Themen / Rechtspolitik

Chance vertan: Das neue Berliner Straf­voll­zugs­ge­setz

12. Mai 2016

in: HU-Mitteilungen Nr. 229 (2/2016), S. 8/10

Obwohl die Bundesländer seit dem 1. September 2006 eigene Strafvollzugsgesetze beschließen dürfen, hat das Land Berlin erst letztes Jahr einen Entwurf für ein eigenes Strafvollzugsgesetz ins Parlament eingebracht. Das „Gesetz zur Weiterentwicklung des Justizvollzugs“ (Drs. 17/2442 vom 9.9.2015) des SPD/ CDU-Senats schrieb dann in weiten Teilen einfach nur den Status Quo fest. Das wurde auch bei der parlamentarischen Anhörung zum Gesetz im November kritisiert, an der u.a. Prof. Dr. Johannes Feest teilnahm.
Der Landesverband Berlin-Brandenburg der HU brachte sich schon früh in die Diskussion ein mit einem Informationsgespräch über den Inhalt des Gesetzes im Dezember, mit der Unterzeichnung des „Aufrufs für ein liberales und progressives Strafvollzugsgesetz in Berlin“, der Forderung nach der Geltung des Briefgeheimnisses für den Schriftwechsel zwischen Gefangenen und Behörden (Behördenpost) und einer gut besuchten und hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion zum Gesetz am 17. Februar. Es diskutierten Annette Linkhorst (Berliner Vollzugsbeirat), Oliver Rast (Gefangenen-Gewerkschaft), Dirk Behrendt (Rechtspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen), Niklas Schrader (Referent der Linksfraktion) und Simon Weiß (Rechts- und Verfassungspolitischer Sprecher der Piratenfraktion). Vertreter von CDU und SPD konnten aus verschiedenen Gründen nicht kommen.

Obwohl der Gesetzesvorschlag vor allem den Ist-Zustand beschrieb, gab es einige Punkte, die wir sehr kritisch sahen, wie die „verletztenbezogene Vollzugsgestaltung“, bei der die Belange der Opfer von Straftaten eine Rolle im Vollzug spielen sollen. Zu mehreren Punkten forderten wir konkrete Änderungen, etwa:

– Offener Vollzug als Regelvollzug: Im Gesetz ist dieser Vorrang nicht festgeschrieben. Möglich wäre eine Gleichrangigkeit oder sogar ein Vorrang des geschlossenen Vollzugs vor dem offenem Vollzug, obwohl nur der den Gefangenen ein weitgehend normales Leben ermöglicht. Deshalb wollten wir eine entsprechende Festschreibung.

– Gesetzliche Ansprüche statt Ermessen: Im Gesetz stehen viele gut klingende Kann-Vorschriften, die daher schnell zu einem Belohnungssystem für fügsame Häftlinge werden können. Dabei wären einklagbare und entsprechend überprüfbare Ansprüche der Gefangenen besser.

– Verlängerung der Besuchszeiten auf mindestens vier Stunden Besuch pro Monat. Im Gesetz steht eine Mindestbesuchszeit von zwei Stunden, was für das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten sehr wenig ist.
– Keine Einschränkung der Paketregelung: Gefangene sollten, wie wir es von der HU Berlin-Brandenburg schon länger fordern, an wichtigen Feiertagen und Geburtstagen Pakete erhalten können. Der Hinweis, dass im Gefängnis Waren gekauft werden können, ist kein Ersatz für den von der Familie gebackenen Kuchen.

– Zugang zum Internet: Heute ist, auch bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, ein Leben ohne den Zugang zum Internet kaum noch möglich. Weil sich das Leben in Haft möglichst wenig von dem Leben in Freiheit unterscheiden sollte, sollten Gefangene einen Zugang zum Internet haben, der selbstverständlich kontrolliert werden kann.

– Telefonieren und Internet zu marktüblichen Preisen: Derzeit fordert Telio überhöhte Preise. Weil für Gefangene der Kontakt zu ihrer Familie und Freunden wichtig ist und dieser vor allem telefonisch erfolgen muss, sollten hier die Kosten (ein fünfminütiges Ortsgespräch kostet 0,42 Euro) nicht exorbitant hoch sein. Es wäre auch zu prüfen, inwiefern die Gefangenen eigene Telefone haben dürfen.

– Briefgeheimnis auf Behördenpost ausdehnen: Bis auf wenige Ausnahmen, wie der Schriftverkehr mit Anwälten, Parlamentariern, Datenschutzbeauftragten und dem Vollzugsbeirat, kann der Schriftverkehr von Gefangenen überwacht werden. Auch der Schriftverkehr von Gefangenen mit Behörden, wozu auch Beschwerden über die Strafanstalt gehören können, kann überwacht werden. Das sollte geändert werden.

– Vollzugsplanung und Übergangsmanagement verbessern: die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Diensten beim Übergang von der Haft in die Freiheit muss verbessert werden. Außerdem sollten Vollzugsplanungen erstellt werden, die regelmäßig auf eine vorzeitige Entlassung hinarbeiten. In Berlin werden weniger als acht Prozent der Gefangenen vorzeitig entlassen. Das ist bundesweit der letzte Platz, während im Saarland und Bayern, den Spitzenreitern, fast ein Viertel vorzeitig entlassen werden.

Etliche dieser Forderungen nahmen die Oppositionsfraktionen auf. Ihre Änderungsanträge lehnte der Rechtsausschuss am 9. März alle ab. Angenommen wurden nur zwei letztlich kosmetische Änderungsanträge der Koalition und ein vom Gesetz unabhängiges Pilotprojekt zur Nutzung des Internets. Brandenburg verkündete wenige Tage später einen wesentlich umfangreicheren Zugang von Gefangenen zum Internet.

Am 18. März beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin das neue Strafvollzugsgesetz, das am 1. September 2016, wenige Tage vor der Abgeordnetenhauswahl, in Kraft tritt.

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