Beitragsbild Waltraut Balbarischky * 22.01.1919 – 25.11.2016
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Waltraut Balba­rischky * 22.01.1919 – 25.11.2016

in: HU-Mitteilungen Nr. 231 (1/2017), S. 11/12

Waltraut Balbarischky * 22.01.1919 – 25.11.2016

„Sie hat sich fast ein Jahrhundert lang mit Kraft, Mut und Engagement durchgeschlagen, die Nazis und den Weltkrieg überstanden, zwei Söhne allein aufgezogen, sich gegen Aufrüstung und gegen politischen Opportunismus, für Frauenrechte und für Überlebende des Holocaust engagiert und ist nun zu Hause gestorben.“

So heißt es in der Anzeige der Familie. Mit dem Abschied von Waltraut Balbarischky verliert  die Humanistische Union ein seit ihren Anfängen aktives Mitglied und eine aufmerksame, oft kritische Zeugin ihrer über 50jährigen Geschichte. Dies wird besonders in dem Interview lebendig, das Sven Lüders 2011 für die HU mit Waltraut führte.

Schon in der 1950er Jahren hatte die Tochter aus einem entschieden sozialdemokratischen Elternhaus gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik protestiert und der Gesamtdeutschen Volkspartei von Gustav Heinemann nahe gestanden. Einer Partei beizutreten und ihrer Disziplin sich unterzuordnen, kam für sie nie in Frage. Aber sie brachte   die Erfahrungen aus ihren früheren politischen Engagements in die Arbeit der Humanistische Union, der ersten Bürgerrechtsorganisation der Bundesrepublik, ein.

In der noch jungen HU war Waltraut seit 1964 im Ortsverband Düsseldorf und im Landesverband NRW aktiv, ab 1973 im Ortsverband Tübingen/Stuttgart. Unter dem Vorsitz von RA Dr. Kurt Sternfeld, eines Remigranten und Anwalts in Wiedergutmachungsprozessen, beteiligte sich die Düsseldorfer HU am Kampf gegen Konfessionsschulen, an Frauen-Aktionen zum Recht auf Abtreibung, an der Obdachlosenarbeit und an Reformvorschlägen zum Strafvollzug. Die Veranstaltungen der HU zu diesen Themen, zum Teil in Kooperation mit anderen Organisationen, trafen damals auf große Erwartungen nach gesellschaftlicher Veränderung und waren in der Regel gut besucht.
Intern, besonders auf bundesweiten Delegiertenkonferenzen und Verbandstagen, wurde oft um die Positionen hart gerungen. Nicht immer war zum Beispiel der Generationenkonflikt leicht zu überwinden. So wollte der Vorsitzende Hans Robinsohn (1973-1975) kein Sit-in von Mitgliedern dulden. Es gab Auseinandersetzungen, wie man mit dem Radikalenerlass (1973 und folgende) umgehen sollte. Manchmal spielten auch parteipolitische Bindungen der Mitglieder eine gewisse Rolle. Und die Humanistische Studenten-Union protestierte heftig, nachdem Vorstandsmitglied Fritz Bauer in eigener Initiative 1967 der israelischen Regierung ein Glückwunschschreiben nach dem erfolgreichen 6-Tage-Krieg zugesandt hatte.

Waltraut beobachtete, wie mit den Jahren unter den aktiven Mitgliedern die anfängliche Dominanz von Psychoanalytikern, Schriftstellern, Studierenden und anderen „freien Geistern“ allmählich einer vorwiegend von Juristen dominierten Verbandsarbeit wich. In Tübingen fand sie neben der HU für ihre Anliegen neue Gruppen wie die Geschichtswerkstatt und das Frauenarchiv. Im bundesweiten Protest gegen die Nachrüstung beteiligte sie sich unter anderem 1982 an der Sitzblockade in Mutlangen. Und nach dem Ende des Kalten Kriegs schuf sich die über 70jährige Anfang der 1990er Jahre noch ein neues Wirkungsfeld im Ausland.

Im Juni 1995 berichteten die HU-Mitteilungen von ihrer Initiative zugunsten von Überlebenden des Holocaust im Baltikum. Waltraut hatte – neben anderen Gruppen, die eine offizielle Wiedergutmachung forderten – persönliche Kontakte nach Lettland und Litauen aufgenommen, um die Lebensbedingungen und Geschichten von NS-Opfern an Ort und Stelle zu erfahren. Sie begann, Spenden zu sammeln, informierte in Rundbriefen über ihre regelmäßigen Reisen und die Verwendung der Gelder, organisierte dazu Vorträge und Ausstellungen in Tübingen. Darüber hinaus bereiste sie mit dem Verein „Flüchtlingskinder im Libanon“ mehrfach Länder des Nahen Ostens, um die Situation der Palästinenserfamilien kennen zu lernen. Aus Israel bezog sie bis zuletzt die Kommentare des Journalisten Uri Avnery, weil die gängigen Nachrichten ihr nicht ausreichten.

Noch in ihrem letzten Lebensjahr las Waltraut regelmäßig drei Zeitungen und selbstverständlich die HU-Mitteilungen. Authentizität der Quellen und fundierte Kritik waren ihr lebenswichtig.

2009 fand Waltraut in der taz ihren Namen auf der KandidatInnenliste für den Panter-Preis unter dem Titel „Sie sind Helden“. Empört schrieb sie der Redaktion: einen „Helden“-Preis wolle sie nicht, über Spenden für Menschen im Baltikum freue sie sich, im Übrigen halte sie es mit Brecht, der geschrieben hatte: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

So werden viele Waltraut in Erinnerung behalten: sprachlich präzise, praktisch entschieden, bisweilen streng und fordernd. Sie war direkt, klar und anspruchsvoll. Wer sie aus der Nähe erleben durfte, hat sie auch erfahren als sehr zugewandt, offen und herzlich.

Als Heldin verstand sie sich nicht, was wir respektieren wollen. Wir werden sie vermissen, so wie sie war.

Maria Kühn-Ludewig / Ursula Tjaden

Falls Sie in ihren Sinn noch eine Geste machen wollen:
Spendenkonto des Freundeskreises für die Holocaust-Überlebenden im Baltikum (Hanna und Wolf Middelmann, Göttingen)
IBAN: DE28 2605 0001 0100 4994 33
BIC:    NOLADE21GOE

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