Themen / Rechtspolitik

Stellung­nahme zum CDU-Antrag "Bedeutung der Kirchen in der Gesell­schaft anerkennen und unter­stützen"

09. Mai 2014

Der Niedersächsische Landtag hörte am 9. Mai 2014 zahlreiche Sachverständige zu einem Entschließungsantrag der CDU an. Für die Humanistische Union nahm Dr. Kirsten Wiese an der Anhörung teil. In ihrer gemeinsam mit Johann-Albrecht Haupt ausgearbeiteten Stellungnahme kritisierte sie, dass der Antrag z.T. von falschen Voraussetzungen ausgehe (etwa beim angeblichen Mangel an Lehrkräften für den Religionsunterricht); von Selbstverständlichkeiten spreche (etwa dem Respekt gegenüber allen Glaubensüberzeugungen und Weltanschauungen) bzw. Lösungen vorschlage, wo gar keine Probleme benannt oder erkennbar werden (etwa die Finanzierung von sozialen Angeboten der Kirchen). Schließlich fordert der Antrag mit der Entwicklung eines gemeinsamen evangelisch/katholischen Religionsunterrichts eine Einmischung in interne Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, die mit dem Gebot der staatlichen Neutralität in Religionsfragen und den Verfassungsvorgaben zum Religionsunterricht unvereinbar erscheinen.

Im Antrag der CDU-Fraktion werden sieben Forderungen an die niedersächsische Landesregierung erhoben:

„1. sich zur christlichen Prägung des Landes Niedersachsen in gleichem Maße zu bekennen wie auch zum Respekt vor jeder anderen Glaubensüberzeugung,
2. die Kirchen bei der Ausübung ihrer Aufgaben auch zukünftig zu unterstützen,
3. den Loccumer Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen und das Konkordat zwischen dem Land Niedersachsen und dem Heiligen Stuhl fortzuschreiben,
4. weiterhin am christlichen Religionsunterricht in den Schulen festzuhalten und ihn zu einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht weiterzuentwickeln,
5. den Religionsunterricht auf die Schuljahrgänge 1 bis 12 bzw. 13 und auf alle Schulformen auszuweiten,
6. ein Konzept zu erarbeiten, um den Bedarf an Religionslehrkräften zu decken und
7. den Reformationstag als gesetzlichen Feiertag in Niedersachsen anzuerkennen.“ (s. LT-Drs. 17/1102, S. 1f.)

Dazu gab die Humanistische Union folgende Stellungnahme ab:

Stellung­nahme der Humanis­ti­schen Union zum Antrag der CDU-Frak­tion im Nieder­säch­si­schen Landtag „Zwischen christ­li­cher Botschaft und dem Dienst am Gemeinwohl – Bedeutung der Kirchen in der Gesell­schaft anerkennen und unter­stützen“ (LT-Drs. 17/1102 v. 2.1.2014)

Die Humanistische Union e.V. ist eine weltanschauungsneutrale Bürgerrechtsorganisation mit Sitz in München und Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Seit ihrer Gründung 1961 setzt sie sich für den Schutz und die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte ein. Die Humanistische Union ist unter anderem bestrebt, durch ihr Handeln – ausweislich ihrer Satzung – „die ungehinderte Entfaltung aller weltanschaulichen, religiösen, philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Auffassungen in gegenseitiger Achtung“ zu fördern, als sich auch dafür einzusetzen, dass s jeder Bürgerin und jedem Bürger gestattet wird, „von den im Grundgesetz garantierten Rechten der individuellen Lebensgestaltung, der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnis-, der Meinungs-, Informations- und Koalitionsfreiheit ohne Furcht vor Nachteilen Gebrauch zu machen“.

Die Humanistische Union geht davon aus, dass das Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland – und damit auch das Land Niedersachsen – auf den Schutz der Religionsfreiheit, die staatliche Gleichbehandlung aller religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse und die Trennung von Staat und Religion verpflichtet. Von diesem Ausgangspunkt her wird zu den Forderungen im Antrag der CDU-Fraktion (LT-Drs. 17/1102) wie folgt Stellung genommen:

Zur 1. Forderung

Von der Landesregierung wird gefordert, sich zur christlichen Prägung des Landes Niedersachsen im gleichen Maße zu bekennen wie zum Respekt vor anderen Glaubensüberzeugungen. Offen bleibt in dem Antrag, mit welchen Maßnahmen diese Forderung umgesetzt werden soll.

Respekt vor Glaubensüberzeugungen, seien es christliche oder „andere“ – d.h. nicht christliche – zu haben, sollte für die Landesregierung eine Selbstverständlichkeit sein. Nicht selbstverständlich dagegen ist, dass gegenüber dem Christentum offenbar mehr als Respekt verlangt wird, nämlich ein „Bekenntnis“. Diese abstufende Differenzierung zwischen Christentum und anderen Glaubensbekenntnissen verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen. In Religionsangelegenheiten ist es der Landesregierung untersagt, ein spezielles „Bekenntnis“, auch in einem allgemeineren Sinn, zu haben. Die Forderung steht damit im Widerspruch zum Grundgesetz.

Zur 2. Forderung

Weiter soll die Landesregierung aufgefordert werden, die Kirchen in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu unterstützen. In dieser allgemeinen Formulierung verstößt die zweite Forderung gegen die verfassungsgebotene Trennung von Staat und Kirchen. Zwar darf der Staat selbstverständlich die Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben, sofern sie sich im Rahmen des Grundgesetzes verhält, nicht behindern. Aber zugleich darf er die Wahrnehmung kirchlicher Aufgaben nicht generell unterstützen. Er kann die Kirchen nur „unterstützen“, soweit sie im Bildungs- oder im sozialen Bereich tätig werden, und sich wie andere Träger um staatliche Aufgabenzuweisung und Gelder bewerben. Anhaltspunkte dafür, dass es in Niedersachsen oder andernorts geplant ist, die dergestalte bisherige finanzielle und ideelle staatliche Unterstützung für die kirchlichen Tätigkeiten einzuschränken, sind auch unter Berücksichtigung der Begründung des Antrags nicht erkennbar.

Zur 3. Forderung

Die Forderung nach Fortschreibung des Loccumer Vertrages und des Konkordats wird, auch in der Begründung, nicht näher erläutert. Da ein Fortschreibungsbedarf nicht genannt und nicht erkennbar ist, erübrigt sich eine Stellungnahme. Auch für die Verwirklichung der anderen Forderungen des CDU-Antrags bedarf es keiner Änderung oder Fortschreibung der geltenden Verträge. Erwähnt sei dennoch, dass Staatskirchenverträge verfassungsrechtlich, insbesondere auf die intendierte Bindung des Gesetzgebers, bedenklich sind.

Zur 4. Forderung

Religionsunterricht wird nach Artikel 7 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“. Das bedeutet nach unbestrittener Auffassung aller Beteiligten (vgl. BVerfG Urt. v. 25.2.1987, BVerfGE 74, 244; M. Heckel, Neue Formen des Religionsunterrichts?, Festschrift Starck, 2007, S. 1093/1110), dass die konfessionelle Ausrichtung des Unterrichts von den jeweiligen Religionsgemeinschaften bestimmt wird, nicht vom Staat. Daher kann sich die Frage, ob, wie und ggf. in welchem Umfang der konfessionell getrennte christliche Unterricht zu einem gemischt-konfessionellen christlichen Unterricht weiterentwickelt werden soll, allein an die beiden christlichen Kirchen und nicht an die Landesregierung richten. Diese darf gar nicht im Sinne einer gezielten Weiterentwicklung zu einem gemischt-konfessionellen christlichen Unterricht tätig werden. Ob überhaupt ein bi-konfessioneller evangelisch-katholischer Unterricht staatskirchenrechtlich (derzeit) als zulässig betrachtet werden kann, ist jedenfalls in der Rechtswissenschaft umstritten: gegen eine solche Zulässigkeit wendet sich vehement M. Heckel (a.a.O., S. 1119-1121); dafür von Campenhausen/de Wall (Staatskirchenrecht, 4. Aufl. 2006, S. 215) und unter bestimmten Voraussetzungen („gerade noch verfassungskonform“) Ch. Link (Religionsunterricht in Deutschland, ZevKR 47 (2002) S. 449/460).

Im Übrigen ist mit Blick auf Artikel 7 Absatz 3 GG zu bedenken, dass in Frage steht, ob es überhaupt Sache des Staates ist, den Religionsunterricht zu stärken.

Zur 5. und 6. Forderung

Angesichts der auch aus der Begründung erkennbaren Einschätzung der antragstellenden Fraktion, das Land müsse mehr für die Erteilung von Religionsunterricht tun, empfiehlt sich ein empirischer Blick auf die Entwicklung und den Stand des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts in Niedersachsen. Die Erteilung von Religionsunterricht ist – worauf in der ersten Lesung des Antrags im Landtagsplenum am 24.1.2014 bereits hingewiesen wurde (Abg. Poppe, Protokolle 17. WP S. 2549) – bereits jetzt in allen Klassenstufen und allen Schulformen vorgesehen. Nach der Schulstatistik 2012/2013 des Niedersächsischen Kultusministeriums ist an den allgemeinbildenden Schulen die Zahl der Lehrkräfte seit 1990 um rd. 18,5 Prozent auf 67.527 gestiegen, während die Zahl der Lehrkräfte mit Lehrbefähigung in evangelischer und katholischer Religion in diesem Zeitraum um mehr als 50 Prozent auf 11.151 Lehrkräfte gestiegen ist. Im gleichen Zeitraum ist die Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler um 9 Prozent gestiegen, die Zahl der evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schüler jedoch um 8,5 Prozent gesunken.

Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass 1990 jede 8. Lehrkraft die Lehrbefähigung für evangelische oder katholische Religion hatte, im Jahr 2012 bereits jede 6. Lehrkraft. Auf jeden Religionslehrer (evangelisch oder katholisch) kamen im Jahre 1990 noch rd. 88 Schülerinnen und Schüler christlichen Bekenntnisses, im Jahre 2012 nur noch 52 Schülerinnen und Schüler. Demgegenüber kamen im Jahre 2012 auf jede ausgebildete Lehrkraft im Fach Werte und Normen rd. 300 Schülerinnen und Schüler.

Aus den Zahlen wird ersichtlich, dass die Versorgung der öffentlichen Schulen mit Fachlehrerinnen und -lehrern für evangelische und katholische Religion (ohne die kirchlichen Lehrkräfte aufgrund der Gestellungsverträge) in Niedersachsen in den letzten 22 Jahren extraordinär verbessert worden ist, der Einstellungskorridor für entsprechend ausgebildete Lehrkräfte gegenüber solchen anderer Fachrichtungen also unverhältnismäßig groß gewesen ist. Der Bedarf an Religionslehrkräften dürfte mehr als gedeckt sein, während der Bestand an ausgebildeten Lehrkräften für Werte und Normen (465) bei weitem nicht die Nachfrage (139.000 Schülerinnen und Schüler, das sind nahezu 17 Prozent der Schülerpopulation) abdeckt. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung kann man daher von einer außerordentlichen Privilegierung der Unterrichtsversorgung im Fach Religion sprechen. Wenn die Lehrkräfte mit der Lehrbefähigung evangelische oder katholische Religion nicht in diesen Fächern, sondern tatsächlich vermehrt in anderen Fächern, für die sie eine Lehrbefähigung besitzen, eingesetzt werden, dürfte auch die Ausbildung und Einstellung von noch mehr Religionslehrkräften nichts nützen, sondern die Ungleichgewichtigkeit noch verstärken. Religion ist zwar ordentliches Unterrichtsfach in der Schule, aber kein zu bevorzugendes Unterrichtsfach.

Zur 7. Forderung

Angesichts des Umstandes, dass der Anteil der Kirchenmitglieder, gerade im Bereich der evangelischen Kirche, seit Jahrzehnten deutlich zurück geht (weniger als 30% der deutschen Bevölkerung gehören der evangelischen Kirche an, in Niedersachsen noch etwa 48%), ist die Einführung eines weiteren christlich-evangelisch motivierten, gesetzlichen Feiertags zusätzlich zu den bestehenden 8 christlichen Feiertagen in Niedersachsen u.E. jedenfalls unter Paritätsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, zumal anderen Religionsgemeinschaften, namentlich dem Islam, im Feiertagsrecht bisher keine Anerkennung gewährt wurde. Mit Blick auf die Trennung von Staat und Religion ist zudem zu fragen, ob überhaupt – jenseits von Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV – neue religiös motivierte Feiertage gewährt werden sollten.

Johann-Albrecht Haupt und Dr. Kirsten Wiese
für die Humanistische Union e.V.

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