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Selbst­tö­tung verboten?

01. Dezember 1998

Wilfried Meyer

Mitteilungen Nr. 164, S. 115-116

Jemand ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wie der Presse zu entnehmen war, ist das Urteil nicht anfechtbar. Nach einer möglichen Haftentlassung erwartet den Täter eine psychiatrische Zwangsunterbringung, wahrscheinlich erst recht lebenslänglich.
Dieser Mann hat sich die Freiheit genommen, sich selbst zu töten. Daran muß jemand schuld sein. Das Urteil – also das Gericht, wer sonst? – habe ihn in den Tod getrieben, soll sein Anwalt gesagt haben. Irgendeiner wird sich zu verantworten haben, meint eine angesehene Tageszeitung.
Zu verantworten wofür? Für den Freitod eines Menschen, der sich das Recht genommen hat, das jedem Menschen in einer aufgeklärten Gesellschaft zusteht? Ist es nicht nachfühlbar, wenn ein Mensch, der für sich keine Zukunft mehr sieht, seinem Leben ein Ende macht? Wer hat das zu verantworten als dieser Mensch selbst?
Wo ist die Autorität, der gegenüber er sich rechtfertigen muß? Der Staatsanwalt? Er mußte nach erfolgter Beweisaufnahme die Strafe fordern, die das Gesetz vorsieht. – Das Gericht? Es mußte dieses Urteil sprechen, wenn Gesetz und Recht weiterhin gelten sollen. Also ist mal wieder der letzte in der Hierarchie der Schuldige, der Vollzugsbeamte. Er hätte halt besser aufpassen müssen!
Im Ernst, kann es Pflicht eines Menschen sein – auch wenn es ein Beamter ist – die Selbsttötung eines Menschen zu verhindern, der keine lebenswerte Zukunft hat? Man kann der Meinung sein, Selbsttötung sei etwas Böses. Das heißt aber nicht, daß sie etwas Strafwürdiges ist. Wenn das aber nicht der Fall ist, gibt es auch keinen einsichtigen Grund, eine Selbsttötung zu verhindern. Und der Preis wäre in diesem Fall eine totale Überwachung des Verurteilten. Der offensichtlich Schuldige hat in richtiger Einsicht seiner Möglichkeiten diesen Schritt gewählt. Wir haben das zu respektieren als letzte freie Tat eines Menschen, der auch als Straftäter nicht seine Menschenwürde verloren hat.
Es ist sehr wohl denkbar, daß eine ethisch entwickeltere Rechtsgemeinschaft noch einen Schritt weiter geht. Wenn die Selbsttötung nichts Verwerfliches ist, im Gegenteil gut begründet und nachvollziehbar, dann sollte jeder Mensch auch das Recht haben, daß ihm dabei geholfen wird. Das wäre der Fall bei unheilbar Kranken, die sich ihren Tod wünschen, aber auch bei Menschen, die wegen ihrer bewachten Unterbringung nicht die Mittel zu einer Selbsttötung haben.

Wilfried Meyer

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