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Audio- und Video­über­wa­chung im öffent­li­chen Raum

20. Dezember 1998

aus: vorgänge Nr. 144 (Heft 4/1998), S. 62-71

Einleitung

George Orwell: „Ich wollte in dem Unterholz nicht sprechen‘, fuhr sie fort, ‚für den Fall, daß dort ein Mikrophon versteckt ist. Ich glaube es zwar nicht, aber es könnte doch sein. Es besteht immer die Möglichkeit, daß einer von diesen Schweinen unsere Stimme erkennt`…. Mit der Entwicklung des Fernsehens und bei dem technischen Fortschritt, der es ermöglichte, mit Hilfe desselben Instruments gleichzeitig zu empfangen und zu senden, war das Privatleben zu Ende. Jeder Bürger oder wenigstens jeder Bürger, der wichtig genug war, um einer Überwachung für Wert befunden zu werden, konnte vierundzwanzig Stunden den Argusaugen der Polizei und dem Getrommel der amtlichen Propaganda ausgesetzt gehalten werden, während ihm alle anderen Verbindungswege verschlossen blieben. … Natürlich gab es keine Möglichkeit zu wissen, ob man in irgendeinem Augenblick gerade beobachtet wurde oder nicht“. [1]

Horst Herold: „Wenn die neue Rechnergeneration fähig ist, Informationen wie mit den Sinnen eines Menschen zu erfassen und digital zu speichern, könnte es technisch möglich werden, die Fahndung nach gesuchten Straftätern unmittelbar auf Maschinen zu übertragen. Beispiele: Überwachung eines gefährdeten Hauses durch einen Rechner, in dem Bilder der Top-Terroristen gespeichert sind; der Rechner läßt Unbeteiligte passieren, verständigt aber die Polizei, wenn er den Gesuchten erkennt. Oder: ein gesuchter Mörder, dessen Stimme im öffentlichen Telefonnetz gespeichert ist, wird beim Telefonieren erkannt.“ [2]

Als in der deutschen Öffentlichkeit über die Zulassung des großen „Lauschangriffs“ in Wohnungen diskutiert wurde, war schon der Claim markiert, auf dem der nächste Grundrechtsabbau stattfinden sollte: Insbesondere Polizisten, aber auch konservative Politiker meinten, ohne den „Spähangriff“ in Wohnungen das organisierte Verbrechen nicht hinreichend bekämpfen zu können.[3]  Ist innerhalb von Wohnungen aus technischen Gründen der Lauschangriff einfacher und ergiebiger und damit auch häufiger, so dominiert außerhalb von Wohnungen der Spähangriff. Durch die Änderung des Art. 13 GG wurden die vor informationellen Angriffen schützenden rechtlichen Mauern eingerissen. Schutz vor dem Audio- und Videografieren außerhalb von Wohnungen, im öffentlichen Raum, bestand bisher vor allem dadurch, daß das Aufzeichnen von Wort und Bild technisch sehr aufwendig war. Diese Schranke wird durch die technische Entwicklung eingerissen. Die Erhebung von Bildern und Tönen ist technisch kein Problem mehr und wird allerorten im öffentlich zugänglichen Raum praktiziert. Was im Kassenbereich eines hessischen Schwimmbads [4] oder in der Rechtsantragsstelle eines Sozialgerichts [5] noch die Ausnahme ist, gehört im Eingangs- und Automatenbereich von Banken schon zum Standardangebot: der kombinierte Lausch- und Spähangriff.

Kleine Geschichte der öffent­li­chen Bild. und Tonüber­wa­chung in Deutschland

Die optische Überwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen hat in Deutschland eine lange Geschichte. 1958 wurde in München eine Verkehrszentrale eingerichtet, an die von stationären Fernsehkameras über 17 Verkehrsschwerpunkte bewegte Bilder übertragen wurden. 1959 kam zur Überwachung des Straßenverkehrs zur Industriemesse und zur Luftfahrtausstellung in Hannover eine Industriefernsehanlage zum Einsatz; ein Jahr später ergänzt durch mobile, u.a. in Hubschraubern installierte Kameras. Hannover war 1976 auch die erste deutsche Stadt, wo mit 25 ferngesteuerten schwenkbaren stationären Zoom-Kameras der Dauereinsatz der Videotechnik praktiziert wurde. Überwacht wurde von Anfang an nicht nur der Autoverkehr. Auf der Mönkebergstraße in Hamburg, am Kröpcke in Hannover oder auf dem Münchener Marienplatz zielten die Maßnahmen von Beginn an gegen „Rand- und Problemgruppen“. 1964 wurde der Münchner Stadtpolizei die erste mobile Fernsehaufnahme-Anlage übergeben -zum Füllen der Lücken der stationären Beobachtung, z.B. bei „größeren Menschenansammlungen, Aufmärschen, Versammlungen unter freiem Himmel, evtl. Streiks, Krawalle o.ä.“. Die Anlage war damals auf einem 6-Tonnen-LKW-Gestell mit ausfahrbaren Bodenstützen installiert, hatte einen drei Meter hohen Kameramast und eine 7 Meter hohe Antenne. [6]

Inzwischen hat sich die Technik weiterentwickelt. Die Kameras wurden kleiner und leichter und vor allem leistungsfähiger und zahlreicher. Schon in den 70er Jahren wurden die Kameras so billig, daß sie zur flächendeckenden Kontrolle von Bahnsteigen, Rolltreppen, Tunneln, Kreuzungen, Fußgänger- und Einkaufszonen, Warenhäusern und Bahnhöfen, genutzt werden konnten. Video wurde zum nicht täuschbaren Gefahrenmelder und, z.B. bei Verkehrskontrollen, zum unbestechlichen Beweismittel. Die seit 1976 bundeseinheitlich ausgebildeten polizeilichen Beweissicherungs- und Dokumentations-(Bedo-)Trupps überwachten Demonstrationen mit kleinen, handlichen Videokameras, mit deren Zoom-Technik gestochene Portraitaufnahmen gefertigt werden konnten. [7]

Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur verdeckten Globalbeobachtung war die „Aktion Paddy“, bei der das Bundeskriminalamt mit Unterstützung von BND und Bundesamt für Verfassungsschutz zur Absicherung des amerikanischen NATO-Hauptquartiers vor RAF-Anschlägen in einem Umkreis von 30 km um Heidelberg 13 im öffentlichen Raum installierte, versteckte Hochleistungskameras aufbaute. Nach sechs Monaten wurde die Anlage ohne den erhofften Ermittlungserfolg abgebaut. Kurz danach wurde knapp außerhalb des Überwachungsbereichs auf den zuvor mitgeschützten Vier-Sterne-General Kroesen von der RAF ein Anschlag verübt. [8]

Anfang der 80er Jahre waren von westlicher Seite am „eisernen Vorhang“ automatische Kameras in Grenzkontrollbereichen installiert worden. Nachdem der „antifaschistische Schutzwall“ Ende der 80er Jahre von östlicher Seite aus eingerissen war, wurde weiter im Osten ein neuer elektronischer Vorhang bzw. Schutzwall aufgebaut. An der deutschen Ostgrenze zu Tschechien und Polen sollen neben Lichtschranken und Bewegungsmeldern vor allem Infrarot- und Videokameras unerlaubte Grenzübertritte frühzeitig anzeigen. Erklärtes Vorbild ist die Überwachung der südlichen US-Grenze zu Mexiko. [9]

Mit großem publizistischen Trara hat die Polizeidirektion Leipzig Anfang 1996 ein Pilotprojekt zur „Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten“ gegen Kfz-Aufbrüche, Taschendiebstähle und Drogenhandel begonnen. Vergleichbare Aktivitäten gibt es aber auch in anderen Orten. [10] Die Polizei ist schon lang nicht mehr die Institution, die am umfassendsten diese Technik einsetzt. Die Erfassung erfolgt inzwischen vor allem durch Kommunen [11], auf dem Wertstoffsammelplatz ebenso wie auf dem Schulhof. Öffentliche Einrichtungen bis hin zu den Hochschulen sehen in dieser Technik eine Möglichkeit, sich selbst ein Stückchen „Sicherheit“ zu schaffen. [12]

Anders als von Orwell in „1984“ befürchtet, waren in diesem Jahr die Städte und erst recht Feld, Wald und Wiesen noch frei von versteckten Mikrofonen. Als aber 1986 nach der Atomreaktorkatastrophe von Tschernobyl über 100 Strommasten umgesägt worden waren, besann man sich des literarischen Vorbilds und machte sich an die Installierung von Schalldetektoren, mit denen Sägegeräusche in einem Umkreis von 30 Metern registriert werden konnten. [13] Während in Wohngebieten in den USA akustische Überwachungssysteme schon in der Erprobung und im Einsatz sind, sind in Deutschland vergleichbare Pläne noch nicht bekannt. In einzelnen US-Städten werden die von einem Netz von Mikrofonen registrierten Signale automatisiert danach ausgewertet, ob sie von Gewehr- oder Pistolenschüssen stammen können, und sehr präzise angezeigt. [14] Dagegen gibt es vor allem im privaten Bereich auch in der Bundesrepublik schon erste Beispiele öffentlicher Lauschangriffe, z.B. im Automatenbereich von Banken. Hier werden nicht nur Geräusche erfaßt, sondern auch das gesprochene Wort der Anwesenden.

Öffentliche Überwachung im Ausland

Die Bundesrepublik ist in Sachen Audio- und Videoüberwachung nicht Vorreiter. In Großbritannien und in den USA lassen sich Trends feststellen, die auch auf uns zukommen werden. Interessant ist, daß in den genannten Staaten oder auch in Frankreich [15] große Vorbehalte bestehen gegenüber jeder konventionellen direkten staatlichen Personenkontrolle, z.B. mit Hilfe von Ausweisen, daß aber die anmaßendere und heimtückischere Form der technischen Überwachung weitgehend akzeptiert wird. Noch ganz andere Dimensionen hat die Praxis in den asiatischen Überwachungs-Hochburgen Singapur oder Hongkong. [16]

Schon Ende 1996 war in Großbritannien in jeder zweiten Kommunalverwaltung eine öffentlich-rechtliche Überwachung installiert. Die Wunderwaffe gegen das örtliche Verbrechen heißt Closed Circuit Television (CCTV). Allein für 1997 und 1998 ist der Aufbau von 20.000 Polizeikameras geplant. Pro Jahr werden dort über 300.000 Sicherheitskameras verkauft. Die hohe Akzeptanz ist sicher durch die bisherige Angst vor nordirischen Terroraktionen mit erklärbar. Mit Hilfe der Videoüberwachung konnte der blutige Bombenanschlag auf das Londoner Kaufhaus Harrods von 1983 ebenso aufgeklärt werden wie zehn Jahre später der Mord an dem kleinen James Bulger in Merseyside durch zwei Heranwachsende. [17]

Die britische Polizei kontrolliert sämtliche Fahrzeuge im Eurotunnel mit einem elektronischen Überwachungssystem, dessen Kameras die Kfz-Kennzeichen aufnehmen und an eine zentrale Polizeidatei in London melden. Diese meldet innerhalb von vier Sekunden zurück, ob ein verdächtiges Kennzeichen erfaßt worden ist. [18] Ebenso anlaßunabhängig erfaßt werden mit dem CCTV der „City of London Police“ täglich über 100.000 Kraftfahrzeuge an acht Zufahrtpunkten zur Londoner City. Die seit Februar 1997 in Betrieb befindlichen Kameras arbeiten auch mit dem „Automatic Number Plate Reading“, der vollautomatischen Datenerfassung der Kennzeichen und dem sofortigen Abgleich mit Polizeidatenbanken. [19]

Gewinn und Verlust­rech­nung

Die Audio- und Videoüberwachung im öffentlichen Raum hat sowohl eine private wie eine öffentliche Komponente. [20] Nicht nur die Polizei, auch Privatpersonen setzen diese Überwachungstechniken ein. Anlaß hierfür kann ein Nachbarstreit [21] sein; zumeist wird aber die Überwachung der privaten Grundstücke [22] von Verkehrsanlagen [23], im Taxi [24] bis hin zur optischen Kontrolle von Kundenräumen, Geldautomaten [25], Warenhäusern und Einkaufspassagen [26] aus allgemeinen Sicherheitsgründen praktiziert. Inzwischen kann zumindest in städtischen Räumen schon fast von einer flächendeckenden Überwachung durch eine Vielzahl unterschiedlicher Betreiber gesprochen werden.
Wegen ihrer Privatnützigkeit erfolgt die Überwachung zumeist nicht flächendeckend, systematisch und in strategischer Absicht. Eine Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Bereich besteht bei der Bild- und Ton-Erhebung durch private Sicherheitsunternehmen, die ihr „Beweismaterial“ den Sicherheitsbehörden weitergeben. [27]
Während die Polizei bei der personellen Datenerhebung schon einmal eher „Outsourcing“ praktiziert, da dieses erheblich billiger ist als die hoheitliche Lösung, spielt diese Überlegung beim reinen Technikeinsatz eine geringere Rolle. Um von vornherein und vollständig die Bestimmungsmöglichkeit über die Beobachtungsoperationen zu behalten, wird die typische hoheitliche Audio- und Videoüberwachung regelmäßig nicht aus der staatlichen Hand gegeben. Doch auch dieser Bereich ist dem Outsourcing zugänglich, wenn polizeiliche und private Interessen gleichläufig sind, wie die Nutzung der 3-S-Zentralen der Deutschen Bahn AG zur Bahnhofsüberwachung durch den Bundesgrenzschutz erweist. [28]

Kostenprobleme bestehen heute weniger in der Beschaffung der Überwachungshardware. Teuer ist derzeit die noch von Menschen vorzunehmende Auswertung der Aufzeichnungen. Daher erfolgt zumeist nur dann eine Aufzeichnung, wenn hierfür ein konkreter Anlaß besteht. Die Aufzeichnung wird personell von einer Person am Bildschirm, aber auch schon durch Bewegungsmelder oder durch einfache Mustererkennung (bei besonderen Geräuschen), initialisiert. Statt des Durchlaufens von Bildern erfolgt oft die technisch etwas aufwendigere Kurzzeitspeicherung, die z.B. nach wenigen Tagen überspielt wird. Dadurch kann die Entscheidung über die längerfristige Aufbewahrung bestimmter Aufzeichnungen hinausgezögert werden. Solange aber keine, derzeit noch sehr teure elektronische Selektion eventuell relevanter Aufnahmen möglich ist, werden mit der flächendeckenden Überwachung vielleicht erwünschte psychologische, abschreckenden Wirkungen erreicht, noch nicht aber die automatisierte Totalkontrolle. Audio- und Videoüberwachung hat also die gleichen Vorteile wie sämtliche sonstigen elektronischen Überwachungsmethoden: Sie ist (zunehmend) billig und ersetzt personal- und kostenintensive Wachtätigkeit.

Während letztere bestenfalls Zeugenbeweise produziert, liefert die maschinelle Version den unbestechlichen Sachbeweis: „Der Sachbeweis ist objektiv, er wertet nicht, er lügt nicht, sein Erinnerungsvermögen läßt nicht nach, er widerspricht sich nicht“. [29] Die menschliche Wahrnehmungsmöglichkeit wird technisch verlängert und erweitert. Möglich ist nicht nur das Registrieren von üblichem Licht und Schall, sondern auch z.B. von Wärmestrahlen. Dunkelheits- oder wetterbedingte Behinderungen können kompensiert werden. Durch Heranzoomen (Vergrößerung) und elektronische Verstärkung können weit entfernte, besonders abgeschottete oder von den menschlichen Sinnen nicht mehr wahrnehmbare Objekte registriert werden. All dies kann unbeobachtet und unabhängig von Ort und Zeit erfolgen und für beliebige Beobachter beliebig oft reproduziert werden. [30]

Sind sich die technisch Beobachteten der Beobachtung bewußt, so beeinflußt dies deren Verhalten. Welche psychologische Auswirkungen dies bei rechtschaffenen Menschen haben kann, erläuterte das Bundesverfassungsgericht: „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, daß etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative behördlich registriert wird und daß ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.“ [31] Dieses zentrale bürgerrechtliche Argument gegen jede Form der elektronischen Rundum-Überwachung hat angesichts der Konjunktur von Sicherheitsphraseologie einen schweren Stand.

Offene Überwachung eignet sich wegen ihrer präventiven disziplinierenden Wirkung zur Abschreckung. Im Einzelfall ist damit konkrete Gefahrenabwehr oder die Beweisführung im Strafverfahren möglich (repressiver Überführungseffekt). Die verdeckte Überwachung kann dagegen keine präventive Wirkung entfalten; sie ist aber, da sich der „Täter“ unbeobachtet wähnt, repressiv einsetzbar. Denkbar ist auch eine Kombination offener und verdeckter Installationen: Mit der offenen Erfassung werden die Menschen in Bereiche verdrängt, in denen sie dann gezielt verdeckt überwacht werden können.

Die sicherheitspolitische Bilanz der Technologie ist jedoch nicht berauschend. Das Verhalten von potentiellen Störern und Rechtsbrechern wird sicherlich durch die Beobachtung in der Form beeinflußt, daß es im Beobachtungszeitraum zu erheblich weniger Rechtsverletzungen kommt. Erfolgsquoten von über 75 Prozent Kriminalitätsrückgang werden vermeldet. [32] Diese psychologische Wirkung der „Abschreckung“ funktioniert aber nur, wenn auf die Observation hingewiesen wird. Sie läßt sich schon dadurch erreichen, daß glaubwürdig auf eine elektronische Überwachung hingewiesen wird, ohne daß diese tatsächlich erfolgen müßte. Erreicht wird aber keine Verringerung von Rechtsverletzungen, sondern durchgängig nur deren Verdrängung bzw. Verlagerung. Überwachung bessert keine Übeltäter, sondern verscheucht diese. Werden bestimmte Gebiete sicherer, so werden andere dafür zwangsläufig gefährlicher: Überwachen z.B. polizeiliche Bedo-Trupps ein Fußballstadion, so kommt es eben auf den An- und Abmarschwegen zu Ausschreitungen. [33]

Unter Umständen ist auch eine Abhärtung gegen die Überwachung oder gar eine Verschärfung der Sicherheitslage festzustellen: Die Aufzeichnungsgeräte werden geklaut. Es kann zum Sport werden, unter den Augen der Kameras unerkannt Straftaten zu begehen. So objektiv das Medium auch sein mag, so unsicher ist oft die Zuordnung zu einem Tatverdächtigen. Der psychologische Effekt, daß Festgenommene schneller und leichter zu einem Geständnis gebracht werden, wenn sie mit der Aufnahme der Tat oder des Tatortes konfrontiert werden, nutzt sich schnell ab, wenn Gerichte im Zweifel Täter damit doch nicht identifizieren können. Der Umstand hat unter Umständen nur eine kurzfristige Abschreckungswirkung. Das Beobachtetwerden kann vor allem bei sozial Schwächeren Aggressionen aufstauen und dazu führen, daß diese schon mittelfristig sich schubweise entladen. Die Sanktionierung bereits geringer Ordnungsverstöße fördert zudem die Entwurzelung der Betroffenen und von deren Umfeld. In Großbritannien wurde außerdem festgestellt, daß die elektronische Überwachung die soziale Verantwortlichkeit der Menschen sinken läßt. Die Anzeigebereitschaft nimmt ab – die Polizei hat ja mitgesehen und -gehört -‚ ebenso – in der Erwartung professioneller Intervention – die Neigung zum persönlichen Eingreifen bei An- und Übergriffen. Die Angst, für möglicherweise unsachgemäße Hilfe aufgrund der elektronischen Dokumentation zur Rechenschaft gezogen zu werden, ist für das Engagement sicherlich nicht förderlich. [34]

Betroffen vom Verdrängungsprozeß durch optische und akustische Überwachung ist nicht der raffiniert und organisiert agierende Täter, der großen materiellen Schaden anrichtet, sondern der „kleine“ Straßenkriminelle. Mitverdrängt werden diejenigen, denen lediglich vorgeworfen werden kann, daß sich andere von ihnen belästigt fühlen. So wurde etwa auf Sylt Videotechnik gezielt gegen Punker eingesetzt, die das touristische Treiben in der Fußgängerzone von Westerland behinderten. [35] Verdrängt werden Bettler,
Obdachlose und Jugendliche und sonstige ohnehin sozial ausgegrenzte Minderheiten, unabhängig davon, ob sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten oder nicht. Den „rechtschaffenen“ Bürgerinnen und Bürgern wird im Gegenzug eine saubere Stadt geboten, in der diese sich subjektiv sicher fühlen. Daß dieses Gefühl mit dem objektiven Befund nicht übereinstimmen muß, steht auf einem anderen Blatt.

Hinsichtlich der psychologischen Wirkungen wie der Rechtsbeeinträchtigung ist es relativ unbedeutend, ob eine Maßnahme von der Polizei selbst vorgenommen wird oder von einem privaten bzw. von einem privaten Träger vor Ort, wenn das relevante Bild- und Tonmaterial ausgewertet und an die Polizei weitergegeben wird.

Rechtliches

Die Antworten des Gesetzgebers auf die Audio- und Videotechnik sind vielfältig, aber bei weitem nicht umfassend, geschweige denn befriedigend.[36] Noch heute gilt das Kunsturhebergesetz (KUG) aus dem Jahr 1907 mit seinen § 22-24 u. 33, die das Verbreiten und Zurschaustellen von Bildnissen ohne Einwilligung des Abgebildeten unter Strafe stellt. Keiner Einwilligung bedürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, als Beiwerk, von Versammlungen und Aufzügen, im Interesse der Kunst ( 23 KUG) oder der öffentlichen Sicherheit ( 24 KUG).

Das Datenschutzrecht selbst ist in bezug auf Bild- und Tonträger unmodern und überholt. Als bestünden keine Möglichkeiten der systematischen Auswertung, werden diese von fast allen allgemeinen Datenschutzgesetzen noch als Akten behandelt (z.B. § 3 Abs. 3 5. 1 BDSG). Dies hat im privaten Bereich zur Folge, daß bei der Erhebung das Datenschutzrecht überhaupt nicht anwendbar ist. Innerhalb von privaten Grundstücken oder in nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmten Räumen läßt sich der Einsatz von Videokameras mit dem Hausrecht begründen. Im öffentlichen Raum dagegen stellt die Überwachung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar, der einer besonderen (gesetzlichen) Rechtfertigung bedarf. [37]

Bei der Erhebung wird unterschieden zwischen unlaßunabhängiger und anlaßbezogener Überwachung. Letztere ist zulässig, wenn dies zur Strafverfolgung (§163 StPO) oder zur Gefahrenabwehr bei öffentlichen Ansammlungen und Veranstaltungen (z.B. § 32 Abs. 5 NGefAG) erforderlich ist. Im Rahmen konkreter Ermittlungsverfahren kann gem. § 100c Abs. 1 Nr. 1 StPO auf Anordnung eines Richters und bei Gefahr im Verzug durch einen Staatsanwalt oder einen Polizeibeamten die temporäre Beobachtung konkreter tatkritischer Objekte oder Örtlichkeiten erfolgen. § § 12a, 19a VersammlG erlauben das Anfertigen von Bild- und Tonaufnahmen bei An- und Versammlungen. [38] Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder verlangen schon seit langem, umfassend die hoheitliche wie die private Videoüberwachung normenklar gesetzlich zu regeln. [39] Bisher gibt es dazu nur vereinzelte Normen, z.B. § 32 LDSG Schleswig-Holstein [40] oder § 33c LDSG Brandenburg. Einen Regelungsvorschlag auf Bundesebene enthält nunmehr § 33 eines Entwurfs zum Bundesdatenschutzgesetz der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. [41] Rechtlich ist zu unterscheiden zwischen der offenen Überwachung und einer verdeckten Erhebung, von der die Betroffenen nichts mitbekommen. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen muß die hoheitliche Aufzeichnung von Ton und Bild im öffentlichen Raum offen erfolgen, d.h. die Betroffenen müssen sie ohne große Umstände erkennen können. Verdeckte Erhebungen bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage. Eine solche Grundlage findet sich in vielen Landespolizeigesetzen (z.B. § 35 NGefAG).

Insbesondere digitale Bild- und Tonaufzeichnungen lassen sich heute ohne große Schwierigkeiten verändern und damit verfälschen. Deren objektiver Beweiswert gerät dadurch massiv in Gefahr. Um digitale Aufzeichnungen gerichtsfest zu machen, wird daher in Polizeikreisen darüber diskutiert, Bild und Ton durch eine Art elektronisches Wasserzeichen gegen Verfälschung zu sichern. [42]

Perspektiven

Hinsichtlich der Audio- und Videoüberwachung befinden wir uns derzeit mitten in einer rasanten technischen Entwicklung. Nicht nur, daß die Aufnahmegeräte kleiner, billiger, leistungsfähiger und präziser werden, auch bei der Weiternutzung des Materials werden qualitative Grenzen gesprengt: Die Mustererkennung von Tonaufnahmen ist so weit ausgereift, daß mit Sprachdatenbanken massenhaft Abgleiche gefahren werden können. Was zur Realisierung dieses Kontrollgelüstes fehlt, sind derzeit abgleichfähige hoheitliche Sprach-Datenbanken für Identifizierungszwecke. Es ist nur eine Frage von Speicher- und Rechenkapazität, daß auch bzgl. sonstiger biometrischer Merkmale, insbesondere bei der Gesichtserkennung, Abgleiche möglich sind. Die in Florida beheimatete Fa. NeuroMetric hat ein System entwickelt, das aus einer Menschenmasse pro Sekunde 20 Gesichter herausfiltern kann. Deren biometrische Daten lassen sich innerhalb von Sekunden in einer Datenbank mit 50 Mio. Datensätzen abgleichen. [43]

Eine völlig neue Dimension wird auch dadurch eröffnet, daß Bilder über Internet weltweit verbreitet werden können. Die Einspeisung digitaler Bild- und Tonaufzeichnung ins Internet erfreut sich einer gefährlich zunehmenden Beliebtheit. Mehr als eine Million Besucher haben z.B. eine Web-Kamera-Homepage besucht, über die festgestellt werden konnte, wer an einer Haltestelle in Beverly Hills einen Bus betritt oder verläßt. [44] Jede Überwachungskamera läßt sich auch als Web-Cam benutzen, sei sie in einem Supermarkt, auf einem öffentlichen Platz, in einem Hotelzimmer oder in der Brille eines Internet-Freaks installiert. [45]

Ein anderer völlig neuer Blickwinkel, im wahrsten Sinne des Wortes, entsteht durch die Luft- und Satellitenüberwachung. [46] Inzwischen werden privat auf dem Markt gestochen scharfe Luftbilder, wie aus 25 m Höhe geknipst, angeboten. Adressat dieses Angebots sind neben öffentlichen Stellen (Grundbuch-, Kataster- und Planungsverwaltung) z.B. Adressenhändler, die den Grundstücken Bewohnernamen zuordnen. Auf die Möglichkeit des Einsatzes der Luftbildtechnik zur Observation von Grundstücken oder zum Verfolgen von Fahrzeugen ist bisher (vielleicht) nur noch niemand gekommen.

Audio- und Videotechniken tragen zum unaufhaltsamen Run in die Informationsgesellschaft bei. Für das Persönlichkeitsrecht besonders fatal ist bei diesen Techniken, dass die Erhebung direkt beim Betroffenen zumeist in einer Form erfolgt, daß er hiervon nichts mitbekommt. Für den privaten Markt muß die Frage beantwortet werden, ob entsprechende Geräte weiterhin genehmigungsfrei verkauft werden können sollen. [47] War dieser Bereich bisher relativ klar von der klassischen Datenverarbeitung und von Multimedia getrennt, so eröffnen Biometrie, Mustererkennung und die weltweite Vernetzung völlig neue Überwachungsperspektiven. Neben der qualitativen Aufrüstung erfolgt – vor allem im Namen der Sicherheit – eine rasante quantitative Zunahme der eingesetzten Geräte. Was vordergründig vor allem individuellem Voyeurismus zu dienen scheint und zweifelsfrei Rationalisierungseffekte hat, fördert auch Law- and Order-Denken. Gegenstrategien zum Schutz von Grundrechten und Privatsphäre sind noch nicht in Sicht.

Anmerkungen:
[1]  Orwell, 1984 (1950), Zürich [22]1974, S. 109f., 188.

[2]  Herold, in Symposium der Hessischen Landesregierung, Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, Protokoll, 1984, 221f.

[3]  DANA (Datenschutz Nachrichten) 3/1997, 16.

[4]  26. TB HDSB 1997, 104ff., DANA 1/1998, 22.

[5]  20. TB LD SH 1998, 74.

[6]  Weichert, Videoüberwachung, DANA Sonderheft 3/4-1988, 7f.

[7]  Weichert, Videoüberwachung, 8ff.

[8]  Weichert, Videoüberwachung, 14.

[9]   DANA 4/1997, 20; zur Videogrenzüberwachung in der Schweiz DANA 1-1995, 25.

[10] DANA 4/1997, 20f.; vgl. Nds. LT-Drs. 13/2198.

[11] Wohlfahrt, RDV 1995, 10ff.

[12] 2. TB TLfD 1996/97, 103ff.

[13] Weichert, Videoüberwachung, 15.

[14] Der Spiegel 34/1996, 88, 90.

[15] Zur Rechtslage in Frankreich DANA 1-1995, 26f.; Salvert, WIK (Zeitschrift für Wirtschaft, Kriminalität und Sicherheit) 2/1997, 40; zu Spanien DANA 4/1997, 26; eine umfassende Darstellung der Entwicklung im Ausland enthält Sack/Nogala/Lindenberg, Social Control Technologies, Hamburg 1977, 306ff.

[16] Weichert, Videoüberwachung, 18; DANA 3/1997, 24, 2/1997, 30, 6-1996, 21, 5-1995,28f.

[17] Heimrich, FAZ 5.11.1996; Levine, Kleiner Bruder beobachtet dich, taz 4.9.1996, 12.

[18] DANA 3/1997, 22; vgl. schon Weichert, Videoüberwachung, 21f.

[19] DANA 4/1997, 26f.

[20] JB B1nDSB 1996, 153ff.

[21] Vgl. z.B. DANA 3-1996, 17f., DANA 3/4-1995, 23f.

[22] Vgl. z.B. NJW-RR 1995, 1226.

[23] 24. TB HDSB 1995, 127ff.; 11. TB LfD NRW 1991/92, 46f.

[24] JB B1nDSB 1995, 195f.

[25] Weichert, DANA 3/4-1995, lOf.; XL TB LfD Nds. 1991/92, 231ff.; 12. TB LfD NRW 1993/94, 128f.

[26] Weichert, Videoüberwachung, 5ff.

[27] Weichert, DP 1994, 315ff.; ders. in Gössner (Hg.), Mythos Sicherheit, 1995, 173ff.; ders., DANA 2/1997, 18.

[28] Jacobs, Zeitschrift des BGS Nr. 1/2-1998, 9ff.

[29] Herold, Kriminalistik 1979, 18f.

[30] Sack/Nogala/Lindenberg, Social Control Technologies, 295ff.

[31] BVerfG, NJW 1984, 422.

[32] Für Großbritannien Heimrich, Viktorianische Grundsätze siegen über Argumente aus dem 20. Jahrhundert, FAZ 5.11.1996; kritisch dazu Sack/Nogala/Lindenberg, Social Control Technologies, 315ff.

[33] Weichert, Videoüberwachung, 13.

[34] Sack/Nogala/Lindenberg, Social Control Technologies, 318f.

[35] 20. TB LD SH 1998, 36.

[36] Dazu Ahlf, CR 1991, 424ff.; Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechnologie bei der Straftatbekämpfung, 1994; Weichert, Videoüberwachung, S. 24ff.; ders. in Kilian/Heussen, ComHdB, Kap. 135 Rdn. 48ff.; Wohlfahrt, RDV 1995, 10ff.

[37] Zur privaten Videoüberwachung 14. TB HmbDSB 1995, 121f.; 13. TB HmbDSB 1994, 183f. Kniesel in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 1992, Kap. H Rdn. 393ff.; 17. TB BayLfD 1996, 57ff.; 2. TB LfD Bbg 1993, 73ff.

[39] 16. TB BfD 1995-96, Kap. 1.4., 31.1., Anlage 15 Nr. 7 (Beschluß DSB-Konferenz).

[40] Dazu Nr. 183 der Hinweise zur Durchführung des LDSG, Abl. SH. 1992, 777.

[41] BT-drs. 13/9082.

[42] WIK 2/1997, 38.

[43] Levine, taz 4.9.1996, 12.

[44] Stehling, Peeping Web, taz 9.1.1997; zur globalen Nachbarschaftshilfe über Internet Sack/Nogala/Lindenberg, Social Control Technologies, 326f.

[45] Zur Übertragung von Bildern des öffentlichen Verkehrs über einen lokalen Fernsehsender 13. TB HmbDSB 1994, 38ff.

[46] Weichert, Videoüberwachung, 17; Weichert, ComHdB Kap. 135 Rdn. 53.

[47] PE LD SH v. 24.3.1998.

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