Themen / Staat / Religion / Weltanschauung / Kritik der Staatsleistungen an Kirchen

„Jagdszenen aus Nordelbien“

01. Dezember 1998

Betrifft: Brandstiftung; Verletzungen des Datenschutzes von religiösen Minderheitsgruppen in Schleswig-Holstein

Mitteilungen Nr. 164, S. 109-110

Ende Oktober bekam der Arbeitskreis „Staat-Religion-Weltanschauung“ die Nachricht von einem Brandanschlag im Juli auf die kleine Holsteiner Gemeinschaft „Schöpferisches Zentrum Oase“, der sich nach Angaben dieser Vereinigung zur Zeit einer Kampagne des evangelischen Lübecker „Weltanschauungsbeauftragten“ ereignete.
Durch das Feuer in den frühen Morgenstunden des 25. Juli war das Leben von acht schlafenden Bewohnern im Reetdachhaus des Zentrums gefährdet; weitere 21 Personen, darunter 11 Kinder, übernachteten zu dieser Zeit auf dem Grundstück in Zelten oder kleinen Bungalows. Sie waren zu einer kreativen „Sommerzeit“ zusammengekommen, an deren Ende die erlernten Kunststücke in einer Zirkusvorstellung vorgeführt werden sollten.
Daß es sich tatsächlich um einen Brandanschlag handelt – der auch von der Kriminalpolizei angenommen wird – geht aus den näheren Umständen des Unglücks hervor. Sämtliche Augenzeugen berichteten nämlich, daß das Feuer von der einen Ecke des tiefgezogenen Reetdaches ausging, die von der Straße her leicht zu erreichen war.
Bei dem Verein „Schöpferisches Zentrum Oase“ handelte es sich ursprünglich um ein künstlerisches Projekt, das sich zu einem New-Age-Zentrum entwickelt hat. Die Mitglieder beklagen sich über schwere Datenschutz-Verletzungen seitens der schleswig-holsteinischen Behörden, die durch den Landesbeauftragten für Datenschutz in Schleswig-Holstein, Dr. Bäumler (Kiel), bestätigt worden seien.
Auf die Verletzungen des Datenschutzes wurden sie aufmerksam, als ihrem 1981 als gemeinnützig anerkannten Verein im März 1996 durch das Lübecker Finanzamt die Gemeinnützigkeit für den Bereich Volksbildung, Kultur und Religion rückwirkend aberkannt werden sollte. Außerdem wurde den Veranstaltern die Vorstellung ihres künstlerisch-spirituellen Projektes auf der Messe „Bewußt Leben“ in Kiel (April 1997) versagt, weil sie inzwischen – wie sie nun erfuhren – auf dem „Sekten-Index“ der sogenannten „ID-Stelle Sekten und sektenähnliche Vereinigungen der Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein“ gelandet waren. Für als „Sekten usw.“ eingestufte Gemeinschaften ist in Schleswig-Holstein die Teilnahme an Messen untersagt.
Zudem mußten mehrere ihrer Mitglieder schwere berufliche Nachteile in Kauf nehmen, weil sie sich entweder zur Zugehörigkeit zu diesem Verein bekannten, oder aber von kirchlichen oder staatlichen Denunzianten als Mitglieder des Vereins „entlarvt“ worden waren, was für diese Menschen praktisch einem Berufsverbot und einer umfassenden sozialen Ausgrenzung gleichkommt.
Die Plattform für solches behördliches und kirchliches Vorgehen ist eine Änderung des Landesdatenschutzgesetzes in Schleswig-Holstein vom 4.11.1994, das den Datenschutz für nichtkirchliche Minderheitsgruppen aufgehoben und eine der Ministerpräsidentin direkt untergeordnete Überwachungsstelle mit Geheimpolizeicharakter geschaffen hat, deren Kompetenzen sogar die des Verfassungsschutzes überschreiten. Nach dieser Regelung können „Sekten und sektenähnliche Vereinigungen“ ohne nähere Definition – außer daß sie eben nicht zu den Amtskirchen gehören! – ausgeforscht, und der persönliche Datenschutz für alle „aktiv Mitwirkenden“ darf ohne deren Kenntnis aufgehoben werden, sofern „tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht“ allgemein formulierter „Gefahren … begründen“ ( § 29 a SchlH Daten-Schutz-Gesetz).

Im Wortlaut:

§ 29a SchlHDatSchG: Besondere Dokumentationsstelle
(1) Die Ministerpräsidentin oder der Ministerpräsident oder eine von ihr oder von ihm besonders beauftragte Stelle (Dokumentationsstelle) kann zum Zweck der Aufklärung oder Warnung die Betätigungen von Sekten oder sektenähnlichen Vereinigungen einschließlich der mit ihnen rechtlich, wirtschaftlich oder in ihrer religiösen oder weltanschaulichen Zielsetzungen verbundenen Organisationen oder Vereinigungen in Schleswig-Holstein dokumentieren und über sie informieren, sofern tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, daß von deren Wirken Gefahren für die Menschenwürde, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Leben, die Gesundheit oder das Eigentum ausgehen, insbesondere daß Personen in ihrer Willensfreiheit eingeschränkt werden.

(2) Soweit ein begründeter Verdacht im Sinne des Absatz 1 besteht, kann die Dokumentationsstelle über Personen, die in einer derartigen Sekte, Vereinigung oder Organisation aktiv mitwirken, bei anderen öffentlichen Stellen vorhandene oder öffentlich zugängliche personenbezogene Daten erheben und weiterverarbeiten. Hiervon ausgenommen sind die in § 9 Abs. 3 Nr. 3 bezeichneten Daten sowie Daten, für die besondere Verwendungsvorschriften in anderen Gesetzen bestehen.

(3) Die Speicherung der erhobenen personenbezogenen Daten ist spätestens nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu prüfen. Spätestens fünf Jahre nach der letzten Tätigkeit im Sinne von Absatz 2 sind die personenbezogenen Daten zu löschen.

(4) An Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs dürfen personenbezogene Daten übermittelt werden, wenn
1. a) es zur Erfüllung der Aufgabe nach Absatz 1 erforderlich ist oder
b) ein Dritter ein rechtliches Interesse daran hat und
2. kein Grund zu der Annahme besteht, daß schutzwürdige Belange der oder des Betroffenen überwiegen.

Das Gesetz ist so allgemein formuliert, daß nun in Schleswig-Holstein je nach Belieben und Ermessen der ID-Stelle praktisch jede außerkirchliche Gemeinschaft, sei sie weltanschaulich oder religiös, als „Sekte“ ausgegrenzt werden kann, ohne daß die Beteiligten auch nur davon ahnen. Wie weit die Anwendung des neuen § 29 ausgedehnt werden soll, geht aus folgenden Beispielen hervor:
Nach einem von der ID-Stelle bestellten psychologischen Gutachten der Kieler Psychologieprofessorin Niebel gelten sämtliche Meditationen des Yoga und des Buddhismus als grundlegend gefährlich für die Gesundheit, so daß auch diese Formen der Religiosität unter das Sektenverdikt fallen und alle „aktiv Mitwirkenden“ ihr Recht auf Datenschutz verlieren! Das Gutachten wurde bereits im Oase-Fall von den Behörden ins Feld geführt.
Eine genaue rechtliche Bewertung der Vorgänge kann hier nicht vorgenommen werden, sondern muß einer fachjuristischen Analyse vorbehalten bleiben. Jedenfalls kämpft die kleine Gemeinschaft „Oase e.V.“ nicht nur um ihr materielles Überleben, sondern auch um ihre Rehabilitation vor dem Finanz- und dem Verwaltungsgericht (Gemeinnützigkeit; Streichung aus dem „Sektenbericht“).
Ein Hauptpunkt ihrer Beschwerde ist die Vermischung staatlicher Aktivitäten mit der kirchlichen Agitation und Denunziation durch den Lübecker „Weltanschauungsbeauftagten“ S. Gaschke. Die Gemeinschaft weist dabei auch auf die Kritik aus dem Ausland hin, die sowohl von dem „Advisory Committee for Religious Freedom Abroad“ (Beirat für religiöse Freiheit im Ausland) beim US-Außenministerium, als auch vom Britischen Parlaments-Kommitee des House of Lords vorgetragen wurde. Dort heißt es in einer Presseerklärung anläßlich der am 3.6.97 veröffentlichten deutschen Übersetzung ihres Berichtes über kirchliche und staatliche Sektenbeauftragte in Deutschland: „Sie sind die Schlangen am Ohr der politischen Führung in der Bundesrepublik. Ihr Gift zerstört das Lebensblut der deutschen Demokratie.“ Der Report über die Diskriminierung von religiösen und ethnischen Minderheiten in Deutschland ist erhältlich bei: Lord McNair, House of Lords, London, SW 1A – 0PW.
Angesichts solcher Vorfälle bleibt die seit nunmehr fast vierzig Jahren erhobene Forderung der Humanistischen Union nach einer Entstaatlichung der Kirchen und einer Entkirchlichung des Staates in Deutschland nach wie vor aktuell.

Aus dem HU-Arbeitskreis „Staat – Religion – Weltanschauung“

Materi­a­li­en­samm­lung zum Thema „Staat und Kirchen“

Vom länderübergreifenden Arbeitskreis „Staat, Religion und Weltanschauung“ der Humanistischen Union wurde eine Auswahl von Materialien zum Thema „Staat und Kirchen, ‚Sekten‘, Religionsunterricht / Ethikunterricht / LER u.a.“ zusammengestellt (6 Seiten). Interessenten können sich die Auswahlliste bei der Bundesgeschäftsstelle anfordern.

nach oben