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Stellung­nahme: Praktische Philosophie - Anhörung zum Schul­ver­such in NRW

18. März 1997

Ursula Neumann

Geschichte des Religionsunterrichts und der sog. Ersatzfächer. Was bewirkt Religionsunterricht? Kann der Staat seinen Erziehungsauftrag an den kirchlichen Religionsunterricht delegieren? Was wollen SchülerInnen und Eltern? Die Inkonsistenz der Pro-„Ersatzfach“- Argumentation.

Langfassung vom 18.03.1997

1. Geschichte des Religi­ons­un­ter­richtes und der sogenannten „Ersatz­fä­cher“ in Deutschland

Die Geschichte des Religionsunterrichts und der sogenannten „Ersatzfächer“ ist die Geschichte einer Expansion kirchlichen Einflusses auf die Schule bei gleichzeitigem Verlust des Einflusses auf die Gesellschaft.

Im Gefolge der ’68er meldeten sich zunehmend Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht ab. Dies rief die Kirchen auf den Plan. Ihre Forderung nach Ethikunterricht ist die Forderung nach einem Fach, das als Damm gegen die „Abmeldewelle“ fungieren sollte: „Konfessioneller Religionsunterricht ist … das einzige Fach, von dem sich der Lernende (in der Mehrzahl der Bundesländer ersatzlos) abmelden kann. Die Synode begrüßt deshalb die Einführung eines Unterrichtsfaches, das alle Schüler besuchen, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen… Durch ein solches Fach werden Unzuträglichkeiten gemildert, die sich aus der Sonderstellung eines Faches mit Abmeldemöglichkeit ergeben. Die Einführung eines solchen Faches trägt wesentlich dazu bei, daß die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am Religionsunterricht Gewissensentscheidung ist und Kollektivdruck vermindert. Sie erleichtert es auch, sachgerechte Anforderungen an die Leistungen der Schüler im Religionsunterricht zu stellen.“ Wenn der Religionspädagoge Gert Otto mit Blick auf die sogenannten Ersatzfächer behauptet: „Wir haben den einmaligen Fall in der Schulgeschichte, daß ein Fach nicht aus didaktischen sondern aus schulrechtlichen Überlegungen eingeführt worden ist“, so ist das nur die halbe Wahrheit: Nicht schulrechtliche Überlegungen waren ausschlaggebend, sondern kirchliches Begehren, demgegenüber sich die Länder willfährig zeigten.

Nordrhein-Westfalen scheint eine Ausnahme von dieser Regel darzustellen. War die Regierung hier widerstandsfähiger? Mitnichten. Vielmehr ist gerade dieses Fehlen eines sogenannten Ersatzfaches ein Beleg für die Richtigkeit meiner Behauptung. Denn in Nordrhein-Westfalen waren die Kirchen gegen die Einführung – also blieb alles beim alten. In dem Augenblick aber, da sie ihre Meinung geändert haben, setzt sich nun die Kultusbürokratie in Marsch und entdeckt die Wichtigkeit eines Faches für Werteerziehung.

Willfährigkeit der Politik“ klingt nach Charakterschwäche. Eine solche mag auch mitspielen, aber ein moralisches Urteil ersetzt nicht die Analyse. Geht man der Frage nach, wieso die Kirchen ihre Wünsche derart erfolgreich durchsetzten und durchsetzen, so scheint mir ein Zusammenspiel aus folgenden drei Faktoren entscheidend:

a) Die Durchsetzung des kirchlichen Sprachgebrauchs

Den Kirchen gelang die Implementierung von Worten und es gelang ihnen, die Bedeutung dieser Worte zu bestimmen. Der Erfolg dieser Strategie ist nicht so wunderbar, wie es auf den ersten Blick aussieht: PolitikerInnen bzw. die Kultusbürokratie sind mit vielen Dingen beschäftigt, sie haben kein vergleichbares Interesse wie die Kirchen an einer bestimmten Wortwahl. Es ist verständlich, daß sie mehr oder minder gedankenlos den Sprachgebrauch derer übernehmen, die interessiert sind und die ihnen als Experten gelten.
Dazu drei Beispiele:

  • Der Wandel des Sprachgebrauchs vom „ordentlichenchen Lehrfach“ zum „Pflichtfach“
  • Die Implementierung des Begriffs „Ersatzfach“
  • Der aktuelle Versuch den Begriff „religiöse Dimension des Lernens“ gebräuchlich zu machen.

Der Wandel des Sprachgebrauchs vom „ordentlichen Lehrfach“ zum „Pflichtfach“
Art 7.3 GG spricht vom Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach. Lange war klar, was damit gemeint ist: Der Staat ist verpflichtet, dieses Fach angemessen auszustatten. Entsprechend heißt es im Verfassungskommentar von Zinn und Stein von 1954: „Als ordentliches Lehrfach ist der Religionsunterricht nur ein relatives Pflichtfach. Er ist Pflichtfach als lehrplanmäßiges Pflichtfach nach Art 7, Abs. 3 S 1 GG, 57 HV (…) und persönliches Wahlfach nach Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3, S. 3 GG, Art 58 HV, mithin Pflichtfach nur für die Schulen, nicht für die Lehrer und Schüler…“ An dieser Deutung nagen die Kirchen. 1975 spricht der Staatskirchenrechtler Link vom Religionsunterricht als einem „Pflichtfach mit verfassungsverbürgter Befreiungsmöglichkeit“ Und mehr oder minder prompt übernehmen die Kultusbürokratien diese Interpretation, z.B. Baden-Württemberg: „Der Religionsunterricht ist… ordentliches Lehrfach. Damit ist jeder Schüler… grundsätzlich zur Teilnahme am Religionsunterricht seines Bekenntnisses verpflichtet.“ Aus dem „ordentlichen Lehrfach“ wurde ein „Pflichtfach“. Was als Angebot an Schülerinnen und Schüler anfing, wird inzwischen als Fach mit Teilnahmepflicht verstanden. Diese Interpretation wird verstärkt durch die Zurückdrängung des Begriffes „Abmeldung vom Religionsunterricht“ durch „Befreiung vom Religionsunterricht“. Im Zusammenhang mit der Einführung des Faches Praktische Philosophie ist diese falsche Formulierung in ärgerlicher Weise bereits gang und gäbe. Eine Abmeldung ist aber etwas anderes als eine Befreiung. Bei einer Abmeldung handelt die sich abmeldende Person aktiv, aus eigenem Entschluß und selbstbestimmt. Bei einer Befreiung wird auf Antrag und möglicherweise nur unter bestimmten Bedingungen etwas gewährt.

Die Implementierung des Begriffs „Ersatzfach“
Ein veränderter Sprachgebrauch verändert nicht nur die Wahrnehmung der Realität sondern schafft eine andere Realität. Dies wurde von den Kirchen bei der Durchsetzung des Begriffes „Ersatzfach“ erkannt und genutzt. Den PolitikerInnen war die Angelegenheit naturgemäß nicht so wichtig, da ging „Alternativfach“ und „Ersatzfach“ munter durcheinander. Der hessische Kultusminister machte sich sogar Gedanken und erklärte 1977 „Ich vermeide bewußt das etwas abfällige Wort ‚Ersatzunterricht‘.“ Auch in der Stellungnahme von Erwin Menne zum Fach Praktische Philosophie in NRW taucht die Erkenntnis auf, daß dieses Wort „einen abwertenden Akzent“ habe. Die Einsicht bleibt folgenlos, er spricht im weiteren Verlauf unverändert vom „Ersatzfach“. Seine und anderer Leute Gleichgültigkeit wird nicht folgenlos bleiben: Ein Ersatzfach ist nicht nur von der Konnotation ein Fach minderen Ranges, sondern auch rechtlich. Wenn Ethikunterricht bzw. Praktische Philosophie nur „Ersatzunterricht“ für den Religionsunterricht ist, bedeutet das konkret: Überall dort, wo Religionsunterricht ausfällt, darf kein Ersatzfachunterricht stattfinden. Der Begriff hat die Funktion, keine Konkurrenz aufkommen zu lassen. Deshalb ist das diesbezügliche kirchliche Engagement nicht verwunderlich. So führte der Freiburger Domkapitular Huber 1979 aus: „Die Kirchen legen Wert auf die Sprachregelung: Ersatzfach, nicht Alternativfach. Das Ersatzfach kann nicht statt Religionsunterricht gewählt werden (so würde das Fach Katholische oder Evangelische Religionslehre seinen Status ändern, nämlich vom Pflicht- zum Wahlpflichtfach). Das Fach Religionslehre kann nicht zu Gunsten des Ersatzfaches abgewählt werden, es bedarf der Abmeldung aus Glaubens- und Gewissensgründen. Diese Regelung ergibt sich aus der Stellung des Religionsunterrichts in Grundgesetz und Landesverfassung.“ Eins kommt zum anderen und am Ende der verqueren Logik – man glaubt es nicht, wenn man es nicht mit eigenen Augen liest – werden die Kirchenleute zu Verfassungshütern, indem sie auf dem Begriff „Ersatzfach“ bestehen, weil sonst der Charakter des Religionsunterrichts als „Pflichtfach“ in Frage gestellt wäre!

Der aktuelle Versuch den Begriff „religiöse Dimension des Lernens“ gebräuchlich zu machen.
Mit der „religiösen Dimension des Lernens“ bahnt sich Ähnliches an. Mit diesem Begriff soll die Notwendigkeit des Religionsunterrichts bzw. eine Alternativfachs belegt werden. Zunächst wird in Religionswissenschaft und Religionssoziologie der Begriff „Religion“ anders und wesentlich weiter verstanden wird, als es diejenigen tun dürften, die dieses Wort im Munde führen: Dort gilt – je nach AutorIn – auch die Begeisterung auf dem Fußballplatz, der Massenaufmarsch der Nazis, die Verehrung des Rockstars, der Glaube an den Geistheiler als „religiös“. Daneben erinnert die „religiöse Dimension des Lernens“ an das, was eine Zeitlang mit dem Begriff „Trieb“ geschah. Von zwei, drei Trieben ausgehend entdeckten WissenschaftlerInnen in ihren Forschungen immer neue Triebe – die sie sich vermutlich patentieren ließen – in meiner Studienzeit war man auf etwas über zweihundert angelangt. Die Tendenz ist, wie ich höre, inzwischen rückläufig.

Als Psychologin und Psychoanalytiker in mir eine „religiöse Dimension des Lernens“ unbekannt. Auch als gelernte Theologin, mit achtjähriger Unterrichtspraxis, Tätigkeit im Schulreferat einer Diözese und Mitgliedschaft in einer Lehrplankomission, ist mir dieser Begriff so weit ich mich erinnere nie begegnet. Ich schloß daraus, daß es sich um eine Entdeckung neueren Datums handeln müsse, und schrieb an einen Professor der Pädagogik, der bis vor einigen Jahren den Lehrstuhl für Religionspädagogik inne hatte. Der Professor konnte mit meiner Frage nichts anfangen und wandte sich deshalb mit Bitte um Aufklärung an das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen: „… Ist im Zusammenhang der Einführung des Faches oder in den entsprechenden Dokumenten von der ‚religiösen Dimension des Lernens‘ die Rede, die die Schule zu beachten oder zu leisten habe? Was bedeutet das genau? Gibt es eine Bezugsliteratur, aus der diesbezüglich etwas entnommen werden kann?“ Die Antwort lautet etwas unbefriedigend knapp: „Nein, in dieser Form nicht.“

Nichtsdestoweniger darf man überzeugt sein, daß in Kürze diese Redewendung im kirchlichen Sprachgebrauch vermehrt auftaucht, daß die PolitikerInnen und sonstige Laien sich zunächst ihrer Ignoranz schämen werden, mit der Folge, daß der Begriff von kirchlicher Seite nach Belieben inhaltlich gefüllt werden kann und in längstens 3 Jahren der Kultusministerin locker von den Lippen kommen wird.

b) Die Expansion der kirchlichen Position

Durchsetzung der Benotung und Versetzungsrelevanz des Faches Religion
Religionsunterricht wurde zunächst weder benotet – in Bayern bis weit in die siebziger Jahre – , noch war das Fach versetzungsrelevant. Als insbesondere die katholische Kirche in Baden-Württemberg 1954 einen ersten diesbezüglichen Vorstoß machte, wurde dieser vom Landtag zurückgewiesen: „Die Neuregelung könne auch zu einer Benachteiligung der Kinder führen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, und widerspreche daher klar den Bestimmungen des Grundgesetzes“ hieß es. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.7.1973 , wurde laut Link die Frage „höchstrichterlich“ im Sinne der Kirchen entschieden. Dies ist wiederum eine halbwahre Aussage, denn der Leitsatz des Urteils lautet: „Das Grundgesetz gebietet nicht, daß der Religionsunterricht bei der Versetzungsentscheidung berücksichtigt wird, verbietet dies aber auch nicht, sondern läßt insoweit den Ländern als Trägern der Schulhoheit einen Spielraum offen“. Im Sinne der Kirchen entschieden sich allerdings ausnahmslos die Länder. Heute sind Reli-Noten und Versetzungsrelevanz so selbstverständlich, daß diejenigen, die zurück zu den Ursprüngen wollten, des Verfassungsbruchs geziehen würden. Aber auch wenn das Staatskirchenrecht derzeit noch fest in der Hand kirchlicher und kirchennaher Autoren ist, erscheint eine Wende in der Rechtsprechung möglich: Im Bereich des Arbeitsrechtes ist bereits eine Abkehr von allzu bereitwilliger Übernahme kirchlicher Maximalvorstellungen hin zu einer Rechtsprechung, bei der die Wahrung der Grundrechte der BürgerInnen im Vordergrund steht, erkennbar.

Verschärfung der Abmeldemodalitäten
Weniger gravierend aber ebenso symptomatisch sind die im Lauf der Zeit immer restriktiveren Bestimmungen zur Abmeldung vom Religionsunterricht: Zunächst bedurfte es – bei religionsmündigen SchülerInnen – nur einer mündlichen Erklärung, die jederzeit abgegeben werden konnte. Heute ist meines Wissens überall die schriftliche Form vorgeschrieben, und die Abmeldung lediglich innerhalb eines kurzen Zeitraums zu Beginn des Schul(halb)jahres möglich. Rechtswidrige oder mindestens fragwürdige Schikane, deren Zweck auf der Hand liegt, runden das Bild ab.

Mitspracherecht bei der Einrichtung von Alternativfächern
Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, wird den Kirchen ein Mitspracherecht bei der Einrichtung und Gestaltung des Faches Ethik/Werte und Normen/Praktische Philosophie zugestanden. Das hat sich seit den Anfangszeiten so eingebürgert, daß niemand mehr die ebenso naheliegende wie berechtigte Frage stellt: Wieso eigentlich? Der unglückselige Pressesprecher des Ministeriums für Schule und Weiterbildung ist ein Beispiel für diese gedankenlose Selbstverständlichkeit, wenn er in einem Leserbrief an die FAZ ausplauderte „Für die ‚Praktische Philosophie‘ gibt es ein mit den Kirchen abgestimmtes Grundkonzept. Auf dieser Grundlage wird das Curriculum für das neue Fach entwickelt.“

Es mag angehen, auch TheologInnen in entsprechenden Lehrplankommissionen teilnehmen zu lassen. Aber diese Teilnahme muß sich in angemessenem Rahmen halten. Tatsächlich sind aber kirchliche VertreterInnen in aller Regel die einzige „Fremdgruppe“ bei solchen Veranstaltungen : Keine Vertreter der Gewerkschaften, keine Beteiligung von Menschenrechtsorganisationen, keine Medienfachleute, keine PsychologInnen und MedizinerInnen, keine Umweltorganisationen usw., wenig PhilosophInnen und kaum ReligionswissenschaftlerInnen. Man redet von Werteerziehung und tut so, als gäbe es dafür nur eine Expertengruppe: Die Theologen. Die Fragen der Veränderung der Arbeitswelt, die neue soziale Frage, Weltwirtschaft und Menschenrechte, Informationsgesellschaft, Bioethik und Gentechnologie um nur einige zu nennen: Haben für all diese Probleme nur Theologen den notwendigen Sachverstand?
Es geht aber nicht nur um die Engführung des Stoffes durch die Zusammensetzung der Lehrplankommissionen, sondern auch um die Folgen, die es hat, wenn die Konkurrenz – und die Kirchenvertreter sind die Konkurrenz! – immer mit am Tisch sitzt und über Rechtsstellung und fachliche Inhalte mitbestimmt.

„Aunting to death“ ist ein Begriff aus der Verhaltensforschung der Tiere. Damit wird das Phänomen beschrieben, daß bei manchen Affenarten Nachkommen von Artgenossen zunächst angefüttert und adoptiert werden, um sie dann – zugunsten der eigenen Brut – systematisch verkommen zu lassen. Die warme Fürsorge der Kirchen für das sogenannte Ersatzfach erinnert an diese Praxis. Zu Tode will man es zwar nicht kommen lassen – schließlich braucht man es ja als Disziplinierungsmittel gegen die Abmeldung. Aber die Kirchen werden zu verhindern wissen, daß ihr Ziehkind groß und stark wird! Jüngst schrieben die Deutschen Bischöfe: „Die kirchlichen Schulbehörden werden weiterhin ihre Hauptaufgabe in der Stützung des Religionsunterrichts sehen. Darüber hinaus sind sie bereit, im Rahmen der kirchlichen Mitverantwortung für das gesamte Schulwesen auch bei der Gestaltung des Ersatzfaches mitzuwirken, z.B. durch Hilfen bei der Lehrplanerstellung, bei Anhörungen der staatlichen Kultusbehörden oder der Aus-, Fort und Weiterbildung der Lehrkräfte für dieses Fach.“

Nächstes Ziel: „Mitver­ant­wor­tung für das gesamte Schulwesen“

Dieser Text ist noch aus einem anderen Grund interessant: Er zeigt das nächste Etappenziel der Kirchen auf: Ganz en passant taucht die „kirchliche… Mitverantwortung für das gesamte Schulwesen“ auf und es wird nicht lange dauern, da ist E.- W. Böckenförde Hinweis von 1980 vergessen, daß „das Grundgesetz ein eigenständiges und ursprüngliches Erziehungsrecht der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften nicht kennt.“ Von der „bildenden Kraft kirchlicher Religion“ führt der Weg geradewegs zum „Dienst am allgemeinen Bildungsauftrag, wozu die Kirche durch das Evangelium berufen und befähigt ist“ , und es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir beim „schulischen Bildungsauftrag“ der Kirchen angelangt sind. Die geistliche Schulaufsicht läßt grüßen!

Aufweichung des Konfessionsprinzips zum Zwecke Erschließung neuer Märkte
Das ist Zukunftsmusik, aktueller ist eine andere Tendenz zur Expansion: Die Aufweichung des Konfessionsprinzips insbesondere durch die evangelische Kirche. Es geht jetzt nicht um die Frage, ob ökumenischer Unterricht sinnvoll wäre, sondern wie von kirchlicher Seite mit der Verfassung umgesprungen wird nach dem Motto „Was Verfassung ist, bestimmen wir.“ Durch das Grundgesetz gedeckt ist eindeutig nur der Religionsunterricht, der nach den Grundsätzen einer Glaubensgemeinschaft für Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft durchgeführt wird. Dies ließ sich die evangelische Kirche vom Bundesverfassungsgericht 1987 nochmals ausdrücklich bestätigen. Inzwischen hat sie einen Kurswechsel eingeschlagen, der konsequent den Religionsunterricht als einer kirchlichen Dienstleistung in staatlichem Auftrag zur Wertevermittlung deutet. Der evangelische Bischof Huber meint: „Der Zugang zum Religionsunterricht ist nicht von der Konfessionszugehörigkeit der Schülerinnen und Schüler abhängig zu machen; vielmehr ist schulischer Religionsunterricht grundsätzlich für alle an ihm ernsthaft interessierten Schülerinnen und Schüler offen.“ Die katholische Kirche hält demgegenüber etwas stärker an einem Religionsunterricht im herkömmlichen Sinn fest. Der Unterschied erklärt sich möglicherweise aus der unterschiedlichen Bewertung des verfassungsrechtlichen Risikos einer konfessionellen Öffnung. Um die konfessionelle Öffnung zu ermöglichen, schreiben sich die Kirchen die alleinige Definitionsmacht darüber zu, was Religionsunterricht ist, – die Funktion des Staates ist auf die des Zahlmeisters beschränkt: „Wenn die Kirchen das Prinzip der konfessionellen Schülerhomogenität modifizieren, muß der Staat… diese Modifikation eines kirchlichen Grundsatzes hinnehmen und das Landesrecht dementsprechend anpassen…“ Diese „Modifikation“ sieht in Sachsen so aus, daß 46% der am evangelischen RU teilnehmenden SchülerInnen nicht getauft sind. Die Bestrebungen zu Fächerverbünden mit sozialwissenschaftlichen Fächern und Philosophie gehen in dieselbe Richtung.

Zwei Gründe für diese Entwicklung:

  • Die Kirchen werden nicht als Interessenverbände wahrgenommen
  • Die Kirchen beanspruchen das Monopol der Wertevermittlung – und noch wird ihnen geglaubt

Die Kirchen werden nicht als Interessenverbände wahrgenommen
Der Befund ist eindeutig – aber wie erklärt er sich?
Ein Hauptgrund ist: Alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, werden als das wahrgenommen, was sie mindestens auch, manchmal sogar ausschließlich sind: Interessenvertretungen. Wenn die Ärzteschaft dies und das für unabdingbar zum Wohle der PatientInnen von der Politik fordert, dann wissen wir alle, wie wir das zu nehmen haben: Da ist vielleicht was Wahres dran, aber unser Blick richtet sich zunächst auf die Interessenlage der Ärztinnen und Ärzte. Dasselbe gilt vom Arbeitgeberverband über den Bund der Steuerzahler, es gilt auch für Greenpeace und das Rote Kreuz bis zum Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Nur für die Kirchen gilt nicht die Frage nach dem eigenen Interesse, hier wird die Illusion gepflegt – und von den Kirchen sorgfältig gehegt – hier sei eine Institution die über allem Parteiengezänk und kleinlichem Eigeninteresse schwebe wie der Geist über den Wassern und nur eines im Sinn habe: Das Wohl des großen Ganzen. „Die Kirche verdient kein drittes Ohr, wo andere Verbände nur zwei Ohren bekommen“, meint der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Mahrenholz.

Die Kirchen beanspruchen das Monopol der Wertevermittlung – und noch wird ihnen geglaubt
Je offenkundiger die Unfähigkeit der Politik zur Herstellung eines Wertekonsenses wird (zumal jener, die angetreten war, um die „geistig-moralischen Wende“ herbeizuführen! ), je mehr sie die Gesellschaft spaltet, umso sehnsüchtiger wird nach etwas Ausschau gehalten, das diesen Wertekonsens und diese „Bindungskraft“ verspricht. Die Anfälligkeit für Heilsversprecher steigt mit dem Gefühl eigener Überforderung. Not lehrt beten! Die eigene Verantwortung wird einerseits aus Bequemlichkeit abgeschoben – für die Moral halten wir uns Experten -, andererseits werden diese Experten und ihr Heilsangebot – unter weitgehendem Verzicht auf Realitätsprüfung – umso mehr idealisiert, je unzulänglicher man sich selbst gegenüber einer komplexen Wirklichkeit erfährt. Die eigene Begrenztheit kennt man, über die grenzenlose Weisheit und Macht einer Institution, die sich mit der gehörigen Aura umgibt, macht man sich nur zu gern Illusionen.

Der Glaube an die „Experten“ wird von diesen gezielt gefördert. Letztlich geht es um den von den Kirchen reklamierten und von PolitikerInnen weithin (gern) geglaubten Anspruch auf das Werte-Monopol. Ihren Alleinvertretungsanspruch begründen sie doppelt: Einmal wird die historische Abfolge (zuerst war das Christentum, dann der moderne Staat) in eine existentielle Abhängigkeit umgemünzt. Der moderne Staat fuße auf dem Christentum, ohne dieses verlöre er sein Fundament. Oder wie die deutschen Bischöfe 1996 schrieben: „… Aus diesem Grund verweisen viele Soziologen und Philosophen auf die Rolle der Religion in einer pluralistischen Gesellschaft. Sie sehen in der Religion die letztgültige Kraft, die die Gesellschaft integrieren und dem Indivduum Identität gewähren kann. Allein Religion könne zwanglos den fundamentalen Wertekonsens garantieren, auf den auch eine pluralistische Gesellschaft angewiesen sein. Grundwerte und öffentliche Moral können und dürfen nicht vom Staat selber legitimiert werden. Wenn er das tut, dann wird er totalitär, weil er sich selber mittels Propaganda die Akzeptanz verschaffen muß, die er braucht. So ist gerade der moderne Staat auf Religion angewiesen.“ Zum andern wird behauptet, wahre Ethik und Moral sei nur mit religiösem Bezug möglich. Moral ohne Gott sei minderen Ranges, ja gefährlich.
All diese Behauptungen sind oft getan – sind sie belegt?

Ich denke, nein! Christoph Türcke schreibt: „Man muß wahrlich nicht an die gottgeschützte Abstraktion des Personseins glauben, um Respekt vor der Gewissensentscheidung anderer zu haben und sich des ‚Terrors der Tugend‘ zu enthalten; aber man muß durchaus an den Terror der Tugend erinnern, den die Gewährung einer Gewissensfreiheit darstellt, die nur bei wunschgemäßer Handhabung respektiert wird. Man muß keineswegs voraussetzen, daß man von Gott geschaffen sei, um vor dem hochmütigen Wahn geschützt zu sein, der Mensch sei autark und sich selbst genug, aber man muß sich vor dem Hochmut derer schützen, die aus der menschlichen Erlösungsbedürftigkeit Kapital schlagen, die ungedeckte Schecks des Evangeliums ausgeben, als seien sie härteste Währung…“

In seiner schon zitierten Rede führte Mahrenholz aus, die Kirchen „seien fälschlicherweise der Ansicht, ohne sie bräche das gesamte Wertesystem zusammen. Auch Mahrenholz bemühte die Geschichte: Toleranz, Freiheit und politische Gerechtigkeit seien ‚gegen die Kirche erstritten‘ worden, das Kreuz stand nicht für Toleranz, sondern für Intoleranz‘. Und heute, ‚200 Jahre nach der Aufklärung‘ seien die Kirchen nicht die einzigen Werte-Institutionen in der Gesellschaft. Werte würden heutzutage auch durch Zeitungen und andere Medien ‚eingewurzelt, unterstützt und stabilisiert‘: Menschlicher Umgang mit Ausländern, Umweltbewußtsein, Toleranz gegenüber neuen Lebensformen – ‚wer könnte diese Werte besser verdeutlichen als die Medien?‘ Das, sagte Mahrenholz, sollte die Kirche zur Kenntnis nehmen – und Totenstille lag über dem Saal.“

2. Was bewirkt Religi­ons­un­ter­richt?

Die rechtliche Stellung des Religionsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland ist weltweit einzigartig – was ist davon zu merken?

Nachdem wir staunend vernommen haben, was Religion und Kirchen alles leisten, ist es Zeit uns in die Niederungen der Realitätsprüfung zu begeben: Die Einführung des Faches Praktische Philosophie wird mit der großen Bedeutung des Faches Religion für Werteerziehung und Gewissensbildung begründet, Kinder und Jugendliche ohne Religionsunterricht litten unter einem diesbezüglichen Defizit, das ausgeglichen werden müßte. Nun ist die „rechtliche Stellung des Religionsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland… im Vergleich zu den meisten anderen Ländern einzigartig“, so sagte der damalige Vorsitzende der Kommission für Erziehung und Schule der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Degenhardt im Jahr 1989 . Wenn dem so ist – und dem ist so – dann müßte man davon ja auch etwas merken: Die deutschen Kinder und Jugendlichen – und in Folge auch die deutschen Erwachsenen – müßten im Vergleich zu parallelisierten Gruppen aus anderen Ländern einen Vorsprung hinsichtlich Wertebewußtsein und Gewissensbildung haben. Oder – bleiben wir bei uns -: Wenn der Religionsunterricht tatsächlich das bewirkt, was behauptet wird, dann müßten Westberliner Jugendliche im Vergleich zu Kölner Jugendlichen entsprechende Defizite aufweisen, die Gruppe von Schülerinnen, die sich in einer Klasse vom Religionsunterricht abgemeldet hat müßte sich von denen in irgendeiner Weise unterscheiden die den Religionsunterricht besuchen, z.B. daß sie aufgrund geringerer Gewissensbildung mehr Ladendiebstähle begehen, intoleranter gegenüber AusländerInnen sind oder dergleichen.

Ich bin bei meinen Nachforschungen auf keine entsprechende Untersuchung gestoßen – weder einen Ländervergleich noch eine vergleichende Untersuchung zwischen verschiedenen SchülerInnengruppen in der Bundesrepublik. Ganz dunkel erinnere ich mich daran, daß vor etlichen Jahren die Meldung durch die Presse ging, ein Religionslehrer habe in einer Untersuchung nachgewiesen, daß SchülerInnen mit Religionsunterricht weniger ausländerfeindlich seien als andere. Ich hatte mich an den betreffenden Herrn gewandt – und weder von ihm noch sonst je etwas gehört.

Wirksamkeit darf nicht nur behauptet, sie muß nachgewiesen werden!
Es geht nicht an, gebetsmühlenartig immer wieder die Wichtigkeit des Religionsunterrichts zu betonen, ohne auch nur den geringsten Nachweis seiner Effizienz zu bringen. Anmutungen genügen genauso wenig, wie ein Hoffen aus Selbstschutz, daß 9 oder 13 Jahre lang zwei Wochenstunden Religionsunterricht ja nicht für die Katz gewesen sein können. Es hat mich sehr erfreut, daß ich einem der Ausschussprotokolle den Satz las: „In der jetzigen Situation müsse das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmen. Man müsse den Preis kennen und ihm die Leistungen gegenüberstellen, die ein solches Angebot erbringen solle“ Es mag anstößig wirken, auch den Religionsunterricht einer Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen. Aber warum eigentlich? Wenn die Kirchen tatsächlich vom Wert ihres Religionsunterrichts für die Gesellschaft so überzeugt sind, dann müßte es ihnen geradezu ein Bedürfnis sein, den wissenschaftlichen Nachweis dafür zu führen. (Der Akzent liegt allerdings auf „wissenschaftlich“: Eine Untersuchung, in der achtjährige Schülerinnen aus einem bergischen Dorf, die den Religionsunterricht besuchen mit 15jährigen Jungen ohne Religionsunterricht aus Berlin-Mahrzahn verglichen werden, ist nicht das, was ich meine.) Aber ich vermute, es verhält sich hier so, wie beim Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Nicht wenige haben zwar das Gefühl, daß der Kaiser nichts an hat, aber es besteht ein großes Interesse daran, daß niemand auftaucht und dies ausspricht.

Wenn diese Vermutung nichts ist als eine unfreundliche und unrichtige Unterstellung, dann müßte doch das Geld für eine Untersuchung zusammenkommen, in der parallelisierte Gruppen von Jugendlichen hinsichtlich ihrer Werteeinstellung und ihres wertgeleiteten Verhaltens verglichen werden, solche die Religionsunterricht haben, solche die keinen haben, TeilnehmerInnen an einem Alternativfach, L-E-R TeilnehmerInnen und solche, die an einer außerschulischen religiösen Unterweisung teilnehmen.
Wer sich vor dem Nachweis seiner Effizienz drückt, hat seine Gründe!

Untersuchungen zum Einfluß der Religion auf die Werteeinstellung
Bei meinen Recherchen stieß ich allerdings auf etliche religionssoziologische Untersuchungen, die Werteeinstellung und Religion im europäischen Vergleich zum Thema haben. Auf eine von ihnen will ich eingehen, weil sie erstens auf einer Befragung von über 35000 Personen beruht und aus dem Institut für Pastoraltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät in Wien stammt. Das heißt: Wenn hier eine tendenziöse Auswertung und Darstellung erfolgt, dann bestimmt keine kirchenfeindliche!
Einige wenige Ergebnisse möchte ich referieren:

Den Kirchen zugeschriebene Antwortkompetenz: Im Osten höher als im Westen
Zunächst fällt auf, daß die Antwortkompetenz, die den Kirchen in Lebens- und sozialen Fragen von der Bevölkerung zugeschriebene wird, in Westdeutschland mit dem Wert 2.5 (erreichter Höchstwert 3.5 von Litauen) im Vergleich zu anderen europäischen Ländern durchschnittlich ist (Niederlande, Belgien, Großbritannien und Frankreich haben fast genau dieselben Werte). Flächendeckender kirchlicher Religionsunterricht hat also keinen Einfluß darauf, was man den Kirchen zutraut. Im Gegenteil: Die Antwortkompetenz, die BewohnerInnen der Ex-DDR 1991 den Kirchen zusprachen, lag mit 2.8 deutlich höher (sämtliche Staaten des ehemaligen Ostblocks – nicht nur Polen, bei dem das nicht überrascht – erzielen die höchsten Werte, im restlichen Europa werden die Kirchen nur in Nordirland – nicht aber in der irischen Republik! – ähnlich positiv eingeschätzt). Ich neige zur Vermutung, daß das Zutrauen in die Antwortkompetenz der Kirchen auch bei Ex-DDR-BürgerInnen parallel zur Einführung des Religionsunterrichts und anderer Segnungen des westdeutschen Staats-Kirchensystems nachlassen und westdeutsches Niveau erreichen wird.

Beschäftigung mit Sinnfragen

Die Notwendigkeit, sich mit der Frage nach dem Sinn auseinanderzusetzen, wird häufig als Begründung für den Religionsunterricht und in Folge als Begründung für das Alternativfach angegeben. Motto: Wer’s nicht in der Schule lernt, tut’s nicht. Wie ist dann zu bewerten, daß sich Franzosen mehr Gedanken über den Sinn des Lebens machen als Deutsche, die sich in diesem Punkt genausoviel Gedanken machen wie Niederländer, Irländer Briten, Norweger und Tschechen? Am Religionsunterricht kann das ja wohl nicht liegen! „Daß das Leben sinnlos ist, meinen nur wenige in Europa. Überdurchschnittlich hoch ist deren Anteil allerdings in Frankreich und Schweden…. Den niedrigsten Anteil weist Ost- (3.5%), den höchsten Westeuropa (5.2%) auf…. Die Mitgliedschaft bei einer Religionsgemeinschaft bewirkt hinsichtlich der Sinngebung wenig; die Art der Bindung an eine Kirche schafft nur wenig Sinnsicherheit.“ Die Autoren ziehen Konsequenzen, die sich sowohl die Kirchenvertreter, die sich als Anbieter der Ware Sinn andienen, als auch die PolitikerInnen, die diese Dienstleistung von den Kirchen erwarten, ins Stammbuch schreiben sollten: „Die Funktionalisierung der Religion auf Sinnproduktion hin ist lediglich eine weitere subtile Form der vielfältigen Funktionalisierungsversuche der Religion. Man braucht zunächst nicht die Religion, um menschlich zufrieden zu leben und alltäglichen Lebenssinn zu gewinnen. Das Geschäft mit dem Sinn wird vorhersehbar nicht gelingen.“

Nationalität ist bedeutsamer als religiöse und kirchliche Bindung

Tatsächlich stellen die Autoren der Studie hier wie bei fast allen anderen Fragestellungen fest, daß die Nationalität der Befragten ihre Antwort mehr beeinflußt, als andere Variablen. Durchweg weniger bedeutend ist, welchem sozioreligiöser Typ eine Person zuzuordnen ist, und welche Konfession sie hat. Häufig sind selbst die Variablen Alter, Geschlecht, Einkommen bedeutsamer als die Religiosität und kirchliche Bindung.

Selbst bei der so brisanten Frage nach der Stellung zur Abtreibung ist die Nationalität der Befragten von größerer Bedeutung als Konfession und religionssoziologischer Typ.

Im Kapitel „Was das Sozioreligiöse bewirkt“ wird eine Tabelle abgebildet mit der zutreffenden Überschrift „Kraft(losigkeit) des Sozioreligiösen“. Ob jemand fromm ist oder nicht, christlich ist oder nicht, hat einen ganz geringen Einfluß auf sein Lebensgefühl, seine Einstellung zu Sinn und Tod, sein Frauenbild, seine Moral und seine politische Einstellung. Die Korrelation beträgt in zwei Bereichen 0.15 (Sinn und Tod/Moralitäten) in den anderen aufgezählten acht liegt sie deutlich darunter. Zum Vergleich: Die Korrelation zwischen der Nationalität einer Person und ihrer Gläubigkeit, ihren Sinnvorstellungen, ihrer Moralität und ihrer politischen Einstellung betragen im Höchstfall 0.7 und gehen bei keinem Wert unter 0.2. Mit anderen Worten: Die niedrigste Korrelation zwischen der Nationalität und einem der untersuchten Bereiche ist immer noch höher als der höchste Zusammenhang zwischen Sozioreligiosität und diesen Faktoren.

Hier darf der Schluß vom Maiorem ad Minorem gezogen werden: Wenn Kirchlichkeit und Religiosität derart unwichtig für Sinnkonzepte, Wert- und Moralvorstellungen haben, dann ist der Religionsunterricht erst recht bedeutungslos.

Religionsunterricht – Das Fach, das die SchülerInnen gleichgültig läßt

Diese Hypothese wird durch eine andere Untersuchung untermauert. Im Auftrag der deutschen Bischöfe untersuchte das Institut für Demoskopie in Allensbach 1988 die Situation des Religionsunterrichts. Unter der Überschrift: „Religionsunterricht: Weder ein beliebtes noch ein unbeliebtes Fach“ lesen wir: „Mehr als die begrenzte Anerkennung des Sondercharakters dieses Fachs zeigt die geringe Anziehungskraft des Religionsunterrichts, daß die gesteckten hohen Ziele häufig nicht erreicht werden. Die Themenvielfalt des Religionsunterrichts, besonders die Auseinandersetzung mit vielen Fragen, die die persönliche Lebensorientierung und -situation betreffen, der Blick auf die ganze Person und nicht nur einen Begabungsbereich, bietet auf den ersten Blick außerordentliche Chancen, für den Religionsunterricht eine Sonderstellung im positiven Sinne zu erringen und Schüler besser anzusprechen als in anderen Fächern. Der Beliebtheitsgrad des Faches ist jedoch enttäuschend, wobei bei der Bewertung der Ergebnisse noch zu berücksichtigen ist, daß sich die Untersuchung nur auf Schüler bezieht, die den katholischen Religionsunterricht besuchten, nicht auf Schüler, die ihm den Rücken gekehrt oder nie daran teilgenommen haben. Der Religionsunterricht hat heute weniger mit Antipathien der Schüler zu kämpfen als mit Desinteresse…. Das besondere Charakteristikum des Religionsunterrichts ist heute, daß er weniger als jedes andere Fach die Schüler berührt und eindeutig positive oder negative Reaktionen auslöst… Bei keinem anderen Fach ist der Anteil der Schüler, die weder eine besonders positive noch eine eindeutig negative Beziehung zu dem Fach entwickelt haben ähnlich hoch…“

Das Defizit-Ausgleichs- Argument: Eine Unverschämtheit

Die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken beschloß 1989: „Der Ethikunterricht steht nicht in Konkurrenz zum Religionsunterricht. Er sichert vielmehr den sittlichen Erziehungsauftrag der Schule. Er muß daher auch für die Schüler verpflichtend sein, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, damit sie den Grundelementen der moralischen, ethischen religiösen Dimension in ihrer geschichtlichen Entwicklung begegnen…“ Daß das Defizit-Ausgleichs- Argument vorgeschoben ist, hat Rainer Prewo schon 1983 überzeugend dargelegt. Solange aber nicht durch solide Untersuchungen der Nachweis geführt wird, daß Religionsunterricht einen meßbaren positiven Beitrag zur Werteerziehung leistet, ist die Behauptung, „Religionsflüchtlinge“, Konfessionslose, Angehörige kleinerer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bedürften des Nachhilfeunterrichts in Sachen Werte und Moral nicht nur verlogen, sondern eine Unverschämtheit.

Nicht immer ist Religion bedeutungslos:
Religion als desintegrierender und destabilsierender Faktor in Krisenzeiten

Die Feststellung daß Kirche, Religion und damit auch Religionsunterricht für das Sinn- und Wertekonzept der Menschen in Europa reichlich belanglos sind, bedeutet nicht, daß Religion nicht in einer bestimmten politischen und sozialen Situation eine bedeutende Rolle spielt. Im Gegenteil! Aber es ist sehr die Frage, ob das die Rolle ist, die wir uns wünschen. Wer aus durchsichtigen Gründen „Andersgläubige“ diffamiert, indem er sie hinsichtlich Werteinstellung und Moral als defizitär darstellt, läßt Zweifel an seinen integrierenden Fähigkeiten aufkommen. Dies ist ein Punkt, der Beachtung verdient:

Aufgrund einer vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen initiierten Studie Untersuchung von 1221 türkischen Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 Jahren vertritt Wilhelm Heitmeyer die These: „Je größer die Desintegration von in Deutschland lebenden türkischen Jugendlichen ist, desto stärker ist die religiös fundierte Gewaltbereitschaft“. Er führt aus: Je ungewisser die Lebenssituation wird, umso mehr wächst das Bedürfnis nach Gewißheiten. In solchen Momenten wachsen Abgrenzungstendenzen und der Wunsch zu einer anderen überlegenen Gruppe zu gehören, die Stärke und Gewißheit verspricht. Diesen Wünschen und Tendenzen kommt eine Form des Islam – aber auch andere Religionen – entgegen, die einen Überlegenheitsanspruch gegenüber anderen Gemeinschaften hegen. Er schließt seine Ausführungen: „Wenn diese Annahmen stimmen, dann steigt die Gefahr der politischen Instrumentalisierung der Religion in einer zunehmend desintegrierenden Gesellschaft.“ Das heißt: Religion kann integrierend und desintegrierend wirken und benutzt werden. Es geht nicht an, diese negative Seite einfach auszublenden. Zumal Fundamentalismus und Absolutheitsansprüche keineswegs ein auf den Islam oder sogenannte Sekten beschränktes Merkmal ist. Wenn der Kölner Erzbischof, Kardinal Meisner, in einer Predigt sagte: „Die deutsche Gottvergessenheit zeigt sich heute in der geschwundenen Menschlichkeit in unserem Lande… Wem Gott nicht mehr heilig ist, dem ist nichts mehr heilig… Hier wird doch zum Beispiel deutlich, wo die Verantwortlichen für die gegenwärtige Ausländerfeindlichkeit wirklich sitzen. Wer dagegen Gott kennt, kennt grundsätzlich keine Ausländer, weil wir alle vor Gott grundsätzlich Brüder und Schwestern sind.“ Wer die Gesellschaft in gute Gottgläubige und böse Gottlose spaltet, wirkt wenig glaubhaft mit der Behauptung, ihm seien alle Menschen Bruder und Schwester.

3. Kann der Staat seinen Erzie­hungs­auf­trag an den kirchlichen Religi­ons­un­ter­richt delegieren?

Auf Inhalte und Durchführung des Religionsunterricht hat der Staat keinerlei Einfluß, jegliche staatliche Kontrolle ist ausgeschlossen.

Gegenfrage: Kann der Staat die Müllabfuhr an ein privates Unternehmen delegieren? Das könnte er schon. Aber keine staatliche Stelle fände es akzeptabel, ohne Einfluß auf die Art und Weise der Durchführung zu sein und keinerlei Kontroll-/ Sanktionsmöglichkeit gegenüber dem Privatunternehmen zu haben. Genau das ist aber derzeit beim Religionsunterricht der Fall, was den Schluß nahelegt, daß Müllabfuhr allemal ernster genommen wird als Werteerziehung!

Der Widerspruch, der darin liegt, dem Religionsunterricht einen staatlichen Erziehungsauftrags zuzuschreiben, andererseits keinerlei inhaltlichen Einfluß auf Lehrplan und LehrerInnen nehmen zu dürfen und nicht im geringsten kontrollieren zu können ob und wie der Erziehungsauftrag erfüllt wird – dieser Widerspruch wird bis zum heutigen Tag dadurch gelöst, daß er ignoriert wird. Ganz selten spricht es jemand an. Kultusbürokratien und kirchliche Stellen gehen dann auf Eiern und signalisieren: Bloß nicht dran rühren. Es muß aber dran gerührt werden, denn schließlich gibt es ReligionslehrerInnen die Gruppierungen angehören, denen die Vermittlung von Werten unserer Verfassung nicht eben ein Herzensanliegen ist: Opus-Dei-Leute, SchönstattanhängerInnen, Evangelikale.

Die mangelnde Eignung des Religi­ons­un­ter­richts zur Erfüllung des staatlichen Erzie­hungs­auf­trags:

Einzelpunkte

Ich möchte den Nachweis der Unverträglichkeit von kirchlicher und staatlicher Zielsetzung beim Religionsunterricht nicht an Widersprüchen in mehr oder weniger gewichtigen Einzelpunkten aufhängenn. Daß politische Grundrechte und Demokratie als Staatsform im Kampf gegen die Kirchen und nicht mit ihnen erreicht wurden, muß zwar angesichts der kirchlichen Geschichtsklitterung immer und immer wieder erinnert werden, genauso darf man nicht müde werden, Diskrepanzen zwischen Lehren und Praxis der Kirchen und Verfassungsgeboten aufzuzeigen, Gleichberechtigung, Arbeitsrecht, innerkirchliche Strukturen, Umgang mit „Abweichlern“, seien es solche der Lehre oder solche der Lebensführung. Schließlich ist es ein wichtiger Beitrag zur Entidealisierung des Religionsunterrichts die zahlreichen Fälle zu aufzuzeigen, in denen im Religionsunterricht heute nach wie vor das geschieht, wovon uns progressive TheologInnen glauben machen wollen (vielleicht glauben sie es selber), daß es längst der Vergangenheit angehört: Indoktrination schlimmster Art, Vermittlung von Schuldgefühlen, Sexualfeindlichkeit, Diskriminierung Andersgläubiger. Es gibt den reflektierenden Religionslehrer, der beim BUND und in Asylgruppen engagiert ist, aber es gibt ihn nicht nur. Es lohnt sich, einmal genauer z.B. im ländlichen Bereich und in Grundschulen hinzuschauen: Überall dort, wo weniger mit interner oder öffentlicher Kritik gerechnet werden muß geschehen im Religionsunterricht hier und heute Dinge, die zu dokumentieren eine recht unerfreuliche Anekdotensammlung ergibt.

Die mangelnde Eignung des Religionsunterrichts zur Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags: Dargelegt am Beispiel der „Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen“ von 1990

Ich will prinzipieller ansetzen: Zum einen indem ich anhand der für alle katholischen TheologInnen verbindliche „Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen“ der Kongregation für die Glaubenslehre vom 24.5.90 darlege, daß die zwei Dinge nicht zusammengehen: katholischen Religionsunterricht gemäß kirchlichem Auftrag zu halten und gleichzeitig eine Werteerziehung im Sinne unserer Verfassung durchzuführen.

„Die allgemeinen Erziehungs- und Bildungsziele der Mündigkeit, der Urteils- und Reflexionsfähigkeit, der Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung sind uneingeschränkt auch für den Erziehungs- und Bildungsauftrag des Religionsunterrichts konstitutiv“, schreibt der Bischof von Essen 1996 . Wie soll das geschehen, wenn TheologInnen (und Gläubige ebenso) zum „Glaubensgehorsam“ gegenüber dem Lehramt verpflichtet sind und zwar nicht nur „in Sachen des Glaubens und der Sitten (die) mit dem Charisma der Unfehlbarkeit ausgestattet“ sind, sondern „Glaubensgehorsam“ ist auch gefordert bei Aussagen „wenn sie nicht in den Glaubenswahrheiten enthalten, wohl aber mit ihnen innerlich so verknüpft sind, daß ihr definitiver Charakter letztlich sich von der Offenbarung selber herleitet“, „Glaubensgehorsam“ gilt für Aussagen des Lehramtes zu Fragen der Moral insoweit sie „mit den Forderungen des Glaubens übereinstimmen und seine Anwendung im Leben fördern“, wie die schwammige Formulierung heißt , ja, sie gilt auch in Fragen der Disziplin , nicht genug damit: „die Zuständigkeit des Lehramtes (erstreckt sich) auch auf den Bereich des Naturgesetzes.“ Es sei dahingestellt, ob sich die Naturgesetze dran halten werden, aber für die Gläubigen nimmt das Lehramt des weiteren für sich in Anspruch, Diskussionen über Themen zu verbieten, „die zum Irrtum führen könnten.“

Was verlangt das kirchliche Lehramt nun genau von TheologInnen und Gläubigen, wenn von „Glaubensgehorsam“ die Rede ist? In all den aufgezählten Bereichen „ist eine religiöse Zustimmung des Willens und des Verstandes gefordert. Diese darf nicht rein äußerlich und disziplinär bleiben, sondern muß sich in die Logik des Glaubensgehorsams einfügen und von ihm bestimmen lassen.“

Richtig interessant wird es im Konfliktfall. Nicht nur, daß vom Lehramt abweichende Meinungen prinzipiell suspekt sind und diskreditiert werden („… der Versuchung zum Dissens verfallen, bedeutet zulassen, daß sich ‚Triebkräfte der Untreue gegen den Heiligen Geist‘ entfalten“ ), sondern kategorisch heißt es: „Dem Lehramt der Kirche ein oberstes Lehramt des Gewissens entgegenstellen, heißt den Grundsatz der freien Prüfung vertreten, was aber mit der Entfaltung der Offenbarung und ihrer Weitergabe in der Kirche sowie auch mit einer korrekten Auffassung der Theologie und der Funktion des Theologen unvereinbar ist.“ Ein „richtiges“ Gewissen wird einem „falschen“ Gewissen gegenübergestellt, vom Lehramt abweichende Meinungen werden zum moralischen Problem, das seine Wurzel in persönlichen Defekten des Abweichlers hat, z.B. seiner mangelhaften persönlichen Heiligung, ungenügende Anstrengung bei der Gewissensbildung, sündige Verfaßtheit, einem auf Vorurteilen beruhenden Geist der Kritik usw.. Einer so definierten Gewissensfreiheit sind enge Schranken gezogen: „Endlich kann auch der Hinweis, man müsse seinem Gewissen folgen, den Dissens nicht rechtfertigen, denn diese Pflicht wird ausgeübt, wenn das Gewissen das praktische Urteil im Hinblick auf eine zu treffende Entscheidung klärt, während es sich hier um die Wahrheit einer Lehraussage handelt.“ Und: „Man kann sich darum nicht auf diese Rechte des Menschen berufen, um sich den Äußerungen des Lehramtes zu widersetzen.“

Christoph Türcke trifft in seiner Replik auf den – protestantischen – Theologen Eberhard Jüngel den Nagel auf den Kopf, wenn er schreibt: „Schon am Ursprung des Christentums ist das Ja zur Gewissensfreiheit zugleich ein Nein. Nur das Individuum selbst darf über sein Schicksal entscheiden, aber die Entscheidung wird nur respektiert, wenn sie wunschgemäß ausfällt. Allein in dieser sich selbst dementierenden Form ist die Gewissensfreiheit christliche Wirklichkeit geworden.“ Mit der Gewissensfreiheit eng verbunden ist das Recht auf Freiheit der Forschung und Lehre. Für den Theologen existiert es nicht. Gerät er bei seinen Forschungen im Gegensatz zum Lehramt und läßt sich dieser Widerspruch nicht durch seine „Grundhaltung einer Bereitschaft… die Lehre des Lehramtes loyal anzunehmen“ und durch sein „tiefe(s) Verlangen, die Schwierigkeiten zu überwinden“ ausräumen, soll er darin „einen Aufruf zu schweigendem und betendem Leiden“ sehen. Wobei besonders das Schweigen wichtig ist: Der Theologe wird nicht „auf die Massenmedien zurückgreifen“, denn wie jedes Kind weiß, sind diese „künstlich gesteuert“ und das könnte dazu führen daß „die im Volke Gottes umlaufenden Ideen… leicht von einer öffentlichen Meinung beeinflußt werden können“, was zur „Mißachtung der wirklichen Autorität führen“ würde. Dem richtigen Theologen ist auch jeder Gedanke an eine „systematische Opposition“ fern: „Schon wiederholt hat das Lehramt die Aufmerksamkeit auf die schweren Schäden gelenkt, die für die Gemeinschaft der Kirche aus jenen Haltungen systematischer Opposition entstehen, die sogar (sic!) zur Bildung organisierter Gruppen führen.“ Wenn gegen solche Umtriebe „beschwerliche… Maßnahmen“ ergriffen werden, damit das Volk Gottes „nicht von einer gefährlichen Sondermeinung verwirrt wird“, so kann selbstverständlich nicht von einer Verletzung von Menschenrechten gesprochen werden: „Hier von der Verletzung von Menschenrechten zu reden ist fehl am Platz, denn man verkennt dabei die genaue Hierarchie der Rechte.“ Dies ist ebenso wie die Forderung nach einem „sacrificium intellectus“ altbekanntes Glaubensgut der Kirchen.

Mündigkeit, Urteils- und Reflexionsfähigkeit, Selbstverwirklichung als für den Religionsunterricht konstitutive Erziehungsziele? Wie soll das gehen?

Das auf diese Frage immer wieder zu hörende Argument, man solle Verlautbarungen aus Rom nicht so ernst nehmen, ist unredlich. Nicht die eventuell abweichende Praxis ist maßgeblich zur Beurteilung, sondern die Rechts- und Gesetzeslage. Man kann auch nicht argumentieren, es gäbe in der katholischen Kirche keine Zölibatsverpflichtung, weil sie weithin nicht durchsetzbar ist. Eine Rechtslage übt Einfluß auf die Menschen aus, auch dann, wenn sie momentan nicht durchsetzbar ist, und sei es nur durch „die Schere im Kopf“. Das Argument, die Praxis sehe anders aus als der kirchliche Gesetzgeber wolle, richtet sich zudem gegen die, die es äußeren: Wenn sie schon illoyal gegenüber ihrem eigentlichen Auftraggeber sind, wie wollen sie dann überzeugend klarlegen, daß sie dem Staat gegenüber loyal sind, der nicht die geringsten Sanktionsmöglichkeit hat, wenn sie seinen Erziehungsauftrag nicht erfüllen?
Wenn der Text der Glaubenskongregation von einer sogenannten Sekte stammen würde, dann wäre das Geschrei groß, kein Mensch würde dann gelten lassen, daß es in der Praxis schon nicht so schlimm wäre. Es geht nicht an, für die katholische Kirche andere Maßstäbe anzulegen, nur weil sie ein paar Mitglieder mehr hat!
Die Frage, ob die Kirchen die ihnen vom Staat angesonnene Aufgabe überhaupt erfüllen können, ist mit Nein zu beantworten. RU ist in erster Linie Glaubensvermittlung. Vermittelt er darüber hinaus Werte im Sinne unserer Verfassung – um so besser. Aber das kann – wie wir gesehen haben – keineswegs als gegeben vorausgesetzt werden.

Sind die Kirchen überhaupt gewillt, den staatlichen Erziehungsauftrag zu erfüllen?

Aber es gibt noch eine zweite Frage, nämlich: Wollen die Kirchen diese Aufgabe überhaupt erfüllen? Auf den ersten Blick sieht es ja so aus, als rissen sie sich darum. Es lohnt ein zweiter Blick. Pater Augustinus Heinrich Graf Henckel von Donnersmarck vom Katholischen Büro Bonn nahm in der GEW-Zeitschrift nds im August ’96 klar Stellung: „Es ist genau nicht Aufgabe der Kirche und des durch sie verantworteten Religionsunterrichts, als geistlicher Büttel des Staates die Schüler zu bürgerlichem Wohlverhalten zu erziehen. Religionsunterricht ist nicht in erster Linie ethische Veranstaltung, sondern der wie auch immer unvollkommene Versuch, auf die Grundfragen des einzelnen Menschen nach Ursprung und Ziel menschlicher Existenz Antworten zu geben, die im Leben auch existentiell nachvollziehbar sein müssen. Die ‚Rolle‘ des RU im ‚Haus des Lernens‘ ist, nicht anders als heute auch, die Aufgabe, bei der eigenen Sache zu bleiben und ohne Rücksicht auf Bequemlichkeiten Fragen zu stellen, die gestellt werden müssen. Mir ist im konzipierten ‚Haus des Lernens‘ die tendenzielle Verzweckung des Menschen für ökonomische, gesellschaftliche und politische Ziele verdächtig. Hier sind Fragen aus dem Fundament des Glaubens notwendig, keine Weiterentwicklung, die womöglich nur Anpassung meint.“ Das heißt: Was der Staat vom kirchlichen Religionsunterricht haben will, sind die Kirchen nicht (unbedingt) zu leisten gewillt, es stellt auf alle Fälle nicht ihr Hauptziel dar. Auf den Vergleich mit der Müllabfuhr übertragen hieße das etwa: „Eigentlich sind wir ein Speditionsunternehmen und das bleiben wir auch; die Sache mit der Müllabfuhr machen wir nebenbei, aber dabei lassen wir uns nicht von unseren vorrangigen Geschäftszielen abbringen.“

Die Bredouille in die sich die Kirchen selber gebracht haben, indem sie sich als Anbieter für die Vermittlung von ‚civil religion‘ gerieren, es aber tatsächlich nicht sein wollen, braucht uns hier nicht zu interessieren. Aber die Bredouille ist da und man darf gespannt sein, wie es weitergeht.

Wie wichtig ist dem Staat die Werteerziehung?

Es stellt sich die Frage: Wie wichtig ist dem Staat die Werteerziehung? Die Wichtigkeit kann an vielem gemessen werden, nicht zuletzt am Geld. Daß in Westdeutschland nach über zwanzig Jahren noch kein Ausbildungsgang für EthiklehrerInnen existiert (selbst die Fortbildungen finden meist auf freiwilliger Basis statt!), spricht eine deutliche Sprache. In jedem anderen Fach gäbe es einen Skandal, wenn der Unterricht auf Dauer von dafür unausgebildeten Lehrkräften erteilt würde. Auf die beigemessene Wichtigkeit läßt sich aber auch schließen, wenn der Staat die Werteerziehung jemandem überläßt, den er nicht beeinflussen und kontrollieren kann. Damit sind nicht nur die Großkirchen gemeint, die den regulären schulischen Religionsunterricht erteilen, sondern all die Religionsgemeinschaften, denen zugestanden wird, daß ihre außerschulische religiöse Unterweisung Ersatz für das „Ersatzfach“ darstellt: Muslime, Mormonen, Neuapostolische, Zeugen Jehovas. Wenn das Ganze noch damit gekrönt wird, daß das Fach für Werteerziehung in staatlicher Regie nur dort stattfinden darf, wo der Religionsunterricht nicht aus irgendwelchen Gründen ausfällt, so kann die Frage nach der Bedeutung dieses staatlichen Erziehungsauftrags als beantwortet gelten.

4. Was wollen Schüle­rInnen und Eltern?

Gibt es ein öffentliches Interesse am Fach „Praktische Philosophie?
Was die Großkirchen wollen, wissen wir. Aber es ist vielleicht nicht ganz uninteressant, die Frage nach den Wünschen der SchülerInnen und Eltern zu stellen. Tief beeindruckt lese ich im Protokoll einer Sitzung des Ausschusses für Schule und Weiterbildung: „Bei dem Thema Ersatzunterricht habe die SPD-Fraktion einfach erkannt, daß sie das ständige Nachfragen und Nachbohren nicht mehr aufhalten könne. Die Kirchen wollten wissen, was in dieser Frage passiere. Der öffentliche Druck wachse….“ Um welchen öffentlichen Druck, bitteschön, handelt es sich? Wo sind die Elternresolutionen, die Sternmärsche von Schülerinnen und Schüler auf die Landeshauptstadt? Bei Lichte betrachtet reduziert sich der sogenannte öffentliche Druck auf Lobby-Arbeit kirchlicher Kreise. Was an Stellungnahmen von Verbänden vorliegt ist mehr als mager. Wenn selbst dem konservativen Philologenverband nicht mehr einfällt, als daß die Einführung des Faches „Praktische Philosophie“ das Problem unbeaufsichtigter Schülergruppen löst , dann ist der Enthusiasmus wohl eher mäßig zu nennen.

Was erwarten Eltern vom Religionsunterricht – wo schalten SchülerInnen ab?

Wenn ich dazu auffordere, Eltern und SchülerInnen in die Diskussion einzubeziehen, so stelle ich mir mehr vor, als eine Diskussion darüber, ob ein Alternativfach zu Religion gewünscht wird, und wie es gegebenenfalls zu gestalten ist. Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen, daß lediglich etwa 20% der Eltern in Westdeutschland und ca. 13% der Eltern im Gebiet der ehemaligen DDR ihre Kinder religiös erziehen wollen? Welche Schlußfolgerungen legen sich nahe, wenn der der katholischen Kirche nahestehende Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann schreibt: „Die Erwartungen der Eltern an den Religionsunterricht orientieren sich … nicht an kirchlichen, sondern an Kriterien der sozialen Nützlichkeit. Die Eltern haben ähnliche Vorstellungen von der Religion wie die vorherrschenden sozialwissenschaftlichen Religionstheorien: sie sehen darin einen gesellschaftlichen Integrationsfaktor und im Religionsunterricht ein Fach, das sozial nützliche Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Toleranz oder soziales Engagement fördern soll… Das in jüngster Zeit wieder aufgeflammte Interesse an ‚Religion‘ geht weitgehend am christlichen Glauben vorbei.“? Die schon zitierte Allensbach-Untersuchung ergibt: „Die Themeninteressen der Schüler zeigen ein Problem, das generell in der Gesellschaft in der Einstellung zu Religion und Kirche erkennbar ist: die Säkularisierung der Erwartungen an die Kirche bzw. auch an den Religionsunterricht. Angesichts der Themenpräferenzen der Schüler stellt sich die Frage, wieweit religiöse Bezüge und Informationen über Glauben und Kirche durch aktuelle Themen, die den Interessen der Schüler entgegenkommen ‚transportiert‘ werden können. Ein Experiment bei der Befragung der Schüler zeigt, daß jeder Hinweis, das Thema werde ‚aus christlicher Sicht‘ behandelt, das Interesse der Schüler an aktuellen Themen umgehend verminderte… Jeder Bezug auf das christliche Glaubenssystem minderte aus der Sicht der Schüler die Attraktivität aktueller Themen. Diese Experimente zeigen, daß aktuelle Themen keineswegs ein Garant für die Vermittlung christlicher und kirchlicher Fragestellungen und Informationen bilden. Bündig faßte ein Lehrer sein Erfolgskonzept für den Religionsunterricht in einer säkularisierten Gesellschaft zusammen: ‚Je bibelferner und je kirchenferner die Themen, um so leichter ist es.'“

Bekenntnisfreie Schule statt christlicher Gemeinschaftsschule!

Wenn das so ist – und es ist so: Stellt sich da nicht eine ganz andere Frage? Nämlich: Ist die christliche Gemeinschaftsschule als Regelschule zeitgemäß und entspricht sie dem Elternwillen und dem Wunsch der SchülerInnen? Entspricht die bekenntnisfreie Schule nicht weitaus mehr dem, was Eltern, Schülerinnen und Schüler wollen? Eine Entscheidung zugunsten der bekenntnisfreien Schule eröffnete mit einem Schlag eine ganz neue Perspektive: Bei diesem Schultyp ist Religion kein ordentliches Lehrfach. Es könnte also eine offene Diskussion über schulische Werteerziehung in staatlicher Regie völlig unbelastet von all den mit der Religionsunterricht-, „Ersatzfach“- und „Ersatz-Ersatzfach“- Problematik stattfinden.
Ich bin keineswegs der Meinung, daß SchülerInnen-Wunsch der Kultusbürokratie Befehl zu sein hat, aber das andere Extrem, nachdem Vater Staat und Mutter Kirche schon wüßten, was den Kindern fromme und diese eben nehmen müßten, was ihnen geboten wird, kann doch in einer Demokratie (zu deutsch: Volksherrschaft) auch nicht die Lösung schlechthin sein. Der Automatismus: Schule = christliche Gemeinschaftsschule muß aufhören!

5. Die Inkon­sis­tenz der Pro-„Er­satz­fach“- Argumen­ta­tion

Die Argumentation der „Ersatzfach“-Befürworter ist inkonsistent und in sich widersprüchlich.

  • Entweder man beruft sich auf die Verfassung und deren Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, oder man erklärt deren Bestimmungen für nicht so wichtig. Was nicht geht, sich einerseits darauf zu berufen, daß Religionsunterricht laut Verfassung ordentliches Lehrfach an christlichen Gemeinschaftsschulen (und nur diesen!) sei, andererseits die Aussagen, Religionsunterricht sei bekenntnisgebunden zu erteilen und habe Glaubensvermittlung zum Ziel für irrelevant zu erklären.
  • Entweder konfessioneller Religionsunterricht ist erforderlich, damit das Kind nicht durch die Konfrontation mit anderen religiösen und weltanschaulichen Ansichten verwirrt wird (Bauchladen und Zoobesuch sind in diesem Zusammenhang beliebte Begriffe) – oder der konfessionelle Religionsunterricht ist notwendig, weil dies immer häufiger der Ort ist, wo die erste Begegnung mit der eigenen Konfession stattfindet.
  • Entweder das Argument vom eigenen weltanschaulichen Standpunkt, der nicht durch eine weltanschaulich neutrale Darstellung verschiedener Werte- und Weltanschauungssysteme beeinflußt werden dürfe, gilt für alle oder es gilt für niemanden. Die Schülerinnen und Schüler, die in Westdeutschland am Ethikunterricht teilnehmen, stammen aus weltanschaulich völlig unterschiedlich geprägten Elternhäusern. Ihre Eltern haben ihnen nicht „nichts“ an Werten und Weltanschauungen vermittelt, sondern (möglicherweise) anderes, aber genausoviel oder wenig, wie Eltern, die Mitglieder der Großkirchen sind. Weltanschaulich neutraler Unterricht stellt für sie genauso etwas „anderes “ dar wie für Katholiken und Protestanten.
  • Entweder es ist möglich, in der Schule auf wissenschaftlicher Grundlage und weltanschaulich neutraler Basis über Weltanschauungen zu informieren und eine Werteerziehung zu leisten, oder es ist nicht möglich. Unmöglich ist aber, ein solches Fach zu fordern, wenn es als „Ersatzfach“ den Religionsunterricht stützen soll, es aber – wie in Brandenburg – zu verteufeln. In ihrer jüngsten Schrift über „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“ schreiben die deutschen Bischöfe: „Einen solchen neutralen und wertfreien Standpunkt kann es aber gar nicht geben, es sei denn, man verschleiert sich und anderen die eigenen Voraussetzungen. Ein Fach Religionskunde wird dem Bildungsanspruch junger Menschen nicht gerecht. Gerade für eine an Bildung orientierte Schulpädagogik ist die persönliche Stellungnahme des Lehrers und der Lehrerin unersetzlich. Nicht weniger wichtig ist die reflexive Aufarbeitung der dem jungen Menschen eigenen, von ihm praktizierten Religion…. Eine Allzuständigkeit des Staates für die Schule würde die Gefahr des Totalitarismus mit sich bringen.“ Daß sie sich in derselben Schrift andienen, „im Rahmen der kirchlichen Mitverantwortung für das gesamte Schulwesen auch bei der Gestaltung des Ersatzfaches mitzuwirken“, ist eine erklärungsbedürftig. Es sei denn, die Kirchen setzen voraus, daß „Ersatzfächer“ nicht dem Gebot weltanschaulicher Neutralität verpflichtet sind. Wenn Pater Augustinus Heinrich Graf Henckel von Donnersmark in diesem Zusammenhang meint: „Aus den gleichen Gründen ist in NRW die Forderung der großen Kirchen darauf gerichtet, daß ein ‚Ersatzfach‘ für den RU nur Philosophie sein kann, also ein Fach mit einem eigenen Kanon, der sich dem staatlichen Zugriff entzieht“ , so stellen sich zwei Fragen: Wie verhält es sich in der Mehrheit der anderen Bundesländer, die als „Ersatzfach“ nicht Philosophie haben und wieso entzieht sich das Fach Philosophie dem staatlichen Zugriff?
  • Entweder es gibt Ausnahmen von der Teilnahmepflicht am Alternativfachunterricht, dann darf sie nicht von der Organisiertheit der betreffenden Schülerinnen und Schüler abhängen, oder es gibt keine Ausnahmen. Es kann ja wohl nicht angehen, daß vorhandene oder fehlende Mitgliedschaft in einer weltanschaulichen Organisation das einzige Kriterium ist, ob die Berufung auf ein Grundrecht berechtigt ist oder nicht. Das Argument: Die Organisierten nehmen zum Ausgleich an einer religiösen Unterweisung teil, ist formalistisch und unterschlägt die inhaltliche Frage, ob jedwede unkontrollierte religiöse Unterweisung besser als „nichts“ ist. Mehr noch: Was ist die Zielsetzung eines Alternativfachs, wenn er durch die Unterweisung in den Lehren einer autoritären Weltanschauungsgemeinschaft ersetzt werden kann? Ein merkwürdiges Verständnis vom Bildungsauftrag der Schule und vom Gebot der Gleichbehandlung!

Bewertung der vier Modelle

Ein bißchen geht es mir bei dieser Frage so, als würde ich gefragt „Möchten Sie lieber einen Platz im Großraumwagen oder im Abteil?“, bevor überhaupt klar ist, ob ich eine Zugreise antreten will. Da ich denke, daß dies nicht nur mein Unbehagen ist, möchte ich es präzisieren:

Bevor irgendeine Klärung stattgefunden hat, welches der beste Weg ist, um Schülerinnen und Schülern die Werte nahezubringen, die für ein humanes Zusammenleben erforderlich sind, bevor nachgedacht wird, wie Sinn oder Sinnlosigkeit von jungen Menschen erlebt wird und was ihnen dabei hilfreich ist, ist der Zug, bildlich gesprochen, bereits abgefahren: Wir haben die Vorgabe: Ein neues Fach muß her! Ich mache mir wenig Illusionen über die Eigendynamik, die eine solche Vorgabe entwickelt, insbesondere wenn dahinter das Interesse der Kirchen steht.

Aber ganz bescheiden möchte ich daran erinnern:
Die beste Erziehung ist nach wie vor das gute Vorbild. Das heißt: Eine Physiklehrerin, die engagiert ist und sich um Fairness und Respekt bemüht, leistet in puncto Werteerziehung wesentlich mehr als zehn Stunden einschlägiger Unterricht. Ein Biologielehrer, der von seinem Fach begeistert ist und der das „rüberbringt“, regt mehr zum Nachdenken über Sinn, Sinnlosigkeit, Transzendenz an, als eine ganze Unterrichtseinheit über Platon, Hegel, Nietzsche.

Gute LehrerInnen fallen nur partiell vom Himmel. Außer Talent und Engagement gehört dazu auch die Möglichkeit sich fortzubilden und in einer Schule zu unterrichten, die Entfaltung möglich macht.

Dies gilt in anderer Weise auch für SchülerInnen und Schüler: Wer in zu großen Klassen untergeht, wer den Eindruck hat, Leistung sei der einzige Wertmaßstab, der gilt, wer die Erfahrung macht, daß Interesse an der Person nicht stattfindet, wer feststellen muß, daß man mit Ellenbogen oder Schleimen am weitesten kommt… dem ist weder mit Religionsunterricht  noch mit einem wie immer gearteten Alternativfach, auch nicht mit einem Modell á  la LER gedient.

Unbeschadet davon halte ich es für sinnvoll der Philosophie und der Religionskunde ein größeres Gewicht zu geben. Dazu ist aber nicht die Einrichtung eines neuen Faches erforderlich.

Es gibt Behauptungen, die Einführung des Faches Praktische Philosophie sei kostenneutral. Diese Art von Kostenneutralität kennen wir. Ob nun 200 oder 1000 neue LehrerInnenstellen gebraucht werden, sei dahingestellt. Egal um wieviele es sich handelt: Neben der Frage, wieviel Werteerziehung dem Staat wert ist, stellt sich die ketzerische Frage, ob das Geld nicht „wert“- und „sinn“-voller verwendet werden könnte.  

Wenn das Anliegen bei der Einführung des Faches „praktische Philosophie“ tatsächlich das ist, was in den hehren Worten zum Ausdruck kommt, dann müßte vor Einführung eines neuen Faches zweierlei zwingend geschehen:

  • Es müßte eine zum Zwecke einer Kosten-Nutzen-Analyse eine vergleichende Untersuchung durchgeführt werden: 
    –  Bringt der Religionsunterricht die ihm zugeschriebenen positiven Effekte?
    –  Unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler, die am Religionsunterricht / an einem Alternativfachunterricht / an keinem von beidem teilgenommen haben? Wenn ja inwiefern?
  • Die Einrichtung eines neuen Schulfaches ist nicht eine Angelegenheit, die zwischen Staat und Kirchen auszuhandeln ist. Die Hauptbetroffenen, nämlich SchülerInnen und ihre Eltern müssen gehört und mitbeteiligt werden. Dies kann z.B. in Form einer Befragung geschehen. Nur so läßt sich der Bedarf herausfinden. Was derzeit läuft, ist eine Bedarfsplanung über die Köpfe der Betroffenen hinweg – das Ergebnis ist vorhersehbar.

Modell A:

Der Status quo ist eine korrekte Möglichkeit. Allerdings möchte ich daran erinnern, daß die schriftliche Form der Abmeldung vom Religionsunterricht keineswegs erforderlich ist. Ebensowenig wie eine Benotung oder gar Versetzungsrelevanz des Faches. Der nordrheinwestfälische Erlaß, nachdem Religionsunterricht nicht in Randstunden erfolgen darf, ist eine hiesige Spezialität, gegen die manches und für die nichts spricht. Auf die Frage der verstärkten Einrichtung bekenntnisfreier Schulen, in denen Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach ist, bin ich eingegangen. 

Modell B:  

Dieses Modell ist in den meisten Bundesländern gebräuchlich, nichts desto weniger verfassungswidrig. Da derzeit mehrere Prozesse (z.B. von meinem Sohn) anhängig sind, die irgendwann einmal zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen werden, ist diese Lösung mit einem nicht geringen Risiko behaftet.

Die Gründe für die Verfassungswidrigkeit dieses Modells können bei Czermak, Renck, Neumann et al. nachgelesen werden. Durch die absehbare – und bereits ins Auge gefaßte – Befreiung diverser SchülerInnengruppen von diesem Fach wird es –  wie dargelegt – diskreditiert.

Die Benachteiligung derjenigen SchülerInnen, deren Religionsgemeinschaften keine außerschulische religiöse Unterweisung durchführen, bzw. von solchen SchülerInnen, die weltanschaulich nicht organisiert sind, stellt einen Verstoß gegen Art 3 und 4 GG dar. 

Es stellen sich hier auch über kurz oder lang sowohl organisatorische wie finanzielle Probleme, wenn weitere Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaften für sich auch das Recht auf schulischen Religionsunterricht reklamieren werden. Diejenigen Gruppen, die sich derzeit noch mit einer außerschulischen religiösen Unterweisung begnügen, werden sich mit Recht fragen, wieso sie nicht den komfortableren schulischen Religionsunterricht schließlich der finanziellen Vorteile für sich in Anspruch nehmen sollen.

Modell C: 

Dieses Modell ist verfassungskonform, vorausgesetzt die weltanschauliche Neutralität wird tatsächlich strikt geachtet. Dies ist bestimmt keine einfache Aufgabe (und in einem solchen Fach schwieriger zu handhaben als etwa in Geschichte oder Gemeinschaftskunde), aber es ist machbar. Aufgrund der Erfahrungen mit LER muß aber betont werden, daß es keinerlei Notwendigkeit oder gar Verpflichtung des Staates gibt, die Kirchen bei der Einrichtung eines solchen Faches zu Rate zu ziehen. Es gibt keine „kirchliche Mitverantwortung für das gesamte Schulwesen“. Kirchen und Religionsgemeinschaften können beteiligt werden, aber nicht bevorzugt, sondern gleichberechtigt mit anderen gesellschaftlichen Gruppierungen. Mir schiene allerdings empfehlenswert, zunächst einmal die Erfahrungen mit LER abzuwarten und auszuwerten. Für mich ist noch nicht erwiesen, daß ein derartiges Fach tatsächlich den gewünschten Effekt hat. Für fruchtlose Experimente ist nicht nur kein Geld da, sondern SchülerInnen sollten nur mit sinnvollem und wirkungsvollem Unterricht belastet werden.

Modell D: 

An diesem Modell bewahrheitet sich einmal mehr der Satz, daß „gut gemeint“ das Gegenteil von gut ist. Entweder dieses Ansinnen an die Kirchen ist ernst gemeint – dann halte ich die Erwartung für außerordentlich naiv, die Großkirchen könnten irgendein Bedürfnis verspüren, diesem Modell näherzutreten. Aus ihrer Sicht gibt es dafür nicht den geringsten Grund.

Vorschläge zu machen, bei denen ein davon Betroffener unter Garantie nicht mitspielen wird, ist m.E. Zeitverschwendung. Oder hinter der Idee steckt die taktische Überlegung, man könne im Falle der Verweigerung den Kirchen den schwarzen Peter zuschieben. Vorausgesetzt, das gelänge (was ich für reichlich unwahrscheinlich halte), was wäre die Konsequenz? Daß ganz Nordrhein-Westfalen mit dem Finger auf die Kirchenoberen zeigt? Anders gesagt: Diesen schwarzen Peter würden die Kirchen lässig wegstecken, weil kaum jemand davon Notiz nähme.  

Wie die BefürworterInnen dieses Modells sich seine Realisierung vorstellen, sollten sie zunächst mal den LehrerInnen darlegen, die mit dem Erstellen von Stundenplänen beschäftigt sind. Will jemand im Ernst „Fenster“ für Katholiken, Protestanten, Muslime, Neuapostolische, Zeugen Jehovas, Humanisten, Mormonen? Und wenn ja, wieso keine Fenster für Greenpeace und Amnesty und das Rote Kreuz? Oder ist der Vorschlag nur Augenwischerei und man geht davon aus, daß es Fenster für Protestanten und Katholiken gibt, und der Rest trifft sich im „LER-ähnlichen Unterricht“? Dann hätte man eine Ersatzfachregelung auf unübersichtlicherem Niveau – abgesehen von verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie die aktuelle Entwicklung in Brandenburg vermuten läßt, wäre das Ende vom Lied im besten Fall, daß es nur noch „Fenster“ gäbe und der gemeinsame Unterricht aller flach viele. Das entspräche dem Konzept B, und das kann man billiger haben.

Kategorie: Religion: Schule

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