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Bundestag: Anhörung zur Religi­ons­frei­heit

04. Januar 2016

in: vorgänge 212 (4/2015), S. 156-158

(SL) Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags führte am 2. Dezember 2015 eine Anhörung zum Thema „Religionsfreiheit und Demokratieentwicklung“ durch. Als Sachverständige waren geladen: die Journalistin Khola Maryam Hübsch, der Politikwissenschaftler Dr. Andreas Jacobs, der Soziologe Prof. Dr. Matthias Koenig, die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Christine Schirrmacher sowie die Juristin Dr. Kirsten Wiese (für die Humanistische Union).

Die Fraktionen verbanden mit der Anhörung sehr verschiedene Interessen, wie sich an ihren Fragestellungen zeigt: So interessierte sich die SPD ausschließlich für allgemeine Fragen der Religionsfreiheit, etwa zum Zusammenhang zwischen Religionsfreiheit und Demokratieentwicklung sowie für mögliche Maßnahmen zur Stärkung der Religionsfreiheit bzw. der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Die Fragen der CDU dagegen richteten sich ausschließlich an „den Islam“: inwiefern dieser überhaupt demokratiefähig sei, welche Grundkonflikte zwischen islamischem und westlichem Rechtssystemen bestünden und ob ein staatlich geförderter „Euro-Islam“ besser in die Verfassungsordnung zu integrieren wäre. Die Oppositionsfraktionen schließlich erkundigten sich nach konkreten Bedingungen der Religionsfreiheit in Deutschland, etwa zum Zustand der Trennung von Staat und Kirchen, zur Rechtfertigung des kirchlichen Sonderarbeitsrechts oder der Diskriminierung nicht-christlicher Menschen hierzulande.

Andreas Jaccobs vom NATO Defense College rückte in seiner Stellungnahme die verschrobene Perspektive einiger Fragen der Abgeordneten zurecht, indem er auf die enge Verbindung von Demokratie und Religionsfreiheit sowie die eigene Verantwortung ‚des Westens‘ hinwies: „Wer Demokratie fördert, fördert auch Religionsfreiheit und umgekehrt. Entscheidend ist hierbei die Glaubwürdigkeit des fördernden bzw. einfordernden Akteurs. Die Gewährung und Sicherung von Religionsfreiheit in Deutschland und Europa ist deshalb eine zentrale Grundlage für eine glaubwürdige Forderung von Demokratie und Religionsfreiheit weltweit.“ (Jacobs, S. 1f.) Die beste Werbung für die Demokratie bestehe deshalb darin, wenn hier lebende Muslime die Vorzüge einer Gesellschaft zu schätzen lernen, die Religionsfreiheit praktiziert.

Wie die Religionsfreiheit und die religiöse Vielfalt staatlicherseits zu gewährleisten sind, darüber gingen die Meinungen jedoch weit auseinander. Andreas Jacobs sprach sich für eine staatliche Neutralität, aber zugleich aktive Zusammenarbeit mit allen Religionen aus (nach dem Vorbild der „respektvollen Nicht-Identifikation“, S. 7). Dieser Position einer kooperativen Neutralität schloss sich Khola Maryam Hübsch weitgehend an. „Die Antwort des säkularen Rechtsstaates auf die Einschränkung der negativen Religionsfreiheit durch staatlichen Verschleierungszwang in religiös-fundamentalistischen Staaten wie Saudi-Arabien und Iran besteht nicht in Verschleierungsverboten, die lediglich die Vorzeichen einer freiheitsfeindlichen Religionspolitik umkehren, sondern in der Garantie der positiven wie negativen Religionsfreiheit bei strikter Wahrung religiös-weltanschaulicher Neutralität.“ (Hübsch, S. 6) Diese Neutralität sieht Hübsch jedoch noch nicht gegeben. Sie verwies auf die unterschiedlichen Maßstäbe, wenn für das Verbot von Kopftüchern oder Burka laizistische Argumente bemüht werden, und der Staat andererseits eine enge Kooperation mit den christlichen Kirchen pflege.

Kirsten Wiese sprach sich demgegenüber für eine strikte Trennung von Staat und Kirche als Garanten staatlicher Neutralität aus. Wie die staatliche Neutralitätsformel einfachgesetzlich zu gewährleisten sei, lasse sich zwar nicht aus der Verfassung selbst ableiten, so Wiese. Zugleich formulierte sie vier Prämissen, an denen sich der staatliche Umgang mit Religionsgemeinschaften messen lassen müsse:

1. „Jede Privilegierung einer Religionsgemeinschaft ist zugleich eine Benachteiligung einer anderen und verletzt damit den Gleichheitsaspekt der Religionsfreiheit.“ (Wiese, S. 4)
2. Jede staatliche Verquickung mit religiösen Inhalten oder Gemeinschaften beeinträchtigt die negative Religionsfreiheit derjenigen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören.
3. Positive wie negative Religionsfreiheit werden nicht schrankenlos gewährt, sondern müssen sich in die übrigen Verfassungsvorgaben (insbesondere die konkurrierenden Grundrechte) einfügen.
4. Das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1,2 GG) setzt voraus, dass alle staatlichen Vorgaben und Werte politisch auszuhandeln sind. „Religiöse Glaubenssätze aber sind letztlich unverhandelbar, der Staat darf sich solche Werte demnach nicht zu eigen machen.“ (ebd.)

Einig waren sich die Sachverständigen mehr oder weniger darin, dass der von der CDU eingebrachte Vorschlag eines staatlich geförderten (quasi gezähmten) Euro-Islams abzulehnen sei. Manche befürworteten zwar die Einrichtung theologischer Lehrstühle an deutschen Universitäten, eine staatliche Einmischung in die Glaubensinhalte komme dennoch nicht in Frage. Oder mit den Worten von Kirsten Wiese: „Dem Staat steht es nicht zu, in den Religionsgemeinschaften zur Emanzipation zu erziehen, insoweit gilt deren Selbstbestimmungsrecht.“ (Wiese, S. 2)

Verschiedene Auffassungen vertraten die Expert/innen auch zum Verhältnis von Scharia und Rechtsstaat: Hübsch verwies beispielsweise auf moderne Interpretationen der Scharia, die den jeweiligen Entstehungskontext einer Offenbarung berücksichtigen und sich gegen eine wortwörtliche Auslegung des Koran wenden. In deren Lesart regle die Scharia drei Bereiche (Beziehung des Menschen zu Gott, Fragen der Gerechtigkeit und der menschlichen Verantwortung innerhalb der Gesellschaft) und stehe keineswegs im Widerspruch zu einer säkularen Gesellschaft. Das zeige auch eine Studie der Universität Teheran, nach der Neuseeland, Luxemburg und die skandinavischen Länder die Prinzipien der Scharia am besten verwirklicht hätten (während Malaysia als bestes islamisches Land nur auf Platz 38 landet).

Dagegen sah Jacobs eine unüberbrückbare Differenz zwischen den beiden Rechtsordnungen, die sich besonders in Geschlechterfragen, im Familienrecht, bei der Religionsfreiheit und im Strafrecht auswirke. Zugleich warnte er vor einer Überbewertung der Scharia, denn: „Die von radikalen Islamisten geforderte ‚volle Anwendung der Scharia‘ ist eine Minderheitenposition und entspricht fast nirgendwo der Rechtswirklichkeit.“ (Jacobs, S. 10) Und obwohl die Scharia für viele Muslime zum Kernbestand ihres Glaubens gehöre, akzeptieren viele von Ihnen die säkulare Rechtsordnung. Deshalb solle der säkulare Rechtsstaat allen Bestrebungen entgegen treten, „die darauf abzielen, gemeinschaftliche Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften teilweise nach eigenem statt nach säkularem Recht zu regeln …“ (Jacobs, S. 11) Wie sich diese Forderung allerdings mit dem bestehenden kirchlichen Sonderarbeitsrecht, den Staatskirchenverträgen und anderen Sonderrechten für die christlichen Kirchen verträgt, sei dahingestellt. Die von Jacobs eingeforderte Glaubwürdigkeit und Vorbildwirkung jedenfalls erfüllt die Bundesrepublik kaum.

Das gilt nach Hübsch auch für die westliche Außenpolitik. Sie verwies auf die fatale Bündnispolitik der westlichen Staaten im Nahen Osten, die sich aus geostrategischen Gründen ausgerechnet mit jenen Regimen verbündet haben, die „jede Entwicklung zu mehr Demokratie und Pluralismus [innerhalb der Religion wie in der Gesellschaft] im Keim ersticken“ (Hübsch, S. 8). Die westliche Außenpolitik habe mehrfach dazu beigetragen, dass fundamentalistische Strömungen im Islam erstarkt sind. Der in der islamischen Welt verbreitete Vorwurf einer westlichen Doppelmoral sei deshalb gut nachvollziehbar.

Die Stellungnahmen der Sachverständigen sind auf der Bundestags-Webseite abrufbar unter http://www.bundestag.de/blob/398176/d76b263991fa2e79bf8d0bc0fb962489/stellungnahmen-data.pdf.

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