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Hamburg: Gutachten des Daten­schutz­be­auf­tragten zu polizei­li­chen Gefah­ren­ge­bieten

19. September 2014

aus: vorgänge Nr. 205 (Heft 1/2014), S. 53/54

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte hat am 2. April 2014 ein Gutachten zur Ausweisung sogenannter Gefahrengebiete sowie den dortigen besonderen polizeilichen Befugnissen in der Hansestadt vorgelegt. Das Gutachten geht sowohl auf die Rechtsgrundlagen für polizeiliche Gefahrengebiete ein (§  4 Abs.  2 PolDVG), prüft darüber hinaus aber auch deren konkrete Anwendung im Stadtbezirk Altona zu Jahresbeginn, bei der ein ganzer Stadtteil zum Gefahrengebiet erklärt wurde (vgl. vorgänge Nr. 204, S. 74ff.).

Das Gutachten betont, dass der polizeiliche Grundrechtseingriff nicht erst mit den konkreten (Zwangs-)Maßnahmen beginne, die in Gefahrengebieten verdachtsunabhängig möglich sind (etwa: Identitätsfeststellung, Durchsuchung von Sachen, Platzverweis, Aufenthaltsverbot oder Ingewahrsamnahme), sondern bereits mit der Ausweisung einer solchen Zone polizeilicher Sonderrechte (S.  5). Bereits die Einrichtung solcher Gebiete steigere die Wahrscheinlichkeit, dass beim Aufenthalt in diesem Bereich polizeiliche Maßnahmen erduldet werden müssen – und ist deshalb geeignet, die individuelle Bewegungsfreiheit einzuschränken. Für die Einrichtung bzw. Ausweisung solcher Gefahrengebiete sieht der Datenschutzbeauftragte bereits keine ausreichende gesetzliche Grundlage. § 4 Abs.  2 PolDVG regle nur die polizeilichen Sonderrechte in den Gefahrengebieten, nicht jedoch das Verfahren der Gebietsausweisung selbst. „Auch fehlen Vorschriften, die die Rechtsnatur und das zugrunde liegende Verfahren der Ausweisung wie auch die Zuständigkeit der ausweisenden Stelle näher regeln. … Die Befugnis, ein Gebiet für anlasslose polizeilichen Kontrollen zu schaffen, hätte der Gesetzgeber daher ausdrücklich in §  4 Abs. 2 PolDVG regeln müssen.“ (S. 8)

Darüber hinaus seien die gesetzlichen Verfahrensvorgaben für die Auswahl bzw. Ausweisung von Gefahrengebieten durch die Polizei auch nicht hinreichend bestimmt, weil für die Bürger_innen nicht transparent und nachvollziehbar: „§ 4 Abs. 2 PolDVG überlässt die Modalitäten der Ausweisungsentscheidung pauschal der Polizei und regelt nicht die Rechtsqualität der Maßnahme. Neben der nicht vorhandenen Bestimmung des Verfahrens und der Zuständigkeit fehlt insbesondere eine Regelung, wonach die Öffentlichkeit über die Ausweisung eines Gebietes vorab hinreichend informiert wird.“ (S. 9f.) Die Transparenz des Verfahrens und (Vorab-)Information der Bürger_innen seien auch Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz.

Zweifel hegt der Datenschutzbeauftragte weiterhin an der Befugnis, die Daten der in Gefahrengebieten kontrollierten Personen längerfristig zu speichern. Sie werden dabei für die allgemeine Aufgabenerfüllung der Polizei genutzt, die Betroffenen unter Umständen in anderen Kontexten mit der Speicherung konfrontiert: „Bei jeder Kontrolle dieser Personen in anderem Zusammenhang (nach SOG, bei einer Kfz-Kontrolle, nach StPO) wird zumindest 3 Monate lang die Kontrolle im Gefahrengebiet abgerufen. Dies kann bei den kontrollierenden Polizisten zu einem gewissen Vorbehalt führen und stigmatisierende Folgen für den kontrollierten Bürger haben.“ (S. 7) Gegen eine Nutzung der Kontrolldaten für die allgemeine Aufgabenerfüllung der Polizei spreche insbesondere die große Streubreite der Kontrollen in den Gefahrengebieten (es kann buchstäblich jede_n treffen, die/der sich zufällig dort aufhält), aber auch der konkrete Zweck des Gefahrengebietes und der damit verbundenen Datenerhebung (die Verhütung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung). (s.S. 12f.)

Die gesetzliche Grundlage zu den Hamburger Gefahrengebieten widerspreche auch der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, da der Kreis der zu kontrollierenden Personen – zumindest im Wortlaut des Gesetzes – nicht hinreichend eingegrenzt werde. „Dem Gesetzeswortlaut von § 4 Abs. 2 PolDVG fehlen insoweit normenklare Vorgaben nicht nur für das Ausweisungsverfahren, sondern auch für die Begrenzung des Adressatenkreises der zu kontrollierenden Personen. Gesetzestext und Begründung widersprechen sich in zentralen Punkten: Sieht der Gesetzestext gerade eine ereignis- und verhaltensunabhängige Vornahme der Identitätskontrolle vor, so fordert die Gesetzesbegründung demgegenüber, dass sich die Durchführung von Personenfeststellungen an einer Kontrolle lageabhängiger Zielgruppen zu orientieren habe (Bü-Drs. 14/1487, S. 14).“ (S. 14)

Kritisch bewertet der Datenschutzbeauftragte auch die beiden konkret ausgewiesenen Gefahrengebiete vom Januar 2014. Dabei war großflächig ein ganzes Stadtgebiet mit knapp 80.000 Einwohner_innen zur Gefahrenzone erklärt worden, während sich die vorgebrachten polizeilichen Lageerkenntnisse auf einen viel kleineren Bereich um ein Polizeirevier (PK 15) beschränkten. Zahlreiche von der Polizei vorgetragene Beispiele für die angebliche Gefahrenlage betrafen zudem keine Straftaten von erheblicher Bedeutung (deren Vorliegen bzw. Wahrscheinlichkeit eine Voraussetzung ist). Zudem bezogen sich die polizeilichen Schilderungen teilweise auf weiter zurückliegende Ereignisse (vom November bzw. Dezember 2013) sowie auf gewaltverherrlichende Pamphlete im Internet (deren praktische Relevanz nicht hinterfragt wurde).

Johannes Caspar, Hans-Joachim Menzel: Datenschutzrechtliche Bewertung des polizeilichen Gefahrengebiets im Bezirk Altona vom 4.-13.1.2014, Hamburg 2.4.2014, abrufbar unter https://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/Gefahrengebiet_-_Datenschutzrechtliche_Bewertung_HmbBfDI.pdf.

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