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Friedrich Rische: "Ein Zeitzeuge klagt an! Bürger­rechts­ver­let­zung und Justizopfer im kalten Krieg: Ein Stück verdrängter deutscher Geschichte

19. September 2002

Bericht über Vortrag und Diskussion der HU

(gemeinsam mit VVN/Bund der Antifaschisten) am

19. Juni 2002 in der Seidlvilla, München

Mitteilungen Nr. 179, S.66

Fr. Rische (Jahrg.1914) gehörte dem 1. Deutschen Bundestag als Abgeordneter der KPD an. Damals war es selbstverständlich, dass die KPD als die am radikalsten von der NS-Justiz bekämpfte Partei dem neuen Parlament angehörte. Sie konnte jedoch von Anfang an nicht mehr an ihr großes politisches Mandat aus der Weimarer Republik anknüpfen, sondern blieb stets marginal und stellte – vor allem als Nachwirkung des gewaltigen Trommelfeuers der NS-Propaganda während des 2.Weltkriegs – keine reale politische Macht mehr dar. Das war aber im Zuge des unmittelbar nach 1948 offenbar
werdenden kalten Krieges nicht ausreichend, um sie zu tolerieren: sie wurde von Anfang an als 5. Kolonne der SU ohne eigene politische Vorstellungen betrachtet und dementsprechend traktiert. Dieser politisch und juristisch durchexerzierte Antikommunismus führte zu gravierendenVerletzungen genau derjenigen Bürger- und Menschenrechte, die man kurz zuvor in der neuen Verfassung verankert hatte. Fr. Rische berichtete als Zeitzeuge aus seiner Sicht von den Vorgängen um das „Blitzgesetz“ von 1951, mit dem die KPD und ihre Unterorganisationen als verfassungsfeindlich verboten wurden und sich zugleich der politische Schwenk der BRD zum Bundesgenossen der USA in ihrem inzwischen offenen kalten Krieg gegen den Ostblock vollzog. An der juristischen Vorbereitung der erforderlichen Gesetzesänderungen waren dann ganz entscheidend ehemalige führende NS-Juristen beteiligt, was die betroffenen KPD-Politiker ganz besonders schockieren musste: Sie waren allesamt Überlebende der NS-Gefängnisse und KZ, in die sie die gleichen
Juristen zuvor hinein gebracht hatten. In der Folgezeit wurden-
in Eintracht mit den fast zeitgleich ablaufenden Hetzjagden der McCarthy Zeit in den USA- mehrere hunderttausend Ermittlungsver-fahren eingeleitet und 7000 Verurteilungen erwirkt, so etwa eine 3 jährige Gefängnisstrafe für die Organisation einer Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung der BRD. (Einen Eindruck von dem ganzen Spektrum dieser Prozesse vermittelt das Buch von HU-Beiratsmitglied Heinrich Hannover „Die Republik vor Gericht: 1954 bis
1974“). Erst 1968 wurde die unmittelbare Verfolgung von
Kommunisten und Oppositionellen beendet, rehabilitiert wurden die Opfer nie, die zustehenden Entschädigungen für erlittene Verfolgungen in der NS- Zeit blieben ihnen vorenthalten.
1972 folgte dann als Reaktion auf die Revolte der 68er der Radikalenerlaß mit seinen Berufsverboten. Die wurden 1995 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als Rechtsverstoß gebrandmarkt, als Folge der Klage einer Betroffenen, die viele Jahre zuvor wegen ihrer DKP-Zugehörigkeit aus dem Staatsdienst entfernt worden war.
Es war beeindruckend und auch ergreifend, dem beinahe              90-jährigen Referenten zuzuhören, der selbst von einem NS-Gericht
wegen „Vorbereitung zum Hochverrat „ ins Zuchthaus und KZ geschickt wurde, von 1949 bis 1953 MdB war und später wegen seiner Aktivitäten für die KPD vom BGH zu 3 Jahren Haft verurteilt wurde. Dabei wurde noch einmal deutlich, wie der sofort nach 1945 einsetzende kalte Krieg in Deutschland die unbedingt erforderliche Verarbeitung der traumatischen Geschichte des 3. Reiches zunächst
behindert und schließlich über weite Strecken ganz verhindert hat. Die Schnelligkeit, mit der damals die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausschaltung der tatsächlich oder auch nur vermutlich kommunistisch beherrschten Organisationen geschaffen wurden, ohne die realistischen Erfolgsaussichten dieser Maßnahmen gegen die Schäden an Verfassung und öffentlichem Rechtsbewusstsein abzuwägen, hat seitdem Schule gemacht. Zuletzt in der Art und Weise, wie der Gesetzgeber auf die Furcht vor Terroristen nach dem 11.September reagiert hat. Jede Begegnung mit den inzwischen
immer seltener gewordenen Zeitzeugen, die diese ganze Entwicklung von Anfang an aktiv miterlebt haben, fasziniert und
deprimiert daher gleichermaßen.

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