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Datenschutz und Transparenz sind zwei Seiten einer Medaille

21. September 2009

Stellungnahme anlässlich der Vorfälle um die Demonstration am 12. September 2009

Bündnis fordert politische Konsequenzen nach der Demonstration „Freiheit statt Angst 2009“: Intransparentes Polizeihandeln und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Berlin müssen beendet werden. Forderungskatalog zur Vermeidung von Polizeiübergriffen und für mehr Transparenz der Polizeiarbeit vorgestellt. Bündnis kündigt rechtliche Schritte gegen die Einschränkung seiner Versammlungsfreiheit an.

Als Organisatoren der diesjährigen Datenschutz-Demonstration haben wir in der vergangenen Woche den Ablauf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ sowie die begleitenden Polizeieinsätze ausgewertet. An der friedlich verlaufenden Demonstration am 12. September in Berlin nahmen über 20.000 Menschen teil, darunter zahlreiche Abgeordnete, Gewerkschafter, Künstler und Rechtsanwälte. Zu der Demonstration hatten 167 Organisationen aufgerufen, darunter zahlreiche Gewerkschaften und Parteien; auf der Rednerliste standen u.a. der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte und der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di. Somit war klar: Von diesem Bündnis ging keine Gefahr aus.

Umso bestürzter müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der geplante friedliche Protest gegen Überwachungstendenzen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von der Berliner Versammlungsbehörde und der Polizei behindert wurde. Wie bereits in den Medien berichtet, kam es am Rande der friedlich verlaufenden Demonstration zu gewaltsamen Übergriffen beteiligter Polizisten. Darüber hinaus mussten wir uns im Vorfeld und während der Demonstration zahlreichen Einschränkungen unseres Versammlungsrechts unterwerfen, die wir für nicht hinnehmbar halten. So waren wir gezwungen, die geplante Route der Demonstration zu ändern; begründet wurde dies mit einer Gefahrenprognose der Berliner Polizei, die für uns weder nachvollziehbar noch angemessen erscheint. Wir halten es einer demokratischen, offenen Gesellschaft für unwürdig, wenn die Polizei darüber entscheidet, in welchen Bereichen einer Stadt öffentlich protestiert werden darf. Ebenso mussten wir erleben, wie zahlreiche Teilnehmer ohne konkreten Anlass einer polizeilichen Kontrolle unterzogen wurden, und Polizisten mit der Beschlagnahme von Flugblättern, Plakaten und Broschüren drohten – obwohl diese weder Gewaltbereitschaft erkennen ließen noch persönliche Angriffe enthielten. 

Wohl wissend, dass wir mit unseren Erfahrungen nicht allein stehen, und in der Überzeugung, dass die Erhaltung unserer Versammlungsfreiheit als einem Stück „ungebändigter Demokratie“ ein zentraler Stellenwert in unserer Gesellschaft zukommt, stellen wir daher folgende Forderungen:

1. Eine umfassende und lückenlose Aufklärung und Ahndung der polizeilichen Gewaltanwendung bei zwei Festnahmen am Rande der Demonstration: Die von uns inzwischen an die Staatsanwaltschaft übergebenen Videoaufnahmen widersprechen der polizeilichen Darstellung des Geschehens, wonach die Festgenommenen sich polizeilichen Maßnahmen widersetzt hätten. In einem Fall (Radfahrer) besteht der Verdacht, dass durch den Einsatz ein kritischer Beobachter des Polizeieinsatzes bestraft werden sollte, der das Verhalten einzelner Polizisten und deren Dienstnummern dokumentieren wollte. Wir bewerten es dabei als sehr bedenklich, dass keiner der auf dem bekannten Videomaterial zu sehenden Polizeibeamten sich für den von seinen Kollegen angegriffenen Demonstranten eingesetzt zu haben scheint. Die zweite Festnahme (eines Fahrzeugführers) ist aus unserer Sicht insbes. deshalb unverhältnismäßig, da vorab bereits die Personalien des Betroffenen festgestellt wurden und ein weiterer Zugriff nach unserer Einschätzung nicht notwendig war.

2. Geeignete Maßnahmen, um ein Mindestmaß an Transparenz und Verlässlichkeit der polizeilichen Einsatzpraxis zu gewährleisten: Eine individuelle Kennzeichnung von PolizistInnen ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Für jede Bürgerin und jeden Bürger ist es eine unumgängliche Mindestanforderung an die Träger des staatlichen Gewaltmonopols, dass ihr Handeln transparent und individuell zurechenbar bleibt. Die Verantwortlichkeit für polizeiliches Handeln darf nicht hinter Helmen und in einer uniformierten Masse verschwinden. Genau dies ist aber die derzeitige Situation: Jedes Jahr werden allein im Land Berlin mehrere hundert Strafanträge gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt gestellt, von denen 99% ergebnislos bleiben. Meist geschieht dies aus Mangel an Beweisen, und das, obwohl i.d.R. mehr als eine Beamtin/ein Beamter beteiligt sind. Auf jedem Verwaltungsbescheid bis hin zum „Knöllchen“ für Falschparker werden die verantwortliche Behörde und zuständige Mitarbeiter benannt. Wenn dagegen polizeiliche Zwangsmaßnahmen angewandt werden, soll dies nicht möglich sein? Eine vom Berliner Polizeipräsidenten in Auftrag gegebene Untersuchung (Rogall 2008) hat gezeigt, dass jeder Zwölfte der untersuchten Polizeiübergriffe durch eine individuelle Kennzeichnung wahrscheinlich hätte aufgeklärt werden können. Für uns Grund genug, der seit Jahrzehnten erhobenen Forderung nach einer individuellen Kennzeichnungspflicht endlich nachzukommen.

3. Wir sehen einen dringenden Handlungsbedarf, damit bei künftigen Demonstrationen Medienvertreter und unabhängige Demonstrationsbeobachter ungehindert ihrer Arbeit nachgehen können. Die öffentliche Kontrolle des polizeilichen Handelns bei Demonstrationen ist derzeit nicht gewährleistet. So mussten wir erleben, dass Demonstrationsbeobachter ohne eigenes Verschulden von der Polizei festgesetzt wurden, andere unter der Androhung einer Beschlagnahme zum Löschen ihrer Bilder gezwungen wurden. Derartige Einschränkungen einer öffentlichen Kontrolle des Geschehens sind für uns nicht hinnehmbar. Wir erwarten von der Führung der Berliner Polizei und der zuständigen Senatsverwaltung geeignete Vorschläge, wie die Transparenz von Polizeieinsätzen verbessert werden kann. Für Gespräche hierzu stehen wir gern zur Verfügung.

Eine unabhängige öffentliche Begleitung von Polizeieinsätzen scheint uns um so dringender geboten, als das auf den jetzt veröffentlichen Videodokumenten erkennbare Verhalten der beteiligten Beamten der Beweissicherungseinheiten, deren Kameras in den entscheidenden Situationen nur auf Demonstranten ausgerichtet oder ausgeschalten waren, ein mangelndes Fehler- und Kontrollbewusstsein innerhalb der Berliner Bereitschaftspolizei erkennen lässt.

4. Wir fordern den Senat von Berlin auf, eine unabhängige, nach wissenschaftlichen Kriterien vorzunehmende Untersuchung in Auftrag zu geben, die das Ausmaß und mögliche Ursachen derartiger Polizeiübergriffe bei der Berliner Polizei erforscht. Insbesondere sollte eine solche Untersuchung mögliche Häufungen von Anzeigen resp. Übergriffen in bestimmten Einsatzhundertschaften der Berliner Polizei nachgehen.

5. Über akute Konfliktsituationen hinaus halten wir eine unabhängige Kontrolle der Polizei für dringend geboten: Wie in vergleichbaren Fällen können wir auch diesmal leider nicht damit rechnen, dass an dem Geschehen beteiligte Polizisten gegen ihre Kolleginnen und Kollegen aussagen werden. Wir sind uns der besonderen Belastungen von Bereitschaftspolizisten bewusst, die das mögliche Fehlverhalten ihrer Kolleginnen und Kollegen beobachten und zur Anzeige bringen sollten. Sie haben die Wahl zwischen der Gefahr des Mobbings und der eigenen, nachträglichen Strafverfolgung. Die dadurch begünstigte „Mauer des Schweigens“ könnte durch eine unabhängige Kontrollstelle überwunden werden, in der weitgehende Kontrollbefugnisse mit einer Vertrauensstellung verbunden sind. Eine unabhängige Kontrolle der Polizeiarbeit fordern nicht nur Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen seit Jahren, auch internationale Gremien wie der Menschenrechtsbeauftragte des Europarates oder der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen haben dies wiederholt angemahnt, um die offensichtlichen Kontrolldefizite bei der deutschen Polizei zu beheben.

Ansprechpartner für Presseanfragen:

Andy Müller-Maguhn (Chaos Computer Club), Tel. 030/2809 7470-0
padeluun (FOEBUD), Tel: 0521/65566
Sven Lüders (Humanistische Union), Tel. 030/204 502 56.

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