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Entwurf eines "Gesetz über die Grundsätze zur Ablösung der Staats­leis­tungen an die Kirchen"

18. April 2011

Seit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 sieht unsere Verfassung vor, dass die allgemeinen, nicht zweckgebundenen Zahlungen des Staates an die Kirchen abzulösen (= einzustellen) sind. Hierfür soll der Bund ein Gesetz erlassen. Das ist bisher nicht geschehen. Die Humanistische Union legt hiermit einen entsprechenden Entwurf vor.

§ 1

Für die Ablösung der Staatsleistungen nach Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 138 Abs. 1 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 gelten folgende Grundsätze:

1. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Ansprüche gegen die Länder auf Staatsleistungen gelten als durch Zahlung seit 1919 bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes abgelöst.

2. Entgegenstehende Vereinbarungen zwischen den Ländern und den Kirchen, durch welche Staatsleistungen begründet, erneuert, bestätigt oder näher bestimmt werden, sind aufzuheben.

3. Neue allgemeine Staatsleistungen an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sind unzulässig.

§ 2

Dieses Gesetz tritt in Kraft am …

Zur Begründung

1. Ausgangs­lage

Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (im Folgenden: WRV) sah in Art. 138 Abs. 1 vor, dass die bis dahin gewährten, auf Gesetz, Vereinbarung oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften abzulösen seien; faktisch handelte es sich um Leistungen an die katholische Kirche und die evangelischen Landeskirchen. Der deutsche Verfassungsgeber von 1919, dessen Willen vom Verfassungsgeber des Jahres 1949 insoweit übernommen worden ist (Artikel 140 Grundgesetz), wollte damit der Trennung von Staat und Kirche auch in finanzieller Hinsicht Geltung verschaffen. Dies geschah vor dem Hintergrund der zeitgleichen allgemeinen Einführung des kirchlichen Besteuerungsrechtes (Art. 137 Abs. 6 WRV), das es den Kirchen als korporierte Religionsgemeinschaften (Artikel 137 Abs. 5 WRV) ermöglichte, sich die für die Erledigung der eigenen Aufgaben erforderlichen Einnahmemittel von ihren Mitgliedern in Anlehnung an die staatlichen Steuern mit staatlicher Vollstreckungshilfe zu beschaffen.

Die bis 1919 von den Ländern gewährten Staatsleistungen sollten den Kirchen jedoch nicht übergangslos entzogen werden, sondern man wollte ihnen eine Übergangsfrist zubilligen, innerhalb derer sie sich nach Beendigung des landesherrlichen Kirchenregiments und der damit verbundenen Religionsfürsorge auf die neue staatsrechtliche Lage einrichten konnten. Die Ablösung durch die Ländern sollte vom Gesetzgeber noch aufzustellenden reichsgesetzlichen Grundsätze folgen; diese sind jedoch weder unter der Geltung der Weimarer Reichsverfassung noch, nachdem das Grundgesetz Artikel 138 WRV übernommen hatte, bisher unter der Geltung des Grundgesetzes vom Gesetzgeber aufgestellt worden.
Die Staatsleistungen sind von den Ländern an die Diözesen und Landeskirchen kontinuierlich gezahlt worden, und zwar sowohl während der Weimarer Republik und während der Zeit der Hitler-Diktatur, als auch nach 1945 sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in der Deutschen Demokratischen Republik. Ausgenommen sind die Stadtstaaten Bremen und Hamburg, in denen es auch vor 1919 keine Staatsleistungen gab. Die Höhe der Staatsleistungen ist zwischen den Ländern und den Diözesen bzw. Landeskirchen einvernehmlich festgestellt und entsprechend etatisiert worden, später sind darüber Regelungen in den seit Mitte der fünfziger Jahre abgeschlossenen Kirchenverträgen und Konkordaten getroffen worden, nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch in den Ländern der ehemaligen DDR. Diese Vereinbarungen sehen im Allgemeinen eine Veränderung der Höhe der Staatsleistungen nach dem Maßstab der Entwicklung der Beamtenbesoldung vor. Im Einzelnen wird auf die beigefügte Aufstellung der kirchenvertraglichen Regelungen in der Anlage 1 verwiesen.

Die Gesamtsumme der Staatsleistungen gem. Art. 138 WRV i.V.m. Art. 140 GG beträgt nach dem Stand von 2009 rd. 450 Mio Euro. Im Einzelnen wird auf die beigefügte Nachweisung der Veranschlagung in den Haushaltsplänen der Länder in der Anlage 2 verwiesen.

2. Zu § 1 Nr. 1

Die weitere Zahlung von Staatsleistungen entspricht nicht der grundsätzlichen Trennung von Staat und Kirchen. Staatliche Aufgaben sind vom Staat, kirchliche Aufgaben von der jeweiligen Religionsgemeinschaft eigenverantwortlich zu erledigen. Die allgemeine Finanzierung kirchlicher Aufgaben gehört nicht zu den staatlichen Aufgaben. Dem Staat ist es nicht erlaubt, unter Verstoß gegen das Gebot der religiösen oder weltanschaulichen Neutralität bestimmten Religionsgemeinschaften Vorteile zu gewähren. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Weitergewährung von Staatsleistungen für einen Übergangszeitraum ist entfallen, jedenfalls seitdem dieser Übergangszeitraum jetzt mehr als 90 Jahre beträgt. Die Ablösung trifft die betroffenen Religionsgemeinschaften auch nicht unverhältnismäßig hart, da der allgemeine Finanzbedarf der Kirchen überwiegend durch Kirchensteuermittel und andere Einnahmen aus kirchlichem Vermögen (Zinserlöse, Vermietung, Verpachtung) sowie Spenden gedeckt wird. Der Beitrag der Staatsleistungen zur Bedarfsdeckung der Kirchen liegt weit unter 5 v.H. der Gesamteinnahmen.

Die weitere Gewährung eines „Übergangszeitraums“ ist nicht erforderlich, da die bisherigen Leistungsempfänger sich seit langem auf die Beendigung der Zahlungen einstellen konnten. Die Zahlung eines besonderen Entschädigungsbetrages kommt nicht in Betracht, da bereits in den jahrzehntelang erfolgten Leistungen der Länder die mit dem Begriff der Ablösung möglicherweise verbundene Entschädigung liegt.

3. Zu Abs. 1 Nr. 2

Aus der bundesverfassungsrechtlichen Unzulässigkeit von allgemeinen Staatsleistungen an Religionsgemeinschaften ergibt sich, dass entgegenstehende landesrechtliche Bestimmungen in den Kirchenverträgen bzw. Konkordaten gegen das Grundgesetz verstoßen; dieser Verstoß ist durch Aufhebung der entgegenstehenden Teile in den Verträgen zu beseitigen. Sollte eine einvernehmliche Vertragsänderung nicht zu erzielen sein, ist auch ohne Kündigungsklausel im Vertrag eine Vertragskündigung unter dem Gesichtspunkt der Veränderung der Vertragsgrundlagen möglich.

4. Zu Abs. 1 Nr. 3

Das Verbot der Neubegründung von allgemeinen Staatsleistungen ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften. Unbeschadet des Verbots allgemeiner Staatsleistungen sind selbstverständlich Zuwendungen des Staates zur Erfüllung bestimmter Zwecke bei Beachtung der allgemeinen Rechtsregeln auch an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zulässig, wenn der Staat (Bund oder Länder) an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, also z.B. im Bereich der Schulen, der Kindertagesstätten, des Sozial- und des Gesundheitswesens, des Denkmalschutzes, der Entwicklungshilfe u.v.a.m.

5. Zu § 2

Eine weitere Übergangsfrist könnte abweichend von dem oben Gesagten (Begründung zu § 1 Nr. 1 letzter Absatz) faktisch dadurch gewährt werden, dass ein Hinausschieben des Inkrafttretens vorgesehen wird.

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