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Die Entschei­dung des XII. Zivilsenats des BGH vom 08.06.2005

12. Juni 2005

In dieser Entscheidung des Zivilsenats wurde nur über die Kosten des Rechtsstreites entschieden, da der Kläger während des Rechtsstreites verstarb. Deshalb erfolgte auch nur eine zusammen-fassende Prüfung der Erfolgsaussichten des Klägers. Dies veranlasste den Zivilsenat den Ausgang des Rechtsstreites offen zu lassen, und die durch den Rechtsstreit angefallenen Kosten gegeneinander aufzuheben.

Sachverhalt der Entschei­dung

Nach einem Suizidversuch litt der Kläger an einem appalischen Syndrom im Sinne eines Wachkomas. Er wurde in einem Pflegeheim versorgt. Der behandelnde Arzt ordnete mit dem Einvernehmen des Betreuers (der Vater des Betroffenen) an, die künstliche Ernährung einzustellen. Das Pflegeheim des Betroffenen lehnte die Umsetzung der ärztlichen Anordnung jedoch ab. Grund dafür war die Verweigerung seitens des Pflegekräfte der Anordnung nachzukommen. Daraufhin klagte der Kläger vor den Zivilgerichten gegen das Pflegeheim auf Einstellung der künstlichen Ernährung, um ihn sterben zu lassen.

Die Entschei­dung

Der Kostenbeschluss des BGH enthält eine klare Entscheidung über die Gründe, aus denen die Einstellung der künstlichen Ernährung im Hinblick auf den Pflegevertrag verweigert wurde. Der BGH erteilte diesen Gründen jedoch eine klare Absage:

„Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungs-unfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlagen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzten. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigen für sich genommen die Fortsetzung der Künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht.“

Das Gericht führte weiterhin aus:

„Das vom Betreuer wahrgenommene Recht des Klägers zur Bestimmung über den eigenen Körper ist einem antizipierten Verzicht nicht zugänglich.“

Die Entschei­dungs­gründe des Zivilsenats

Seine Entscheidung begründete der Zivilsenat damit,  dass eine im Heimvertrag vereinbarte Leistungspflicht zur künstlichen Ernährung keine Rechtspflicht für den Kläger darstellt, die geschuldete Leistung seitens des Pflegeheims anzunehmen. Die Leistungspflicht gibt den Pflegekräften erst recht keine Befugnis, die Annahme dieser Leistung gegen den Willen des Ernährten zu erzwingen.

Weiterhin erklärte das Gericht, dass dem Pflegepersonal gegenüber des Unterlassungswunsches des Klägers auch kein Verweigerungs-recht zusteht, dass sich aus den in den Art. 1, 2 und 4 GG verbürgten Rechten des Pflegepersonals ableiten lässt.

In seinem Beschluss bekräftigt der Zivilsenat, dass Pflegekräfte Träger der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sind. Dennoch schließt der Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG nicht die ethischen oder medizinischen Vorstellungen des Pflegepersonals ein. Aufgrund dessen findet mit dem verlangten Unterlassen der künstlichen Ernährung auch kein Eingriff in ihre Menschenwürde statt.

Das Selbstbestimmungsrechts der Pflegekräfte (Art. 2 GG) findet nach Ansicht des Zivilsenats am entgegenstehenden Willen des Klägers (bzw. des für ihn handelnden Betreuers) seine Grenze.     

Auch in Bezug auf die Gewissensfreiheit ( Art. 4 Abs. 1 GG) erfolgt eine klare Stellungnahme im Beschluss des Zivilsenats: Das Pflegepersonal hat kein Recht, sich durch aktives Handeln über das Selbstbestimmungsrecht des durch seinen Betreuer vertretenen Klägers hinwegzusetzen und in dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen.

Zivil­recht­liche Rechtslage für einen Behand­lungs­ab­bruch bei Wachko­ma­pa­ti­enten

Ausgehend von den oben aufgeführten Entscheindungsgründen des Zivilsenats scheint die zivilrechtliche Rechtslage für einen Behandlungsabbruch bei Wachkomapatienten geklärt zu sein:

Gegenüber ärztlichen Anweisungen (in diesem Fall die Einstellung der künstlichen Ernährung), die im Einvernehmen mit dem Patienten bzw. dessen Betreuer getroffen wurden, hat das Pflegepersonals aufgrund seines Pflegevertrags kein Recht die Ausführung diese Anweisungen zu verweigern. Die Verpflichtung zur Pflege aufgrund des Pflegevertrags kann einem zivilrechtlichen Anspruch auf Unterlassung einer Behandlung bzw. Ernährung nicht entgegengesetzt werden.

Das bedeutet, dass die Reichweite und Gültigkeit von Patientenverfügungen – folgt man diesem Teil der Entscheidung des BGH – nicht durch einen Pflegevertrag eingeschränkt werden dürfen.

Durch­set­zung des zivil­recht­li­chen Anspruchs auf Unter­las­sung einer Behandlung/ Ernährung

Der BGH hält in seiner Entscheidung jedoch fest, dass der zivilrechtliche Anspruch auf die Unterlassung der weiteren künstlichen Ernährung nicht durchsetzbar ist. Grund dafür ist die noch fehlende Klarheit über die strafrechtliche Zulässigkeit des Behandlungsabbruchs:

Die „strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinne („Hilfe zum Sterben“ vgl. im einzelnen BGHSt 40, 257), auf die das klägerische Verlangen zielt, … sind bislang nicht hinreichend geklärt.“ 

Für den Zivilsenat war dieser Umstand für die Entscheidung über die Kostenteilung des Rechtsstreits von großer Bedeutung:

„denn die Beklagte kann nicht zivilrechtlich zu einem Verhalten verurteilt werden, mit dem die Organe und Beschäftigten der Beklagten Gefahr laufen, sich zu den Geboten des Strafrechts in Widerspruch zu setzen. … Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits war danach letztlich ungewiß“   

In dieser Entscheidung hat der BGH auch erstmalig offen gelegt, dass die strafrechtlichen Grenzen von Sterbehilfe nicht geklärt sind. Dies bedeutet auch weiterhin Unklarheit über die Gültigkeit und Reichweite von Patientenverfügungen.

Der vollständige Beschluss des XII. Zivilsenats des BGH vom 08.06.2005

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