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Die Fronten sind geklärt: Bosbach-­Ent­wurf entwertet Patien­ten­ver­fü­gungen

30. Oktober 2008

Aus: Mitteilungen Nr. 202, S. 7

Rosemarie Will

Die  Blockadepolitik in Sachen Patientenverfügung scheint beendet: Am 21. Oktober hat Wolfgang Bosbach zusammen mit Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen und dem Fürsprecher einer Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen, dem SPD-Abgeordneten René Röspel, einen zweiten Gesetzentwurf zur Regelung von Patientenverfügungen vorgestellt. Der als Gegenentwurf zum sog. Stünker-Entwurf aufgestellte Vorschlag begrenzt nicht einfach die Reichweite von Patientenverfügungen, d.h. ihre Wirksamkeit auf die Phase des Vorliegens einer unheilbaren, tödlich verlaufende Krankheit. Vielmehr führt der Entwurf Patientenverfügungen erster und zweiter Klasse ein. Offenbar hat die jahrelange Diskussion, dass eine Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen verfassungswidrig wäre, Wirkung gezeigt.
Unter der Voraussetzung, dass sich Betroffene ärztlich aufklären lassen, diese Beratung vom Arzt dokumentiert und nach einer Belehrung vor einem Notar errichtet werden, soll eine Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung möglich sein. Die notarielle Beurkundung darf dabei nicht länger als fünf Jahre zurückliegen. Werden diese Vorrausetzungen nicht erfüllt – und das dürfte für nahezu alle derzeit abgeschlossenen Patientenverfügungen gelten – soll die Reichweite der Patientenverfügung auf zwei Fälle begrenzt werden: 1. dafür, dass nach ärztlicher Überzeugung eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder 2. wenn der Betreute ohne Bewusstsein ist und nach ärztlicher Überzeugung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit trotz Ausschöpfung aller medizinischen Möglichkeiten das Bewusstsein niemals wiedererlangen wird.
Die Verfasser des Bosbach-Entwurfs scheinen sich jedoch nicht in allen Punkten einig zu sein: Gemeinsam mit dem Entwurf stellten sie einen Änderungsantrag vor, wonach die Patientenverfügung 2. Klasse nicht für die zweite Alternative – das so genannte Wachkoma – gelten solle. Diese Patientenverfügung zweiter Klasse hätte, zumal in ihrer engen Variante, keine Funktion: In der Sterbephase im engeren Sinn ist der Arzt ohnehin verpflichtet, den Sterbenden zu begleiten und darf nicht von sich aus den Sterbeprozess verlängern. Die Patientenverfügung erster Klasse hingegen errichtet Hürden, die es letztlich nur einem privilegierten Kreis von Menschen ermöglichen wird, die Möglichkeiten der Selbstbestimmung am Lebensende mit einer Patientenverfügung zu nutzen. Sie ist vor allem ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Notare und Juristen, ohne dass dadurch für die Betroffenen tatsächlich Rechtssicherheit geschaffen würde. Jede erhöhte Formanforderung produziert erfahrungsgemäß eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem österreichischen Patientenverfügungsgesetz, dem der Bosbach-Vorschlag nachgebildet ist.

Rosemarie Will

Die Planung der HU-Kampagne für mehr Selbstbestimmung am Lebensende ist ein Thema des Verbandstages in Lübeck, s.S. 19 dieser Ausgabe.

Kategorie: Patientenverfügung: Positionen

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