Zur Gründungs­ge­schichte der Humanis­ti­schen Union und ihrer "Erbschaft"

Thesen zum Vortrag „Ein ’sehr zäher Intelligenzlerverein‘. Zur Gründungs- und Frühgeschichte der HU“, auf der Tagung „Motive und Perspektiven der Bürgerrechtsarbeit“, 26. und 27. November 2005 in Berlin

1) Die Humanistische Union (HU) ist Bestandteil und z.T. Avantgarde des Vor-1968er-Aufbruchs – ansetzend an „Reformstau“ und subjektiven Leiden von Intellektuellen.

2)      Medien und Öffentlichkeit werden um 1960 als neue politische Gewalt sichtbar – elaboriertes Argumentieren, „die Straße“ und bürgerschaftliche Gruppen werden allmählich zum legitimen Element einer „deliberativen Demokratie“.

3) Primäres Thema der HU sind zunächst Irrationalismen der Mächtigen: unbegründete Privilegien (der Kirchen vor allem) wie überzogene Kontrollversuche des Staates.

4) Die HU artikuliert einerseits stellvertretend ungelöste Probleme der BRD: die „äußeren“ Randgruppen der neuen Wohlstandsordnung (Psychiatriepatienten, Knastinsassen, Bildungsbenachteiligte…) werden als Skandal deutlich.

5) Andererseits geht es den HU-Aktiven aber auch um die eigene Emanzipation und Interessenvertretung, um die „inneren Randbezirke“ des Wirtschaftswunders: Autoritarismus, Ehe- und Beziehungsprobleme, Sexualität, Bildungsnotstand. „Tabus“ steht als werbewirksames Etikett über all dem. (Der § 218 ist eigentlich eine Mischung aus „paternalistischem“ und eigenem Thema.)

6) Die HU lebte in den frühen Jahren vom unglaublichen Hunger nach Argumenten (ablesbar an Riesenauflagen von Zeitschriften und Buchreihen wie rororo aktuell) Sie hat damit wie wenige andere den „Zeitgeist“ getroffen – das „bessere Argument“ wird ein heilsames Ritual, „nackte Kaiser“ werden lächerlich gemacht.

7) Das Bündnis sehr verschiedener politischer Generationen funktionierte in der HU erstaunlich lange und effektiv – bis zur Entzauberung der sozialliberalen Koalition gegen Ende der 70er Jahre.

8) Vom Kulturpathos der Gründungszeit hat sich die HU (oder wenigstens ihr größter Teil) rechtzeitig getrennt und den Verband seit Anfang der 70er Jahre in zukunftsfähige, nüchternere Politkformen überführt: eine Kampagnefähigkeit vor allem für das Politikfeld „Rechtspolitik“ ist entstanden.

9) Sind in der heutigen Lage politische oder organisatorische Brüche der Bürgerrechtsarbeit nötig? – Die „gemeinsame Denkarbeit in kleinen Kreisen“ (Jürgen Seifert) bleibt ein attraktives und spezifisches Merkmal der HU. Daneben könnte sie sich stärker bemühen, „Dienstleistungen“ für „kostenbewusste“ Bürgerrechts-Interessenten zu planen und selbstbewusst zu platzieren.

Norbert Reichling ist Mitarbeiter des Bildungswerkes der Humanistischen Union NRW

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