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Bremen braucht keinen Verfas­sungs­schutz

18. November 2013
Datum: Montag, 18. November 2013

Veranstaltungsbericht zur Veranstaltung „Brauchen wir den Verfassungsschutz?“ am 18.11.2013, 19:00 in Bremen

In einer von der HU Bremen und der Internationalen Liga für Menschenrechte ausgerichteten Podiumsdiskussion gelang es dem Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und dem Vorsitzenden der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft Matthias Güldner nicht, die von Till Müller-Heidelberg (HU) und Rolf Gössner (Liga) vorgetragenen Gründe für die Abschaffung des Bremer Verfassungsschutzes zu entkräften.

Bremen braucht keinen Verfassungsschutz

Die im Wallsaal der Stadtbibliothek geführte Diskussion orientierte sich am Senatsvorschlag für ein reformiertes bremisches Verfassungsschutzgesetz. Dabei begannen sowohl Mäurer als auch Güldner ihre Statements, indem sie die von Skandalen gesäumte Geschichte der deutschen Geheimdienste einräumten und auch den Bremer Verfassungsschutz davon nicht ausnahmen. Güldner, zurzeit Vorsitzender der Parlamentarischen Kontrollkommission, beurteilte den Bremer Verfassungsschutz als „noch bis 2008 undemokratisch und teilweise menschenverachtend“. Mit ihrem neuen Gesetz stellten die beiden also eine Kehrtwende in Aussicht, die sich allerdings im Lauf der Diskussion als haltlose Versprechung herausstellte.

Mäurer verwies auf eine neue Ausrichtung des Geheimdienstes, der sich in Bremen gegen Gruppen richten solle, die als gewaltbereit gelten, insbesondere Rechtsradikale und Hass predigende Salafisten. Zuvor hatte Müller-Heidelberg gewarnt, dass die Ausrichtung des Dienstes gegen Extremismus der Willkür gleichkommt, denn nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich dabei um einen politischen Kampfbegriff: als extremistisch gelten stets die stark von der Mehrheitsmeinung abweichenden Ansichten. Insofern waren die Versprechungen des Innensenators zwar beruhigend gemeint, doch was jetzt unter rot-grüner Regierung als extremistisch und was als akzeptiert gilt, kann  sich schnell umkehren. Hinsichtlich der vermeintlichen Ausrichtung auf gewaltbereite Personen wiesen Gössner und Müller-Heidelberg darauf hin, dass der Verfassungsschutz laut Gesetzesvorschlag nicht ausschließlich, sondern im „Schwerpunkt“ gegen gewaltbereite Personen handeln solle. Dies erklärt sich im Übrigen auch damit, dass ein Verfassungsschutz nach den bundesrechtlichen Vorgaben eben nicht Gewalttaten verhindern, sondern politischen Extremismus beobachten muss.

Eine bessere Kontrolle durch Eingliederung des Amts in die Senatsbehörden und Ausweitung der Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission befanden Mäurer und Güldner als wesentliche Faktoren einer demokratischen Einhegung des Verfassungsschutzes. Die Kontrolle bleibt dabei jedoch dem Einblick der Öffentlichkeit entzogen. Dort liegt der immanente Widerspruch zwischen Verfassungsschutz und Demokratie: ein Geheimdienst definiert sich dadurch, dass ihm die Öffentlichkeit nicht auf die Finger schaut. Selbst wenn die Mitglieder der Bremer Kontrollkommission in selbstständig durchgeführten Ermittlungen erhebliche Grundrechtsverletzungen feststellen, sollen sie damit nur unter Zustimmung einer Zweidrittel-  also Regierungsmehrheit des Gremiums an die Öffentlichkeit gehen können. So verwunderte auch nicht, dass Gössner auf Nachfragen aus dem Publikum sagte, dass die zahlreichen Geheimdienstskandale bislang nie durch Kontrollgremien aufgedeckt wurden. Zudem zeigt sich an den vorgesehen Quoten für seine Zusammensetzung, dass auch die Gestalt des vorgesehenen Kontrollgremiums von der politischen Couleur der Regierungsparteien geprägt ist. So würden Parteien, die im Parlament ohne Fraktionsstatus vertreten sind, weiterhin keinen regulären Sitz in der Kommission erhalten. Gerade kleinere Parteien, wie die bremische Linke – die aktuell zumindest einen Gaststatus in der Kommission hat –, waren jedoch in der Vergangenheit nicht selten das Ziel von Geheimdiensten.

Gegen Ende der zweistündigen Veranstaltung erklärte der Innensenator, dass er die Einwände der Bürgerrechtler ja verstehe, aber nicht die Verantwortung tragen wolle, wenn es nach einer Abschaffung des Verfassungsschutzes aufgrund fehlender Geheimdienstinformationen zu Terroranschlägen käme. Zudem sei Bremen gegenüber anderen Bundesländern und Bund  zur Kooperation verpflichtet, da könne es nicht als einziges Bundesland seinen Verfassungsschutz abschaffen. Hier erwiderten Müller-Heidelberg und Gössner, dass die Gefahrenabwehr die Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaften ist, die diese Aufgabe inzwischen ohnehin schon weit im Vorfeld von Straftaten wahrnähmen. Der Verfassungsschutz unterliege dagegen nicht dem Legalitätsprinzip und müsse Straftaten nicht zur Anzeige bringen. So habe der Geheimdienst in anderen Bundesländern schon von Gewaltverbrechen durch eigene V-Leute gewusst, ohne einzuschreiten. Die beiden Bürgerrechtler verwiesen auch darauf, dass eine Abschaffung des Bremer Geheimdienstes durchaus mit Bundesrecht vereinbar sei, wonach einem Landesamt für Verfassungsschutz durchaus die geheimdienstlichen Instrumente gestrichen werden können.

Insgesamt bleibt von der Veranstaltung ein positiver Eindruck. Die vier Podiumsteilnehmer lieferten sich eine konstruktive Diskussion, in der auf die Statements der jeweils anderen eingegangen wurde. Den etwa 100 Besuchern, die unserem Eindruck nach nicht alle mit einer vorgefertigten Meinung gekommen waren, erleichterte dies gewiss, die Argumente für die Abschaffung des Geheimdienstes nachzuvollziehen. Wer allerdings zu dem Schluss kommt, dass es keine Demokratie-freundliche Lösung für Geheimdienste außer ihrer Abschaffung gibt, der weiß auch: ein Bundesland muss den Anfang machen. Das vom Innensenator vorgebrachte Argument, die anderen Länder schafften ihre Geheimdienste ja auch nicht ab, wirkt hier paradox. Insofern erscheint der aus dem Publikum stammende Vorschlag eines Volksentscheids über den Verfassungsschutz bedenkenswert.

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