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Populismus in der Sicher­heits­de­batte

27. Februar 2017

Das vergangene Jahr markiert eine Wende: 2016 wurden in Deutschland gleich mehrere Terroranschläge verübt, bei denen sich die Täter/innen auf islamistische Motive beriefen. Der Anschlag am 19. Dezember auf dem Berliner Breitscheidplatz kostete 12 Menschen das Leben, zahlreiche Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Ohne Zweifel: der islamistische Terror ist in Deutschland angekommen. Dass Sicherheitspolitiker auf diese Situation reagieren, ja reagieren müssen, ist unbestreitbar. Wie sie reagieren, ist dann doch befremdlich.

Während sich die Berliner Öffentlichkeit nach einigen Tagen des Schocks und der Trauer sehr besonnen zeigte, überbietet sich der Bundesinnenminister nahezu täglich mit neuen Vorschlägen zu weiteren Sicherheitsgesetzen. Dabei ist noch unklar, warum der mutmaßliche Täter zwar monatelang von verschiedenen Sicherheitsbehörden observiert wurde, diese aber dennoch wenige Wochen vor dem Anschlag zu der Einschätzung gelangten, dass „kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar“ sei, Amri deshalb unbehelligt blieb und seinen tödlichen Plan umsetzen konnte. Die bisher vorliegende Dokumentation zum „Behördenhandeln“ im Fall Anis Amri [1] – ein anerkennenswertes Bemühen um mehr Transparenz – wirft zahlreiche Fragen auf, aber liefert keine Erklärung für das Scheitern der Gefahrenabwehr. Insbesondere taugt sie nicht als Begründung für die Vorschläge, die der Innenminister jetzt publikumswirksam „für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ unterbreitet. [2]

Die sicherheitspolitischen Reflexe, die nach solchen Ereignissen einsetzen, sind seit Jahren die gleichen: für Polizeibehörden und Geheimdienste werden mehr Befugnisse gefordert, etwa zur Erschließung neuer Informationsbestände oder zum erleichterten Datenaustausch zwischen den Behörden; hinzu gesellt sich der Ruf nach schärfen Strafvorschriften; zudem sei der Abbau föderaler Strukturen und eine Stärkung zentraler Bundesbehörden unumgänglich. Bei der Regelmäßigkeit, mit der solche Forderungen erhoben werden, könnte man erwarten, dass die Erfolgsaussichten dieser repressiven Sicherheitspolitik als gesichert gelten. Das ist aber keineswegs so. Zwar wurden in den letzten Jahren zahlreiche „Sicherheitsgesetze“ verabschiedet – welchen Gewinn an Sicherheit sie bringen, ist weitgehend unbekannt. Angesichts der hohen Verantwortung, die der Gesetzgeber hier für Leben und Gesundheit der Bevölkerung hat, ist es ein Unding, dass das gesetzgeberische Handeln in der Sicherheitspolitik oft der Logik des Hörensagens folgt. Eine ernsthafte, wissenschaftlichen Maßstäben genügende Überprüfung der Wirksamkeit gibt es nur punktuell. Ob die Strategie, immer neue Formen der Massenüberwachung zuzulassen und damit den Datenhaufen bei Polizei und Geheimdiensten zu vergrößern, diese wirklich in die Lage versetzt, qualifiziertere Lagebeurteilungen abzugeben und effektivere Gefahrenabwehr zu betreiben, darf man bezweifeln. Auch der Ruf nach immer neuen Befugnissen zum Datenaustausch zwischen den Behörden kann nicht wirklich überzeugen, solange sich Polizeibehörden und Geheimdienste bei der Überwachung von Gefährdern immer wieder in die Quere kommen und der Austausch in der Praxis eine Einbahnstraße ist: die Polizei liefert alles ab, die Dienste mauern mit Verweis auf ihren Quellenschutz. Besonders unglaubwürdig wird eine solche Sicherheitspolitik aber, wenn ihre Vorschläge – wie der Innenminister im oben zitierten Text selbst einräumt – bereits vor den Anschlägen in der Schublade lagen und danach als „entsprechende Vorschläge unterbreitet“ werden.

Ein Beispiel derart populistischer Sicherheitspolitik ist das jüngst in den Bundestag eingebrachte „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ (BT-Drs. 18/10941 v. 23.1.2017). Schon der Titel dieses Gesetzes führt in die Irre: das Gesetz verbessert keineswegs die Videoüberwachung, sondern erweitert lediglich deren Anwendungsbereich. Wenn im Vorschlag davon die Rede ist, dass die erweiterte Videoüberwachung öffentlicher Anlagen und des Nahverkehrs im Interesse der Allgemeinheit erfolge, weil sie „die Sicherheit der Bevölkerung präventiv“ erhöhe – so ist das ein leeres Versprechen. Der vermeintliche Sicherheitsgewinn durch Videokameras wird seit Jahren wissenschaftlich untersucht – nicht nur von kritischer Seite, auch von polizeinahen Wissenschaftlern. Die Ergebnisse sind ernüchternd: außer in wenigen Ausnahmefällen (etwa: Parkhäusern) tragen Videoüberwachungsanlagen kaum zum besseren Schutz vor Kriminellen bei. Zu groß sind die Gewöhnungseffekte, die Möglichkeiten zum Austricksen der Kameras und zur Verlagerung des kriminellen Geschehens in andere Bereiche. Berücksichtigt man die immer wieder beschriebene Diffusion der Verantwortung, die von den Kameras ausgeht („Warum soll ich bei Übergriffen eingreifen, wenn das Ganze aufgezeichnet wird.“), entpuppen sich die Kameras teilweise sogar als Sicherheitsfalle.

Sigmar Gabriel ist unbedingt darin zuzustimmen, dass Ängste und Sicherheitsbedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen sind, gerade auch weil Erfahrungen der Unsicherheit stark vom sozialen Status der Betroffenen abhängen.[3] Das heißt aber keineswegs, dass alles, was gefühlt mehr Sicherheit bringt, wirklich einen Sicherheitsgewinn darstellt. Wie wenig die Videokameras für echte Sicherheit sorgen, zeigt das Beispiel der Berliner Verkehrsbetriebe – ein Ort, an dem die Verrohung und Verwahrlosung des öffentlichen Raumes greifbar wird. In den Berliner U-Bahnen, Bussen und Trams ist die Zahl der Kameras in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, die Zahl der Gewaltdelikte dagegen blieb relativ konstant. Warum sich Terroristen, die ihre Taten nur zu gern dokumentiert sehen wollen, von solchen Kameras mehr abschrecken lassen sollten als „gewöhnliche Kriminelle“, bleibt das Geheimnis des Innenministers.

Es wäre ein erster Schritt zu einer nachhaltigen, ehrlichen Sicherheitspolitik, die Grenzen des politisch Machbaren zu benennen. Die Debatte darüber, welche Sicherheitserwartungen wir legitimer Weise an den Staat richten können und mit welchen Mitteln diese Sicherheit gewährleisten werden soll, ohne grundlegende Prinzipien unserer offenen Gesellschaft aufzugeben – diese Debatte steht in Deutschland noch aus. 

[1] BMI, BMJV und GBA: Behördenhandeln um die Person des Attentäters vom Breitscheidplatz Anis AMRI. Dokumentation vom 17.1.2017.
[2] Thomas de Maizière, Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3.1.2017.
[3] Sigmar Gabriel, Sicherheit ist soziales Bürgerrecht, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.1.2017.

Der Beitrag erschien als Gastkommentar in swp – Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 218 (1/2017).

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