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"Dem Frieden der Welt zu dienen..." - Das Grundgesetz und das Völkerrecht

15. Juni 2009
Datum: Montag, 15. Juni 2009

Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „60 Jahre Grundgesetz – Anspruch und Wirklichkeit“

Den Auftakt unserer Verfassung bildet nicht der berühmte Artikel über die Menschenwürde, sondern die Verpflichtung, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Diese Forderung findet sich als Auftakt in der Präambel unseres Grundgesetzes. Was aus dieser Forderung in den letzten 60 Jahren geworden ist, inwiefern sie Wirklichkeit oder nur leeres Versprechen ist, darauf ging Georg Nolte in seinem Vortrag über Völkerrecht und Grundgesetz ein.

Frieden im engeren Sinne oder: Darf Deutschland Krieg führen?

Auf den ersten Blick scheint die Sache klar geregelt: Unsere Verfassung spricht in Artikel 26 ein Verbot von Angriffskriegen aus. Hierbei bezieht sich das Grundgesetz auf das zur gleichen Zeit in der UN-Charta verankerte Gewaltverbot. Ein eindeutiger Verzicht auf militärische Gewalt sei dies jedoch nicht, so Nolte, bei Artikel 26 handle es sich um eine eingeschränkte Form des staatlichen Pazifismus. Anders als etwa Japan, dass nach dem 2. Weltkrieg ein ausdrückliches Verbot für die Aufstellung von Streitkräften erließ, wurde dies in der deutschen Verfassung nicht explizit ausgeschlossen. Bereits die erste Fassung des Grundgesetzes enthielt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, eine spätere Aufstellung von Streitkräften schien also zumindest denkbar.

Wie aber verhalten sich die immer zahlreicheren Einsätze der Bundeswehr zum Friedensgebot des Grundgesetzes? Sofern für derartige Missionen (bspw. Afghanistan) ein UN-Mandat vorliegt, werden Artikel 24 Abs. 2 und Artikel 87a Abs. 2 Grundgesetz als Rechtsgrundlage für eine Beteiligung der Bundeswehr bemüht. Am zweitgenannten Artikel, der im Rahmen der Notstandsgesetzgebung 1968 in die deutsche Verfassung gelangte, führte Nolte einen interessanten Fall von Verfassungswandel vor: Die Vorschrift („Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.“) wurde bis zum Ende des Kalten Krieges dahingehend interpretiert, dass sie keine Beteiligung der Bundeswehr an UN-geführten Missionen erlaube. Heute ist die Teilnahme von deutschen Soldaten an Einsätzen weltweite Realität, sofern dafür ein Mandat der UN vorliegt. Da sich die Bundesrepublik dem internationalen Gewaltmonopol der Vereinten Nationen (als System gegenseitiger Sicherheit) unterworfen habe, könne sie sich an deren Einsätzen beteiligen und zur Einhaltung des Friedens auch völkerrechtlich legitimierte Gewalt anwenden.

Die Beteiligung Deutschlands an den Kriegen im Kosovo und (indirekt) im Irak beschrieb Georg Nolte als größte Herausforderung für das Friedensgebot des Grundgesetzes: Für den Militäreinsatz im Kosovo habe es kein UN-Mandat gegeben, die Gewaltanwendung widerspreche eindeutig dem Gebot der gewaltfreien Lösung internationaler Konflikte. Auch sei die völkerrechtliche Begründung, wonach die Schutzrechte bedrohter Minderheiten den Verstoß gegen das völkerrechtliche Gebot der Gewaltfreiheit aufwiegen, nach wie vor umstritten.

Stärkung des Völker­rechts = Aufweichung des Grund­ge­set­zes?

Georg Nolte wies darauf hin, dass sich die Regeln des Völkerrechts in den letzten Jahren erheblich gefestigt haben. So gelte heute für bewaffnete Konflikte nicht mehr allein das sog. Kriegsrecht, sondern die „Menschenrechte allgemein“. Kriege würden längst nicht mehr in der Brutalität gegen die Bevölkerung geführt wie früher. Viele Militäreinsätze glichen inzwischen Polizeiaktionen, bei denen die Verhältnismäßigkeit der militärischen Mitttel im Einzelfall geprüft werde. Nolte führte diese Entwicklung auf die zunehmende Vermengung von Innen- und Außenpolitik zurück. Das heiße umgekehrt aber auch: Die innenpolitische Anwendung von Gewalt müsse u.U. den völkerrechtlichen Regeln der Gewaltanwendung angeglichen werden. Vor diesem Hintergrund kritisierte Nolte die Begründung der Karlsruher Richter in ihrer Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz. Indem diese ihr Abschussverbot mit der Menschenwürde begründet hätten, haben sie die Frage jeder weitergehenden Abwägung entzogen. Zugleich würde das Urteil die Handlungsmöglichkeiten der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen einschränken, denn: „… wenn man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ernst nimmt, kann man immer dann, wenn offensichtlich ein Zivilist hierzu als menschliches Schutzschild verwendet wird, nicht mehr schießen.“

Frieden im weiteren Sinne

Zum Abschluss erläuterte Georg Nolte die friedenssichernden Institutionen im deutschen Staatsorganisationsrecht: Der Vorrang völkerrechtlicher Verpflichtungen vor deutschem Recht (Artikel 25 GG), das Prüfverfahren zur vollständigen Auslegung völkerrechtlicher Verpflichtungen (Artikel 100 Abs. 2 GG) und die im Grundgesetz mit einfacher Mehrheit mögliche Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale Institutionen (Artikel 24 Abs. 1 GG). Die Abtretung von Hoheitsrechten diene dabei in besonderer Weise der Befriedung: „Es sollte ermöglicht werden, dass sich die Bundesrepublik Deutschland selbst fesselt, um Vertrauen zu schaffen, um nicht wieder losschlagen zu können.“ Prägendes Vorbild dafür war die Montanunion, die Übertragung der Kohle-, Stahl- und Rüstungsindustrien auf europäische Träger.

Die Erfahrungen mit der europäischen Integration haben die Bedenken gegen eine so weitgehende und vor allem so schrankenlose Übertragung von Hoheitsrechten, wie sie das Grundgesetz vorsieht, verstärkt. Bei der europäischen Integration hat das Bundesverfassungsgericht eine Grenze aufgezeigt, wonach die Übertragung nur zulässig sei, solange ein vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet werde. Auch anderen Akteuren wie dem UN-Sicherheitsrat und dem Völkerrecht werde heute nicht mehr jenes Vertrauen entgegen gebracht wie 1948, so Nolte. Angesichts der Globalisierung von Wirtschaft und Politik warnte er jedoch davor, die Lösung in einer Flucht ins Nationale zu sehen.

(Zusammenfassung: Gabrielle Pelouas-Fillon)

Eine Audiodokumentation des Vortrages von Herrn Nolte liegt nicht vor.

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