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Identität und Wandel. Das Grundgesetz 1949 und heute

04. Mai 2009
Datum: Montag, 04. Mai 2009

Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „60 Jahre Grundgesetz – Anspruch und Wirklichkeit“

Identität und Wandel. Das Grundgesetz 1949 und heute

Was ist von dem Grundgesetz, welches am 23. Mai 1949 in Kraft trat, heute eigentlich noch übrig? Wenn man es formal betrachtet, so Dieter Grimm, sei in diesen 60 Jahren viel passiert: Vom ursprünglichen Text, der Präambel und den 146 Artikeln, haben zwar noch 81 Artikel (55%) den gleichen Wortlaut wie 1949; darunter sind aber allein 26 Artikel aus den „Übergangs- und Schlussbestimmungen“, von denen viele bereits „erledigt“ sind. Deshalb könne man – am reinen Text gemessen – sagen, dass mehr geändert als erhalten wurde. Aber ist dies ein passendes Verständnis von Identität? Und wie verhalten sich der Text, seine Interpretation und Ausdeutung, sowie das soziale Umfeld, in dem die Verfassung angewandt wird, in der 60jährigen Geschichte des Grundgesetzes zueinander? Diesen Dimensionen von Verfassungsänderung und Verfassungswandel spürte Grimm in seiner Vorlesung über Identität und Wandel des Grundgesetzes nach.

Die Generalrevisionen unserer Verfasung sind schnell aufgezählt: die ersten beiden – Wehrverfassung (1955) und Notstandsverfassung (1968) – wurden noch von breitem öffentlichen Protest begleitet, die folgenden liefen geräuschloser über die Bühne, von der Finanz- und Föderalismusreform 1969 über die Änderungen im Zuge der Wiedervereinigung (1994) bis zur Föderalismusreform 2006. Welche politischen Auswirkungen Verfassungsänderungen hervorrufen können, zeigte Grimm am föderalen Gefüge des Grundgesetzes. Die stetige Zunahme zustimmungspflichtiger Gesetzgebung führt zu einer „Verhandlungsdemokratie“, in der interne Arbeitsgruppen Kompromisse aushandeln, die mit Rücksicht auf Koalitionsabsprachen und Mehrheitsverhältnisse der Länderkammer im Parlament nur noch abgestimmt werden.

Erfreulicher als die Textänderungen, die allzu oft die Schwellen für staatliche Eingriffe in Grundrechte senkten, war für Bürgerrechtler der Verfassungswandel, den das Grundgesetz in 60 Jahren erfuhr. Angefangen bei der schrittweisen Bindung aller staatlichen Gewalt an die Grundrechte bis zur Ausgestaltung des Artikels 2 als allgemeinem Auffang-Grundrecht hat sich das Grundgesetz in seiner Anwendung als sehr flexibel bewiesen – und so schützt es heute wie selbstverständlich E-Mails und Computerfestplatten, obwohl daran 1949 niemand denken konnte.

(Zusammenfassung: Sven Lüders)

Sie können den Vortrag von Dieter Grimm hier nachhören (Flash Player notwendig):

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