Themen / Sozialpolitik

Wieviel Markt und wieviel Inter­ven­tio­nismus braucht der deutsche Wohnungs­markt?

24. März 2020

in: vorgänge 228 (Heft 4/2019), S. 73 – 80

Wie weit darf und soll sich der Staat in den Wohnungsmarkt einmischen? Um diese Frage beantworten zu können, geht Carsten Kühl zunächst auf die Ursachen der hohen Mietbelastungen in Deutschland ein. Er zeigt, dass diese verschieden sein können: Während in den angesagten „Schwarmstädten“ ein großer Zuzug herrsche, der die Nachfrage und damit die Mietpreise in die Höhe treibt, sind es in anderen Regionen eher der industrielle Niedergang, der bei sinkendem Realeinkommen die Mietbelastungen steigert. Vor dem Hintergrund dieser Diagnose bewertet der Autor aktuelle Lösungsansätze wie die Berliner Initiative zur Vergesellschaftung großer Wohnungsbauunternehmen.

Aus ökonomischer Sicht – insbesondere dann, wenn man das marktwirtschaftliche Paradigma zugrunde legt – bedürfen staatliche Interventionen am Wohnungsmarkt einer besonderen Begründung. Die beiden traditionellen Kriterien für ein privates und mithin marktfähiges Gut werden nahezu perfekt erfüllt: Am Wohnungsmarkt funktioniert das Ausschlussprinzip und es herrscht Rivalität im Konsum.

Die zahlreichen Regulierungen am Wohnungsmarkt bedürfen deshalb aus ökonomischer Sicht einer besonderen Rechtfertigung. Das Vertragsverhältnis zwischen Mietern und Vermietern ist detailliert im Mietrecht geregelt. Die Wohnkosten Sozialbedürftiger werden im Rahmen der sogenannten Kosten der Unterkunft staatlich alimentiert und einkommensschwache Haushalte können ihre Mietbelastung durch den Bezug von Wohngeld reduzieren. Der Staat fördert den Bau von Sozialwohnungen und sorgt dafür, dass die Wohnungen über einen langen Zeitraum nur sozialgebunden vermietet werden dürfen. Zudem gibt es ein staatliches Wohnungsangebot: Kommunen sind häufig Eigentümer kommunaler Wohnungsunternehmen und agieren damit unmittelbar als Vermieter auf dem lokalen Wohnungsmarkt.

Bei genauerer Betrachtung erschließt sich relativ schnell, dass Wohnen gesellschaftspolitisch und damit auch volkswirtschaftlich anders zu behandeln ist als die Allokation „konventioneller“ Konsumgüter. Auf ein Automobil, auf ein Handy oder auf Schmuck kann man – wenn man es sich nicht leisten kann oder nicht leisten möchte – verzichten, auf ein „Dach überm Kopf“ nicht. Und natürlich ist es mehr als das. Mit der Wohnung verbinden sich Zuschreibungen wie Heimat, Geborgenheit, Rückzugsort oder Familienleben. Wenn davon geredet wird, dass Wohnen ein soziales Grundrecht ist, dann stehen diese Beschreibungen Pate. Ein Grundrecht im verfassungsrechtlichen Sinne ist Wohnen in Deutschland freilich nicht. Aber der gesellschaftspolitische Auftrag, dieses Thema nicht alleine dem Marktmechanismus zu überlassen, ist unstreitig.

Finan­z­wis­sen­schaft und Wohnungs­markt

Die Volkswirtschaftslehre, speziell die Finanzwissenschaft, hat Theorien und Kriterien entwickelt, wonach der Staat sich in das Angebot grundsätzlich marktfähiger Güter und Dienstleistungen einmischen darf bzw. sollte. Die klassische Finanzwissenschaft kennt sogenannte meritorische – also wörtlich übersetzt: verdienstvolle – Güter. Bei ihnen würde zwar der Marktmechanismus funktionieren, weil die oben genannten Kriterien für ein privates Gut erfüllt sind. Der Staat entscheidet sich aber für regulierende Eingriffe in den Marktmechanismus, weil die tatsächlichen oder zu erwartenden Marktergebnisse angesichts der gesellschaftspolitischen Bedeutung – in diesem Fall des bezahlbaren Wohnens – als unbefriedigend angesehen werden. Natürlich bietet eine solche ökonomisch kaum exakt determinierbare Begründung grundsätzlich einen großen subjektiven Ermessensspielraum. Sie erfährt aber ihre Legitimation regelmäßig durch den demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess. Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass es nicht umstritten ist, dass der Staat den Wohnungsmarkt reguliert. Umstritten ist allerdings, mit welchen Instrumenten und in welcher Intensität er interveniert.

Diese Frage beantwortet weder die moderne Finanzwissenschaft noch die moderne Wirtschaftspolitik. Sie definieren verschiedene gesamtwirtschaftliche Ziele, die – neben den klassischen hoheitlichen Aufgaben – staatliche Eingriffe grundsätzlich erlauben. Hierzu gehört eben auch die Verteilungspolitik, die die zentrale Rechtfertigung für Interventionen am Wohnungsmarkt ist. Eine Patentlösung für die richtige Dosierung der Interventionen gibt es aber nicht.

Blickt man auf die wohnungspolitische Praxis der letzten Jahrzehnte in Deutschland, scheinen staatliche Interventionen auf dem Wohnungsmarkt politisch breit akzeptiert. Das gilt für direkte Transferzahlungen ebenso wie für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Das gilt für mietrechtliche Regulierungen ebenso wie für die Aktivitäten kommunaler Wohnungsbauunternehmen. Der Dissens eskaliert an der Frage, welche Instrumente, in welcher Dosierung die richtigen sind, um bestehende Defizite auf dem Wohnungsmarkt abzubauen.

Räumliche Ungleich­ge­wichte

Hinzu kommt, dass der Wohnungsmarkt in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten ist. Verschiedene Entwicklungen stellen die wohnungspolitischen Akteure vor neue Herausforderungen.

Wir werden weniger, wir werden älter und wir werden bunter, sprich multikultureller. So lautete die gängige bevölkerungspolitische Prognose für Deutschland bis ins erste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Die Geburtenraten entwickelten sich etwas stärker als prognostiziert, aber die Lebenserwartung und der Saldo aus Zu- und Auswanderung – trotz der Flüchtlingsströme um das Jahr 2015 herum – lagen weitgehend im Rahmen der Prognosen. Trotz der zutreffenden Diagnose, dass die Singlehaushalte in Deutschland zunehmen würden, konnte man von einigermaßen stabilen, das heißt ausgeglichenen Wohnungsmärkten in Deutschland ausgehen. „Deutschland ist gebaut“, war eine ebenso richtige wie falsche Aussage. Genügend Wohnungen stehen zur Verfügung, aber eben nicht am richtigen Ort. Es ist die stark von den ursprünglichen Prognosen abweichende räumliche Bevölkerungsentwicklung, und es sind die daraus resultierenden divergierenden Preiswirkungen auf den regionalen Wohnungsmärkten, die die Politik vor unerwartete Herausforderungen stellen.

Dass sich der deutsche Wohnungsmarkt – abweichend von den Prognosen – heute unausgeglichen, mit zum Teil extrem angespannten Märkten präsentiert, hat wesentlich mit dem Schwarmverhalten der sogenannten Pillenknick-Generation zu tun. Die geburtenschwachen Jahrgänge nach der Babyboomer-Generation streben überproportional stark in die großen Städte, insbesondere in solche mit Hochschulen. Sie sind eine zahlenmäßig vergleichsweise kleine Alterskohorte, aber sie haben gerade deswegen ein besonders starkes Bedürfnis, mit ihresgleichen ihren Wohnstandort und ihren Way of Live zu teilen. Eine immer dienstleistungsorientiertere und digitalere Wirtschaft erleichtert die Wohnortwahl am gewünschten Ort. So sorgen Lebensgefühl und der Trend zur Urbanität dafür, dass Wohnen in den Schwarmstädten zum Luxusgut wird und ländliche Räume gegen einen verödenden Leerstand ankämpfen.

Soziale Ungleich­ge­wichte

Die sozialen Wirkungen dieser räumlichen Bevölkerungsentwicklung wurden für Deutschland in den letzten Jahren vielfältig empirisch untersucht.[1] Ein wichtiger Indikator für das, was man als (noch) bezahlbaren Wohnraum ansieht, ist die sogenannte Mietbelastungsquote. Sie fragt danach, welchen Anteil die Bruttokaltmiete am Nettoeinkommen hat. Dabei wird eine Mietbelastungsquote von mehr als 30 Prozent – selbstverständlich ist das eine normative Bewertung – gemeinhin als verteilungspolitisch problematisch angesehen. Vor diesem Hintergrund sprechen die empirischen Befunde eine klare Sprache:

  • In zahlreichen deutschen Städten weisen weit mehr als ein Drittel der Haushalte eine Mietbelastungsquote von mehr als 30 Prozent auf. Dazu zählen natürlich alle großen Metropolen wie z.B. Berlin, München, Hamburg, Köln oder Frankfurt. In diesen Städten dürfte die Kausalität relativ einfach sein: Wirtschaftlich prosperierende Schwarmstädte werden für immer mehr Menschen zu nachgefragten Arbeits- und Wohnorten mit entsprechenden Wirkungen auf die Mietpreise. Die Neuvermietungsmieten schießen in die Höhe und führen auch bei Besserverdienenden zu einer hohen Mietbelastungsquote. Aber auch Bestandsmieten erfahren in diesen Städten einen überproportionalen Preisdruck, der sich bei Beziehern niedriger Einkommen stärker auf die Mietbelastungsquote auswirkt.
  • Interessanterweise findet man die meisten Haushalte mit einer Mietbelastungsquote von über 30 Prozent vor allem in solchen Städten, in denen man dies zunächst nicht vermutet. Dass es in Städten wie Duisburg (45,1 Prozent) oder Bremerhaven (46,5 Prozent) einen höheren Anteil von Haushalten mit einer Mietbelastungsquote von über 30 Prozent gibt als in München (40,5 Prozent) oder Hamburg (42,8 Prozent) mag auf den ersten Blick überraschen. Die Kausalität für die hohen Mietbelastungsquoten dürfte in diesen Fällen eine andere sein: In vom Strukturwandel betroffenen Städten verlieren relativ viele Menschen ihre Arbeitsplätze und die verfügbaren Einkommen entwickeln sich deutlich unterdurchschnittlich. Die Bestandsmieten passen sich dieser Entwicklung nicht an. Sie steigen zwar nicht so stark an wie in prosperierenden Städten, aber ein Rückgang der Mieten ist allenfalls bei Neuvermietungen zu verzeichnen. Im Gegensatz zu den Schwarmstädten sind hier die hohen Mietbelastungsquoten nicht durch eine prosperierende, sondern durch eine stagnierende oder gar retardierende wirtschaftliche Entwicklung getrieben.
  • Nach dem zuvor Beschriebenen dürften die empirischen Ergebnisse mit Blick auf die interpersonelle Einkommensverteilung nicht überraschen. Bezieher niedriger Einkommen weisen im Durchschnitt nicht nur eine signifikant höhere Mietbelastungsquote als Bezieher höherer Einkommen auf, sondern sie leben auch generell in schlechteren Wohnverhältnissen, das heißt in schlechterer Qualität und auf kleinerer Fläche. Zudem hat eine Studie [2] für einen Zeitraum von 20 Jahren untersucht, inwieweit die Ungleichverteilung der Einkommen durch die Wohnkosten verändert wird. Ergebnis ist, dass die Veränderungen der Wohnungsausgaben die Ungleichverteilung der Einkommen (verfügbares Einkommen nach Abzug der Wohnkosten) in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre verstärken.
Die reine Marktlösung

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat 2018 in seinem Gutachten „Soziale Wohnungspolitik“ eine klassisch marktwirtschaftliche Lösung vorgeschlagen. [3]Sozialpolitisch nicht vertretbare Mietbelastungen sollen durch eine reine Subjektförderung – sprich durch (verbesserte) Wohngeldzahlungen – kompensiert werden. Die staatliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus wird ebenso abgelehnt wie eine Verschärfung mietrechtlicher Regulierungen, insbesondere die sog. Mietpreisbremse, mit der extreme Mietsteigerungen bei der Wiedervermietung verhindert werden sollen.

Verbesserte Wohngeldzahlungen sind grundsätzlich geeignet, als zu hoch empfundene Wohnkosten abzumildern. Die notwendigen Parameter stehen im Wohngeldgesetz zur Verfügung: Mietenstufen erlauben eine regionale Differenzierung, Einkommensgrenzen eine sozialpolitische Differenzierung und das Ausmaß des Ausgleichs entscheidet darüber, inwieweit Anreize erhalten bleiben sollen, die Mietbelastungsquote durch ein höheres Arbeitseinkommen zu reduzieren. Voraussetzung für die Effizienz dieses Instrumentes ist aber, dass die Vermieter die höheren Wohngeldzahlungen an ihre Mieter nicht in die Miete überwälzen können, sprich eine entsprechend höhere Miete abverlangen können. Genau diese Voraussetzung erfüllt der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats aber nicht. Im Gegenteil: Er plädiert für eine Deregulierung des Mietrechts, in der Hoffnung, dadurch Investitionsanreize zu generieren. Alleine aufgrund der derzeit noch immer zu erwartenden hohen Wertsteigerungen bei Immobilien in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt und aufgrund der extrem günstigen Refinanzierungsbedingungen auf dem Kapitalmarkt dürfte die Ursache für unzureichenden Wohnungsneubau nicht beim (immer noch recht moderaten) Mietrecht liegen, sondern vielmehr bei der unzureichenden Bereitstellung von bezahlbarem Bauland.

Es kann nicht Aufgabe des Sozialstaats sein, als zu hoch empfundene Mieten dauerhaft für einen immer größer werdenden Personenkreis durch Zahlung von Wohngeld quasi herunterzusubventionieren und dabei auch noch Gefahr zu laufen, dass Wohngeldverbesserungen zum Teil über höhere Mietforderungen abgeschöpft werden. Sozialen Wohnungsbau abzulehnen bedeutet dann aber, perspektivisch auf Sickereffekte infolge der Neubautätigkeit zu hoffen. Angesichts der eingeschränkten innerstädtischen Mobilität von Mietern und der auch immer höheren Mietbelastung der Besserverdienenden gehört schon eine ganze Menge Optimismus dazu, darauf zu hoffen, dass teure Neuvermietungen ein Mieterkarussell in Gang setzen, auf das Bezieher niedriger Einkommen am Ende (bei bezahlbaren Mieten) aufspringen können. Die Erfahrungen europäischer Metropolen wie z.B. London zeigen, dass sich die unreglementierte Preisspirale stetig nach oben bewegt. Eine platzende Immobilienblase könnte dagegen zu einer Preisbereinigung auf dem Immobilienmarkt führen. Die US-amerikanischen und spanischen Erfahrungen aus der Immobilien- und Finanzmarktkrise vor rund 10 Jahren vermitteln jedoch bei niemandem eine Sehnsucht nach einer solchen Art der Marktbereinigung.

Schließlich sind unangemessen hohe Mietzahlungen nicht nur ein verteilungspolitisches Problem. Sie beeinträchtigen auch die räumliche Flexibilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das kann zu einer Fehlallokation der Produktionsfaktoren und damit gesamtwirtschaftlich zu Wachstumseinbußen führen. Insofern ergäbe sich auch eine wachstumspolitische Rechtfertigung, in den Wohnungsmarkt einzugreifen.

Vergesellschaftung

In der Stadt Berlin wird zurzeit eine andere Diskussion geführt: nicht mehr Markt, sondern mehr Staatseigentum im Wohnungssektor. Initiativen streben ein Volksbegehren an mit dem Ziel der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz von Wohnungsbaugesellschaften mit mehr als 3.000 Wohneinheiten.

Die Gründe gegen eine solche Form der Vergesellschaftung liegen auf der Hand: Mit dem Kauf wird kein neuer Wohnraum in Berlin geschaffen. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Objekte unmittelbar nach der Vergesellschaftung billiger vermietet werden, zumal die durchschnittlichen Mietpreise der beiden großen privaten Berliner Wohnungsbaugesellschaften eher moderat sind und nur unwesentlich über dem Durchschnitt des Berliner Mietmarktes liegen. Bliebe also nur das Ansinnen, potentielle künftige Mieterhöhungen zu verhindern oder abzumildern. Eine ursachenadäquate Politik müsste dann aber beim Mietrecht ansetzen, zumal es mit der sogenannten Kappungsgrenze (für Bestandsmieten) und der Mietpreisbremse (bei Wiedervermietungen) bereits entsprechende Instrumente gibt, die man bei Bedarf auch nachjustieren könnte. Ähnliches gilt für den Vorwurf, dass Mieter „raussaniert“ oder durch unterlassene Instandhaltung „rausgeekelt“ würden. Wenn so etwas legal funktioniert, dann muss das Recht geändert werden und nicht die Eigentumsverhältnisse. Es gibt ohnehin gute Gründe, bestimmte Regelverstöße im Mieter-Vermieter-Verhältnis als Wirtschaftsstrafsache zu behandeln und nicht nur ordnungsrechtlich zu ahnden.

Schließlich bleibt unklar, warum mieterunfreundliches Verhalten ausgerechnet bei der 3.000sten Wohneinheit beginnen soll. Es ist nicht erkennbar, dass kleinere Gesellschaften oder die große Zahl privater Vermieter sich signifikant anders oder mieterfreundlicher verhalten als die großen. Wenn das stimmt, ist der Vorwurf der Willkür nur schwer auszuräumen.

Ordnungspolitische Grundsätze haben in der Marktwirtschaft keinen Selbstzweck, sie sind nicht sakrosankt. Wenn man sie willkürlich verletzt, können sie aber – Stichwort Vertrauensschutz von Investoren – erheblichen Schaden anrichten. Wenn es großen Wohnungsgesellschaften gelingen sollte, sich Wettbewerbsvorteile gegenüber konkurrierenden Mitbewerbern zu verschaffen und diese dann zulasten der Mieter auszunutzen, dann ist das eine Frage des Wettbewerbsrechtes und nicht von Art. 15 Grundgesetz.

Die pragma­ti­sche Lösung

Wenn die radikalen Lösungen nicht taugen, muss man auf die pragmatischen zurückgreifen. Will man eine als zu hoch empfundene Mietbelastungsquote von Beziehern niedriger Einkommen kurzfristig signifikant senken, ist tatsächlich eine Reform des Wohngeldes das Mittel der Wahl. Es wirkt sofort, wenn es durch entsprechende mietrechtliche Lösungen begleitet wird, die verhindern, dass Vermieter die höheren Wohngeldzahlungen in Form höherer Mieten abschöpfen. Perspektivisch können Wohngeldzahlungen aber nicht der Reparaturbetrieb für Defizite auf dem Arbeitsmarkt oder im Rentensystem sein. Mittel- bis langfristig greift eine reine Subjektförderung ohnehin zu kurz. Es muss neuer und zugleich bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Das funktioniert nicht von heute auf morgen, muss aber heute begonnen werden, damit der Wohnraum morgen zur Verfügung steht.[4]

Sozial geförderte Wohnungsbestände sind in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Es liefen viel mehr Belegungsbindungen aus als neuer sozialer Wohnraum geschaffen wurde. Die Gründe waren falsche demografische Erwartungen, der Trend zu Singlehaushalten und vor allem die unzureichenden Förderbedingungen. Der soziale Wohnungsbau bleibt vor allem in Wachstumsregionen ein wichtiges Element der Wohnungspolitik. Die Förderstrukturen müssen den Zinsbedingungen auf den Finanzmärkten angepasst werden. Kommunen müssen über Konzeptvergaben und Sozialquoten ihren Einfluss beim Verkauf oder besser noch bei der Vergabe von Baugrundstücken im Wege des Erbbaurechtes nutzen.

Langfristig wird entscheidend sein, ob für die Kommunen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um in ihren Städten – insbesondere im Bereich der Innenentwicklung – zusätzlichen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im Kern geht es um eine neue Bodenpolitik. Bodenverfügbarkeit entscheidet nicht nur über die Gestaltungsfähigkeit der Kommunen. Boden ist auch der größte Preistreiber auf dem Immobilienmarkt. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat gemeinsam mit dem Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung eine „Bodenpolitische Agenda“ entwickelt, die konkrete und praxisorientierte Maßnahmen aufzeigt.[5]

CARSTEN KÜHL Jahrgang 1962, Prof. Dr. rer. pol., Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer am Deutschen Institut für Urbanistik gGmbH in Berlin und Köln.

Anmerkungen:

[1] Lebhuhn, Henrik et al. 2017: Wohnverhältnisse in Deutschland – eine Analyse der sozialen Lage in 77 Großstädten, Düsseldorf, Berlin; Holm, Andrej et al. 2019: Die Wohnsituation in deutschen Großstädten – 77 Wohnprofile, Düsseldorf, Berlin; Dustmann, Christian et al. 2018: Housing Expenditure and Income Inequality, IZA Paper Nr. 11953, Bonn

[2] S. Dunstmann et al. 2018 (Anm. 1).

[3] Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2018: Soziale Wohnungspolitik, Berlin

[4] S. dazu auch den Beitrag von Gerhardt in diesem Heft.

[5] Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) et al. 2017: Bodenpolitische Agenda 2020-2013, Berlin

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