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Kopftuch und Religi­ons­frei­heit

Gabriele Britz

Grundrechte-Report 2003, S. 79-83

Im Jahr 2002 haben sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht erstmals über arbeits- und beamtenrechtliche Aspekte des religiösen Kopftuchtragens entschieden. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lag die Klage einer Muslimin zugrunde, deren Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber, ein Kaufhaus, wegen des «islamischen Kopftuchs» gekündigt worden war. Das Bundesverwaltungsgericht entschied über die Klage einer Muslimin, die nicht als Lehrerin ins Beamtenverhältnis eingestellt wurde, weil sie nicht bereit war, im Unterricht auf das Tragen eines «islamischen Kopftuchs» zu verzichten.

Trägt eine Muslimin aus religiösen Gründen ein Kopftuch, so ist dies durch die Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt. Unstreitig besteht dieser Schutz im Grundsatz auch, sofern die Frau das Kopftuch am Arbeitsplatz bzw. bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes tragen möchte. Im privaten Arbeitsverhältnis werden dem jedoch Grundrechte des Arbeitgebers, im öffentlichen Dienst das reli- Die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses sind unverletzlich Art. 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. giöse Neutralitätsgebot entgegengehalten. Über das richtige Verhältnis dieser (vermeintlich) kollidierenden verfassungsrechtlichen Positionen ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten gekommen. Das Bundesarbeitsgericht hat nun zugunsten, das Bundesverwaltungsgericht zu Lasten der Kopftuchträgerin entschieden.

In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren hatte der Arbeitgeber in den Vorinstanzen erfolgreich argumentiert, durch das Kopftuch würden seine Berufsfreiheit und sein Eigentum beeinträchtigt, weil sich das Tragen des Kopftuchs innerbetrieblich durch personelle Konflikte und Störungen des Betriebsablaufs und wirtschaftlich durch eine schädliche Entfremdung des Kundenkreises negativ auswirken könne (Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 21. 6. 2001, NJW 2001, 3650ff.). Das Bundesarbeitsgericht ist dem entgegengetreten: Die Weigerung, auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, rechtfertigt die Kündigung allein nicht. Der Arbeitgeber hat die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen. Zu Recht bezweifelt das Bundesarbeitsgericht bereits, dass es auf Arbeitgeberseite überhaupt zu einer Beeinträchtigung von Grundrechten kommen muss. Allein die Befürchtung des Arbeitgebers, es werde im Falle des Einsatzes der Arbeitnehmerin zu nicht hinnehmbaren Störungen kommen, reicht nicht aus, die durch das Religionsgrundrecht geschützte Position zurücktreten zu lassen. Dem Arbeitgeber ist vielmehr zuzumuten, die Arbeitnehmerin zunächst einmal einzusetzen und abzuwarten, ob sich seine Befürchtungen in einem entsprechenden Maße realisierten und ob dann etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch Kündigung zu begegnen gewesen wäre (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10. 2002–2AZR 472/01, noch nicht veröffentlicht). Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen eines Kopftuchs ist damit erheblich erschwert.

Hingegen hat das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass ein Bundesland die Anstellung einer muslimischen Bewerberin für den Schuldienst ablehnen darf, wenn sie sich weigert, im Unterricht auf das Kopftuch zu verzichten. Zwar ist nach Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GG die Zulassung zu öffentlichen Ämtern unabhängig vom religiösen Bekenntnis. Die damit geschützte Glaubensfreiheit einer Lehrerin findet jedoch eine Grenze im Gebot staatlicher Neutralität gegenüber unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen der Schüler und ihrer Eltern. Das Neutralitätsgebot verpflichtet auch die einzelne Lehrerin als Repräsentantin des Staates. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, das «islamische Kopftuch» sei Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung, und eine Lehrerin könne darum die Pflicht zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität nicht erfüllen, wenn sie aus religiösen Gründen ein Kopftuch trage. Einwirkungen der durch das Kopftuch einer Lehrerin symbolisierten Glaubensinhalte auf Schüler im Grund- und Hauptschulalter von vier bis vierzehn Jahren ließen sich nicht ausschließen. Die durch das Kopftuch symbolisierte und ständig sinnfällig zum Ausdruck gebrachte Glaubensüberzeugung ihrer Lehrerin könne Kindern vorbildhaft und befolgungswürdig erscheinen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. 7. 2002, NJW 2002, 3344ff.).

Die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts ist fragwürdig. Zum einen hat das Gericht die Symbolwirkung des Kopftuchs tatsächlich und rechtlich überbewertet. Selbst wenn eine gewisse Signalwirkung von dem Kopftuch ausgeht, hätte stärker auf die Persönlichkeit der Lehrerin in allen ihren Facetten und ihr Verhalten abgestellt werden müssen. Im konkreten Fall ergaben sich daraus nach einhelliger Auffassung keine Anhaltspunkte dafür, dass die Frau im Umgang mit den Kindern missionarisch agieren würde. Zum anderen ist das Neutralitätskonzept des Bundesverwaltungsgerichts angreifbar. Zwar hat das Bundesver waltungsgericht im Gegensatz zur Ausgangsinstanz ein wirklich «neutrales» Neutralitätskonzept verwendet. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte die Auffassung vertreten, «dass für Lehrer, die nicht christlichen Religionen anhängen, ihre Religionsausübung im Dienst nur unter engeren Voraussetzungen möglich ist, als dies bei Lehrern der Fall ist, die der christlichen Religion anhängen » (Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 24. 3. 2000, NVwZ 2000, 959ff.). Eine solche Privilegierung christlicher Religionsausübung findet sich in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Das Bundesverwaltungsgericht verfolgt vielmehr ein Neutralitätskonzept, demzufolge jegliches Religiöse aus dem staatlichen Bereich konsequent zu verbannen ist.

Realitätsnäher und sachgerechter erscheint jedoch die auch von der Klägerin im Prozess vertretene Auffassung, dem Neutralitätsgebot werde der Staat (gerade auch mit Blick auf die vom Gericht hervorgehobene besondere Bedeutung des Neutralitätsgebots angesichts wachsender kultureller und religiöser Vielfalt der Gesellschaft) gerecht, indem er zulasse, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt auch in den unterschiedlichen religiösen Bekenntnissen der Lehrer widerspiegele. Sofern sich die Außendarstellung des eigenen Bekenntnisses in Maßen hält, verdient diese Auffassung schon deshalb den Vorzug, weil sie mit der reichlich fiktiven Vorstellung aufräumt, es könne gänzlich neutrale Lehrpersonen geben. So verstanden hätte das Neutralitätsargument für die Lehrerin gesprochen.

In welchem Maße die Entscheidung über den konkreten Fall hinaus Wirkung für Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst entfalten wird, ist noch nicht absehbar. Das Arbeitsgericht Dortmund hat in einer Entscheidung vom 16. Januar 2003 das Tragen eines Kopftuchs im städtischen Kindergarten nicht als Kündigungsgrund angesehen. Ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot liege nur dann vor, wenn die Erzieherin die ihr anvertrauten Kin83 der missioniere (Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 17. 1. 2003, Az 6 Ca 5736/02; noch nicht veröffentlicht).

Literatur

Gabriele Britz, Das verfassungsrechtliche Dilemma doppelter Fremdheit: Islamische Bekleidungsvorschriften für Frauen und Grundgesetz, Kritische Justiz 2003, Heft 1

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