Themen / Frieden

Inhumane Humanität. Beteiligung der Bundeswehr "out of area" im Balkan­kof­likt - ein histo­ri­scher Bundes­tags­be­schluß

15. September 1995

Aus: Mitteilungen Nr. 151 (Heft 3/1995), S. 72

In einer Presseerklärung der HU vom März 1991 hieß es: „Die von der Bundesregierung betriebene Diskussion über eine Erweiterung des Einsatzgebietes der Bundeswehr verfolgt das Ziel, diese zum Bestandteil einer von den USA geführten internationalen Eingreiftruppe gegen die Dritte Welt zu machen. Die HUMANISTISCHE UNION lehnt diese Bestrebungen als eine Schwächung der friedensstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes und auch der UNO-Satzung ab.“ Mittlerweile ist der Bundeswehreinsatz vom Bundestag beschlossene Sache. Wir veröffentlichen dazu einen engagierten Kommentar des Beiratsmitglieds der HUMANISTISCHEN UNION, Prof. Erich Küchenhoff.

Unmittelbar nach unserer Bundesdelegiertenkonferenz erlebte die BRD – nach dem Remilitarisierungs-„Kampf um den Wehrbeitrag“, nach den Auseinandersetzungen um die sog. „Ausrüstung der Bundeswehr mit modernen Waffen“ (1957/8 „Göttinger 18“, „Kampf dem Atomtod“) und deren Wiederbelebung wegen der Stationierung des Massenvernichtungsmittels Pershing II als angebliche Nachrüstung, sowie nach der finanziellen und personell-strukturellen Beteiligung an internationalen Militäraktionen im Golfkrieg, in Somalia und im Balkanbereich – erneut eine Woche schwierwiegender verfassungsrelevanter militärpolitischer Entscheidungen:
Bundesregierung und Bundestagsmehrheit – die Koalitionsfraktionen geschlossen, von der SPD-Fraktion die Mehrheit ihrer sog. Außen- und Verteidigungspolitiker und auch einige Grüne – stimmten für die nach dem 2. Weltkrieg erstmalige unmittelbare Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen jenseits der vom Grundgesetz ausdrücklich vorgeschriebenen Beschränkung auf die Verteidigung von Bundes- und Bündnisgebiet.

Demgegenüber gilt es, am strikten Verzicht auf jeden Kampfeinsatz deutscher Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft im Balkankonflikt festzuhalten.

Grundlage einer Bundeswehrbeteiligung könnte allenfalls ein sog. UNO-Auftrag sein, der sich zwar nicht mit den bewährten rechtsstaatlichen Interpretationsmethoden aus dem Text der einsatzbezogenen Spezialvorschriften der UNO-Charta ableiten läßt, den aber das BVerfG in seinem Somalia-Urteil vom 12. Juli 1994 für alle Staatsorgane verbindlich aus den in der UNO-Charta festgelegten allgemeinen Zielen der UNO abgeleitet hat, wohl auch in Ansehung der praktischen Verfahrensschwierigkeiten einer entsprechenden Charta-Ergänzung.

Dagegen ist die NATO als eine klassische Allianz zur Verteidigung der Staatsgebiete der Bündnispartner nicht zu einer Intervention in den Balkankonflikt befugt. Der NATO-Vertrag darf und kann auch nicht durch einfache Beschlüsse von NATO-Organen ohne förmliche Vertragsänderung durch die in ihm und in den Verfassungen der Bündnispartner dafür vorgesehenen Verfahren zu einem Interventionsvertrag umdefiniert oder umgedeutet werden. Ohne eine entsprechende förmliche Änderung des NATO-Vertrages kann daher rechtlich auch die UNO der NATO keine Kampfaufträge erteilen, schon gar nicht „aus Gründen organisatorischer und militärischer Effizienz einer NATO-Operation“ ohne Grundlage „einer neuen Bündnisverpflichtung“ (so Norbert Gansel, SPD, in Punkt 5 seiner Begründung für seine und seiner Mit-Abweichler Zustimmung zum Regierungsantrag in der Bundestagsdebatte am 3.6.1995).

Daher geht die mehrfache Berufung auf die NATO im Antrag der Bundesregierung, auf einen „NATO-Rahmen“ usw. fehl. Sie ist um so unverständlicher, als auch die Resolution 998 des Weltsicherheitsrates vom 16.6.1995, auf die sich der Antrag der Bundesregierung ausdrücklich beruft, die NATO auch nicht andeutungsweise erwähnt.

Entgegen manchen Reden in Politik und Publizistik hat auch das BVerfG im Somalia-Urteil eine entsprechende NATO- bzw. UNO-Befugnis nicht anerkannt. Vielmehr blieb dieser Teil des politischen Verfassungsstreits wegen Stimmengleichheit unentschieden. Diese Folge jeder Stimmengleichheit hat das BVerfG in der Begründung seines sog. Sitzblockadebeschlußes vom 10.1.1995 für einen früheren Fall von Stimmengleichheit ausdrücklich hervorgehoben.

Schließlich ist es eine – im Einklang mit zahlreichen militärischen Sachverständigen (insbes. mit dem führenden Bundeswehr- und NATO-General Gerd Schmückle) –  im Hinblick auf das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auch rechtserhebliche Tatsache, daß ein Bürgerkrieg, der in schwierigen Geländen  und nach Partisanenart geführt wird, durch eine militärische Intervention fremder Truppen nicht zu befrieden ist, ohne daß sich gerade durch diese Intervention die Zahl der Menschenopfer unter Kämpfern und unbeteiligten Zivilpersonen aller Lebensalter vervielfacht.

Daher sind die ständigen Rechtfertigungsversuche solcher Aktionen mit der „gewachsenen außenpolitischen Verantwortung des vereinigten Deutschland“ nur ein Rückfall in eine humanitär nur verbrämte nationalistische Großmannssucht.

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