Themen / Informationsfreiheit

Brief an den Innen­aus­schuss des Bundes­ta­ges: Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Infor­ma­ti­onen des Bundes

12. Januar 2005

Gemeinsame Stellungnahme zu den Einwänden gegen ein IFG nach der ersten Lesung im Bundestag

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter,

am 17. Dezember ist das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) im Bundestag in erster Lesung beraten [ 1 ] und an den Innenausschuss (federführend) sowie weitere Ausschüsse überwiesen worden.

Aus Sicht der oben genannten Organisationen stellt ein Informationsfreiheitsgesetz ein zentrales und längst überfälliges Reformprojekt des Bundes dar. Es stärkt die Demokratie. Die Beteiligungschancen der Bürger an Vorgängen von öffentlichem Interesse werden erhöht und eine Chance zur Verwaltungsmodernisierung eröffnet. Die mit einem Informationsfreiheitsgesetz verbreiterte Transparenz von Entscheidungen der Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes beugt der Korruption vor. Die Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen in der Öffentlichkeit wird verbessert. Das Handeln der Exekutive transparent und damit für die demokratische Entwicklung fruchtbar zu machen, ist eine Forderung, deren Umsetzung in den demokratischen Staaten mittlerweile selbstverständlich geworden ist. Die Bundesrepublik darf insoweit nicht nachstehen, will sie den Anschluss an diese Entwicklung nicht verlieren.

Nachdem wir uns in der Vergangenheit in den Diskussionsprozess schon aktiv eingeschaltet und im Frühjahr 2004 einen eigenen Entwurf (Anlage 1) für ein IFG an Bundestagspräsident Thierse übergeben haben, möchten wir mit diesem Schreiben bereits vor der öffentlichen Anhörung zu wesentlichen Fragestellungen des Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen Position beziehen, soweit dies noch nicht durch unsere Stellungnahme vom 17.12.2004 (Anlage 2) geschehen ist, die wir Ihnen hiermit zukommen lassen. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unseren Standpunkt bei den weiteren Beratungen berücksichtigen würden.

Bei den kommenden Beratungen werden insbesondere vier Einwände diskutiert werden, die bei der Bundestagsdebatte zur Sprache kamen und u.a. vom Bundesinnenminister formuliert worden sind:

1) Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung der Verwaltung und der Regierung könnte durch das Informationsrecht der Bürger gestört werden.

Die Grundsätze über den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung sind vom Bundesverfassungsgericht entwickelt worden, um die Willensbildung der Regierung gegen unmittelbare Eingriffe in ihre Autonomie aber auch vor dem nachträglichen (parlamentarischen) Zugriff auf Informationen aus der Phase der Vorbereitung einer Regierungsentscheidung abzuschirmen[ 2 ]. Geschützt ist soweit der Kernbereich, nicht aber jede Verwaltungstätigkeit. Das Bundesverfassungsgericht betont ausdrücklich, dass ein Informationsrecht insoweit weder pauschal verneint noch bejaht werden kann, gerade weil das Informationsrecht grundsätzlich durchgesetzt werden soll[ 3 ]. Diese Rechtsprechung wird im vorliegenden Entwurf eines IFG berücksichtigt. Deswegen wird die Annahme, ein Informationsrecht könne die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung generell stören, nicht von den Unterzeichnerorganisationen geteilt.

Auch aus der Praxis der bisherigen Informationszugangsgesetze der Länder liegt kein Erfahrungsbericht vor, wonach die exekutive Eigenverantwortung der Landesregierungen durch Informationsbegehren der Bürger ernsthaft gestört oder auch nur tangiert worden wäre. Auch insoweit ist die in der Bundestagsdebatte geäußerte Befürchtung nicht begründet.

2) Das Informationsfreiheitsgesetz könne auch von Organisationen wie Scientology oder von links- und rechtsextremistischen Gruppen genutzt werden.

Dem Argument des Innenministers ist entgegenzuhalten, dass Bürgerrechte immer das Risiko mit sich bringen, dass sie auch von denen in Anspruch genommen werden können, die der demokratischen Ordnung kritisch oder gar ablehnend gegenüberstehen oder sie zu ihren Zwecken instrumentalisieren wollen. Den gleichen Einwand könnte man deshalb gegen das Demonstrationsrecht oder das Recht auf freie Meinungsäußerung formulieren. Wegen der theoretischen Möglichkeit des Missbrauchs auf eine Fortentwicklung demokratischer Rechte zu verzichten, wäre gleichsam ein früher Triumph gerade der Organisationen, vor deren Einfluss ein Schutz gesucht wird. Aus unserer Sicht darf und kann die Weiterentwicklung der Demokratie durch in anderen Staaten längst anerkannte und wirksame Instrumente nicht dadurch aufgehalten werden, dass vermeintlicher oder auch versuchter Missbrauch von vornherein ausgeschlossen werden soll.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Erwägungen zeigt auch die Erfahrung im Ausland und in den vier Bundesländern, die bereits über Informationsfreiheitsgesetze verfügen, dass die befürchteten Schwierigkeiten nirgendwo aufgetreten sind: Zwar trifft es zu, dass Scientology in den Bundesländern zu den ersten Antragstellern gehörte. Diese Auskunftsbegehren konnten jedoch problemlos bearbeitet werden, wie die Informationsfreiheitsbeauftragten bzw. Innenminister[ 4 ] der Länder einhellig berichten. Vergleichbare Anträge sind nach der erwartbaren ersten Reaktion von Scientology nicht mehr gekommen. Stattdessen verweisen die mit der Sache befassten öffentlichen Stellen[ 5 ] auf sehr zielgerichtete und nachvollziehbare Bürgeranfragen, zumeist zu Bauangelegenheiten und anderen öffentlichen Aufgaben. Die bereits demokratietheoretisch nicht begründete Sorge des Innenministers wird also zusätzlich auch durch die Erfahrung aus jahrelanger Gesetzesanwendung – in Deutschland wie im Ausland – längst widerlegt.

3) Der Bundesbeauftragte für Datenschutz könne in einen Interessenkonflikt geraten, sollte er wie geplant auch das Amt des Informationsfreiheitsbeauftragten übernehmen.

Informationsfreiheit und Datenschutz wurzeln im selben Grundrechtsteil, dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie sind nur zwei unterschiedliche Ausprägungen dieses Rechts. Auch wenn sie insbesondere im Einzelfall durchaus im Spannungsverhältnis stehen (können), sind sie beide auf die Teilhabe der Menschen an demokratischen Prozessen gerichtet[ 6 ]. Deswegen kann der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sehr wohl das Amt des Informationsfreiheitsbeauftragten übernehmen, zumal das Gesetz selbst den Informationszugang und den Datenschutz zum Ausgleich bringt.

Auch bei diesem Punkt zeigen im Übrigen die Erfahrungen aus den vier deutschen Bundesländern, dass die Personalunion reibungslos funktioniert. Die Abwägung zwischen Belangen des Datenschutzes und der Informationsfreiheit ist offenbar in der Vergangenheit sehr wohl gelungen, wie sich an der relativ geringen Zahl der Klagen von Antragstellern ablesen lässt. Auch im internationalen Vergleich ist die gemeinsame Zuständigkeit die Regel. Ferner ist zu beachten, dass das IFG nicht zu einer weiteren Bürokratisierung und Kostensteigerung führen soll. In diesem Sinne wäre die Zuordnung zum bereits bestehenden Amt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz naheliegend, zumal hier eine unmittelbare inhaltliche Nähe zum Sachgebiet gegeben ist und die Neugründung eines Bundesamtes vermieden werden könnte.

4) Vorbehalte wurden von dem Bundesinnenminister auch gegen die Fristsetzung von in der Regel vier Wochen und bei komplexen Anträgen acht Wochen vorgetragen.

Die Vorgabe von Antwortfristen ist im internationalen Vergleich bei der Informationsfreiheitsgesetzgebung ein selbstverständlicher und unbestrittener Standard[ 7 ]. Auch die Gesetze der Bundesländer enthalten eine Fristvorgabe, ohne dass dies in der Praxis zu Problemen geführt hat, wie die einschlägigen statistischen Auswertungen zeigen. Das soeben verabschiedete Umweltinformationsgesetz (UIG)[ 8 ] enthält bereits in § 3 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 eine Fristenregelung, die dem IFG-Gesetzentwurf entspricht. Eine Abweichung vom UIG würde dem Bestreben nach Rechtsvereinheitlichung eindeutig widersprechen.

Über diese Argumente hinaus ist zu beachten, dass der durch das IFG gewährte Informationszugang in vielen Fällen nur hilfreich ist, wenn die Informationen wirklich zeitnah zur Verfügung gestellt werden. Auch im Sinne einer modernen, service-orientierten Verwaltung kann auf eine klare Fristsetzung nicht verzichtet werden: Eine effizient arbeitende Verwaltung, die ohnehin viele Informationen per Internet zur Verfügung stellt, wird mit kurzen Reaktionszeiten wenig Probleme haben. Ferner sei darauf verwiesen, dass Verwaltungen den Bürgern bei amtlichen Vorgängen häufig enge Fristen setzen. Es dürfte deshalb für eine moderne Verwaltung schwer vermittelbar sein, dieses Prinzip nicht auf sich selber anzuwenden.

Wir möchten Sie bitten, diese Argumente sowie die in unserer ausführlichen juristischen Stellungnahme formulierten Gesetzesanregungen bei den weiteren Beratungen zu berücksichtigen. Gerne stehen wir auch für Rückfragen zur Verfügung.

Mit freundlichem Gruß
Dr. Thomas Leif, 1. Vorsitzender Netzwerk Recherche e.V.

Michael Konken, Bundesvorsitzender Deutscher Journalisten-Verband

Manfred Protze, Bundesvorstand Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di

Reinhard Mokros, Bundesvorsitzender Humanistische Union e.V.

Dr. Hansjörg Elshorst, Vorsitzender Transparency International – Deutsches Chapter e.V.

[ 1 ] Plenarprotokoll 15/149
[ 2 ] BVerfG NJW 1984, 2271(2275); NVwZ 2004, 1105( 1106f)
[ 3 ] BVerfG NJW 1984, aaO, S. 2275
[ 4 ] vgl. z.B. Bericht (Broschüre) des Innenministers NRW ( www.im.nrw.de/pub/pdf/ifg_evaluierung.pdf ), 2004, S. 12
[ 5 ] aaO, S. 12 ff
[ 6 ] vgl. Schoch,Kloepfer, IFG-ProfE, S. 37f m.w.N.
[ 7 ] vgl. Art. 7 der EG-Verordnung vom 30.05.2001 (Amtsblatt Nr. L 145, S. 43 ff)
[ 8 ] BGBl I, 2004, S. 3704 ff

Netzwerk recherche (nr)
c/o Dr. Thomas Leif
Marcobrunnerstraße 6
65197 Wiesbaden
Tel.: 0171 / 9321891
Fax: 0611 / 49 51 52
info@netzwerkrecherche.de
www.netzwerkrecherche.de

Deutscher Journalisten-Verband (DJV)
Bennauerstraße 60
53115 Bonn
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Fax: 0228 / 201 72 – 33
djv@djv.de
www.djv.de

Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
Bundesgeschäftsstelle
Paula-Thiede-Ufer 10
10179 Berlin
Telefon: 030 / 69 56 23 22
Fax: 030 / 69 56 36 57
dju@verdi.de
www.dju.verdi.de

Humanistische Union e.V.
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Tel.: 030 / 20 45 02 56
Fax: 030 / 20 45 02 57
info@humanistische-union.de
www.humanistische-union.de

Transparency International
Deutsches Chapter e.V.
Alte Schönhauser Str. 44
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