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Mehr oder weniger Transparenz in Brüssel

01. Juni 1999

Konferenz debattierte über neue Regeln für Zugang zu Akten europäischer Behörden:

Mitteilungen Nr. 166, S. 54

Rat und Kommission verfolgten bei der Frage nach der Transparenz ihrer eigenen Arbeit bisher eine eher restriktive Politik: An Dokumente, die sich im Besitz der beiden Institutionen befinden, ist nur schwer heranzukommen. Außerdem spielt sich der Gesetzgebungsvorgang, immerhin der zentrale Prozeß für Veränderungen in einer Demokratie, hinter verschlossenen Türen ab. Neue Vorschläge und die Tagesordnungen der Sitzungen sind höchstens für erfahrene Lobbyisten in Erfahrung zu bringen. Im Bereich der Legislative sind außerdem über 500 kleine Ausschüsse beteiligt, die auf unklarer gesetzlicher Grundlage arbeiten und jeweils nur Spezialisten bekannt sind.
Abhilfe kann nur eine größere Transparenz der Arbeit durch öffentliche Sitzungen und ein allgemeines Akteneinsichtsrecht für den Bürger gewährleisten – dies war die zentrale Forderung des Kongresses „Opening doors for democracy in Europe – Conference on transparency and access to documents“ Ende April in Brüssel, dessen Hauptorganisatoren die Gruppe der Grünen im Europäischen Parlament und die englische Bürgerrechtsorganisation statewatch waren.
Hauptanlaß für die Konferenz, auf der sich rund hundert Journalisten, Juristen und Politiker trafen, ist eine neue Bestimmung im Amsterdamer Vertrag, der nun am 1. Mai in Kraft trat. Nach diesem neuen Artikel 255 EG-Vertrag hat nun jeder Bürger das Recht auf Akteneinsicht. Der neue Artikel lautet:

(1) Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vorbehaltlich der Grundsätze und Bedingungen, die nach den Absätzen 2 und 3 festzulegen sind.
(2) Die allgemeinen Grundsätze und die aufgrund öffentlicher oder privater Interessen geltenden Einschränkungen für die Ausübung dieses Rechts auf Zugang zu Dokumenten werden vom Rat binnen zwei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam gemäß dem Verfahren des Artikels 251 festgelegt.
(3) Jedes der vorgenannten Organe legt in seiner Geschäftsordnung Sonderbestimmungen hinsichtlich des Zugangs zu seinen Dokumenten fest.

Die neue Bestimmung ist zwar ohne Zweifel ein Fortschritt, doch werden die entscheidenden Weichen in der Verordnung nach Absatz 2 getroffen. Wichtig wäre zum Beispiel die Frage, was unter den Begriff „Dokument“ fällt: Alle Akten, die die Institution besitzt oder nur alle, von denen sie Autor ist? Wie ist bezüglich Dokumenten für den internen Dienstgebrauch zu entscheiden? Unklar ist außerdem, für welche Institutionen die neue Verordnung gilt, da der Artikel im EG-Vertrag nur Rat, Kommission und Parlament nennt, aber mehr Transparenz zum Beispiel auch für den Europäischen Gerichtshof oder den Ausschuß der Regionen wünschenswert wäre.
Für die Verordnung hat die Kommission das Vorschlagsrecht, von dem sie wahrscheinlich im Herbst Gebrauch machen wird. Groß war deshalb auf dem Kongreß die Spannung, wie sich die Vertreterin der Kommission, Mary Preston, präsentieren würde. Der Kommission eilt schließlich der Ruf voraus, größter Widersacher gegen mehr Transparenz zu sein und leider hat sich dies bestätigt. Preston überraschte zunächst mit der Mitteilung, daß es ein neues internes Diskussionspapier der Kommission gebe, wie die neue Verordnung aussehen könnte. Leider wäre sie „nicht darauf gekommen, das Papier für diese Konferenz zu kopieren“. Ein Konferenzteilnehmer urteilte anschließend süffisant, daß man „darauf erst einmal kommen muß, darauf nicht zu kommen“.
Als das Papier nach Protesten schließlich doch vorlag, wurde auch klar, warum Preston es lieber nicht auf der Konferenz diskutieren wollte. Vorgeschlagen wurde zum Beispiel, das neue Zugangsrecht nicht auf „interne Akten“ zu beziehen, welche alle die sein sollen, die nicht „legislative“ Akten sind. Nach Schätzungen würde diese Regelung über die Hälfte aller EU-Akten, von vornherein dem Zugriff interessierter Bürger entziehen. Damit wäre sogar ein Rückschritt zur heutigen Rechtslage zu beklagen, wo im Prinzip für alle Akten angefragt werden kann, obgleich die Institution dieselben wegen der fehlenden gesetzlichen Verpflichtung nur selten herausgeben muß.
In einem anderen Passus des Papiers der Kommission war mit erstaunlicher Offenheit von einem „Embargo-System“, mit der man Dokumente der Öffentlichkeit vorenthalten solle, die Rede. Der Herausgeber des englischen Magazins statewatch und europaweit bekannter Feind von Heimlichkeit in der Bürokratie, Tony Bunyan, urteilte daher: „Diese Überlegungen würden die Uhr zurücksetzen auf die Zeit vor dem Maastricht-Vertrag.“
Da die neue Verordnung jedoch nicht von der Kommission alleine beschlossen wird, sondern auch der Rat und das Europäische Parlament zustimmen müssen, waren die Konferenzteilnehmer besonders an der Position der finnischen Regierung interessiert. Finnland wird schließlich im Herbst die Ratspräsidentschaft innehaben, wenn die Kommission ihren ersten Vorschlag präsentiert. Die finnische Vertreterin Tiina Astola machte einen progressiven Eindruck und legte Wert auf die Feststellung, daß man jetzt die Kommission nicht unter Zeitdruck setzen dürfe, damit es im Herbst einen guten, also sich von dem aktuellen Papier unterscheidenden Vorschlag gebe. Andere Konferenzteilnehmer meinten hingegen, daß die Kommission jetzt erst recht unter – politischen – Druck gesetzt werden müsse. Nach den ersten Äußerungen des neuen Kommissionspräsidenten Romano Prodi erscheint es allerdings wahrscheinlich, daß Prodi selbst innerhalb der Kommission für eine progressivere Sichtweise sorgen wird.
Durch die aktuellen Entwicklungen gerieten die übrigen Diskussionspunkte auf der Konferenz ein wenig in den Hintergrund. So wurde die Rechtsprechung des Gerichtshofes und die Einlassungen des Ombudsmanns Jakob Södermann analysiert. Für die Humanistische Union berichtete Achim Berge von der Klage, die gegen die Kommission 1997 erfolgreich geführt wurde. Der damalige Hauptstreitpunkt, nämlich die Meinung von Rat und Kommission, zu einer schriftlichen Anwort mit Begründung bei Aktenanfragen von Bürgern nicht verpflichtet zu sein, ist jedoch nach wie vor aktuell: In dem umstrittenen Diskussionspapier vertritt die Kommission weiterhin ihre Ansicht.
Im übrigen fiel auf der Konferenz auf, daß das Interesse an dem Thema Akteneinsichtsrecht nach Süden in Europa hin abnimmt. Während schwedisch neben englisch als Konferenzsprache bezeichnet werden konnte, waren die Vertreter aus Südeuropa an einer Hand abzuzählen. Neben dem Vertreter der Humanistischen Union kam mit einer Vertreterin der Heinrich-Böll-Stiftung nur eine weitere Person aus Deutschland. Dieses Interesse ist um so bedauerlicher, als das Thema „Zugang der Öffentlichkeit zu Behördenakten“ demnächst in Deutschland sehr aktuell werden wird. Schließlich arbeitet das Innenministerium bereits an einem Entwurf für das im Koalitionsvertrag vereinbarte Informationsfreiheitsgesetz, mit dem erstmals bundesweit die Behörden für die Bürger geöffnet werden sollen.

Achim Berge (aberge@hotmail.com)

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