Themen / Bioethik

Vorwort: Das wirre Urteil

04. Juli 1993

aus: Ulrich Vultejus & Ursula Neumann, Im Namen des Volkes. Unfreundliche Bemerkungen zum § 218-Urteil von Karlsruhe. HU-Schriften Nr. 19, München 1993, S. 4

Man mag zum Schwangerschaftsabbruch stehen wie man will. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber kann niemandem gefallen:

I. Die Frau als Gefäß

Ein eigenes Selbstbestimmungsrecht wird nicht anerkannt und sei es auch nur in der Form, daß es gegen ein Lebensrecht des Embryos abzuwägen sei. Männern und Frauen wird vorgeworfen, ihre „eigenen Lebensvorstellungen überzubewerten“. Entgegen anderslautenden Beteuerungen wird die Frau nur als Gefäß gesehen, in dem der Embryo vor der Frau zu schützen sei.

II. Die Unwahrheit als Verfassungsprinzip

Die erzwungene Beratung der Frau darf nicht offen und ehrlich erfolgen, sondern darf nur so scheinen. In Wahrheit wird die Frau von Sozialarbeitern, Psychologen, Ärzten und Juristen umstellt, die zielgerichtet mit Psychotechniken auf die Frau einzuwirken haben. Es wird verschwiegen, daß die vom Bundesverfassungsgericht 1975 erzwungene Indikationenlösung auch aus der heutigen Sicht des Gerichts ein Fehler war.

III. Europa vergessen

Das Bundesverfassungsgericht glaubt sich allmächtig und hat vergessen, daß Deutschland in Europa eingebunden ist. Die Regelung der Fristenlösung in den anderen europäischen Ländern und in der ehemaligen DDR wird mit keinem Wort erwähnt. Die strafrechtliche Auswirkung der Übergangsregelung auf Schwangerschaftsabbrüche im Ausland, in dem eine Beratung“ nach deutschem Recht unmöglich ist, ist übersehen worden. Die sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils bei Abbrüchen im Ausland sind vergessen worden. Das Recht ausländischer Krankenversicherungen, in Deutschland Versicherungsverträge nach ihrem Heimatrecht anzubieten, ist übersehen worden.

IV. Die Übergangsregelung ohne Rechtsgrundlage

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Übergangslösung verfügt, für die es keine Rechtsgrundlage gibt und mit der es in den Freiraum des Gesetzgebers einbricht.

nach oben