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HU Bremen: Humanismus und Straf­vollzug – geht das überhaupt?

Mitteilungen208/20907/2010Seite 42

Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 42

31 Personen gingen im Februar ganz freiwillig in die Justizvollzugsanstalt Bremen. Grund war eine Einladung des HU-Landesverbandes Bremen zu einem Vortrag von Prof. Dr. Johannes Feest: „Humanismus und Strafvollzug: Verrechtlichung, Zivilisierung oder Abschaffung?“

Der Veranstaltungsort war bewusst gewählt, um auch Strafgefangenen bzw. Bediensteten die Teilnahme zu ermöglichen. Diese Hoffnung erfüllte sich aber nur teilweise . Einige Beschäftigte der JVA lauschten den Ausführungen und beteiligten sich an der Diskussion, Gefangene waren leider nicht da. Am Abend wurde bekannt, dass zwei Redakteure der Gefangenenzeitung der JVA („DISKUS 70“) eine Teilnahme an der Veranstaltung beantragt hatten, dies jedoch von der Anstaltsleitung abgelehnt wurde. Welches Motiv die Anstaltsleiterin hatte, beide Anträge abzulehnen, blieb offen. Teilnehmer bedauerten die Entscheidung: „Ich hätte mir etwas mehr Mut von der Anstaltsleiterin gewünscht“, so eine Stimme.

Johannes Feest spannte einen großen Bogen bei dem schwierigen Thema. Er zitierte den Direktor der bekannten Vollzugsanstalt ‚Santa Fu‘ in Hamburg, Dr. Heinz-Dietrich Stark, der bereits Mitte der 1970er Jahre mit der These auftrat: „Wenn man Menschen wie Tiere behandelt, werden sie sich auch wie Tiere benehmen“.  Damit verband er ein eindeutiges Plädoyer für einen menschlicheren Strafvollzug.

Ein solcher Strafvollzug kann durch rechtliche Vorgaben unterstützt werden. Dabei handelt es sich einerseits um Mindeststandards, durch die absolut unmenschliche Behandlung ausgeschlossen werden sollen – etwa: Folterverbot, Mindestbesuchszeiten, Recht auf täglich eine Stunde im Freien etc. Solche Normen garantieren ein zivilisatorisches Minimum. Sie führen aber oft dazu, dass häufig nicht mehr getan wird, als der Mindeststandard vorsieht. Was als unterste Grenze gedacht war, wird zum Standard.

Andere rechtliche Vorgaben setzen höhere Ziele, etwa das Vollzugsziel der Resozialisierung. Gefangene sollen im Vollzug „fähig werden, in sozialer Verantwortung, ein Leben ohne Straftaten zu führen“, heißt es dazu im Bundesstrafvollzugsgesetz. Theorie und Praxis klaffen hier allerdings weit auseinander, wie Johannes Feest mit zahlreichen Beispielen belegen konnte. Das zeige sich sich am Rückgang der Vollzugslockerungen, die dazu dienen sollten, Gefangene auf das Leben in Freiheit vorzubereiten.  Beurlaubungen aus der Haft sind in der Zeit 1998 bis 2008 um 60 % zurückgegangen. Ähnliches gilt für den offenen Vollzug. Bundesweit werden die materiellen und finanziellen Ressourcen gekürzt. Kein Wunder, dass die Rückfallzahlen so hoch sind wie eh und je. Dies liegt auch daran, dass in unserer Gesellschaft das Bewusstsein dafür schwindet, dass ein resozialisierender Strafvollzug die beste Kriminalprävention ist. Haftstrafen können nun einmal nicht ausgleichen, was an Sozialpolitik versäumt wurde.

Zwischen Minimal- und Maximalstandards gibt es verschiedene Modellprojekte, die mindestens zu einer Zivilisierung des Strafvollzuges beitragen könnten. Als besonders gutes Beispiel wurde die Bildhauerwerkstatt genannt, die es in der JVA Bremen seit 1978 gibt. Dort arbeiten Gefangene unter Anleitung professioneller Künstler. In diesem Projekt (meist werden Skulpturen aus Stein hergestellt) geht es um künstlerische Arbeit als Alternative zur Pflichtarbeit.

Von Humanisten (auch solchen aus der Humanistischen Union) sind zahlreiche zivilisatorische Impulse für den Strafvollzug ausgegangen. Als Beispiele wurden u.a. die Anstaltsleiter Helga Einsele und Heinz-Dietrich Stark genannt, die für ihre Verdienste von der Humanistischen Union mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichnet wurden. Sie haben versucht, die Institution in positiver Richtung zu verändern und sind oft dafür selbst diszipliniert worden. Leider ist die traurige Wahrheit, dass die totale Institution Gefängnis diese Reformer relativ unbeschädigt überlebt hat.

Die schrittweise Abschaffung der Gefängnisinstitution selbst wäre daher ein konsequenter Schritt zur Humanisierung des Strafwesens. Die gesellschaftliche Entwicklung driftet aber zur Zeit in die entgegensetzte Richtung. Die Privatisierung bzw. Kommerzialisierung trägt eher zum Ausbau als zu seinem Abbau bei. Johannes Feest plädierte dafür, eine weitere Verrechtlichung und Zivilisierung des Gefängnisses voranzutreiben, was zugleich einen weitgehenden Abbau der Institution impliziere. In der anschließenden Diskussion traf dieser Gedanken nicht auf ungeteilte Zustimmung.  Es gab auch – insbesondere wegen der Gewalttaten gegenüber Frauen – die Auffassung, dass Strafvollzug ein notwendiges Übel bleibe.

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