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Berliner Ethik­un­ter­richt: Sechs häufige Kritiken

31. August 2006

Gerd Eggers

In den zurückliegenden Jahren gab es in Berlin von den Kirchen, CDU und FDP verschiedene Vorwürfe und Kritik zu einem Ethikfach für alle. Bei gründlicher Betrachtung und Analyse wird jedoch deutlich, dass sie aus jeweils verschiedenen Gründen gegenstandslos sind.

In der öffentlichen Debatte gibt es immer wiederkehrende Kritik und Vorwürfe am neuen Berliner Ethikunterricht, auf die wir im Folgenden eingehen:

1. Das Fach biete keine verlässliche Werteorientierung und vertrete eine Wertebeliebigkeit wie ein „Potpourri von Werten“.

Richtig ist: Das Fach Ethik stützt sich in seiner Wertorientierung auf die Landesverfassung, das Grundgesetz und die universellen Menschenrechte, die für das friedliche Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen und Weltanschauungen verbindlich und unabdingbar notwendig sind. Zudem sollen sich Schülerinnen und Schüler im Ethikunterricht über Regeln, Normen und Werte in verschiedenen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen austauschen und sich einen ethischen Minimalkonsens für das Zusammenleben erarbeiten. Das Fach leistet damit einen besonderen Beitrag zur Integration von Schülern unterschiedlicher Herkunft in Schule und Gesellschaft.

2. Dem Staat sei es untersagt, Ethik als Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler einzuführen.

Das ist falsch, wie ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1998 zum Ethikunterricht belegt (siehe dazu Punkt 5). Nach dem Berliner Schulgesetz sind im Übrigen alle allgemeinbildenden Fächer verpflichtet, grundlegende Werte der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft allen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln. Bundesländer können außerdem ein spezielles Pflichtfach für die Wertevermittlung einrichten. Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften können in Berlin in ihren bekenntnisgebundenen Fächern darüber hinaus wie bisher den daran interessierten Schülerinnen und Schülern ihre besonderen Wertvorstellungen, Weltsichten und Traditionen vermitteln.

3. Ein Pflichtfach Ethik verletze die Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen wertorientierenden Fächern wie z.B. zwischen Religions- und Weltanschauungsunterricht. Diese Freiheit sei nur in einem Wahlpflichtbereich gegeben.

Hier wird der wesentliche Unterschied zwischen allgemeinbildenden Fächern und bekenntnisgebundener Spezialbildung verkannt. „Ein bekenntnisgebundener Religions- und Weltanschauungsunterricht kann ein allgemeinbildenes Fach nicht ersetzen.“[1] „Der Staat ist souverän und auch berechtigt, neue Unterrichtsfächer einzuführen, wenn er dies bildungspolitisch und/oder pädagogisch für erforderlich hält.“[2] Schülerinnen und Schüler, die darüber hinaus einen Bekenntnisunterricht wünschen, haben auch weiterhin in Berlin die freie Wahl zwischen den Angeboten unterschiedlicher Konfessionen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.[3] Im Übrigen käme niemand auf die Idee, von den allgemeinbildenden Fächern Sozialkunde bzw. Politische Bildung eine Abmeldemöglichkeit für den Besuch spezieller Unterrichtsangebote von politischen Parteien einzuräumen.

4. Der Religions- und Weltanschauungsunterricht werde durch das Fach Ethik aus den Schulen verdrängt.

Bei genauerem Hinsehen erweist sich auch dieser Vorwurf als nicht stichhaltig. Wie schon in Punkt 3 deutlich wurde, bleibt die Wahlmöglichkeit unter den Angeboten der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften neben dem Ethikunterricht erhalten. Außerdem wird das neue Fach Ethik erst ab der 7. Klasse eingeführt. In den Grundschulen wird überhaupt nichts an den Bedingungen des Religions- und Weltanschauungsunterrichts geändert, der dort von 75 Prozent der Berliner Schülerinnen und Schüler besucht wird. Darüber hinaus wurde durch das Schulgesetz den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die Möglichkeit eröffnet, in Kooperationsprojekten mit dem Ethikunterricht alle Schülerinnen und Schüler themenbezogen mit ihren Wertvorstellungen, Weltsichten und Traditionen bekannt zu machen.

5. Ein Ethikfach für alle Schüler sei verfassungswidrig.

Dieser Vorwurf hat sich spätestens durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde von mehreren Eltern und Schülern, vertreten durch die Rechtsanwälte Reymar und Hasso von Wedel durch das Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen 1 BvR 1017/06) als nicht relevant erwiesen. Das Gericht empfahl den Beschwerdeführern, bei der Schulbehörde eine individuelle Befreiung zu beantragen bzw. ihre Kinder auf eine konfessionelle Privatschule zu schicken. Bereits 1998 hatte das Bundesverwaltungsgericht klargestellt: „Der Landesgesetzgeber wäre nicht gehindert, einen Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler vorzusehen und in Kauf zu nehmen, dass die am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler im Verhältnis zu den anderen Schülern zusätzliche Schulstunden haben.“ (BVerwG 6 C 11.97, S. 15 – aus Anlass einer Klage aus Baden-Württemberg)

6. Religionskunde könnten nur Religionslehrkräfte kompetent erteilen.

Diese Behauptung verkennt den grundlegenden Unterschied zwischen einem bekenntnisgebundenen Religionsunterricht und einer allgemeinbildenden Religionskunde. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1987 ist es der Gegenstand des konfessionellen Religionsunterrichts, in bestimmte Glaubensüberzeugungen einzuführen. „Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe.“ ( BVerfGE Bd. 74, S. 244) Das bedeutet zugleich, dass im Bekenntnisunterricht andere Religionen und Weltanschauungen von den je eigenen konfessionellen Wahrheitsansprüchen aus betrachtet und beurteilt werden.

Dem gegenüber ist es die Aufgabe des Ethikunterrichts, ein Grundwissen und eine Gesprächsfähigkeit über die wichtigsten Religionen und Weltanschauungen zu vermitteln, ohne bekenntnisgebundene Bewertungen damit zu verbinden. Negative Erscheinungen wie religiöser und weltanschaulicher Fundamentalismus werden jedoch als solche kritisch nach dem Maßstab von Grundgesetz und Menschenrechten beurteilt.

Aus dem Arbeitspapier „Ethikunterricht für alle“
des Forums für ein gemeinsames Wertefach

Anmerkungen:

[1] Bildungspolitischer Beschluss der Berliner SPD vom 9.4. 2005

[2] Landesdelegiertenversammlung der GEW, 25./26.5. 2005, Beschluss Nr. 6

[3] Gegenwärtig wird durch das Land Berlin trotz seiner Haushaltsnotlage der Bekenntnisunterricht zu 90 Prozent bezuschusst (Personalkosten). Das betrifft folgende Angebote: Evangelischer Religionsunterricht, Humanistische Lebenskunde, katholischer Religionsunterricht, islamischer (sunnitischer und alevitischer) Religionsunterricht, jüdischer Religionsunterricht, buddhistischer Religionsunterricht und griechisch-orthodoxer Religionsunterricht.

Kategorie: Religion: Schule

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