Beitragsbild Polizei-Übergriffe im Rechtsstaat - Veranstaltungsbericht
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Polizei-­Über­griffe im Rechtsstaat - Veran­stal­tungs­be­richt

29. April 2010
Datum: Donnerstag, 29. April 2010

Meldungen über Polizeiübergriffe blitzen immer wieder in den Zeitungen auf – und die Fälle verschwinden wieder aus dem öffentlichen Blickfeld, wenn es sich nicht um Ausnahmen handelt wie das Verbrennen von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle im Januar 2005. Doch ein systematischer Überblick fehlt.

Polizei-Übergriffe im Rechtsstaat - Veranstaltungsbericht

Die Region Frankfurt / Rhein-Main hatte am 29. April 2010 zwei Experten eingeladen, um ein Problembewusstsein über das Ausmaß von Polizeiübergriffen zu schaffen und Möglichkeiten zu diskutieren, wie solche Übergriffe verfolgt, besser noch: vermieden werden können.

Auf dem Podium diskutierten mit rund 40 ZuhörerInnen der Gießener Rechtsanwalt Tronje Döhmer und Andreas Schwantner, der sich seit über 20 Jahren bei amnesty international engagiert und die Fachkommission Polizeirecherche mit aufgebaut hat. Diese recherchiert seit 2005 Fälle von übermäßiger Gewaltanwendung durch Polizisten und beobachtet etwaige Strafverfolgung.

Zunächst berichteten die beiden Referenten sehr kenntnisreich über Polizeiübergriffe bei Demonstrationen und politischen Aktionen, anschließend über Übergriffe im Alltag. Im dritten und wichtigsten Teil wurde die Frage diskutiert, was man dagegen tun könne.

Obwohl Polizeikessel seit dem berüchtigten „Hamburger Kessel“ im Juni 1986 von Gerichten wiederholt für rechtswidrig, da unverhältnismäßig, erklärt werden, errichtet die Polizei solche Kessel immer wieder, unter anderem bei der Friedberger Anti-Nazi-Demo im November 2009.

Zu den gravierendsten Folgen der Polizeieinsätze rund um den Gipfel von Heiligendamm im Juni 2007 gehört sicher, dass ein Demonstrant infolge eines Wasserwerfereinsatzes erblindete: Der Wasserwerfer zerstörte sein linkes Auge.

Die Liste von Polizeiübergriffen war lang – beide Referenten verfügten über deutlich mehr Material, als sich während der Zeit eines Podiumsgesprächs vorstellen ließ. Doch für eine systematische Risikoabschätzung reichte es nicht. Hier bleibt wissenschaftliche Forschung nötig. Ob es einen Zusammenhang von Polizeiübergriffen mit dem Inhalt der Demonstration – links- oder rechtsgerichtet – gibt? Für eine seriöse Aussage sei hier die Datendecke zu dünn, so Andreas Schwantner. Aber eine Beobachtung machte er: „Cop Culture“ und der sehr hierarchische Apparat haben strukturell eher Affinitäten zu rechtslastigen Demo-Veranstaltern denn zu anarchischen linken.

Eine Verfolgung von Polizeiübergriffen findet praktisch nicht statt, stellte Tronje Döhmer fest. Zwar gebe es viele Anzeigen, doch Verurteilungen von Polizisten seien die hochseltene Ausnahme. Döhmer wies darauf hin, dass ein Staatsanwalt nicht selbst ermittelt, sondern dafür immer die Polizei beauftragt: Polizisten müssten also gegen Kollegen ermitteln. Anzeigeerstatter trügen zudem das Risiko, dass der Polizist sie wiederum wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ anzeigt. Bei diesem Delikt laufen die Ermittlungen deutlich schneller.

Auch im Alltag kommt es zu Polizeiübergriffen: Der „lagebedingte Erstickungstod“ ist ein großes Problem. Wenn Personen an Händen und Füßen gefesselt auf dem Bauch liegen, bekommen sie leicht Atemprobleme. So leicht, dass diese Fesselungsmethode in den USA verboten ist, so Döhmer. In Deutschland sterben jedoch immer wieder polizeilich Festgenommene den „lagebedingten Erstickungstod“. Erschreckend sei der polizeiliche Umgang mit Verletzten: Tronje Döhmer nannte das Beispiel einer Schlägerei von vermutlich zwei Banden vor einem Gießener Restaurant. Danach lag ein Mann in einer Blutlache auf dem Boden. Ein hinzugeeilter Polizist begann nicht mit Erster Hilfe, sondern fesselte den am Boden liegenden zunächst, bevor er eine Stichwunde nahe des Herzens feststellte. In der Akte hierzu heißt es: Solche „Eigensicherung“ sei ebenso legitim wie normal…

Wen treffen Polizeiübergriffe? Auch hier fehlen exakte Daten für eine eindeutige Antwort. Doch bei aller Vorsicht vor falscher Verallgemeinerung meinte Döhmer, dass Personen mit nicht-europäischem Aussehen ein höheres Risiko treffe.

Andreas Schwantner fasste abschließend die vier Forderungen von amnesty international zusammen, mit denen Polizeiübergriffe begegnet werde solle:

  1. unabhängige Untersuchung von Verdachtsfällen auf übermäßige Polizeigewalt durch spezielle Staatsanwaltschafts- und Polizeiorgane, die von den normalen Abläufen strikt getrennt arbeiten.
  2. Kennzeichnung von Polizisten – entweder durch Namensschilder oder Identifikationsnummern.
  3. Videoaufzeichnungen in Polizeiwachen in allen Räumen außer dem Sanitärbereich und den ausschließlich von Polizeibeamten genutzten Räumen – wohl aber in Einzelzellen und Gemeinschaftsflächen. Die Aufnahmen sind sicher zu archivieren und sind nur dann zu sichten, wenn Vorwürfe einer Misshandlung oder schweren Straftat bestehen.
  4. Menschenrechtsbildung als fortlaufende und obligatorische Weiterbildung – nicht nur generell, sondern auch mit konkretem Bezug zur alltäglichen Praxis, einschließlich einer Bewertung, wie Festnahmen durchgeführt wurden.

Peter Menne,
Vorsitzender des Ortsverbandes Frankfurt

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