Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 215: Geheimdienste vor Gericht

Das BKA-Gesetz vor dem Verfas­sungs­ge­richt

Detailkritik statt Vorrang für die Freiheitsrechte

In: vorgänge Nr. 215 (Heft 3/2016), S. 81-93

Mit dem „Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BKA)“ vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083) wurde der neue Aufgabenbereich der „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ (§ 4a) dem BKA übertragen und dieses erhielt erstmals eine große Breite polizeirechtlicher Eingriffsbefugnisse durch 24 neu in das Gesetz eingefügte Paragraphen (§§ 20a bis 20x BKAG). Die Zahl der Befugnisnormen für eine bestehende Polizeibehörde wurde durch diesen wohl einmaligen Akt mehr als verdoppelt.
Sieben Jahre später hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 20. April 2016 Teile der gesetzlichen Neuregelung beanstandet, den enormen Befugniszuwachs im Ganzen aber abgesegnet. Dabei hat das Gericht an seiner langjährigen Praxis (vgl. etwa die Entscheidungen zur Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, GPS-Einsatz, Antiterrordatei, automatisierte Kennzeichenerkennung, TKÜ u.a.) im Umgang mit immer neuen Gesetzen zur Einschränkung von Grundrechten festgehalten. Karlsruhe verschließt sich konsequent der Option, den vom Gesetzgeber ins Felde geführten Zweck dieser „Befugnisexpansion“ kritisch zu hinterfragen und prüft allein, ob Eingriffsbefugnisse und verfahrensrechtliche Anforderungen im Detail den vom Gericht aufgestellten Anforderungen aus Sicht der Angemessenheit entsprechen oder nicht – ohne dass diese Maßstäbe selbst vorhersehbar oder objektivierbar wären. Wird die Angemessenheit im Detail verneint, folgen hieraus Beanstandungen. Ob im Namen der Terrorismusbekämpfung der Polizei immer neue Eingriffsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden müssen, wird hingegen nicht ernsthaft unter die Lupe genommen. So wird sich der seit den Zeiten der RAF betriebene Abbau von Freiheitsrechten unter Berufung auf immer neue Anlässe und Argumentationsmuster nicht aufhalten lassen, auch wenn man die Beanstandungen des Gerichts aus Sicht der Freiheitsrechte im Einzelnen begrüßen mag.

1. Einleitung

Nun ist es also auch verfassungsgerichtlich1 abgesegnet: Das „neue“ BKAG 20082 kann mit einigen Änderungen weiter genutzt werden. Dies, obwohl etliche der neu eingefügten Befugnisse der „Abwehr des internationalen Terrorismus“ im Sinne des § 4a I BKAG schwerlich dienen. Zudem ist weiter unklar, was genau eigentlich unter der Abwehr von Gefahren des „internationalen Terrorismus“ zu verstehen ist.
Dem BKA wurde erstmals durch die Novelle 2008 ein ganzer Strauß polizeilicher Befugnisse der Gefahrenabwehr zur Verfügung gestellt, der so – in unterschiedlicher Form und Breite – auch den Länderpolizeien zur Verfügung steht. Bis zur Reform waren diese  mit den polizeilichen Aufgaben der Gefahrenabwehr betraut, soweit nicht ausnahmsweise die Bundespolizei zuständig war. Nicht oder nur partiell für die Aufgabe nach § 4a BKAG notwendig erscheinen insbesondere die Generalklausel (§ 20a3), die Identitätsfeststellung an Orten, an denen sich Personen ohne erforderlichen Aufenthaltstitel treffen (§ 20d), nebst erkennungsdienstlichen Maßnahmen (§ 20e). Hinzu kommen die Vorladung (§ 20f), der Platzverweis (§ 20o) und die Gewahrsamnahme u.a. zur Durchsetzung von Platzverweisen (§ 20p), weite Befugnisse zur Durchsuchung von Personen und Sachen (§§ 20q und 20r) nebst Sicherstellung (§ 20s). Zulässig ist auch das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen, u.a. zur Vorführung oder Gewahrsamnahme von Personen (auch zur erkennungsdienstlichen Maßnahme bei noch nicht identifizierten Personen) (§ 20t).
Auf diese neuen Befugnisse geht das BVerfG in seiner Entscheidung nicht ein, sondern konnte sich – aus prozessualen Gründen4 – „beschränken“ auf die Regelungen zum neuen Aufgabenbereich in § 4a (Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus) und den neuen Anwendungsbereich des § 14 (Befugnisse bei der Zusammenarbeit im internationalen Bereich)5. Hinzu kommen die Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse in § 20c (Befragung und Auskunftspflicht), § 20g (besondere Mittel der Datenerhebung), § 20h (Einsatz technischer Mittel in oder aus Wohnungen), § 20j (Rasterfahndung), § 20k (verdeckter Einsatz in informationstechnische Systeme), § 20l (Telekommunikationsüberwachung), § 20m (Erhebung von Telekommunikationsverkehrsdaten und Nutzungsdaten), § 20u (Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen), § 20v (Verwendungsbeschränkungen und Löschung von Daten) und § 20w (Benachrichtigung). Damit stehen die meisten so genannten informatorischen Maßnahmen der heimlichen Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Fokus der Entscheidung. Dabei wurden seitens der KlägerInnen offenbar nicht alle neuen informatorischen Befugnisnormen in §§ 20a bis 20x angegriffen, so etwa nicht die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung (§ 20i) und die Identifizierung und Lokalisierung von Mobilfunkkarten und -endgeräten (§ 20n).
Das Urteil umfasst – mit abweichenden Meinungen zweier Richter – gleichsam als Enzyklopädie des Polizeirechts6 über 400 Absätze auf rund 80 Seiten. Schon deshalb kann hier keine Darstellung der einzelnen Beanstandungen und keine Detailanalyse erfolgen, vielmehr soll versucht werden, den Ansatz des Gerichts verständlich zu machen, die Maßstäbe und wesentlichen Ergebnisse kurz vorzustellen sowie  den Zugang des Gerichts zum Abbau von Freiheitsrechten anzusprechen.

2 . Die Entschei­dung in Kurzform und wesentliche Feststel­lungen

Schauen wir zunächst in die Leitsätze des BVerfG7, in denen das Gericht die wesentlichen Feststellungen zusammenfasst:

1. „a) Die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen (Wohnraumüberwachungen, Online-Durchsuchungen, Telekommunikationsüberwachungen, Telekommunikationsverkehrsdatenerhebungen und Überwachungen außerhalb von Wohnungen mit besonderen Mitteln der Datenerhebung) ist zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus im Grundsatz mit den Grundrechten des Grundgesetzes vereinbar.
b) Die Ausgestaltung solcher Befugnisse muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Befugnisse, die tief in das Privatleben hineinreichen, müssen auf den Schutz oder die Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt sein, setzen voraus, dass eine Gefährdung dieser Rechtsgüter hinreichend konkret absehbar ist, dürfen sich nur unter eingeschränkten Bedingungen auf nichtverantwortliche Dritte aus dem Umfeld der Zielperson erstrecken, verlangen überwiegend besondere Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung sowie einen Schutz von Berufsgeheimnisträgern, unterliegen Anforderungen an Transparenz, individuellen Rechtsschutz und aufsichtliche Kontrolle und müssen mit Löschungspflichten bezüglich der erhobenen Daten flankiert sein.
 
2. Anforderungen an die Nutzung und Übermittlung staatlich erhobener Daten richten sich nach den Grundsätzen der Zweckbindung und Zweckänderung.
a) Die Reichweite der Zweckbindung richtet sich nach der jeweiligen Ermächtigung für die Datenerhebung; die Datenerhebung bezieht ihren Zweck zunächst aus dem jeweiligen Ermittlungsverfahren.
b) Der Gesetzgeber kann eine Datennutzung über das für die Datenerhebung maßgebende Verfahren hinaus im Rahmen der ursprünglichen Zwecke dieser Daten erlauben (weitere Nutzung). Dies setzt voraus, dass es sich um eine Verwendung der Daten durch dieselbe Behörde zur Wahrnehmung derselben Aufgabe und zum Schutz derselben Rechtsgüter handelt. Für Daten aus Wohnraumüberwachungen oder einem Zugriff auf informationstechnische Systeme müssen zusätzlich für jede weitere Nutzung auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sein.
c) Der Gesetzgeber kann darüber hinaus eine Nutzung der Daten auch zu anderen Zwecken als denen der ursprünglichen Datenerhebung erlauben (Zweckänderung).
Die Verhältnismäßigkeitsanforderungen für eine solche Zweckänderung orientieren sich am Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung. Danach muss die neue Nutzung der Daten dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten eines solchen Gewichts dienen, die verfassungsrechtlich ihre Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten. Eine konkretisierte Gefahrenlage wie bei der Datenerhebung ist demgegenüber grundsätzlich nicht erneut zu verlangen; erforderlich aber auch ausreichend ist in der Regel das Vorliegen eines konkreten Ermittlungsansatzes. ‚
Für Daten aus Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen darf die Verwendung zu einem geänderten Zweck allerdings nur erlaubt werden, wenn auch die für die Datenerhebung maßgeblichen Anforderungen an die Gefahrenlage erfüllt sind.

3. Die Übermittlung von Daten an staatliche Stellen im Ausland unterliegt den allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen von Zweckänderung und Zweckbindung. Bei der Beurteilung der neuen Verwendung ist die Eigenständigkeit der anderen Rechtsordnung zu achten. Eine Übermittlung von Daten ins Ausland verlangt eine Vergewisserung darüber, dass ein hinreichend rechtsstaatlicher Umgang mit den Daten im Empfängerstaat zu erwarten ist.“

Im Ergebnis erklärt das Gericht wenige der angegriffenen Normen für nichtig und andere für mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar, die bis Juni 2018 weitergelten, wenn auch mit gewissen Einschränkungen:

1. „§ 20h Absatz 1 Nummer 1 c (…) verstößt gegen Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes und ist nichtig.
2. § 20v Absatz 6 Satz 5 (…)  verstößt gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1, jeweils in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes, und ist nichtig.
3. § 14 Absatz 1 (ohne Satz 1 Nummer 2), § 20g Absatz 1 bis 3, §§ 20h, 20j, 20k, 20l, § 20m Absatz 1, 3, § 20u Absatz 1, 2 und § 20v Absatz 4 Satz 2, Absatz 5 Satz 1 bis 4 (ohne Satz 3 Nummer 2), Absatz 6 Satz 3 (…) sind nach Maßgabe der Urteilsgründe mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1, Artikel 13 Absatz 1 und 3 – auch in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz – nicht vereinbar.
4. Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2018 gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit der Maßgabe fort, dass Maßnahmen gemäß § 20g Absatz 2 Nummern 1, 2 b, 4 und 5 Bundeskriminalamtgesetz nur durch ein Gericht angeordnet werden dürfen; bei Gefahr im Verzug gilt § 20g Absatz 3 Satz 2 bis 4 Bundeskriminalamtgesetz entsprechend.
5. Maßnahmen gemäß § 20g Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, § 20l Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 20m Absatz 1 Nummer 2 Bundeskriminalamtgesetz dürfen nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen des § 20k Absatz 1 Satz 2 Bundeskriminalamtgesetz in der in den Urteilsgründen dargelegten verfassungskonformen Auslegung vorliegen.
6. Eine weitere Verwendung von Daten gemäß § 20v Absatz 4 Satz 2 Bundeskriminalamtgesetz oder eine Übermittlung von Daten gemäß § 20v Absatz 5 und § 14 Absatz 1 Bundeskriminalamtgesetz betreffend Daten aus Wohnraumüberwachungen (§ 20h Bundeskriminalamtgesetz) ist nur bei Vorliegen einer dringenden Gefahr und betreffend Daten aus Online-Durchsuchungen (§ 20k Bundeskriminalamtgesetz) nur bei Vorliegen einer im Einzelfall drohenden Gefahr für die jeweils maßgeblichen Rechtsgüter zulässig. (…)“

Diese Feststellungen haben Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 BVerfGG) und der Bundesgesetzgeber muss innerhalb der genannten Frist für Abhilfe sorgen oder die für mit der Verfassung unvereinbar erklärten Normen treten ersatzlos außer Kraft. Mit einer zeitgerechten Änderung ist schon mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 zu rechnen.

3 . Durfte der Bund überhaupt die Neure­ge­lungen im BKAG erlassen?

Zum Auftakt musste sich das Gericht mit der Frage befassen, ob der Bund kompetenzrechtlich nach dem GG zum Erlass der Neuregelungen befugt war, denn Polizeirecht ist grundsätzlich Ländersache. Die Zuständigkeit des Bundes wird dennoch mit Verweis auf den 2006 eigens neu eingefügten Art. 73 Abs. 1 Nr. 9a GG bejaht, der bestimmt, dass der Bund die ausschließliche Kompetenz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt hat in Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Ein beliebtes Strickmuster der Verfassungspolitik: setzt das GG Grenzen für neue Befugnisse oder gewährt aus Sicht der politischen Mehrheiten zu weitgehenden Schutz, wird dieses eben geändert, so beispielsweise Art. 13 GG (Wohnung) und 16a GG (Asyl).
Gerügt wurde von den Klägern auch, dass die Verhütung von Straftaten von dieser Kompetenznorm nicht erfasst sei. Dem folgt das Gericht nicht und führt u.a. an, dass die Grenzen der Vorverlagerung von Maßnahmen in das Vorfeld der konkreten Gefahr (als hergebrachter Schwelle des polizeirechtlichen Eingriffs) sich nicht aus der Kompetenzordnung des GG ergäben, sondern aus rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Anforderungen (Rn. 878). Eine Kompetenz des Bundes sei daher gegeben und das BKA habe die neuen Befugnisse grundsätzlich erhalten dürfen.

4 . Eingriff­sin­ten­sität und Ziel der neuen Maßnahmen

Zur so genannten Eingriffsintensität der neuen Maßnahmen, also der Frage, wie tief diese in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, führt das BVerfG einleitend aus, dass die angegriffenen Überwachungs- und Ermittlungsbefugnisse mit Blick auf die Intensität des Grundrechtseingriffs „überwiegend schwer wiegen“, mit dem Zweck der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus aber ein legitimes Ziel verfolgten und hierfür auch geeignet und erforderlich seien (Rn. 90). Damit ist im Kern die Absolution erteilt und der Rest ist Detailkritik.
Auch wenn durch die Befugnisse berechtigte Vertraulichkeitserwartungen in verschiedenem Umfang berührt würden und das Eingriffsgewicht der Befugnisse sich deutlich unterscheide, hätten diese in aller Regel ein Eingriffsgewicht, das jedenfalls schwer wiege, weil die angefochtenen Befugnisse das BKAG zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten ermächtigten und Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 13 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme und Recht auf informationelle Selbstbestimmung) erlaubten. Es handle sich um Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen, die tief in die Privatsphäre eingriffen. Anders liege es nur bei einzelnen Maßnahmen gemäß § 20g Abs. 1, 2 BKAG (Rn. 91 f.).
Dennoch könnten diese Maßnahmen zulässig sein, müssten hierfür aber einem legitimen Zweck dienen. Dies sei zu bejahen, denn sie gäben dem BKA Aufklärungsmittel an die Hand, mit denen dieses seine neue Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus (§ 4a) wahrnehmen könne. Der Begriff des internationalen Terrorismus sei durch die Aufgabenbeschreibung des § 4a Abs. 1 und dessen Verweis auf § 129a Abs. 1, 2 StGB in enger Anlehnung an den EU-Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 und die internationale Begrifflichkeit hinreichend definiert und auf spezifisch charakterisierte Straftaten von besonderem Gewicht begrenzt. Straftaten mit dem Gepräge des Terrorismus in diesem Sinne zielten auf eine Destabilisierung des Gemeinwesens und umfassten in rücksichtsloser Instrumentalisierung anderer Menschen Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter. Sie richteten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes. Die neuen Befugnisse seien für diese Aufgabe jedenfalls im Grundsatz auch erforderlich. Jede Befugnis ermögliche spezifische Maßnahmen, die jedenfalls nicht immer durch andere ersetzt werden könnten. Mildere Mittel, die gleichermaßen effektiv ebenso weitgehende Aufklärungsmöglichkeiten zur Abwehr des internationalen Terrorismus ermöglichten, seien nicht ersichtlich (Rn. 96 f.).
Eine genauere Lektüre zeigt indes, dass das Gericht insbesondere mit seinem Verweis auf § 129a StGB „ergebnisorientiert“ argumentiert, denn auf diesen wird zwar in § 4a Abs. 1 Satz 2 verwiesen, wenn es um die Verhütung von Straftaten geht. Die in Satz 1 beschriebene Aufgabe der Abwehr (konkreter) Gefahren enthält indes eine solche Rückkoppelung gar nicht. Zudem hat das Thüringische Verfassungsgericht bereits 2012 aus guten Gründen vertreten, dass der Charakter der Gefahrenabwehr als Rechtsgüterschutz verlange, bei der Normierung von Grundrechtseingriffen im Regelfall die zu schützenden Rechtsgüter und die Intensität ihrer Gefährdung in den Blick zu nehmen. Durch einen bloßen Verweis auf einen Straftatenkatalog gehe dieser Zusammenhang zwischen Grundrechtseingriff und Rechtsgüterschutz weitgehend verloren.9 § 4a als Aufgabennorm, auf den viele der angegriffenen Eingriffsbefugnisse tatbestandlich verweisen, enthält hingegen keine klare Beschreibung, welche Gefahren für welche Schutzgüter abgewehrt werden sollen, sondern verweist auf eine Strafnorm, die wiederum selbst auf eine Fülle weiterer Strafnormen verweist. Normenbestimmheit, die das BVerfG kurz zuvor (Rn. 94) noch selbst einfordert, wird hier offenkundig anders buchstabiert.

5 . Grundrecht auf Sicherheit?

Nachdem das BVerfG die neue Aufgabenzuweisung an das BKA als notwendig und verfassungskonform bejaht hat, wendet es sich den neuen Befugnissen im Detail zu. Maßstab hierfür ist insbesondere die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne oder Angemessenheit. Aufgabe des Gesetzgebers sei, einen Ausgleich zwischen der Schwere der Eingriffe in die Grundrechte potentiell Betroffener auf der einen Seite und der Pflicht des Staates zum Schutz der Grundrechte auf der anderen Seite zu schaffen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die verfassungsmäßige Ordnung, der Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie Leib, Leben und Freiheit der Person Schutzgüter von hohem verfassungsrechtlichem Gewicht seien. Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm – unter Achtung von Würde und Eigenwert des Einzelnen – zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung seien daher Verfassungswerte, die mit anderen hochwertigen Verfassungsgütern im gleichen Rang stünden. Der Staat sei verpflichtet, das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Freiheit des Einzelnen zu schützen, das heiße vor allem, auch vor rechtswidrigen Eingriffen vonseiten anderer zu bewahren (Rn. 98 ff.).
So plausibel dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so gefährlich ist dieser Ansatz in den Zeiten einer aufgeheizten Diskussion über Freiheit oder Sicherheit.10 Wird hier gleichsam einem Grundrecht auf Sicherheit11 das Wort geredet, wenn das Gericht die Sicherheit als Verfassungswert bezeichnet, der mit anderen Verfassungsgütern, mithin auch den Grundrechten, im gleichen Rang stehe? Steht dabei Sicherheit ausschließlich im Dienste der Freiheit? Geht es also um ein Grundrecht auf Sicherheit – oder will das Gericht nur die Schutzpflicht des Staates für seine Bürgerinnen und Bürger hervorheben, die auch drastische Grundrechtseingriffe bei den von polizeilichen Maßnahmen Betroffenen rechtfertigen könnten? Zu Ende buchstabiert wird dies im Urteil nicht.
Immerhin erlaubt das Gesetz – anders als zum Beispiel im Falle der Vorratsdatenspeicherung und der automatisierten Kennzeichenerkennung – keine anlasslose und massenhafte heimliche Datenerhebung bei jeder/m (so auch Rn. 101). Wie aber kann Freiheit geschützt werden mit der Schaffung immer neuer Eingriffsbefugnisse der Polizei in eben diese zu schützenden Freiheitsrechte? Schaut man etwa die Nutzung der Befugnisse des Ausnahmezustandes in Frankreich auch gegen Streikende und politisch Aktive12 an, wird – bei allen rechtlichen und tatsächlichen Unterschieden – die grundsätzliche Problemlage deutlich. Seit den Zeiten der RAF finden sich immer wieder neue Ereignisse und Anlässe, die durchaus plausibel weiter Einschränkungen der Freiheitsrechte begründen könnten.
Nur, wurde damit jemals ein greifbares Maß an „mehr“ Sicherheit erreicht und wurde der Bestand des Grundrechtsschutzes dabei jemals in einer „Gesamtbilanz“13 oder „Überwachungsgesamtrechnung“14 reflektiert? Weder der Gesetzgeber noch das BVerfG sehen hierfür offenbar Anlass (Rn. 130, 254); letzteres verweist vielmehr allein darauf, dass hier die Sicherheitsbehörden gefordert seien, anhand der verfassungsrechtlichen Maßstäbe unüberwindbare Grenzen zu bestimmen und zu beachten. Ein frommer Wunsch in düsteren Zeiten für die Freiheitsrechte. Zur „Überwachungsgesamtrechnung“ bleibt das Gericht mithin vage: „Eigene verfassungsrechtliche Grenzen ergeben sich hinsichtlich des Zusammenwirkens der verschiedenen Überwachungsmaßnahmen. Mit der Menschenwürde unvereinbar ist es, wenn eine Überwachung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und derart umfassend ist, dass nahezu lückenlos alle Bewegungen und Lebensäußerungen des Betroffenen registriert werden und zur Grundlage für ein Persönlichkeitsprofil werden können (…). Beim Einsatz moderner, insbesondere dem Betroffenen verborgener Ermittlungsmethoden müssen die Sicherheitsbehörden mit Rücksicht auf das dem „additiven“ Grundrechtseingriff innewohnende Gefährdungspotenzial koordinierend darauf Bedacht nehmen, dass das Ausmaß der Überwachung insgesamt beschränkt bleibt (…). (Rn. 130; s.a. Rn. 254) Hier wäre es interessant gewesen, wenn das Gericht vertieft ausgeführt hätte, wie das konkret  aussehen soll, nicht zuletzt mit Blick auf die Breite zulässiger Maßnahmen nach §§ 20a bis 20x und die Ausweitung des Datenaustauschs zwischen Polizei- und Nachrichtendiensten u.a. nach §§ 9a BKAG und § 6a ATDG. Letztere wurden jüngst15 sogar noch weiter ausgeweitet, etwa durch § 22b und 22c BVerfSchG.

6 . Maßstäbe der Beurteilung

Zu Beginn seiner grundrechtlichen Überprüfung fasst das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung zu (heimlichen) Überwachungsmaßnahmen zusammen und versucht, diese zu systematisieren. Der Ansatzpunkt ist auch hier kein struktureller oder grundsätzlicher, sondern die Ausrichtung an der Angemessenheit im Detail (Rn. 103).
Besonders tief in die Privatsphäre dringe die Wohnraumüberwachung sowie der Zugriff auf informationstechnische Systeme ein. (Rn. 105) Sodann präzisiert das Gericht: „Heimliche Überwachungsmaßnahmen müssen auf den Schutz oder die Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtsgüter begrenzt sein.“ (Rn. 106) Dies wird weiter ausdifferenziert: „Für Maßnahmen, die der Strafverfolgung dienen und damit repressiven Charakter haben, kommt es auf das Gewicht der verfolgten Straftaten an, die der Gesetzgeber insoweit in (…) erhebliche, schwere und besonders schwere Straftaten eingeteilt hat.“ (Rn. 107) „Für Maßnahmen, die der Gefahrenabwehr dienen und damit präventiven Charakter haben, kommt es unmittelbar auf das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter an (…). Heimliche Überwachungsmaßnahmen, die tief in das Privatleben hineinreichen, sind nur zum Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter zulässig. Hierzu gehören Leib, Leben und Freiheit der Person sowie der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes (…). Der Zugriff auf vorsorglich gespeicherte Daten (…) oder die Durchführung von Wohnraumüberwachungen [seien] (…) auch bei einer gemeinen Gefahr (…) und Online-Durchsuchungen bei einer Gefahr für Güter der Allgemeinheit, die die Existenz der Menschen berühren (…)“ mit der Verfassung vereinbar. (Rn. 108)
Sodann bestätigt das Gericht seine bereits früher vollzogene Abkehr von den hergebrachten Maßstäben eines liberalen Polizeirechts: „Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen aber nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel schon der Straftatenverhütung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert.“ (Rn. 112) Zur Auswahl des Kreises der von Maßnahmen Betroffenen fasst das Gericht zusammen: „Gestufte Anforderungen ergeben sich hinsichtlich der Frage, wieweit Überwachungsmaßnahmen als Maßnahmen der Umfeldüberwachung auch gegenüber Personen durchgeführt werden dürfen, die nicht als Handlungs- oder Zustandsverantwortliche beziehungsweise Tatverdächtige in besonderer Verantwortung stehen.“ (Rn. 115)
Zur Anordnungsbefugnis hält das Gericht fest: „Die hier ganz überwiegend in Rede stehenden eingriffsintensiven Überwachungs- und Ermittlungsmaßnahmen, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch höchstprivate Informationen erfassen, und gegenüber den Betroffenen heimlich durchgeführt werden, bedürfen grundsätzlich einer vorherigen Kontrolle durch eine unabhängige Stelle, etwa in Form einer richterlichen Anordnung.“ (Rn. 117). Es verlangt hierbei weiter: „Der Gesetzgeber hat das Gebot vorbeugender unabhängiger Kontrolle in spezifischer und normenklarer Form mit strengen Anforderungen an den Inhalt und die Begründung der gerichtlichen Anordnung zu verbinden. (…) ist es Aufgabe und Pflicht des Gerichts oder der sonst entscheidenden Personen, sich eigenverantwortlich ein Urteil darüber zu bilden, ob die beantragte heimliche Überwachungsmaßnahme den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht. Hierfür die notwendigen sachlichen und personellen Voraussetzungen zu schaffen, obliegt der Landesjustizverwaltung und dem Präsidium des zuständigen Gerichts (…).“ (Rn. 118) Auch wenn das BVerfG offenbar von einer disziplinierenden Wirkung des Richtervorbehaltes (Rn. 174) ausgeht, sind die Realitäten nach hinreichend belegten empirischen und forensischen Erkenntnissen indes häufig andere.16
Zum Schutz der höchstpersönlichen Lebenssphäre führt das Gericht aus: „Der verfassungsrechtliche Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gewährleistet dem Individuum einen Bereich höchstpersönlicher Privatheit gegenüber Überwachung. Er wurzelt in den von den jeweiligen Überwachungsmaßnahmen betroffenen Grundrechten in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und sichert einen dem Staat nicht verfügbaren Menschenwürdekern grundrechtlichen Schutzes gegenüber solchen Maßnahmen. Selbst überragende Interessen der Allgemeinheit können einen Eingriff in diesen absolut geschützten Bereich privater Lebensgestaltung nicht rechtfertigen.“ (Rn. 120). „Können [Überwachungsmaßnahmen] typischerweise zur Erhebung kernbereichsrelevanter Daten führen, muss der Gesetzgeber Regelungen schaffen, die einen wirksamen Schutz normenklar gewährleisten.“ (Rn. 123) „(…) auf der Ebene der Datenerhebung [seien] Vorkehrungen zu treffen, die eine unbeabsichtigte Miterfassung von Kernbereichsinformationen nach Möglichkeit ausschließen. Zum anderen sind auf der Ebene der nachgelagerten Auswertung und Verwertung die Folgen eines dennoch nicht vermiedenen Eindringens in den Kernbereich privater Lebensgestaltung strikt zu minimieren (…).“ (Rn. 126). Es sei daher eine „Sichtung der erfassten Daten durch eine unabhängige Stelle vorzusehen, die die kernbereichsrelevanten Informationen vor deren Verwendung durch die Sicherheitsbehörden herausfiltert“. (Rn. 129) Diese Anforderungen sind in der Tat neu.
Mit Blick auf die gerichtliche Überprüfung insbesondere nicht erkennbarer Überwachungsmaßnahmen verlangt das BVerfG: „(…) die gesetzliche Anordnung von Benachrichtigungspflichten. Da solche Maßnahmen, um ihren Zweck zu erreichen, heimlich durchgeführt werden müssen, hat der Gesetzgeber zur Gewährleistung subjektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG vorzusehen, dass die Betroffenen zumindest nachträglich von den Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich in Kenntnis zu setzen sind. Ausnahmen kann er in Abwägung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter vorsehen. Sie sind jedoch auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken (…).“ (Rn. 136) Das Gericht fügt hinzu: „Zur Flankierung von informationsbezogenen Eingriffen, deren Vornahme oder Umfang die Betroffenen nicht sicher abschätzen können, hat der Gesetzgeber überdies Auskunftsrechte vorzusehen. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn sie gegenläufigen Interessen von größerem Gewicht dienen.“ (Rn. 137) Unerhört geblieben ist bisher auch das Verlangen des Gerichts: „Überdies setzt eine verhältnismäßige Ausgestaltung wirksame Sanktionen bei Rechtsverletzungen voraus“, wobei es dem Gesetzgeber hier zugleich einen weiten Ausgestaltungsspielraum zugesichert hat (Rn. 139).
Wie schon mit Blick auf die Antiterrordatei will das Gericht den mangelnden gerichtlichen Rechtsschutz durch die Datenschutzbehörden kompensiert17 wissen, statt die Eingriffsbefugnisse stärker zu beschränken und den Rechtsschutz zu stärken. Es merkt hierzu an:  „Die Gewährleistung einer wirksamen aufsichtlichen Kontrolle setzt zunächst eine mit wirksamen Befugnissen ausgestattete Stelle – wie nach geltendem Recht die Bundesdatenschutzbeauftragte – voraus (…). Ergänzt werden soll dies durch „hinreichend gehaltvolle“ Berichte des Bundeskriminalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit um eine Diskussion „über Art und Ausmaß der auf diese Befugnisse gestützten Datenerhebung, einschließlich der Handhabung der Benachrichtigungspflichten und Löschungspflichten, zu ermöglichen und diese einer demokratischen Kontrolle und Überprüfung zu unterwerfen“. (Rn. 143)
Im zweiten Teil seiner Entscheidung geht das BVerfG in die Detailkritik der beanstandeten Normen, die hier leider aus Platzgründen nicht vertieft werden kann.

7 . Schluss­be­mer­kungen

Auch wenn das BVerfG wieder einmal verschiedene neue Bausteine der krakenhaft um sich greifenden Instrumente immer ausgefeilterer und breiterer Überwachung im Namen des „internationalen Terrorismus“ in Teilen kassiert oder deren Beschränkung verlangt, und damit zumindest an einigen Stellen eine Schärfung der Maßstäbe des Grundrechtsschutzes bewirken mag, kann die Entscheidung sicherlich kaum Jubel hervorrufen. Mithin ein Pyrrhussieg für die Freiheitsrechte?18 Karlsruhe setzt hier und da neue Maßstäbe, welche auch die Länder in ihren Polizeigesetzen19 wie auch der Bund in der Strafprozessordnung sowie dem Geheimdienstrecht20 werden beachten müssen, wobei Nichtstun so lange nicht sanktioniert wird, wie niemand klagt –  eine Schwachstelle des Föderalismus, die manche Länder, wie etwa Berlin, gerne nutzen.
Das BVerfG verliert aber im Ergebnis nicht zum ersten Male das große Ganze aus dem Auge: Dem BKA wurde eine neue Aufgabe übertragen, mit einer Fülle neuer Eingriffsbefugnisse. Ob dies notwendig war, wird nicht hinterfragt, sondern vorrangig am schwerlich fassbaren Maßstab der Angemessenheit21 einer feinziselierten Detailkritik unterzogen, was wohl auch dazu führt, dass ein Großteil der gesetzlichen Regelung gar nicht erst beanstandet wird.22 Anders ausgedrückt: „Es werden nicht mit grobem Werkzeug legislative Bauwerke abgerissen, sondern dem Gesetzgeber die erkannten Bedenklichkeiten in allen Details auseinandergesetzt, damit er selbst nach Maßgabe der rechtlichen Analyse tätig werde.“23 Trotz einer „gehörige[n] Ohrfeige“ angesichts der handwerklichen Mängel ist Karlsruhe offenbar mit dem eingeschlagenen Sicherheitskurs grundsätzlich einverstanden und billigt die „Entgrenzungstendenzen der Gefahrenabwehr“.24
Andererseits ist aber diese Detailkritik des BVerfG auch ein schlechtes Zeugnis für den Gesetzgeber, der viele der Beanstandungen bei einer am Schutz der Freiheitsrechte orientierten Gesetzgebung hätte vorhersehen und damit vermeiden können. Dort wird aber insbesondere seit 9/11 nach dem Motto gearbeitet, immer wieder aufs Neue verfassungsrechtliche Grenzen bis aufs Äußerste oder auch darüber hinaus zu testen, bis eben Jahre später unter Umständen Karlsruhe hier und da interveniert und einen Teil beanstandet, wohingegen im Kern der immer weiter fortschreitende Ausbau von Eingriffsbefugnissen für Polizei (und auch Staatsanwaltschaften und Geheimdienste) unbeanstandet bleibt.

CLEMENS ARZT   Jahrgang 1958, ist Professor für öffentliches Recht und Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS) der HWR Berlin. Arbeitsschwerpunkte im deutschen und ausländischen Polizei- und Versammlungsrecht. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. Kommentierungen zum Antiterrordateigesetz, Rechtsextremismusdatei-Gesetz, BPolG und PolG NRW.

Literatur

Buchholtz, Gabriele,  Kein Sonderopfer für die Sicherheit, NVwZ 2016, 906
Durner, Wolfgang, Urteilsanmerkung, DVBl 2016, 770
Graulich, Kurt, Polizeiliche Gefahrenabwehr mit heimlichen Überwachungsmaßnahmen, KriPoZ 1/2016, 75
Kugelmann, Dieter, Kommentierung des BKAG, in: Das Deutsche Bundesrecht (Loseblatt), Nomos-Verlag, Baden-Baden 2014
Petri, Thomas, Urteilsanmerkung, ZD 2016, 374
Roggan, Fredrik, Enzyklopädie des Polizeirecht – Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 111 (2016) [im Erscheinen]
Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes mit Kommentierung BKAG, München 2014
Spieker, Indra, genannt Döhmann, Bundesverfassungsgericht kippt BKA-Gesetz: Ein Pyrrhussieg der Freiheitsrechte, http://verfassungsblog.de/bundesverfassungsgericht-kippt-bka-gesetz-ein-pyrrhus-sieg-der-freiheitsrechte/
Wiemers, Matthias, Urteilsanmerkung, NVwZ 2016, 839

Anmerkungen:

1  Im Volltext unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/ 2016/04/rs20160420_1bvr096609.html; alle nachfolgenden Verweise beziehen sich auf die Randnummern in dieser Fassung.

2  S.a. die weiteren Befugniserweiterungen durch Gesetze vom 26.07.2016 BGBl. I, S. 1818; 20.06.2013 BGBl. I S. 1602;  06.09.2009 BGBl. I, S. 1226.

3  Alle Paragraphenangaben beziehen sich auf das BKAG, soweit nicht anders angegeben.

4  Vermutlich wurden die nicht angefochtenen Normen aus der Novelle 2008 (auch) aus Gründen der Klagezulässigkeit nicht zur Überprüfung gestellt; s.a. Rn 78 zur Unzulässigkeit der Klage gegen §  20c.

5  Hier handelt es sich um eine bereits vor der Novelle 2008 bestehende Regelung.

6  Vgl. Roggan (im Erscheinen)

7  Hervorhebungen durch den Autor.

8  Alle Verweise auf Rn. beziehen sich auf das in Endnote 1 bezeichnete Urteil.

9  Vgl. Thüringer Verfassungsgerichtshof VerfGH 19/09 vom 21.11.2012, S. 41.

10  Kritisch deshalb Buchholtz S. 908; Spieker gen. Döhmann, verfassungsblog.de /bundesverfassungsgericht-kippt-bka-gesetz-ein-pyrrhus-sieg-der-freiheitsrechte/

11  Vgl. EuGH Große Kammer U.v. 15.02.2016 – C-601/15 PPU Rn. 53 [juris]

12 Vgl. etwa www.deutschlandfunk.de/frankreich-diskussion-ueber-neues-notstandsgesetz.1773.de. html?dram:article_id=340634; www.zeit.de/politik/ausland/2016-07/frankreich-anti-terror-politik -anschlag-nizza-ausnahmezustand-demokratische-rechte

13  Vgl. www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuell/news/meldung/article/pressemitteilung-gesa mtbilanz-der-ueberwachungsmassnahmen-statt-durchsetzung-der-vorratsdatenspeich/

14  Vgl. https://netzpolitik.org/2015/ueberwachungsgesamtrechnung-vorratsdatenspeicherung-ist-der-tropfen-der-das-fass-zum-ueberlaufen-bringt/; s.a. BVerfGE 112, 304 (319 f.)

15  Vgl. Gesetz zum verbesserten Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 26.7.2016 (BGBl. I, S. 1818).

16  So wohl auch Durner S. 784

17  Kritisch zur Herleitung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Graulich, S. 81.

18  S. Spieker.

19  Vgl. Graulich S. 75; Roggan (im Erscheinen).

20  Buchholtz S. 909; Graulich S. 81; Durner S. 781

21  Kritisch auch Durner, S. 782

22  Vgl. Graulich S. 80.

23  Graulich, S. 76.

24  Buchholtz, S. 908 und 909.

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