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Bloß keine Hilfe für Suizid­wil­lige?

11. Juli 2012

Sven Lüders

Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums will gewerbsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung verbieten. Mitteilungen Nr. 217 (Heft 2/2012), S. 13

Das Bundesjustizministerium legte im April diesen Jahres einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Suizidbeihilfe“ vor. Dieser sieht einen neuen Tatbestand im Strafrecht vor:

„Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines Menschen zu fördern, diesem hierzu gewerbsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
(§ 217 Strafgesetzbuch-Entwurf)

Rosemarie Will hat für die Humanistische Union (HU) eine ausführliche Stellungnahme dazu verfasst. Darin wird das Vorhaben als verfassungswidrig kritisiert. Es sei weder geeignet, die tatsächlich bestehenden Rechtsunsicherheiten beim Sterben zu beseitigen, noch erforderlich, um den gewünschten Schutz vor fremdbestimmten Selbsttötungen zu erreichen. Darüber hinaus verstoße es gegen rechtsstaatliche Grundsätze der Strafbarkeit und begegne europarechtlichen Bedenken.

Die Kritik an dem Vorhaben setzt bereits an der Zielstellung und der Problembeschreibung an, die dem Entwurf zugrunde liegen. So behaupten die Autoren, dass durch vermehrte Angebote von Sterbehilfe-Organisationen wie Dignitas oder Exit in Deutschland eine zunehmende Zahl von Selbsttötungen bereits zu verzeichnen (bzw. demnächst zu erwarten) sei. Dafür werden aber keinerlei Belege angeführt. Die amtliche Statistik zu den Todesursachen weist dagegen aus, dass in Deutschland die Suizide seit Jahren kontinuierlich abnehmen (1980: 18.451 | 2011: 9.616). Auch die Verweise auf eine zunehmende Zahl meldepflichtiger (Selbst-) Tötungen in einigen europäischen Nachbarstaaten führen eher in die Irre: Der Anstieg in den Niederlanden und Belgien kann allenfalls als Ergebnis der Legalisierung aktiver Sterbehilfe in beiden Ländern gedeutet werden; welche Rolle eine gewerbsmäßige Beihilfe dabei spielt, bleibt völlig unklar. In der Schweiz dagegen, auf die ebenfalls zur Begründung verwiesen wird, ist die gewerbsmäßige (i.U. zur bloß organisierten, jedoch uneigennützigen) Beihilfe zum Suizid strikt verboten. Ein Anstieg der Suizidzahlen in der Schweiz könnte daher allenfalls belegen, dass ein Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung das Problem nicht aus der Welt schafft.

Deutlich erkennbar liegt dem Entwurf eine verbrämte Haltung gegenüber der Selbsttötung zugrunde: Die Suizidenten sollen in unreflektiert paternalistischer Weise vor sich selbst geschützt werden, die Möglichkeit eines frei verantwortlichen, ausdrücklichen Wunsches, sein eigenes Leben beenden zu wollen, wird kaum beachtet. Dass schwerkranke Menschen angesichts qualvoller Leiden auf lebensverlängernde medizinische Behandlungen verzichten wollen; dass auch unter anderen Bedingungen ein Weiterleben-Müssen um jeden Preis weder dem Selbstbestimmungsanspruch unserer Verfassung entspricht noch die allein gültige Moralvorstellung unserer Zeit ist – all dies blendet der Entwurf aus. Stattdessen werden die Suizidwilligen mit Minderjährigen verglichen, die in abstrakter Weise vor sich selbst zu schützen seien und denen deshalb keinerlei Unterstützung gewährt werden darf. Der Entwurf negiert die grundsätzliche Frei- und Eigenverantwortung erwachsener Sterbewilliger und tue so, als würden die bewusste Suizidentscheidung des Sterbewilligen und dessen tatsächliche Ausführung allein durch eine Förderung Dritter kompromittiert. Aber: „[S]elbst wenn ihm [dem Sterbewilligen] jemand bereits das todbringende Mittel verschafft hat, entscheidet immer noch er selbst, ob er dieses zu sich nimmt oder nicht.” (S. 11)

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, dass Suizidwilligen keinerlei Unterstützung (geeignete Räume, todbringende Mittel oder andere Rahmenbedingungen) für ihr Vorhaben gewährt wird – egal ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder aus altruistischen Motiven heraus. De facto wird so jegliche (organisierte) Suizidbeihilfe kriminalisiert, nicht allein die gewerbsmäßig betriebene. (Worin sich beide voneinander unterscheiden lassen, beantwortet der Entwurf übrigens nicht.) Außerdem soll die Strafbarkeit der Unterstützungshandlung unabhängig davon sein, ob der Suizid letztlich ausgeführt werde oder nicht. Ob und ggf. in welchem Grade organisierte Sterbehelfer also eine Sterbeentscheidung tatsächlich beeinflussen, danach wird gar nicht erst gefragt. Der Vorschlag konstruiert auf diese Weise ein abstraktes Gefährdungsdelikt (die gewerbsmäßige Beihilfe) zu einer an sich straffreien Haupttat (dem Suizid). Die HU hält ein solches Verbot für nicht legitim: „Strafbewehrte Teilnahmehandlungen zu straflosen Haupttaten gibt es grundsätzlich nicht, dies folgt aus dem Rechtsstaatsgebot … und der allgemeinen Handlungsfreiheit …“ (S. 4)

Die Zielrichtung des Gesetzentwurfs ist klar: Sterbewilligen soll ihre Entscheidung möglichst erschwert, der Bereich zulässiger Selbsttötungen eingeschränkt werden. Da verwundert es auch nicht, dass der Entwurf den Beschlüssen des Deutschen Ärztetages von 2011 zustimmt, wonach Medizinern über ihr Berufsrecht ebenfalls die Beihilfe zum Suizid versagt werden solle. Das ist nach Ansicht der HU jedoch der falsche Weg: „Der Gesetzgeber muss sich … fragen lassen, wer in den konfliktträchtigen Situationen von Selbsttötung professionelle Hilfe leisten soll, wenn dies Ärzten berufsrechtlich verwehrt wird und organisierte Vereine in die Nähe einer strafbaren gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung gebracht werden.“ (S. 3)

Sven Lüders

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