Beitragsbild Auszeichnung II: Marburger Leuchtfeuer 2009 an die Pädagogin Sabriye Tenberken
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Auszeich­nung II: Marburger Leuchtfeuer 2009 an die Pädagogin Sabriye Tenberken

Aus: Mitteilungen Nr. 205/206 (2+3/2009), S. 45f.

Auszeichnung II: Marburger Leuchtfeuer 2009 an die Pädagogin Sabriye Tenberken

(FJH) „Auch wenn er nicht behindert ist, ist er trotzdem ein glücklicher Mensch.“ Heiterkeit erntete Sabriye Tenberken für diese Charakterisierung ihres Lebensgefährten und Mitstreiters Paul Kronenberg. Im Historischen Saal des Marburger Rathauses überreichte Oberbürgermeister Egon Vaupel der 38-jährigen Tibetologin am 26. April das „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“.

Mit der undotierten Auszeichnung würdigten die Stadt Marburg und die Humanistische Union (HU) das internationale Wirken der blinden Pädagogin für ein gleichberechtigtes Leben von Menschen mit Behinderungen in der Mitte der Gesellschaft. „Durch die Gründung der ersten Blindenschule Tibets in Lhasa hat sie nicht nur den diskriminierten Kindern und Jugendlichen Tibets eine Perspektive eröffnet, sondern zugleich auch Behinderten in Europa ein Vorbild gegeben“, erklärte Matthias Schulz als Sprecher der Jury.

Tenberken selbst betrachtet ihre Tätigkeit als eine sehr befriedigende Aufgabe. „Blind zu sein, kann ungeheuer Spaß machen“, erklärte sie. Durch ihre Behinderung komme sie in Kontakt zu interessanten Menschen, die sie sonst niemals kennengelernt hätte.

„Friedfertig ist“, zitierte Laudator Dieter Gutschick den Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, „wer Frieden um sich entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der größten Kräfte des Menschen.“ Tenberken sei „ein Leuchtfeuer des Friedens“, weil sie ihren Mitmenschen ein fast uneingeschränktes Vertrauen entgegenbringe, erklärte der scheidende Geschäftsführer der Aktion Mensch. Gutschick erinnerte sich an seine Zeit in der Humanistischen Studenten-Union (HSU); Mitte der 1960er Jahre sei ihm der HU-Mitbegründer Fritz Bauer ein Vorbild gewesen. „Wir wollten die Befreiung des Menschen von den Fesseln der obrigkeitsstaatlichen Bindungen erreichen“, berichtete Gutschick. „Damals stand zum Beispiel eine Liberalisierung des Strafrechts im Vordergrund. Heute geht es in der Humanistischen Union auch um die Forderung nach politischer Partizipation der Bürger.“

Erfreut äußerte sich Gutschick darüber, dass der HU-Ortsverband Marburg seinen Preis den Sozialen Bürgerrechten gewidmet hat. Mit Sabriye Tenberken habe die Jury eine herausragende Preisträgerin ausgewählt. „Niemand konnte besser als Sie, Frau Tenberken, der Dämonisierung des Blind-Seins in der stark religiös geprägten Landbevölkerung Tibets begegnen. Niemand konnte die bestehenden Vorurteile überzeugender ausräumen als Sie mit Ihrem persönlichen Beispiel, Ihrer fachlichen Kompetenz und Ihrer emotionalen Präsenz.“

Für die blinde Tibetologin ist das „Marburger Leuchtfeuer“ bei weitem nicht die erste Auszeichnung. Dieser Preis liege ihr aber besonders am Herzen, erklärte sie in ihrer Dankesrede: „Marburg ist meine Lieblingsstadt in Deutschland.“ 1992 hat die gebürtige Bonnerin an der Carl-Strehl-Schule (CSS) der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) ihr Abitur abgelegt. Für sie sei diese Zeit in Marburg die unbeschwerteste ihres Lebens gewesen, erklärte sie. Hier sei sie als Persönlichkeit respektiert sowie zu Selbstbestimmung und Eigenständigkeit angeleitet worden. Die soziale Tradition Marburgs unterstrich auch Oberbürgermeister Vaupel. Er wies darauf hin, dass die Bevölkerung in den letzten Jahren von 78.000 auf über 81.000 Einwohner gestiegen sei. Diese Entwicklung führte der OB auf das soziale Klima zurück.

Nach der Preisverleihung machten sich Tenberken und Kronenberg auf den Weg nach Kerala in Indien. Dort bauen die beiden derzeit ein Ausbildungszentrum für blinde Sozial-Manager auf. Ziel der neuen Ausbildung sei es, möglichst viele Menschen zu Multiplikatoren einer selbstbestimmten sozialen Entwicklung zu machen. Die Idee verdanke sie der BliStA, die durch das Leuchtfeuer somit ebenfalls geehrt werde, erklärte die Preisträgerin zum Abschluss unter dem lang anhaltendem Beifall der fast 100 Anwesenden.

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