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Das Rechts­be­ra­tungs­ge­setz von 1935 -Ein Anachro­nismus gegen den Alturismus

vorgängevorgänge 15509/2001Seite 193-200

Aus: vorgänge Nr. 155 (Heft 3/2001), S.193-200

Darf der Rechtsstaat es seinen Bürgern verwehren, einander uneigennützig mit Hilfe und Ratschlägen zur Seite zu stehen, wenn sie Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen, vielleicht sogar Opfer justizförmigen Unrechts werden? Die Frage erscheint absurd. Tatsächlich gibt es ein solches Verbot nirgendwo — mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland. Deutschland ist der einzige Staat, in dem es den Bürgern, sofern sie keine Rechtsanwälte sind, nicht erlaubt ist, sich von Freunden, Nachbarn oder anderen Mitmenschen in Rechtsfragen beraten zu lassen. Tun sie dies doch, so werden zwar nicht sie bestraft, wohl aber die Ratgeber, gleichviel ob sie unentgeltlich oder kommerziell gehandelt haben. So steht es im Rechtsberatungsgesetz.

Angesichts der Entstehungszeit dieses Gesetzes, das auf den 13. Dezember 1935 datiert, muss es erlaubt sein, etwas genauer nach dem Kontext zu fragen, in dem es verabschiedet wurde. Mit einer in einer Ausführungsverordnung versteckten Bestimmung (§ 5: „Juden wird die Erlaubnis nicht erteilt”) zielte es in erster Linie darauf ab, die aus ihren Berufen vertriebenen jüdischen oder politisch missliebigen Richter und Rechtsanwälte von jeder rechts beratenden Tätigkeit auszuschließen. Inzwischen, nachdem jener Paragraf 5 gestrichen worden ist, wird das Gesetz nach „herrschender Meinung” als vollständig entnazifiziert angesehen. Prominente Juristen reagieren empört und beleidigt auf die bloße Erwähnung der Entstehungsgeschichte. Dem NS-Gesetzgeber sei es in bester Absicht allein darum gegangen, die Anwaltschaft vor unguter Konkurrenz zu schützen und darum, den gutgläubigen Bürger vor Schaden durch „unqualifizierte Rechtsberatung” zu bewahren. Tatsächlich ist das Rechtsberatungsgesetz (RBerG) ein Lehrstück dafür, wie Juristen trotz ihres hoch entwickelten Methodeninstrumentariums, ja sogar mit dessen Hilfe Unrecht mit dem Schein des Rechts versehen und dieses Unrecht aus der öffentlichen Diskussion auszublenden verstehen.

Um die Verfassungswidrigkeit des Verbots altruistischer rechtsberaterischer Betätigung zu verschleiern, ist nur die „geschäftsmäßige” Rechtsberatung untersagt. Bei dem Begriff „geschäftsmäßig” stellt sich der nicht näher mit dem Gesetz befasste Bürger etwas Anrüchiges vor. Geschäftsmäßig handelt in der Fachsprache der Juristen aber nicht nur, wer aus der Rechtsberatung „ein Geschäft” macht, sondern bereits derjenige, der in einem einzigen Fall einem Freund oder Verwandten unentgeltlich eine Rechtsauskunft erteilt und sich dabei vorgenommen hat, auch künftig in Rechtsnot geratenen Mitbürgern seine Hilfe nicht zu versagen; bereits dann nehmen die Gerichte die für die Annahme von „Geschäftsmäßigkeit” erforderliche „Wiederholungsgefahr” an.

Die meisten Fälle solcher Beratungen werden allerdings stillschweigend geduldet. Für in Form eines Rechtsgutachtens erteilte Beratungen sieht das Gesetz sogar eine Ausnahme von dem Verbot vor. So konnte der Frankfurter Oberlandesgerichtspräsident Horst Heinrichs für die Beratung der IG Metall in einer Rechtsfrage ungestraft ein Honorar von 1,34 Millionen Mark kassieren. In einem selektiven Vorgehen wird die Waffe des RBerG von den Behörden vielmehr meist dann in Anschlag gebracht, wenn es gilt, Mitarbeitern von Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, von Bürgerinitiativen und den freien Wohlfahrtsverbänden in ihrem altruistischen Engagement zu Gunsten von Randgruppen in Bereichen mit anwaltlicher Unterversorgung zu behindern.

Wen es trifft…

Opfer des RBerG sind fast immer sozial Schwächere, Angehörige gesellschaftlicher oder politischer Randgruppen. Je mehr am Rande der Gesellschaft Lebende auf Hilfe in sozialen Notlagen und auf Aufklärung über die ihnen zustehenden Rechte angewiesen sind, um so entschlossener besinnen sich Verwaltungsbehörden auf das Verbot der altruistischen Rechtsberatung, um ihnen lästig erscheinende Bittsteller und ihre Ratgeber sich auf bequeme Art vom Hals zu schaffen.

Auffällig viele Ordnungswidrigkeitsanzeigen — Verstöße gegen das RBerG sind mit Geldbuße bis zu 10.000 Mark bedroht — werden von Ausländerbehörden gegen in ihrer Freizeit tätige altruistische Helfer erstattet, die sich um die Rechte von ausländischen Flüchtlingen kümmern. Um diese Helfer zusätzlich unter Druck zu setzen, wird ihnen angedroht, man werde ihre Schützlinge, bei denen es sich mitunter um traumatisierte, unter Behördenphobie leidende Folteropfer handelt, vor die Kriminalpolizei laden, um sie über die Einzelheiten der ihnen zukommenden rechtlichen Beratung zu vernehmen.

Wer für einen von der Abschiebung bedrohten irakischen Flüchtling einen Antrag auf Gewährung des Bleiberechts formuliert, gerät leicht in Konflikt mit dem RBerG (belegt durch Vorkommnisse aus Augsburg, Kassel, Lindau, Meerbusch, Stuttgart und Iserlohn). Welcher Abschiebehäftling findet aber für sein Taschengeld von ca. elf Mark pro Woche einen Rechtsanwalt, der sich die Mühe macht, ihn in den von den Städten oft weit entfernt liegenden Abschiebegefängnissen aufzusuchen und ihn engagiert zu beraten?

Besonders unwillig — nämlich mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft — reagieren auch manche Behörden, wenn ihnen mit ehrenamtlicher Hilfe nachgewiesen wird, dass sie die Versagung etwa von Sozialhilfe auf eine vielleicht unrichtige Rechtsbelehrung gestützt haben. Selbst den ehrenamtlichen Mitarbeitern von Kirchengemeinden ist verboten worden, sozialhilfeberechtigten Flüchtlingen mit rechtlichem Rat und durch Formulierungshilfen beizustehen. Dass solche Verbote von Gerichten (unter anderem in Aachen und Münster) bestätigt worden sind, lässt den Verdacht aufkommen, dass einigen Richtern die bisherige Aushöhlung des Asylrechts nicht weit genug geht, dass es ihnen zumindest am notwendigen Einfühlungsvermögen in die Situation von Sprach-und Rechtsungewandten fehlt.

In Stuttgart ist auf Betreiben der dortigen Rechtsanwaltskammer der Caritas-Verband verurteilt worden, die Tätigkeit seiner Flüchtlingsberatungsstelle einzuschränken. Deren Mitarbeiter dürfen die Flüchtlinge nur noch in Ausnahmefällen beim Gang zum Sozialgericht begleiten, obwohl angesichts der geringen Gebührensätze in Sozialhilfesachen vertretungsbereite Rechtsanwälte kaum zu finden sind.

Gewiss ist es psychologisch verständlich, wenn manche Beamte sich nicht gern auf die Finger schauen lassen. Auch mag es für Behörden bequemer sein (und verringert die entstehenden finanziellen Verpflichtungen), wenn Anspruchsberechtigte sich nicht oder erst nach Ablauf von Rechtsmittelfristen melden. Mit den Grundsätzen des sozialen Rechtsstaats lässt sich diese Art, Bürgern die Ausübung von Rechten zu erschweren, aber nicht in Einklang bringen. Und schon gar nicht mit der Pflicht eines jeden Beamten und jeden Richters, rechtliche Benachteiligungen auszugleichen. Man hört auch immer wieder von Versuchen, Bewährungshelfer und Sozialarbeiter, die ihren von Rechtsproblemen bedrängten Schützlingen beistehen möchten, mit Hinweis auf das RBerG einzuschüchtern.

Wie sehr manche Juristen zum Missbrauch des Rechtsberatungsgesetzes neigen, zeigt ein Fall aus Velbert: Dort hatte die Staatsanwaltschaft den bosnischen Bürgerkriegsflüchtling Elvedin A. aus Srebeniza des „illegalen Grenzübertritts” beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft billigte dem Muslim zwar im Prinzip das Recht zur Flucht zu, machte den straflosen Übertritt in die Bundesrepublik indessen von der vorherigen Erlangung eines Visums abhängig. Einen Rechtsanwalt konnte der Flüchtling sich nicht leisten. Deshalb wurde er zu der Gerichtsverhandlung von einem Pfarrer – Mitglied einer Flüchtlingsinitiative – begleitet. Den verwies der Richter unter stillschweigender Berufung auf das Rechtsberatungsgesetz in den Zuschauerraum, um sodann den seines einzigen Fürsprechers Beraubten unter Androhung einer möglichen Strafverschärfung dazu zu bringen, seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzunehmen. Unter der Robe eines Richters wird man nicht ohne weiteres Fremdenfeindlichkeit vermuten dürfen. Nur scheint es auch in der Justiz mitunter unterschiedliche Grade von ausländerfreundlicher Gesinnung zu geben. Und nimmt man den Gesamtbereich von Justiz und Verwaltung in den Blick, handelt es sich hier um keinen Einzelfall im Umgang mit Ausländern. Immer wieder hört man von Kammern der Verwaltungsgerichte, die ehrenamtlich tätige Fürsprecher von Ausländern von der Verhandlung ausschließen, während andere Kammern der Notwendigkeit einer Kompensation der erhöhten

Sprach- und Rechtsunkundigkeit von Ausländern Rechnung tragen.

So wenig Anstoß an der rechtlichen Beratung von besser Betuchten genommen wird – etwa wenn Mitglieder des Rotary-Clubs untereinander beraten – so rasch kann der mit

einem Bußgeldverfahren überzogen werden, der gesellschaftlich Benachteiligten zu ihrem Recht verhelfen möchte: Obdachlosen, Arbeitslosen, überschuldeten Bürgern oder in einem Seniorenheim untergebrachten alten Menschen, die sich gegen die oftmals entsetzlichen Missstände in der Altenpflege wehren möchten. Auch hier verkehrt sich der vorgebliche Schutzzweck — die Rechtsuchenden vor Schaden zu bewahren — in sein Gegenteil. Eher soll ein mittelloser Bürger völlig unberaten bleiben als vielleicht einmal eine falsche Empfehlung zu erhalten, die ihm übrigens selbst von einem Rechtsanwalt zuteil werden kann.

Auf einen Missbrauch des RBerG läuft es auch hinaus, wenn rechtlich versierte Strafgefangene daran gehindert werden, Mitgefangene über ihre Rechte nach dem Strafvollzugsgesetz zu informieren.

Als das Komitee für Grundrechte und Demokratie einem Strafgefangenen der Justizvollzugsanstalt Würzburg einen von ihm erbetenen Kommentar zur Strafvollzugsordnung übersandte, verweigerte der Anstaltsleiter unter Berufung auf das RBerG die Aushändigung. Die Beantwortung einer Beschwerde des Komitees lehnte er ab, da das Komitee mit dem (zurückhaltend formulierten) Hinweis auf den NS-Ursprung des Gesetzes die Vollzugspraxis der JVA Würzburg „als grundrechtswidrig bezeichnet und mit einer menschenverachtenden Gesellschaftsordnung in Verbindung gebracht” habe. In seinem Gesinnungsübereifer verkannte der auf die Verteidigung der F.D.G.O. bedachte Anstaltsleiter, dass der demokratische Rechtsstaat auch durch das rigorose Festhalten an einem verfassungswidrigen Gesetz nationalsozialistischer Herkunft beschädigt werden kann.

Zerschla­gung von Bürger­in­itia­tiven

Gelegentlich dient das RBerG dem Versuch, solidarisches Vorgehen von Bürgern im Kampf gegen Behördenwillkür und andere Zumutungen zu unterbinden. Denn auch von einer zweifelhaften Maßnahme einer Verwaltung gemeinsam Betroffene dürfen sich nicht zu wechselseitiger Beratung zusammentun. Deshalb bewegen sich sogar Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen, für die es um die Klärung und Durchsetzung gemeinsamer Rechtspositionen geht, in einer rechtlichen Grauzone. So wird unter Berufung auf das RBerG Arbeitsloseninitiativen das Leben schwer gemacht. Bieten sie öffentlich eine Beratung in Sozialhilfesachen an, kommt es prompt zu einer Durchsuchung der Wohnung der Organisatoren. So geschehen in Itzehoe. Auch der Arbeitslosenselbsthilfe Rendsburg e. V. wurde die Beratung in Sozialhilfesachen verboten. All dies geschieht unter dem Deckmantel des „Verbraucherschutzes”. Der Hinweis auf die Unbezahlbarkeit eines Anwalts für Mittellose und darauf, dass im Sozialversicherungsrecht versierte Anwälte kaum zu finden sind, verfängt da nicht. Was besagt dies schon angesichts der unbeschränkten Gültigkeit des Gleichheitssatzes, der da (frei nach Anatole France) lautet: Es ist dem armen Flüchtling und Sozialhilfeempfänger wie dem Multimillionär gleichermaßen gestattet, den honorarpflichtigen Rat eines zugelassenen Rechtsanwaltes in Anspruch zu nehmen oder aber nach freiem Belieben ganz auf Rechtsrat zu verzichten.

Von der Beratung von Menschen, die — wie viele Flüchtlinge — mit Bezügen weit unter dem Sozialhilfesatz auskommen müssen, geht der Anwaltschaft keine einzige Mark verloren. Deshalb wird von der Rechtsprechung noch ein weiterer Gesetzeszweck ins Feld geführt, mit dem schon die NS-Machthaber das Gesetz begründet hatten: die „Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs von Verwaltung und Rechtspflege”. Hier zeigt sich, wie untergründig vordemokratische Denkstrukturen in der Gegenwart fortwirken. Die strafbewehrte Abschirmung der Tätigkeit von Gerichten und Behörden vor engagierter Bürgerbeteiligung sollte autoritären Regierungssystemen vorbehalten bleiben.

Kritik des RBerG vor Gericht ist selbst verbotene Rechts­be­ra­tung

Um nichts anderes als um die Abwehr demokratischen, und zwar rechtspolitischen Engagements geht es in all den Fällen, in denen altruistisch tätige Bürger vor Gericht gestellt werden, deren fachliche Kompetenz außer Zweifel steht: beispielsweise rechtserfahrene Kriegsdienstverweigerer und ein ihnen zur Seite springender pensionierter Richter. Ein Fall aus Braunschweig, so unwahrscheinlich, dass man ihn als juristisches Lügenmärchen abtun möchte. Doch alles ist aktenkundig: Zwei Pazifisten werden vor dem Amtsgericht Braunschweig angeklagt, weil sie — aus ihren eigenen Prozessen reichlich erfahren im Recht der Totalverweigerung — andere Totalverweigerer mit gerichtlicher Zulassung (§ 138 Strafprozessordnung) verteidigt haben. Nun tritt ein Richter — der Verfasser — für sie ein, als Verteidiger, gleichfalls mit gerichtlicher Zulassung. Am Ende seines Plädoyers erstattet er Anzeige gegen sich selbst. Nun wird auch er vom Amtsgericht Braunschweig zu einer Geldbuße von 600 Mark verurteilt. Unerlaubte „geschäftsmäßige Rechtsberatung” sehen Amtsgericht und das Oberlandesgericht auch darin, dass der Verfasser neun Jahre zuvor (1990) die zunächst untätig gebliebene Staatsanwaltschaft Braunschweig dazu gebracht hat, ein nationalsozialistisches Terrorurteil gegen eine im Jahre 1944 hingerichtete junge Frau aufheben zu lassen. Auch hätte er es unterlassen müssen, einer wegen Mitunterzeichnung einer gegen den Krieg gegen Jugoslawien gerichteten Zeitungsanzeige angeklagten Pazifistin Auskünfte zum Völkerrecht und zur Rechtsproblematik eines als „humanitäre Aktion” deklarierten Angriffskrieges zu erteilen. Vor allem aber habe er dadurch gegen das RBerG verstoßen, dass er das RBerG auf den Prüfstand des Grundgesetzes habe stellen wollen, indem er die bei-den Totalverweigerer verteidigt habe.

Wer von dem NS-Gesetz profitiert ….

Dass das Gesetz Gerichte und Behörden vor als lästig empfundener Inanspruchnahme abschirmt, liegt auf der Hand. Doch gibt es noch andere Nutzungsmöglichkeiten. Findige Rechtsanwälte machen ein Geschäft daraus, dass sie altruistische Helfer wegen „geschäftsmäßiger Rechtsberatung” auf Unterlassung verklagen. Das geht so: Nach dem „Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb” (UWG) genügt für eine Abmahnung jeder Verstoß gegen ein Gesetz, das eine Berufsgruppe — hier die Anwaltschaft — schützt. Das gibt jedem Rechtsanwalt eine Klagebefugnis an die Hand. Und dem Anwalt, der erfolg-reich eine solche Klage erhebt, winken die hohen Prozessgebühren, die Rechtsanwälte auch in eigener Sache liquidieren dürfen. So lässt sich unter Berufung auf ein Gesetz, das auch die uneigennützige Rechtsberatung verbietet, in einem von Eigennutz keineswegs freien Vorgehen Kapital herausschlagen. Ein Fall aus Köln, der inzwischen Nachahmer gefunden hat: Eine Frau lässt ihren Lebensgefährten in einer Mietrechtssache einen Brief an den Veimieter schreiben. Dessen Rechtsanwalt kontert erfolgreich mit einer Klage nach dem UWG: Der Mann wird zur Unterlassung verurteilt; an den Anwalt muss er allein für eine Gerichtsinstanz Anwaltskosten von 2.240 Mark zahlen, dies neben den Gerichtskosten und den Gebühren seines eigenen Anwalts, insgesamt 5.630 Mark. Verwandte und selbst dem Ehegatten darf man nun einmal rechtsberatend nicht zur Seite stehen, auch nicht kostenlos. So jedenfalls nach „herrschender Meinung”.

Allerdings werden manche Bürger von den Strafverfolgungsbehörden „gleicher als die Gleichen” behandelt. Das gilt natürlich für viele Staatsanwälte und Richter selbst. Würden sämtliche Verstöße gegen das RBerG verfolgt, so wären die Justizangehörigen mit Ermittlungen gegen sich selbst ausgelastet. Ein anderer Fall, wieder aus Braunschweig: Ein Universitätsprofessor vertritt gegen lukratives Honorar einen des Abrechnungsbetruges verdächtigen Chefarzt in einem Arbeitsgerichtsprozess. Die Staatsanwaltschaft erfährt davon aus der Presse, greift die Sache aber nicht auf.

Vom Nutzen und Nachteil der Historie

Auf den ersten Blick erscheint es rätselhaft, dass ein Gesetz, das altruistisches und solidarisches Verhalten denunziert und verbietet, auch 55 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches weitergelten kann. Und das, nachdem übrigens in den 55 Jahren vor 1935 das Prinzip der freien Rechtsberatung sogar im kommerziellen Bereich gegolten hatte, ohne dass es zu nennenswerten Misshelligkeiten gekommen war. Schließlich gehört das Ausüben von Solidarität zu den vornehmsten Rechten des Bürgers. Man stelle sich einmal vor: Der unermüdlich auf das Wohl seiner Untertanen bedachte Gesetzgeber würde in allen Bereichen, in denen Fehlentscheidungen zu Nachteilen führen können, dem Bürger verbieten, seinem Nächsten altruistisch mit Rat und Tat zu helfen. Man denke etwa an elektrische Installationen, Autoreparaturen und andere gefahrenträchtige Verrichtungen. Tatsächlich ist unentgeltliche Nachbarschaftshilfe aber sonst uneingeschränkt erlaubt. Auch ist die Erteilung von Ratschlägen für gefährliche Alpintouren nicht etwa konzessionierten Bergführern vorbehalten. Und nach dem Heilpraktikergesetz (von 1939!) sind kostenlose medizinische Ratschläge und Behandlungen jedermann gestattet. Ein moderner barmherziger Samariter muss sich aber davor hüten, seinen Schützling über etwaige Schadensersatzansprüche gegen die Räuber aufzuklären.

Von all diesen riskanten mitbürgerlichen Hilfestellungen unterscheidet sich die Beratung in Rechtsfragen allerdings durch den ausgeprägten Politikbezug des Rechtsbereichs. Hier liegt der Grund dafür, dass die Nationalsozialisten besonderen Wert auf das Verbot der selbstlosen Rechtsberatung gelegt und das Verbot sogar auf Volljuristen ausgedehnt haben. Die kritische juristische Intelligenz erschien ihnen gerade dort gefährlich, wo sie sich lediglich altruistisch und nicht gegen klingende Münze oder gar mit Aussicht auf Aufstieg im Staatsapparat betätigte. Zu genaue Blicke in die Justiz-und Verwaltungspraxis sollten verhindert werden.

Wenn diese Vorgeschichte des in Frage stehenden Gesetzes (vgl. Kramer 2000: 600ff.) im Mainstream der heutigen Justiz ausgeblendet wird, liegt dies nicht zuletzt an der nahezu totalen Ausklammerung der Justizgeschichte in der Juristenausbildung. Angehende Juristen hören an den meisten Rechtsfakultäten kein Wort zu der Frage, warum Richter mit einer gediegenen, bis heute im Kern unverändert gebliebenen Juristenausbildung ab 1933 gewissermaßen über Nacht zu Mördern in der Robe werden konnten. Nur aus dem Desinteresse an der Justizvergangenheit lässt sich auch die Unbeschwertheit erklären, mit der der Hinweis auf den Ursprung des Gesetzes als ungehörig abgetan wird. So greift nach Ansicht des früheren Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Felix Busse „tief unter die Gürtellinie”, wer das Gesetz als Relikt aus der Nazi-Zeit bezeichnet. Diese Zurückweisung des rechtsgeschichtlichen Argumentierens nimmt sich um so merkwürdiger aus, als fast gleichzeitig Rainer Hamm, unbestritten ein renommierter Jurist, das entgegengesetzte Verfahren zum Nachweis dafür wählte, dass die Einstellung des Strafverfahrens gegen Helmut Kohl von der Zahlung einer Geldbuße abhängig gemacht worden sei, anstatt ihm seine absolute Unschuld zu attestieren: Schließlich stamme der Untreueparagraph (§ 266 StGB) in seiner heutigen Formulierung aus der Nazi-Zeit. Ein schönes Beispiel für die Vielseitigkeit der juristischen Methode und den ergebnisorientierten, zielbewussten Umgang vieler Juristen mit ihrem Methodeninstrumentarium: Je nach gewünschtem Ergebnis greift man mal in das eine, mal in das andere Argumentationsfach.

Würden sich Juristen mehr mit der Justiz im Dritten Reich beschäftigen, so würde ihnen ein Licht aufgehen: Unrecht kann auch im Gewand rechtlicher Formen auftreten. So wie die Nationalsozialisten scheinbar mit legalen Mitteln an die Macht gelangt sind, haben Juristen im weiteren Verlauf des Dritten Reiches auch die schlimmsten Unrechtshandlungen — darunter mindestens 50.000 Todesurteile — mit dem Schein des Rechts versehen, selbst das schreiendste Unrecht als Recht hingestellt. Und was den Tatbeitrag der Juristen besonders lehrreich macht, ist die Methode ihres Vorgehens: Indem sie ihre Entscheidungen mit dem Schein der Glaubwürdigkeit versahen, gewährten sie den Machthabern eine weitaus wirksamere Unterstützung, als dies bei Anordnungen von offensichtlich weisungsgebundenen Richtern der Fall gewesen wäre. Mit dem Einsatz ihres gesamten juristischen Methodeninstrumentariums verrechtlichten sie das Unrecht, legitimierten sie den Terror, errichteten sie vor dem Unrecht eine Legalitätsfassade. Sie kamen nicht trotz ihrer gediegenen juristischen Ausbildung, sondern mit Hilfe der noch zu demokratischen Zeiten erlernten Rechtstechniken zu ihren mörderischen Ergebnissen.

Betätigung „christ­li­cher Nächs­ten­liebe” verboten

Wo liegen die tieferen Ursachen für das strikte Festhalten an dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung? Geht es um die Einnahmequellen? Unentgeltliche Rechtsberatung bedeutet aber keine Konkurrenz für den Berufsstand. Stellt altruistisches Handeln etwa die Selbstgewissheit einer allein am Profitstreben ausgerichteten Gesellschaft in Frage? Ist es die Verunsicherung, die für das Wertesystem einer überwiegend kapitalistisch strukturierten Gesellschaft von Menschen ausgeht, die sich in ihrem Handeln nicht nur vom Eigennutz, sondern auch vom Gedanken an Solidarität und an das Gemeinwohl leiten lassen?

Auf eben eine solche Verachtung des Altruismus läuft es jedenfalls hinaus, wenn in dem führenden Kommentar zum Rechtsberatungsgesetz von Rennen -Caliebe ausgeführt wird, dass im Bereich, der Rechtsberatung auch die Betätigung von „christlicher Nächstenliebe” und „sozialem Engagement” verboten sei, so, als ließe sich in einer zunehmend verrechtlichten Welt humanitäre Hilfe von rechtlicher Beratung trennen. Hier fragt man sich unwillkürlich, wie lange ein vielleicht ursprünglich sozial und sensibel denkender Mensch der noch immer auf das rein Technokratische reduzierten Juristenausbildung ausgesetzt sein muss, bis er unreflektiert solche Formulierungen in Druck gibt. Nicht nur im „Internationalen Jahr des Ehrenamtes”, zu dem das Jahr 2001 erklärt worden ist, vernimmt man aus Politikermündern viele wohlklingende Appelle an Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft. All diese Mahnungen werden unglaubwürdig, wenn gleichzeitig mit der Aufrechterhaltung und Praktizierung des RBerG Altruismus und Solidarität als Rechtsbruch denunziert werden.

Deshalb ist das Recht eine viel zu wichtige Sache, als dass man es den Juristen allein überlassen darf. Wie jede demokratische Institution bedarf auch das Recht der Partizipation des Bürger der Rückkoppelung eben durch den Bürger. Deshalb ist es die Aufgabe aller, sich um das Recht zu kümmern, in aktiver Einmischung über die Möglichkeiten zur Verwirklichung des Rechts nachzudenken und darüber, wie mit den Mitteln des Rechts Machtmissbrauch und Willkür zu verhindern, wie Gleichheit und sozialer Aus-gleich herzustellen und Grundrechte zu schützen sind.

Es ist zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht auf die dem Gericht vorliegende Verfassungsbeschwerde des Autors (abrufbar im Internet unter www.dfg-vk.de/4_ 3/2000_2_a.htm ) uns endlich von der nationalsozialistischen Altlast .des Verbots der ehrenamtlichen Rechtsberatung befreien wird.

Literatur: Kramer, Helmut 2000: Die Entstehung des Rechtsberatungsgesetzes im NS-System und sein Fortwirken; in: Kritische Justiz 3 2000, S. 600-606

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