnehmenden, auf angeblich wissenschaftliche Bearbeitung beruhenden Opferzahlen mit der Wirklichkeit überhaupt nichts zu tun”, lautete der Kommentar der Totenbuch-Kritiker in der Zeitschrift Der Stacheldraht.(37)

Neben den hier beispielhaft angeführten Opfervertretern, die sich schwer mit der wissenschaftlichen Gedenkstättenarbeit und neueren Forschungsergebnissen taten, gab es aber auch einen Vertreter unter den ehemaligen Häftlingen, der zum anderen Extrem neigte. Nicht minder pauschalisierend beschrieb er die ehemaligen Häftlinge Bautzens: „Diese Menschen waren Täter und reklamieren nun für sich die Opferrolle, um ihre
Schuld zu relativieren. Viele fälschen ihre Biographie, um sich Entschädigungen zu erschwindeln und schreien dreist auch noch nach Ehrenrenten“.(38) Im Unterschied zu seinen Haftkameraden, bezog er sich ausdrücklich auf neuere Forschungsergebnisse, um zu belegen, „[…] dass der Anteil politisch motivierten Widerstandes nur noch eine Minderheit ist” und „[…] dass die unermesslichen Verbrechen der Deutschen an den Russen Schlimmeres erwarten ließ und auch rechtfertigen würde als das, was sie den Deutschen angetan haben”(39) Angesichts der belegten Todeszahlen von unter fünf Sterbefälle pro Tag für den Zeitraum 1945—1950 kam er zu dem Schluss: „In Anbetracht des Lebensalters der Verstorbenen […] und der Lebenssituation in diesen Nachkriegsjahren, entspricht das fast der durchschnittlichen Sterberate eines Gemeinwesens mit solcher Altersstruktur.“(40) Es sei „[…] zynisch 44 Tausend nicht willentlich getötete Menschen anklagend aufzurechnen, ohne die 55 Millionen Tote, die auf das Konto des deutschen Volkes zu buchen sind, gegenüberzustellen, wobei allein 3,3 Millionen russische Kriegsgefangene innerhalb von 3 Jahren in deutscher Obhut verhungert sind”, lautete seine Gegenrechnung, mit der er wiederum Gefahr lief, das „Gelbe Elend” zu relativieren.(41)

Weitere Konflikte entfachten sich an einem Gefangenensammeltransportwaggon der Deutschen Reichbahn, den das Bautzen-Komitee zum Aufstellen im Innenhof der JVA Bautzen 111995 organisiert hatte. Auch hier positionierten sich Historiker gegen den Willen der Opfervertreter. So lehnten der Stiftungsrat und der Geschäftsführer der Stiftung sächsische Gedenkstätten den Ankauf und das Aufstellen eines Gefangenensammeltransportwaggons ab, den das Bautzen-Komitee anlässlich des Besuches des Ministerpräsidenten Roman Herzog und dann auf Dauer im Innenhof der Gedenkstätte Bautzen geplant hatte. An diesem Ort habe es weder eine Gleisanbindung noch Waggontransporte gegeben, lautete die Begründung.(42) Der Vertreter des Zentralrates der Juden kommentierte als Mitglied des Stiftungsrats den Beschluss, das Aufstellen des Waggons „[…] sei eine Inszenierung von Geschichte, missverständlich und irritierend. Grundsätzlich sollten bei der Anschaffung von Sachzeugen die inhaltlichen Schwer-punkte einer Gedenkstätte beachtet werden, es könnten sonst verfälschte Geschichtsbilder entstehen“.(43) D. h., nicht nur aufgrund der fehlenden lokalen Bezüge verhinderte die Stiftung ein Aufstellen des Waggons, sondern auch, um eine Vermischung der Erinnerungszeichen zu vermeiden. Der „Güterwaggon” sollte als signifikantes Symbol für den Holocaust durch die vom Bautzen-Komitee geplante Dekontexutalisierung nicht aufgeweicht bzw. relativiert, einer symbolpolitischen Nivellierung der Verbrechen stattdessen vorgebeugt werden. Die Stiftung wolle das „DDR-Folterfahrzeug” als „Beweismittel vernichten”, konterte ein Bautzen-Komitee-Mitglied der Stiftung.(44) Als der Bundespräsident Herzog am 21. März 1995 schließlich die Bautzener Gefängnisse besuchte, war im Hofbereich von „Bautzen II” schon das Schotterbett mit Gleis angelegt.(45)

Diese Auseinandersetzungen ereigneten sich vorwiegend hinter den Kulissen und gewannen nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Sie begleiteten die zunehmende Konsolidierung und Professionalisierung der Aufarbeitung, ohne diesen Prozess zu beeinflussen oder gar zu lenken. Ganz anders hingegen, nämlich mit einer breiten öffentlichen Resonanz sowie mit konkreten Folgen für die Erinnerungslandschaft, verlief der Institutionalisierungsprozess der Gedenkstätte Bautzen. Auch hier zeigte sich eine Antinomie im Umgang mit den historischen Orten, sie manifestierte sich in der inkohärenten öffentlichen Förderung der Aufarbeitungsinitiativen und einer Diskrepanz zwischen delegitimatorischem politischen Willen und phlegmatischem realpolitischen Handeln. Obwohl die Gedenkstätte Bautzen zu den wenigen Orten gehörte, die im ersten Anlauf in die Gedenkstättenkonzeption des Bundes von 1999 aufgenommen wurden, gab es auch dort erinnerungs- und geschichtspolitisch widersprüchliche Entwicklungen.

Bereits am 12. September 1990 wandte sich das Bautzen-Komitee an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen und beantragte einen Zuschuss für das Setzen eines Denkmals.(46) Es lehnte jedoch eine Zuwendung und die Zuständigkeit hierfür entschieden ab, der Landkreis Bautzen sprang kurzfristig ein (47) Die Idee, im ehemaligen Hundezwinger auf dem Karnickelberg ein Dokumentationszentrum einzurichten,(48) fand wiederum bei der Lokalpolitik keine Unterstützung, vielmehr beantragte die CDU-Fraktion, in der JVA „Bautzen II” könne ein Museum mit Begegnungsstätte zur Dokumentation der Haft bis 1989 mit Archiv und Seminarmöglichkeiten eingerichtet werden. Zugleich sollte die Gedenkstätte Rehabilitationsmöglichkeiten für ehemalige Häftlinge schaffen(49) Das Sächsische Staatsministerium der Justiz als Verwalterin und Trägerin der JVA lehnte diesen Vorschlag aber ab. Lediglich einer kleinen Ausstellung in einem Seitentrakt der Gefängnisses zulasten der dort geplanten „Regelhaft” akzeptierte es. Baulich und organisatorisch jedoch getrennt von einem Museum, müsse diese Außenstelle künftig als Untersuchungshaftanstalt weiterverwendet werden, lautete daher die vorläufige Antwort des Justizministeriums.(50)

Am 21. Februar 1992 besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl die Gedenkanlage auf dem Karnickelberg und versprach, sich für den Bau einer Gedenkkapelle und für die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte zu engagieren.(51)Diesen Ball aufnehmend, wandte sich das Bautzen-Komitee Ende April 1992 direkt an den Ministerpräsidenten Biedenkopf und regte die Errichtung einer Landesstiftung an, die die Trägerschaft für die Gedenkstätten für die Opfer politischer Gewaltherrschaft zu übernehmen habe, so auch eine Gedenkstätte in Bautzen.(52)Im August legte es ein Konzept für ein Menschrechtsmuseum vor.(53)Im Oktober 1992 kamen stattdessen Informationen an die Öffentlichkeit, das Liegenschaftsamt plane in der JVA Bautzen II ein Großraumbüro einzurichten. Das Bautzen-Komitee protestierte umgehend und bat den Staatsminister für Wissenschaft und Kultur Meyer und den Ministerpräsidenten Biedenkopf, dieses Vorhaben sofort zu verhindern. Der beabsichtigte Umbau käme einer Verhöhnung der Stasi-Opfer gleich. Eine offizielle Beseitigung von Stasi-Stätten des Grauens und jahrzehntelanger Verletzung der Menschenrechte darf es nicht geben, appellierte es an beide.(54)Sie wurden aufgefordert, sich aufgrund der Großraumbüro-Planung jetzt erst recht für die Errichtung eines Menschenrechtsmuseum einzusetzen.(55)Alarmiert durch die Pressekampagne des Bautzen-Komitees machten sich nun auch die anderen Landtagsfraktionen (SPD und Bündnisgrüne) für die Errichtung einer Gedenkstätte in Bautzen stark.(56)

Im Dezember rückte das Sächsische Staatsministerium deeskalierend von den eigenen Plänen ab und reduzierte den Raumbedarf auf eine museumsfreundliche Parallelnutzung als Gerichtsarchiv.(57)Und auch das Staatsministerium für Finanzen ruderte zurück und kündigte an, das Kulturstaatsministerium werde ein Kuratorium zur Errichtung einer Gedenkstätte einrichten.(58)Dieses Gremium wurde nie einberufen, auch wurde keine Kommission eingesetzt zur Erarbeitung von Empfehlungen einer Sächsischen Gedenkstättenstiftung. Vielmehr drückten die Fraktionen FDP und CDU die Gründung einer Landesstiftung per Dekret durch, mit der Begründung: „[…] So ist Buchenwald ein Symbol der Verbrechen des Nationalsozialismus — Bautzen II eine Gedenkstätte für kommunistische Verbrechen in Sachsen.” D. h., nur weil „Bautzen II” geschichtspolitisch Buchenwald gleichgesetzt und plötzlich als Symbol einer verfehlten linken Politik betrachtet wurde, wurde ihm staatspolitische Förderung zuteil.(59)

Durch eine Aufnahme in die Gesamtkonzeption zur Beteiligung des Bundes an den Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, an welcher das Bundesinnenministerium zum gleichen Zeitpunkt feilte, sollte die zukünftige Gedenkstätte in der ehemaligen Haftanstalt „Bautzen II” alsbald als möglich finanziell abgesichert werden.(60)Doch erst auf Veranlassung der Landtagsfraktionen von SPD- und Bündnisgrünen, die vom Bautzen-Komitee und der Presseberichterstattung unter Handlungsdruck gesetzt wurden, und aufgrund der beschämenden Tatsache, dass bei der Räumung der JVA erhebliche Sachschäden und substanzielle Verluste entstanden waren, für die das Justizministerium die Verantwortung weitgehend ablehnte, gelang es schließlich, die ehemalige JVA Bautzen II in die alleinige Zuständigkeit des Kulturstaatsministerium zu bringen und für eine Gedenkstätte zu „reservieren“.(61)Mit der Überführung der Gedenkstätte in die Trägerschaft der 1994 per Regierungsdekret gegründeten Stiftung Sächsische Gedenkstätten im August desselben Jahres, endete der Schlingerkurs. Das Projekt schien perspektivisch gesichert.(62)Für 1995 wurden ABM- Stellen für Aufräumarbeiten geschaffen auch wurden Mittel für Sanierungsarbeiten bereitgestellt.(63)Ab September 1996 wurden drei Wissenschaftlerinnen mit der Erarbeitung eines tragfähigen Konzeptes beauftragt.(64)

Doch eine Aufnahme in die institutionelle Bundesförderung, die dem Bundesgesetzesentwurf über die Förderung von Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung gemäß auch für Bautzen möglich werden konnte, wurde derweil so lange durch die Sächsischen Staatsministerien für Justiz, Finanzen und für Inneres blockiert, dass das gesamte Projekt noch bis in den April 1998 zu scheitern drohte.(65) Nur weil das Kulturstaatsministerium den Blockadeministerien am Ende offen damit drohte, sie riskierten einen manifesten gedenkstättenpolitischen Eklat, lenkten sie ein (66) Da sich die Sächsische Landesregierung in letzter Sekunde dann doch für eine Unterstützung einer Gedenkstätte Bautzen aussprach, fand die institutionellen Bundesförderung doch noch Eingang in den Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages doch noch Eingang. Dort hieß es folgerichtig: „Von besonderer Bedeutung ist auch insgesamt das Engagement von ehemaligen Inhaftierten. Ohne dieses Engagement wären die meisten Orte der Inhaftierung in der DDR nicht in das öffentliche Bewusstsein gelangt und als Gedenkstätten eingerichtet worden. Dies gilt insbesondere für die Haftanstalten in Bautzen, die erst durch das Engagement des Bautzen-Komitees in eine Gedenkstättenkonzeption des Freistaates Sachsen aufgenommen wurden. […]. Die Gedenkstätte Bautzen, in der ehemaligen Haftanstalt Bautzen II, soll künftig die Geschichte der beiden Bautzener Haftanstalten dokumentieren. Der Bund beteiligt sich seit 1995 mit Projektmitteln an dieser Gedenkstätte, ab 1999 ist eine institutionelle Förderung durch den Bund, gemeinsam mit dem Freistaat Sachsen (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) beabsichtigt“.(67)

Für die Errichtung einer Gedenkkapelle auf dem Karnickelberg stieß das Bautzen-Komitee unvermindert auf bürokratische Hindernisse und es brauchte in den Folgejahren immer wieder pressewirksame Interventionen, bis das Gelände zumindest bereitgestellt und eine Gedenkanlage eingerichtet wurde. So appellierte der Bautzener Bürgermeister an Biedenkopf: „[…] Die Stadt Bautzen und der Freistaat stehen in der Kritik des Bautzen-Komitees und der Öffentlichkeit. Es wird Ihnen Verzögerung und Untätigkeit vorgeworfen. Dies steht uns nicht gut zu Gesicht […] und bitte Sie um baldige konkrete Unterstützung” (68) Und am Rande einer Kranzniederlegung an der Gedenk-Stele auf dem Karnickelberg anlässlich des Besuchs des Bundespräsidenten Roman Herzog im März 1995 nutzte das Bautzen-Komitee abermals die Gelegenheit, ihn an die von Bundeskanzler Helmut Kohl Jahre zuvor versprochene Gedenkkapelle zu erinnern, die es noch zu errichten galt.(69) Zwar hatte Ministerpräsident Biedenkopf bei gleicher Gelegenheit endlich den Bau einer Gedenkkapelle an Ort und Stelle bestätigt, tatsächlich passierte in den folgenden vier Jahren nichts. Es erforderte am Ende ein mühsam arrangiertes Treffen zwischen dem Bautzen-Komitee, dem Landtagsabgeordneten Schiemann und dem Ministerpräsidenten Biedenkopf im Mai 1999, damit das Regierungsoberhaupt definitiv bereit war, das eigene Ehrenwort einzulösen, nämlich die Gedächtniskapelle vom Freistaat Sachsen errichten zu lassen und eine volle Kostenübernahme durch das Land zu garantieren.(70) Am 13. September 2000, zum zehnjährigen Bestehen des Bautzen-Komitees, fand die festliche Einweihung der Gedenkanlage mit Kapelle unter Beisein von Ministerpräsident Biedenkopf und Staatsminister Meyer statt.“(71)

Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit war und ist unvermindert geprägt von einem widersprüchlichen Umgang. Das Wollen der ehemaligen Diktaturopfer war einerseits eine treibende Kraft für die Aufklärung von Verbrechen und für die Sicherung historischer Tatorte, andererseits beförderte ihre dominierende Sicht bis zu einer wissenschaftlichen Professionalisierung eher undifferenzierte Darstellungen. Platte Vergleiche unterschiedlicher Verbiechenskomplexe, Vereinnahmungen von etablierten Erinnerungssymbolen bzw. Begrifflichkeiten und eine Diskrepanz zwischen individueller Erinnerung und öffentlichem Gedenkstättenauftrag liefen ihrem eigenen Streben, dass ihre Geschichte gebührend aufgearbeitet werde, zuwider. Zwar gelang es ihnen, durch eine Allianz mit der Presse immer wieder für ihre Sache öffentlich Gehör zu finden, sobald aber insbesondere die wissenschaftliche Aufarbeitung unliebsame Ergebnis-se zutage förderte, kehrte sich der Aufklärungsanspruch in sein Gegenteil.

An dem Einzelfallbeispiel Gedenkstätte Bautzen zeigt sich daher sehr deutlich ein Prinzip, das im Umgang mit anderen historischen Verfolgungsorten der SBZ/DDR seine Wiederholung findet (z. B. in der neuen Ausstellung der Bildungs- und Gedenkstätte Leistikowstraße in Potsdam): Die hohe geschichtspolitische Aufladung der Erinnerungskultur scheint die zentrale Konsequenz einer Parallelität von individuellen Gedächtnissen, ihrer politischen Verortung und der wissenschaftlicher Forschung zu sein. Ohne den daraus resultierenden öffentlichen Streit um Geschichtsbilder, Deutungen und Symbole jedoch, gäbe es so manchen Erinnerungsort erst gar nicht. Die aufgezeigten Antinomien sind die ungeliebten Bedingungen eines wünschenswerten Dispositivs.

Aber auch der politische Umgang mit dem Diktaturvermächtnis war in den ersten 20 Jahren nicht frei von widersprüchlichen Entwicklungen. Obwohl die Gedenkstätte Bautzen zu den wenigen Gedenkstätten gehört, die früh in die Gunst einer institutionellen Förderung kam, war der Weg dorthin gepflastert mit Lippenbekenntnissen, konträrem Regierungshandeln und politischen Widerstände zu überwinden, bestand der Erinnerungskonsens maximal aus geduldigem Papier. Es fiel den politischen Akteuren insbesondere von der CDU/CSU in den Jahren nach 89 verhältnismäßig leicht, die Diktatur in der politischen Debatte und in der Sonntagsrede zu delegitimieren. Dafür jedoch tatsächlich Haushaltsmittel zu investieren und eigene Pläne aufzugeben fiel schwer. Erst als 1998/1999 durch die zweite Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages sich eine „demokratische Erinnerungskultur” etablierte, die auf der Gedenkstättenkonzeption des Bundes und – vor allem – auf einem extra Haushaltstitel basierte, begann ein Wandel in der Gedenkstättenkultur.

Es hat sich gezeigt, dass insbesondere in den vergangenen 10 Jahren das Interesse an der SBZ/DDR-Aufarbeitung öffentlich und politisch immens gestiegen ist. Das kommunikative Gedächtnis dominiert bisweilen den Diskurs, unterstützt von einzelnen Wissenschaftlern, die (wie z. B. in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen) Bündnisse mit den Wortführern aus Opferverbänden, Kreisen ehemaliger Bürgerrechtler und politischen Vertretungen bevorzugen, statt sich ihrer öffentlichen Kritik auszusetzen. Es gibt nur wenige Historiker, die sich gegen den Mainstream stellen und somit ein not-wendiges Korrektiv bilden, die durch neuere Forschungen einseitige Lesarten und Nivellierungen von unterschiedlichen Diktaturerfahrungen und Verbrechenskomplexen abmildern, Mythen aufdecken und eine historisch-wissenschaftliche Professionalisierung befördern. Es kann daher nur gehofft werden, dass diese Wenigen mutig genug bleiben, ihren Pfad nicht zu verlassen und sich generell nicht geschichts- und erinnerungspolitisch vereinnahmen lassen.

(1) Eine ausführliche Analyse findet sich in Rudnick, Carola S.: Die andere Hälfte der Erinnerung. Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989, Bielefeld 2011.

(2) Haritonow weist darauf hin, dass das Speziallager nicht einmal kostenlos übergeben wurde, sondern die DDR für das Inventar rund 500.000 Mark bezahlte, vgl. Haritonow, Alexandr: Zur Geschichte des Speziallagers Nr. 4 (3) in Bautzen, in: Plato, Alexander von/Niethammer, Lutz (Hrsg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945-1950, Berlin 1998, S. 347.

(3) Lipinsky, Jan: Akten aus deutschen und sowjetrussischen Archiven — neue Erkenntnisse über die sowjetischen Speziallager in Deutschland: Beispiel Bautzen, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die Akten der kommunistischen Gewaltherrschaft — Schlussstrich oder Aufarbeitung?. Dokumentation 5. Bautzen-Forum, Leipzig 1994, S. 84; Haritonow, Alexandr: Zur Geschichte des Speziallagers Nr. 4 (3) in Bautzen, in: Plato, Alexander von/Niethammer, Lutz (Hrsg.): Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945-1950, Berlin 1998, S. 333.

(4) Stiftung Sächsische Gedenkstätten (Hrsg.): Geschichte des Speziallagers Bautzen. 1945-1956. Katalog zur Ausstellung, Dresden 2004, S. 10-11, 60.

(5) Morre, Jörg: Das Speziallager Bautzen als Instrument sowjetischer Herrschaftssicherung, in: Behring, Rainer/Schmeitzner, Mike (Hrsg.): Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945-1952, Köln 2003, S. 92.

(6) Ausführlich vgl. Rudnick, Carola S.: Die andere Hälfte der Erinnerung. Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989, Bielefeld 2011, S. 150 ffif.

(7) Der SPD-Arbeitskreis ehemaliger politischer Häftlinge der SBZ/DDR beim Parteivorstand der SPD wurde 1976 gegründet. Er berät den Gesetzgeber und setzt sich für die Errichtung und Unterhaltung von Gedenkorten zur Erinnerung der politischen Opfer in ehemaligen Haftanstalten ein.

(8) Schreiben Benno von Heynitz an die Ev.-luth. Landeskirche Dresden, an die Ev. -luth. Kirche Leipzig und Bautzen vom 0I.01.1990, Privatbesitz Benno v. Heynitz [PrBvH].

(9) Mickisch, Jürgen: Briefe aus dem Strafvollzug, in: SÄCHSISCHE ZEITUNG vom 13.02.1990, Archiv Gedenkstätte Bautzen [ArGBZ]; Schreiben von Uwe Hörenz an Benno von Heynitz vom 11.02.1990, PrBvH.

(10) Ebd.

(11) Schreiben Benno von Heynitz an Uwe Hörenz vom 20.02.1990, PrBvH. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgte im Juni 1990, Registrierungsurkunde des Bautzen-Komitee e.V. vom 20.06.1990, PrBvH.

(12) Schreiben Benno von Heynitz an Uwe Hörenz vom 20.02.1990, PrBvH.

(13) Langen, Claus-Einar: „Auch nach dem Abzug der Sowjets erwarteten viele in Bautzen vergebens die Freiheit. Sozialdemokraten gedenken der Opfer des stalinistischen Terrors”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.04.1990, ArGBZ.

(14) Ebd.

(15) Bautzen-Komitee: Bautzen-Komitee widerspricht sowjetischem Experten vom 26.07.1990, PrBvH; Uwe H./Heynitz, Benno von: „Widerspruch!”, in: Sächsische Neueste Nachrichten vom 31.07.1990, PrBvH.

(16) Kuba, Claudia: „Überlebende sprechen nach 40 Jahren – unvorstellbare Menschenverachtung in Bautzener Gefängnis”, ADN-Meldung vom 31.03.1990, ArGBZ; o.V.: „Massengrab jetzt auch in Bautzen?”, in: Frankfurter Neue Presse vom 02.04.1990, PrBvH; o.V.: „Größtes Massengrab der Nachkriegszeit in Bautzen?”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.04.1990, PrBvH; o. V.: „Liegt größtes Massengrab in Bautzen?”, in: Die Welt vom 02.04.1990, PrBvH; o.V.: „Größtes Massengrab in Bautzen vermutet”, in: Süddeutsche Zeitung vom 02.04.1990, PrBvH; o.V.: „Weitere Massengräber in Sachsen vermutet”, in: Die Tageszeitung vom 03.04.1990, PrBvH; o.V.: „Hört uns, helft uns! Wir verrecken wie Vieh”, in: Bild vom 02.04.1990, PrBvH.

(17) Schreiben Benno von Heynitz an Uwe Hörenz vom 15.03.1990, PrBvH.

(18) Vorstand der SPD (Hrsg.): SOPADE Denkschriften 2/55: Die Straflager und Zuchthäuser der Sowjetzone. Gesundheitszustand und Lebensbedingungen der politischen Gefangenen, Bonn 1955, S. 5.

(19) Bautzen-Komitee: Protokoll der Vorstandssitzung am 27.10.1990 vom 02.11.1990, PrBvH.

(20) Langen, Claus-Einar: »Auch nach dem Abzug«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 02.04.
1990, ArGBZ.

(21) Dieter R. z. n. o. V.: „Gedenkfeier in Bautzen”, in: Die Brücke vom 15.04.1990, PrBvH.

(22) Zimmermann, Monika: „Die Toten in den Massengräbern wecken verdrängte Erinnerung”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.04.1990, Archiv des Bautzen-Komitee e. V. [ArBK].

(23) o. V.: „Knochenfunde bestätigen den Verdacht auf Massengräber”, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2I.04.1990, PrBvH; o.V.: „Doch Funde am Karnickelberg”, in: Sächsische Zeitung vom 08.06.1990; ArGBZ; Winkler, W.: „Massengrab in Bautzen”, in: Dresdner Morgenpost vom 12.06.1990, PrBvH; o.V.: „Zum Skelettfund”, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 12.06.1990, PrBvH; o.V.: „Skelettfunde in Bautzen”, in: Taz vom 20.06.1990.

(24) Volksbund Deutsche Kriegsgräberfiirsorge: Vermerk vom 05.10.1992, ArGBZ; Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge: Grabungsbericht vom 04.12.1992, ArGBZ.

(25) Jan Lipinsky bezifferte bereits 1994 anhand der vorgefundenen Akten aus russischen Archiven 2.714 Tote für den Zeitraum 1945-1950. Die höchste Todesrate mit 65 Verstorbenen in 14 Tagen gab es seinen Untersuchungen zu Folge im ApriI 1947, vgl. Lipinsky, Jan: Akten aus deutschen und sowjetrussischen Archiven – neue Erkenntnisse über die sowjetischen Speziallager in Deutschland: Beispiel Bautzen, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Die Akten der kommunistischen Gewaltherrschaft – Schlussstrich oder Aufarbeitung? Dokumentation 5. Bautzen-Forum, Leipzig 1994, S. 84, 86.

(26) Die Gedenkstätte Bautzen stellte eine umfassende Übersicht der bisherigen, stark voneinander ab-weichenden Angaben in der Literatur seit 1955 zusammen, vgl. Gedenkstätte Bautzen: Speziallager in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (1945 -1950), interne Übersicht, o. D., ArGBZ.

(27) D. h., neben Unschuldigen und aus politischen Motiven heraus Verhafteten waren zum Teil auch Häftlinge in Bautzen I, die sich in vollkommen unterschiedlichem Ausmaß NSDAP-Aktivitäten schuldig gemacht hatten, vgl. u. a. Lipinsky, Jan: „Häftlingsstruktur im Speziallager Bautzen aus sowjetischer Sicht”, in: Plato, Alexander von/Niethammer, Lutz (Hg.): Sowjetische Speziallager (1998), S. 500 ff.

(28) Schönbach, Ulli: „Mehr als 3.000 Tote im Speziallager? Gedenkstätte zweifelt an neuen Erkenntnissen”, in: Sächsische Zeitung vom 20.03.2002, ArGBZ.

(29) Morre, Jörg/Liebold, Cornelia: Totenbuch. Speziallager Bautzen 1945-1956, Bautzen 2004, S. 5, 7.

(30) Ebd., S. 7.

(31) Ebd.

(32) Ebd., S. 9.

(33) Schreiben des Bautzen-Komitees an die Gedenkstätte Bautzen vom 26.04.2002, Privatbesitz Erhard M..

(34) Schreiben von Horst G. K. an die Gedenkstätte Bautzen vom 02.01.2005, ArGBZ.

(35) Schreiben der Gedenkstätte Bautzen an Horst G. K. vom 11.11.2004, ArGBZ.

(36) Ebd..

(37) Horst G. K. : „Das Sterben in Bautzen. Zu den Opferzahlen des Speziallagers Nr. 4/Bautzen I”, in: Der Stacheldraht 2 (2005), ArGBZ.

(38) Schreiben von Wilfried H. an die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen vom 23.01.2003, Privatbesitz Wilfried H. [PrWH].

(39) Schreiben von Wilfried H. an das Bautzen-Komitee vom 20.05.2003, PrWH. Zugrunde gelegt wurde eine Statistik eines Vortrages von Leonid P. Kopalin am 16.05.2003 in Bonn, nach der 41 Prozent der SMT-Verurteilten des Kriegsverbrechens für schuldig erklärt wurden und nur 12 Prozent der antisowjetischen Propaganda, 4 Prozent terroristischer Tätigkeiten und nur 3 Prozent der Sabotage, vgl. auch Schreiben von Wilfried H. an die Gedenkstätte Bautzen vom 14.04.2005, PrWH.

(40) Schreiben von Wilfried H. an die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen vom 22.05.2003, PrWH.

(41) Wilfried H.: Aufforderung zum intensiven Nachdenken. Offener Brief an alle Opferverbände und Gedenkstätten vom 02.02.2006, PrWH.

(42) Schreiben des Bautzen-Komitees an das SMWK vom 12.03.1995, Archiv Stiftung sächsische Gedenkstätten [ArStSG]; Moschke, Bernd: „Der Grote-Wohl-Express auf der letzten Fahrt in den Knast”, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 18./19.02.1995, ArStSG.

(43) StSG: Protokoll der 4. Sitzung des Stiftungsrates der Stiftung „Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft” am 24.04.1995, S. 7-8, ArStSG.

(44) Schreiben des Bautzen-Komitees an das SMWK vom 14.03.1995, ArStSG.

(45) Moschke, Bern: „Herzog tief betroffen von Unmenschlichkeit und beeindruckt von Neuem in Bautzen”, in: Dresdner Neueste Nachrichten vom 22.03.1995, ArStSG; Moschke, Bernd: „Bundespräsident im Stasi-Knast: Vom ersten bis zum letzten unmenschlich”, in: Leipziger Volkszeitung vom 22.03.1995, ArStSG; Schade, Thomas: „Die Grenzen zum Osten müssen niedriger werden”, in: Sächsische Zeitung vom 22.03.1995, ArStSG.

(46) Schreiben des Bautzen-Komitees an das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen vom 12.09.1990, PrBvH.

(47) Bautzen-Komitee: Protokoll der Jahreshauptversammlung am 15.12.1990, Archiv des Bautzen-Komitees [ArBK].

(48) Parlamentarischer Untersuchungsausschuss für die Einrichtungen des Strafvollzuges: Protokoll über die Ausschusssitzung am 05.06.1991 vom 11.06.1991, ArBK; Schmitt, Eberhard: „Licht in stalinistische Verbrechen”, in: Sächsische Zeitung vom 09.08.1991, ArGBZ.

(49) Sächsischer Landtag, Drs. 1/727 vom 12.07.1991/06.08.1991.

(50) Schreiben des SMJ an den Sächsischen Landtag, Az 1025I-IV.2-1119/91 vom 01.08.1991, ArStSG.

(51) Bautzen-Komitee: Schreiben an die Mitglieder vom 22.04.1992, PrBvH; Uwe H. z.n. Schade, Tho-
mas: „Kohl: Bautzen ist Symbol für SED-Unrecht”, in: Sächsische Zeitung vom 22./23.02.1992,
JVA Bautzen, Loseblattsammlung.

(52) Schreiben des Bautzen-Komitees Benno von Heynitz an den Freistaat Sachsen Ministerpräsident Kurt Biedenkopf vom 29.04.1992, ArGBZ.

(53) Schreiben des SMJ an JVA Bautzen vom 19.08.1992, ArStSG.

(54) Schreiben des Bautzen-Komitees an das SMWK Staatsminister Meyer vom 30.10.1992, ArStSG; o. V.: „Stasi-Knast wird Büro”, in: Taz vom 10.11.1992.

(55) Schreiben des Bautzen-Komitees an das SMWK Staatsminister Meyer vom 30.10.1992, ArStSG.

(56) Sächsischer Landtag, Drs. 1/2503 vom 12.11.1992; Sächsischer Landtag, Drs. 1/2511 vom 11.11. 1992.

(57) Sächsisches Staatsministerium der Justiz: Vermerk vom 07.12.1992, ArStSG.

(58) Schreiben des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen Staatsminister Milbradt an den Sächsischen Landtag vom 04.12.1992, ArStSG.

(59) Sächsischer Landtag: Bericht des Verfassungs- und Rechtsausschusses zur Drs. 1/2503 vom 05.05.1993.

(60) Bundesministerium des Innern: Gesamtkonzeption zur Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, Anlage zur BMF-Vorlage Nr. 173/92 vom 03.02.1993, ArStSG.

(61) Sächsischer Landtag, Drs. 1/3127 vom 07.04.1992.

(62) Sächsische Staatskanzlei: Beschluss Nr. O1/0597 zur 139. Kabinettssitzung vom 15.02.1994, ArStSG; SMWK: »Satzung der Stiftung«, in: Sächsisches Amtsblatt vom 17.03.1994, 5.453, ArStSG; SMWK: Aktennotiz über ein Gespräch mit dem Liegenschaftsamt am 17.08.1994, o. D., ArStSG.

(63) Sächsischer Landtag, Drs. 1/4922 vom 24.06.1994; Schreiben der ABS Robur GmbH am die StSG vom 13.10.1994, ArStSG.

(64) Schreiben der StSG an das Bautzen-Komitee vom 22.08.1996, ArStSG.

(65) Schreiben des SMWK Staatssekretär Noack an das BMI Staatssekretär Eckart Werthebach vom 13. 03.1998, ArStSG.

(66) Schreiben des BMI an die StSG vom 04.03.1998, S. 3, ArStSG; Schreiben der StSG an das SMWK vom 13.03.1998, ArStSG.

(67) Deutscher Bundestag (Hg.) : Materialien der Enquete-Kommission Ȇberwindung der Folgen der
SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit«, Bd. 1, Baden-Baden 1999, S. 609.

(68) Schreiben der Stadt Bautzen Bürgermeister Schramm an die Sächsische Staatskanzlei Ministerprä-
sidenten Kurt Biedenkopf vom 04.02.1994, ArBK.

(69) Hans C.: „Roman Herzog in den beiden Bautzener Gefängnissen”, in: Bautzen-Komitee: Mitteilungen 1/95 vom 26.04.1995, S. 2, ArStSG, Presse.

(70) Schiemann, Marko: Grußwort des rechtpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag vom 07.05.1999, ArBK; Schreiben des Bautzen-Komitees an die Radaktion Der Stacheldraht vom 07.06.1999, ArBK.

(71) Mundra, Erhard: „Forderungen Stück für Stück umgesetzt”, in: Sächsische Zeitung vom 10./11.06.2000, ArGBZ; von Heynitz, Benno: Begrüßungsansprache zur Einweihung der Kapelle auf dem Karnickelberg am 13.09.2000, PrEM; Horst Sch.: Ansprache zur Einweihung auf dem Karnickelberg am 13.09.2000, PrEM; Mattem, Carla: „Vater-Suche in Bautzen”, in: Sächsische Zeitung vom 13.09.2000, ArGBZ; Schnabel, S.: Versöhnung über den Gräbern, in: Mitteilungsblatt 38 (2000) vom 23.09.2000, PrEM; o.V.: „Gedäclitniskapelle im ehemaligen Zuchthaus Bautzen eingeweiht”, in: Die Welt vom 14.09.2000.

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