Themen / Rechtspolitik

Idomeni und das Scheitern der EU in der Flücht­lings­frage

12. Mai 2016

in: HU-Mitteilungen Nr. 229 (2/2016), S. 7/8

(Red.) Seit über zwei Monaten warten tausende Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze auf eine Grenzöffnung, um weiter reisen zu können. Helga Lenz von der Humanistischen Union Lübeck besuchte kürzlich das Lager in Idomeni. Eindrücke ihrer Reise hat sie in einem Bericht zusammengefasst, der auf der Webseite der HU Lübeck (bzw. in der Geschäftsstelle) abrufbar ist. Ausgehend von ihren Erfahrungen macht sie im vorliegenden Beitrag Vorschläge, wo und wie sich die HU-Mitglieder in der aktuellen Flüchtlingssituation engagieren können.

Warum noch Idomeni?

Auf der Autobahn, kurz vor der mazedonischen Grenze, haben sich drei Raststätten in Zeltlager verwandelt. Hier harren trotz schlechter medizinischer und hygienischer Bedingungen und trotz eines zunehmenden staatlichen Drucks rund 10.000 Geflüchtete aus. Sie hoffen immer noch auf das Wunder einer Grenzöffnung, auch wenn das immer unwahrscheinlicher wird. Es gibt viele Gründe, warum die Geflüchteten dennoch in dem Zeltlager von Idomeni ausharren: etwa die Angst, in den Militärlagern ganz aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verschwinden und vergessen zu werden. Die Geflüchteten fürchten auch, dass die Militärcamps eines Tages wie die Internierungslager auf den griechischen Inseln abgeschlossen und die Insassen damit zu Gefangenen werden. Darüber hinaus ist Idomeni ein Zufluchtsort für all jene, die nicht zurück in die Türkei wollen. Viele von ihnen befürchten, dort in einem Gefängnis zu landen oder in ihr Heimatland abgeschoben zu werden.

In Griechenland leben derzeit geschätzte 52.000 Flüchtlinge. Sie und die griechischen Behörden werden mit der unhaltbaren humanitären Situation und der Bearbeitung der Asylanträge weitgehend allein gelassenen. Für die Hälfte der in den Camps wartenden Menschen, die ein Anrecht auf Familienzusammenführung haben, könnte das Warten in den Zelten dank Dublin III-Abkommen und der langen Bearbeitungszeiten noch Jahre dauern. Dabei waren die griechischen Behörden bereits vor den gestiegenen Zahlen im letzten Jahr mit der Erstaufnahme der Flüchtlinge und der Bearbeitung ihrer Anträge überfordert. Schon seit Jahren hatten deutsche Gerichte immer wieder festgestellt, dass „massive Mängel“ im griechischen Asylsystem vorliegen und Dublin-Überstellungen nach Griechenland deshalb nicht rechtmäßig sind. Unter diesen Voraussetzungen wurde die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland seit 2011 auch von der Bundesregierung ausgesetzt. Ausgerechnet jetzt aber hebt die Regierung diese Entscheidung auf. Seit dem 12. Januar 2016 dürfen nach dem Willen des Bundesinnenministers die Flüchtlinge wieder nach Griechenland zurück überstellt werden, wo kranke Säuglinge mit ihren Eltern auf der Straße leben und es kaum möglich ist, nur den Termin für einen Asylantrag zu erhalten. Demgegenüber sind in Deutschland für Flüchtlinge geschaffene Aufnahmeeinrichtungen nicht ausgelastet, räumliche und personelle Kapazitäten bleiben ungenutzt.

Was tun?

Initiativen wie die Refugees Welcome 2 Wuppertal fordern in einem offenen Brief ihren Stadtrat auf, Flüchtlinge aus Griechenland direkt aufzunehmen. Spanische Kommunen in den Regionen Barcelona und Valencia haben bereits angeboten, Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen. Dazu können wir unsere Bürgermeister, Kreis- und Stadtvertretungen auch auffordern. Sie sollten § 22 Aufenthaltsgesetz anwenden. Dieser erlaubt im Einzelfall eine Aufnahme eines Flüchtlings aus dringenden humanitären Gründen, wenn sich der/die Geflüchtete in einer Situation befindet, die über die „allgemeine“ Flüchtlingsnot hinausgeht.

Auch die Landesinnenminister könnten auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz bestimmte Flüchtlingsgruppen von Rücküberführungen nach dem Dublin-Verfahren ausnehmen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich dazu bereit erklärt. Zur Umsetzung bedarf es der Genehmigung des Bundesinnenministers. Eine solche Genehmigung wurde im letzten Jahr für die direkte Aufnahme von Jesidinnen durch die Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein erteilt. Entsprechend sollten wir die Innenminister der Bundesländer auffordern, zumindest Familien mit Kindern, Kranke und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen.

Attac hat darüber hinaus einen unterstützenswerten Appell initiiert: „Familien helfen – rasche Visa-Ausstellung über Botschaften und Konsulate ermöglichen“. Diesen Appell sollten die HU, aber auch möglichst viele Mitglieder unterzeichnen. In dem Appell werden die Bundesregierung bzw. der Außenminister dazu aufgefordert, mehr Kapazitäten für die Visaausstellung in Griechenland zu schaffen. Neben der Überforderung der griechischen Behörden verzögert auch die völlig überlaufene deutsche Botschaft in Athen die Aufnahme der in Griechenland Gestrandeten.

Helga Lenz
leitet die Frauen- und Familienberatungsstelle der HU Lübeck
und engagiert sich seit Jahren für Flüchtlinge

Offener Brief der Initiative Welcome 2 Wuppertal: https://w2wtal.noblogs.org/post/2016/04/19/offener-brief-menschen-aus-idomeni-in-wuppertal-aufnehmen/

Attac-Aufruf an die Bundesregierung:
http://www.attac.de/uploads/media/Aufruf_Visa_fuer_Deutschland_21_April_2016.pdf

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