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Straf­tri­bunal für das frühere Jugoslawien

aus: Vorgang Nr. 129 (Heft 1/1995), S. 8-9

Straftribunal für das frühere Jugoslawien

Anfang November 1994 trat in Den Haag ein Internationales Straftribunal für das frühere Jugoslawien zu seiner ersten öffentlichen Sitzung zusammen. In einem einstimmigen Beschluss hatte der Sicherheitsrat im Mai 1993 das Tribunal mit dem Ziel konstituiert, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord im früheren Jugoslawien zu ahnden. Die Rechtsgrundlage des Tribunals ist dem Nürnberger Verfahren gegen die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher nachgebildet. Der rechtliche Kern dieser ersten internationalen Strafverfahren, die sich auch gegen führende Ärzte, Industrielle, Beamte und Juristen des NS-Regimes richteten, ist in der Genfer Konvention von 1949 niedergelegt, die dem Schutz der nicht-kämpfenden Bevölkerung dient. Sie untersagt – das ist vielfach nicht genügend bekannt – auch die Vergewaltigung, die ja im ehemaligen Jugoslawien vor allem von den bosnischen Serben zu einem systematisch eingesetzten Terrorinstrument ausgebaut wurde.

Das Haager Tribunal, an dem südafrikanische, nigerianische, costarikanische und französische Anklagevertreter und Richter beteiligt sind, ist das erste überstaatliche Strafgericht seit 1946. Diese Tatsache könnte zu dem Schluß führen, daß das Tribunal eine Vorreiterfunktion hat, die den immer wieder von der UNO propagierten Grundgedanken, ein allgemeines, überstaatliches Strafgericht für Menschenrechtsverletzungen in den Staaten und zwischen den Staaten zu etablieren, voranbringt.

Die Realität aber sieht anders aus. Der Schutz vor Menschenrechtsverletzungen der Staaten und die Ahndung ihrer kriminellen Akte nimmt eher ab. Wenn, um nur den Blick auf Lateinamerika zu werfen, die Regierungen von Brasilien, von Argentinien und jüngst von Haiti die eigene Bevölkerung durch Mordkommandos in Schrecken versetzen, führt dies nicht zu einer – bei „einfacher“ Kriminalität selbstverständlichen – strafrechtlichen Ahndung. Vielmehr werden einige Zeit später Amnestien für Staatsverbrecher erlassen, zuletzt noch unter dem Druck der USA in Haiti.

Das Jugoslawien-Verfahren ändert an diesem Trend wenig. Die Einrichtung des Tribunals beruht auf einer von den Großmächten getragenen Sonderkonstellation im Sicherheitsrat, aber nicht auf einer allgemeinen Durchsetzung eines neuen Rechtsprinzips. Auch zeitlich ist das Tribunal beschränkt. Es ist daran gebunden, daß der Kriegszustand anhält. Sobald es zu einer Friedensregelung kommt, verliert es seine jetzige Rechtsgrundlage.

Als erster hat sich der bosnische Serbe Dusan Tadic, der sich laut Anklage an der Erstellung von Todeslisten für Muslime, an der Vergewaltigung von Muslim-Frauen und an der Ermordung von Gefangenen beteiligt hat, vor dem Tribunal zu verantworten. Das Verfahren hat freilich nur eine eingeschränkte Bedeutung, weil die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen politischen Führungen im Jugoslawienkonflikt (die im geringerem Maße als in Serbien auch in Bosnien und Kroatien rechtswidrige Staatsakte geschehen ließen) nicht vor ein Tribunal gestellt werden können.

Das Tribunal ist ein halb-symbolischer Akt, der die völkerrechtlichen Prinzipien, die nach den Erfahrungen der Nazi-Barbarei geschaffen wurden, als uneingelöstes Programm der Völker aus den Archiven der Rechtsexperten ins allgemeine Bewußtsein hebt. Politisch kann das Tribunal zur Entlegitimierung der Kriegspraxis beitragen. Was aber eigentlich durch eine strafgerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden soll, die Blockierung krimineller Energie, wird nur punktuell gelingen.

Es ist eine besondere Pointe, daß die Bundesregierung eine Gesetzesänderung auf den Weg bringen will, um den schon erwähnten Dusan Tadic an das Haager Tribunal ausliefern zu können. Im Jahre 1950 war die Regierung Adenauer in Sachen der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in der Nazi-Zeit von Deutschen begangen wurden, anders gestimmt. Sie verweigerte Art. 7 Abs. 2 der Konvention des Europarats zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in dem es um die Ahndung von staatlich normierten „gesetzlichem Unrecht“ (Radbruch) ging, die Zustimmung. Wenn die Verfolgung von staatlichen Straftätern nicht mehr das eigene Land betrifft, ist es leicht, für ein überstaatliches Straftribunal einzutreten.

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