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Der Abbruch der Schwan­ger­schaft - Das Urteil des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richtes von 1993

02. Juli 1993

aus: Ulrich Vultejus & Ursula Neumann, Im Namen des Volkes. Unfreundliche Bemerkungen zum § 218-Urteil von Karlsruhe. HU-Schriften Nr. 19, München 1993

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte mit Urteil vom 25.02.1975 (1) bereits einmal zum Schwangerschaftsabbruch entschieden. Folgt man dem neuen Urteil vom 28.05.1993, so war das alte Urteil falsch. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht gegen den Deutschen Bundestag die Indikationenlösung erzwungen, jetzt hat es die damals verworfene Fristenlösung, wenn auch mit eigensinnigen Modifikationen, gebilligt.
Diese Rückerinnerung mag zu der Überlegung führen, daß auch das neue Urteil nicht das letzte Wort aus Karlsruhe zum Schwangerschaftsabbruch sein wird. Ich folge den Richtern Mahrenholz und Sommer in ihrer abweichenden Meinung:

„Jede Regelung des Schwangerschaftsabbruchs wirft Fragen nach dem Bereich unantastbarer Autonomie des Menschen einerseits und dem Recht des Staates andererseits auf, der Gesetzgeber befindet sich hier an der Grenze der Regelungsfähigkeit eines Lebensbereichs. Er kann sich der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs mit einer besseren oder mit einer schlechteren Regelung nähern; lösen kann er sie nicht; dem Staat ist hier die Selbstgewißheit zur ‚richtigen‘ Lösung verlorengegangen.“

Zum zweiten Mal hat das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz des Deutschen Bundestages zum Schwangerschaftsabbruch verworfen und hierbei die Gewichte zwischen der Legislative und der Judikative in einem Maße verschoben, wie wir es bisher nicht gekannt haben.

Für mich ist dies ein Zeichen der Schwäche der Bonner Politik. Die drei Staatsgewalten sind wie kommunizierende Röhren. Das intellektuelle Absinken der Einen führt zwangsläufig zum Wachsen der Anderen. Die Folge: Die Wahl der Bundesverfassungsrichter wird noch stärker politisiert werden. Diese Politisierung wird nicht nur in dem Richterwahlausschuß selbst spürbar werden, sondern auch bei der innerparteilichen Diskussion über die Wahlvorschläge, da jetzt die SPD sich von den von ihnen vorgeschlagenen Richtern
(insbesondere Böckenförde, Frau Graßhof), wenn auch in unterschiedlichem Maße, politisch enttäuscht fühlen muß.

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