Themen / Bioethik / Selbstbestimmtes Sterben

Ärztinnen und Ärzte für Muster­klagen zur Suizid­bei­hilfe gesucht

18. Dezember 2012

Rosemarie Will

Bitte um Unterstützung durch die Mitglieder und Regionalgruppen der HU.

Mitteilungen 218/219 (III/IV) – Dezember 2012, Seite 11

Der 114. Deutsche Ärztetag in Kiel 2011 hatte mehrheitlich entschieden, dass den Ärzten die Beihilfe zum Suizid berufsrechtlich untersagt werden soll. Die Bundesärztekammer hat daraufhin eine Neufassung der Musterberufsordnung (MBO) beschlossenen. Deren § 16 Satz 3 lautet nun: „Sie [die Ärzte] dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Für die Humanistische Union war sofort klar: dieser Beschluss des Ärztetages ist ein Rückschritt für alle Bemühungen um humanes Sterben. Eine Ärzteschaft, die ihr Berufsrecht so gestaltet, bleibt hinter dem gesellschaftlichen Konsens zurück, überlässt Sterbewillige sich selbst oder zum Teil fragwürdigen Anbietern der Suizidhilfe. In der Bevölkerung gibt es mittlerweile eine klare Mehrheit dafür, dass Ärzte auch dann den Willen und die Selbstbestimmung ihrer Patienten zu achten haben, wenn jene ihr Leben beenden wollen und dabei ärztliche Unterstützung benötigen.

Der Bundesärztekammer fehlt jedoch die Gesetzgebungskompetenz für ein Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe. Diese haben nur die Landesärztekammern. Nur sie können mithilfe ihres Satzungsrechts verbindliche berufsrechtliche Vorschriften für Ärzte erlassen. Nach anderthalb Jahren haben von den 16 Bundesländern nur sieben den neuen § 16 der MBO umgesetzt: Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen.  Alle anderen Länder haben sich darauf beschränkt, ein Verbot der aktiven Lebensverkürzung durch den Arzt auszusprechen (was dem bestehenden strafrechtlichen Verbot einer Tötung auf Verlangen entspricht).

Die Humanistische Union hat sich entschlossen, gegen die berufsrechtlichen Einschränkungen juristisch vorzugehen. Wir suchen für die o.g. sieben Bundesländer dringend Ärzte, die entweder gegen das Verbot der Suizidbeihilfe bereits verstoßen haben (und deshalb mit berufsrechtlichen Verfahren konfrontiert sind), oder zu diesem Schritt u.U. bereit wären. Wir bitten alle Mitglieder und Regionalgruppen, in ihrem Umfeld und mit ihrer Ortskenntnis nach solchen Ärzten Ausschau zu halten und ihnen unsere Unterstützung anzubieten.

Schwierige Rechtswege

Die juristische Vorgehensweise gegen das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe unterscheidet sich je nach geltendem Länderrecht. Die Berufsordnungen der Ärzte sind Satzungen der Landesärztekammern. Gegen sie ist eine Verfassungsbeschwerde als subsidiärer Rechtsschutz nur dann zulässig, wenn zuvor der instanzengerichtliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde (soweit er besteht). Gegen solche Satzungen ist der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz in Form einer „prinzipalen Normenkontrolle“ vor dem jeweiligen Oberverwaltungsgericht gem. § 47 | Nr. 2 VwGO möglich, wenn die Länder eine solche Normenkontrolle zulassen. Das gilt für alle Bundesländer bis auf Berlin und Hamburg, wo es keine Ausführungsvorschrift zu § 47 | Nr. 2 VwGO im landesrechtlichen Verwaltungsprozessrecht und damit keine integrale Normenkontrolle gibt.

Wenn die Fristen für eine solche Normenkontrolle verstrichen sind, bleibt als weiterer Rechtsschutz nur die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Satzung. Diese ist prinzipiell vor dem Landesverfassungsgericht einzureichen. Dafür gilt eine Frist von einem Jahr nach Inkrafttreten der Satzung. Gibt es nach dem jeweils gültigen Landesrecht keine Landesverfassungsbeschwerde in einem Bundesland, muss die Beschwerde gegen die Satzung vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben werden. Das ist in Hamburg der Fall. Da dort auch keine Möglichkeit einer prinzipalen Normenkontrolle besteht, kann in Hamburg nicht instanzengerichtlich gegen die Satzung der Landesärztekammer vorgegangen werden. Ein Musterverfahren in Hamburg würde deshalb unmittelbar mit einer Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe starten. Hierfür gilt eine Frist bis zum 1.5.2013! Für eine solche Verfassungsbeschwerde suchen wir also einen Arzt/eine Ärztin, die in Hamburg zugelassen und bereit ist, mit uns gegen die Berufsordnung zu klagen. Dazu muss der/die Betroffene noch keine Suizidbeihilfe praktiziert haben. Das berufsrechtliche Verfahren ist keine  Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Beschwerde – es genügt die potentielle Einschränkung der Berufsfreiheit durch das Verbot.

Für die sechs anderen betroffenen Bundesländer (Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) ist die prinzipale Normenkontrolle aber geregelt. Hier wäre zunächst mit einer Klage gegen die Satzung vor dem Oberverwaltungsgericht vorzugehen. Dafür besteht nur eine relativ kurze Frist von zwei Monaten nach dem Inkrafttreten der Satzung. Diese Zweimonatsfrist läuft nur noch in Brandenburg, und dort auch nur bis zum 10. Januar 2013! Wir suchen also dringend einen Arzt, der eine Zulassung in Brandenburg hat und bereit ist, gegen die Landesärztesatzung vorzugehen. Sie oder er braucht noch nicht berufsrechtlich belangt zu sein.

Für die übrigen fünf Bundesländer (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen) sind wir bei einer Musterklage dagegen auf ein berufsrechtliches Verfahren nach den bereits geltenden Satzungen der jeweiligen Landesärztekammer angewiesen. Wir würden uns freuen, wenn sich Betroffene hierzu bei uns melden.

Rosemarie Will
ist im Bundesvorstand der HU für den Bereich Bioethik zuständig.

Auf der Webseite der HU finden sich weitere Informationen zu den Satzungsgebungsverfahren der Landesärztekammern: https://www.humanistische-union.de/themen/bioethik/sterbehilfe/.

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